ZensurheberrechtGoogle schmeißt kritische Berichterstattung wegen Fake-Beschwerden aus der Suche

Auf kritische Berichterstattung über ein Online-Glücksspielunternehmen folgten fingierte Urheberrechtsbeschwerden. Obwohl sie leicht als Fakes erkennbar waren, hatte Google die Inhalte zunächst aus seiner Suche geschmissen. Das demonstriert die Probleme bei automatisierter Urheberrechtsdurchsetzung.

Ein Spielautomat mit drei rotierenden Spalten auf denen verschiedene Symbole abgebildet sind
Online-Glücksspiel treibt viele Menschen in den Ruin – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com SLNC

Unbekannte nutzen Googles Beschwerdesystem für Urheberrechtsverletzungen, um im Internet gegen kritische Berichterstattung über das Glücksspielunternehmen Soft2Bet vorzugehen. Wie Investigate Europe heute berichtet, habe es mehr als 50 fingierte Urheberrechtsbeschwerden gegeben, die dazu führten, dass Artikel mehrerer europäischer Medien nicht mehr über die Web-Suche des Marktführers auffindbar waren.

Die Vorgehensweise ist so simpel wie effektiv. In der Mehrheit der Fälle haben Unbekannte sich gegenüber Google schlicht als Investigate Europe ausgegeben und vorgegeben, dass die bei Partnermedien erschienen Artikel oder auch nur Zitate Verletzungen des Urheberrechts am Originaltext seien.

In anderen Fällen kopierten Unbekannte die Berichte einzelner Medien über Soft2Bet und posteten sie selbst als Tumblr-Beiträge. Dann setzten sie das Datum der Posts auf dem Microblogging-Dienst zurück und reichten Beschwerden bei Google ein. Dabei behaupteten sie, die Tumblr-Beiträge seien der Originalinhalt. Sobald die echten Artikel aus dem Such-Index entfernt wurden, löschten sie die Tumblr-Seiten wieder.

Während die auf der Website von Investigate Europe veröffentlichte Version der Recherche nie aus dem Index genommen wurde, verschwanden die Beiträge von Partnermedien wie Amphora Media aus Malta, FrontStory aus Polen, Reporters United aus Griechenland und Delfi aus Estland aus den Google-Suchergebnissen.

Rückdatierung als „bekannte Taktik“

Die anonymen Takedown-Requests sind in der Lumen-Datenbank dokumentiert. Die Anfragen wurden nach dem US-Urheberrechtsgesetz Digital Millennium Copyright Act gestellt. Ein Blick auf die Benachrichtigen an die betroffenen Medien zeigt, dass viele der Beschwerden leicht als unauthentisch erkennbar gewesen wären. Dass Google sie trotzdem durchgewunken hat, legt den Verdacht nahe, dass der Prozess großteils automatisiert abläuft und der Konzern keine wirksame menschliche Prüfung vornimmt.

„Wir bekämpfen aktiv betrügerische Löschungsversuche, indem wir eine Kombination aus automatisierter und manueller Überprüfung einsetzen, um Anzeichen für Missbrauch zu erkennen, darunter auch uns bekannte Taktiken wie die Rückdatierung“, teilt Google auf Anfrage von netzpolitik.org mit. „Wir sorgen für umfassende Transparenz und melden Löschungen an Lumen, um die Antragsteller zur Verantwortung ziehen zu können.“

Wie es in dem konkreten Fall zur massenhaften Sperrung legitimer Inhalte kommen konnte, erklärt Google nicht. Der Konzern weist jedoch darauf hin, dass Websites Gegendarstellungen einreichen, wenn sie der Meinung seien, dass Inhalte fälschlicherweise entfernt wurden. Die Artikel der betroffenen Medien sind inzwischen wieder über die Google-Suche auffindbar.

Die Recherche

Im Kreuzfeuer der gefakten Urheberrechtsbeschwerden steht eine gemeinsame Recherche von Investigate Europe mit mehreren europäischen Medien zum Online-Glücksspielunternehmen Soft2Bet und seinem Inhaber Uri Poliavich. Das Unternehmen mit Sitz auf Malta und Zypern ist in der Branche eine feste Größe und gewann mehrere Preise der Glücksspielindustrie. Ein neues Büro von Soft2Bet wurde 2024 vom maltesischen Wirtschaftsminister eröffnet.

Derweil werden immer wieder Vorwürfe laut, dass Soft2Bet Spieler:innen durch unfaire Methoden in den Ruin treibe und zahlreiche Spielplattformen ohne benötigte Genehmigung betreibe. Im März deckte Investigate Europe auf, dass Inhaber Poliavich und Geschäftspartner mindestens 114 Online-Casinos gegründet haben, die in verschiedenen europäischen Ländern wegen Betriebs ohne Lizenzen auf die schwarze Liste gesetzt wurden.

Die Beteiligung von Soft2Bet wurde hinter Offshore-Briefkastenfirmen verschleiert, von denen einige nach Klagen von ausgenommenen Spieler:innen Insolvenz anmelden mussten. Die Personen aus Deutschland und Österreich hatten mehrere hunderttausend Euro auf den Plattformen verloren und diese wegen fehlender Lizenzen erfolgreich verklagt. Nach Recherchen von Investigate Europe ist die Bundesrepublik einer der wichtigsten Märkte für Soft2Bet.

In Estland war die reichweitenstarke Nachrichten-Website Delfi Partner der Investigate-Europe-Recherche. Sechs Tage vor der Urheberrechtsbeschwerde über Delfis Artikel schaltete jemand Marketinginhalte auf der Seite, um für Soft2Bet zu werben. Das führt dazu, dass man bei einer Google-Suche nach Delfis Berichterstattung über das Unternehmen weiterhin positive Inhalte statt der kritischen Recherche findet.

Wir haben Soft2Bet gefragt, ob es in irgendeiner Verbindung zu den Urheberrechtsbeschwerden steht. Das Unternehmen hat uns nicht geantwortet.

Zensur dank Urheberrecht

Die Instrumentalisierung des Urheberrechts gegen unliebsame Inhalte – sogenanntes Zensurheberrecht – ist kein neues Phänomen. Bereits 2020 deckte netzpolitik.org auf, wie eine deutsche Firma mit Verbindungen zur albanischen Regierungspartei unter Verweis auf das Urheberrecht in dem südosteuropäischen Land regierungskritische Videos löschen ließ. 2023 berichtete OCCRP über gefälschte Urheberrechtsbeschwerden, die gegen Berichterstattung über einflussreiche Personen in Äquatorialguinea und Kamerun gerichtet waren.

„Diese Art von Missbrauch ist keine Seltenheit“, sagt Aljosa Ajanovic von der europäischen Digital-Rights-Organisation EDRi. „Das entwickelt sich zu einer gängigen Taktik gegen Journalismus, der sich mit unregulierten Branchen, Betrug oder organisierter Kriminalität befasst.“ Große Technologieplattformen hätten durch ihre Untätigkeit und Intransparenz dazu beigetragen, dass dies möglich ist.

Google zufolge kommen die meisten Takedown-Anfragen von tatsächlichen Reporter:innen, die bereits mehrere berechtigte Beschwerden eingereicht hätten. Man bemühe sich bei dem System um eine Balance zwischen einfacher Nutzbarkeit für Rechteinhaber:innen und der Bekämpfung von Betrug.

Doch auch der EU-Abgeordnete Tiemo Wölken äußert sich kritisch zu dem Fall. „Böswillige Akteure nutzen Urheberrechtsschutzsysteme, um die Presse online zu zensieren. Das ist wirklich besorgniserregend“, sagt der SPD-Politiker. Plattformen sollten sich bei der Bewertung von Urheberrechtsansprüchen nicht so stark auf KI und automatisierte Filter verlassen. „Diese Systeme sind eindeutig nicht für diese Aufgabe geeignet. Sie machen Fehler und darunter leiden die Meinungs- und Pressefreiheit.“

Soft2Bet unterdessen hat einen Weg gefunden, für bessere Presse zu sorgen. So kaufte das Glücksspielunternehmen kurz nach den kritischen Berichterstattung mehrere Advertorials bei großen Medien wie Reuters und CBS News, in denen es unter anderem um die Wohltätigkeitsaktivitäten von Gründer Uri Poliavich geht.

Transparenzhinweis: Maxence Peigné ist Autor der Investigate-Europe-Recherche, die das Ziel der Urheberrechtsattacken wurde.

8 Ergänzungen

  1. „„Diese Art von Missbrauch ist keine Seltenheit“, sagt Aljosa Ajanovic von der europäischen Digital-Rights-Organisation EDRi.“
    Schade, dass Sie eine einzelne Aussage einer einzelnen Person benötigen, um die Nicht-Seltenheit zu „belegen.“ Mir fallen seit 2010 für jedes Jahr zwei bekannte Fälle ein, um den Missbrauch des Urheber:innenrechts zu belegen. Also Fälle, die es in die traditionellen Medien geschafft haben. Gar nicht zu reden von Youtuber:innen-Größen oder nur bei Netzpolitik beschriebenen Fällen. —- Außerdem würde ich mich über eine Umformulierung des Titels freuen: „Wieder Missbrauch des Urheber:innenrechts. Google blockierte Suchergebnisse nach Fake-Beschwerden.“ — Sie müssen endlich der Verantwortung nachkommen und den durch das zweihundertfünfzig Jahre alte Urheber:innenrecht täglich verursachten Schaden klar benennen. Denn wie Sie selbst berichteten, soll der Missbrauch und die Ausbeutung noch weiter vereinfacht werden. Anders formuliert: Für die nächste Verschärfung des Urheber:innenrechts wird bereits lobbyiert und dies auch auf parlamentarischer Ebene diskutiert.

  2. Das Problem ist die durch den DCMA erzwungene Mitstörerhaftung der Plattformbetreiber. Diese muss aufgehoben werden. Wenn jemand glaubt, eine Urheberrechtsverletzung habe stattgefunden, möge er sich bitte direkt an den Urheberrechtsverletzer wenden – gerne auch juristisch.

    Der DCMA außerhalb der USA übrigens wurde damals weltweit erzwungen unter der Drohung, ohne DMCA-Umsetzung der lokalen Wirtschaft müsse man leider, leider Zölle erheben. Da ja jetzt die Zölle trotzdem kommen (oder nicht, oder nicht so hoch), wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, das Ding dorthin zu packen, wo es schon immer hingehört: In die Rundablage P.

  3. Hat Google wirklich geschmissen? So mit Schmackes voll aus dem Fenster? Oder haben die es einfach nur entfernt oder herausgenommen?

    „Google schmeißt..“ ist doch eher Bildzeitungssprachniveau.

    1. Doch, passt schon. „Zack, raus.“

      Prozesse stehen ja im Artikel. Kann man auch auf Youtube sehen. Mit mehrerlei Maß gemessen wird irgendwas aufgrund von irgendwas entfernt, algorithmisch, und der Beschwerdeprozess dauert in der Regel so lange, dass der Schaden bzgl. Monetarisierung und vergeigter Zeit bereits immens ist. Tatsächlich passt dort „Schmeißen“ noch besser. Da ist ein Putzroboter, der auf Basis von beliebigen Eingaben, irgendwo hinfährt und kurzerhand aus dem Fenster schmeißt. Statt in bestimmten Fällen, oder z.B. bei nicht besonders geprüften Beschwerdeparteien, einen interaktiven Prozess zu starten. Dass wäre bei einer Suchmaschine naturgemäß noch schwieriger.

  4. Google löscht auch Bewertungen auf Google Maps, wenn sie dem Besitzer eines Eintrages dort (beispielsweise ein Restaurant) nicht gefällt. Wie macht man das? Nun, zuerst versucht man es mit der Einschüchterung „Diffamierung“. Google muss dem natürlich nachgehen, hier steigen viele Nutzer schnell aus. Wer hat schon Zeit und Lust, removals von Google zu erklären, dass man doch niemanden diffamieren wollte oder objektiv auch gar nicht hat. Da ist es doch einfacher, man ignoriert diese Mail, der Eintrag wird im Sinne des Restaurants entfernt, die Bewertung des Restaurants steigt zwangsläufig. Wenn das noch nicht hilft, kommt ggf. die zweite Stufe. Dann wird behauptet, man wäre ja gar nicht vor Ort gewesen, habe also gar kein Recht, eine Rezession vorzunehmen. Auch das kommt wieder per Mail von Google removals. Haben Sie schon einmal nach einem Essen in einem Restaurant dieses bei Google Maps bewertet und sich dann gedacht, den Zahlungsbeleg muss ich gut aufheben, falls dem Restaurant meine Bewertung in 6 Monaten nicht gefällt? Eher wahrscheinlich nicht, oder? Auch hier gilt, der Nutzer würde sicherlich sagen, den Beleg habe ich nicht mehr und das ist es mir auch nicht wert. Wieder wird der Eintrag gelöscht, die Bewertung steigt zwangsläufig, auch wenn der Zustand in dem Restaurant sich vielleicht überhaupt nicht verbessert hat. Schlichtweg, die Bewertung ist weg, das Restaurant hat Mithilfe von Google unbequeme Meinungen entfernt, dem Nutzen die Sache der mögliche Ärger nicht wert.
    Google macht sich bei solchen Beschwerden leider nicht die Mühe, die Rezession inhaltlich selbst kritisch zu prüfen, sind hier tatsächlich Inhalte, die ein Restaurant diffamieren könnten? Google macht sich auch nicht die Mühe zu prüfen, ob ein Restaurant überhaupt ein Recht hat, einen Zahlungsbeleg als Beweis für einen Aufenthalt in dem Restaurant zu verlangen. Auch die eigenen AGB und Urteile prüft Google selbst hier nicht.

  5. Alte News sind alt.
    Google macht das seit über 17 Jahren so auf youTube. And they have become exceedingly efficient at it.
    Mit ungerechtfertigten Urheberrechtsbeschwerden hat schon 2008 der Ufo Kult Scientology ganz einfach unliebsame Videos einfach entfernen lassen. Heute sind es schon zu viel Hautfarbton den das Bildklassifiziermodell als Nacktheit einstuft. Und die Hürden und Zeiträume um dem zu widersprechen werden immer höher und länger.
    Und niemand konnte Google davon abbringen das es eine schlechte Idee ist. Weil es nicht um den Nutzer/Zuschauer/Leser geht sondern um corporate revenue und Rechtssicherheit gegenüber anderen Konzernen die die Mittel zum Klagen im amerikanischen Rechtssystem haben.
    Genau so werden jetzt auch die Nachrichten und Blogposts gehandhabt. Immer wieder gab es dagegen Demos un kleinere Proteste, aber seit 17 Jahren interessiert das auf der politischen Bühne niemand.
    Und jetzt wo die Rechtsradikalen die Nische Zensurfreiheit mit einem unendlichen output an Bullshit überflutet haben ist es wahrscheinlich auch zu spät noch etwas zu unternehmen.

  6. Auch andere Kritiken werden mit fadenscheinigen Begründungen entfernt.
    Dagegen kann man nichts tun- da Googel darauf weder reagiert noch weitere Informationen einem zukommen lässt. Es wird zuhnehmend eine „super heile Welt“ mit perfekten Dienstleistern und Firmen dargestellt. Ganz im Google-Sinn. Negativ Bewertung/Kritik wird entfernt und das wars. Ich würde ja gern auf eine andere Suchmaschine ausweichen…leider gibt es da nichts in der große weiten, weiten Welt.
    Mit den Firmen „gut Freund“ und die Kunden sind egal..

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.