Netz-Zensur in Deutschland nicht nur für Kinderpornografie

Heise hat ein paar Insider-Informationen über die Gespräche zwischen den Prividern und der Bundesregierung zu den Webseiten-Sperren erhalten. Vor allem die Deutsche Telekom und Vodaphone sind offenbar sehr für eine Einigung zur Zensurinfrastruktur, während der Verband der freien ISPs, eco, sich weiterhin dagegen stemmt. Dass es dabei nicht nur um Kinderpornografie geht, war ja in der Bundestagsdebatte schon deutlich geworden . Nun ist es aber auch in die schriftlichen Entwürfe eingeflossen :

In den abschließenden Verhandlungen mit dem Familienministerium in großer Runde ist laut Ansicht von eco-Vertretern ferner klar geworden, dass es den bislang beteiligten Ressorts einschließlich des Wirtschafts- und Innenministeriums nicht nur um die von Experten als wirkungslos erachteten Sperrungen im Bereich Kinderpornographie gehe. Von einer entsprechenden Beschränkung sei nicht mehr die Rede gewesen. Somit stünde die Tür offen für Blockadeforderungen etwa auch von Rechteinhabern im Kampf gegen Copyright-Verstößen im Netz oder von den Betreibern staatlich genehmigter Glücksspieleanbieter gegen die illegale Online-Konkurrenz.

In Australien ist derweil ein Forum-Betreiber von der Regulierungsbehörde ACMA mit Bußgeld in Höhe von 11.000 AUS$ pro Tag (!) bedroht worden, weil dort auf eine Seite gelinkt worden war, die in der Zensurliste enthalten ist. Es handelte sich allerdings nicht um Kinderpornografie oder anderes illegales Material, sondern um eine Anti-Abtreibungs-Seite. Jetzt werden also schon diejenigen verfolgt, die auf die Fehler in den Zensurlisten hinweisen. Die ACMA geht damit erstaunlich dreist um: Sie sagen einfach, der Inhalt der Webseite könnte "möglicherweise verboten" sein , was ein grelles Licht auf die Rechtsstaatlichkeit dieser Zensurverfahren wirft. Das Gesetz in Australien, das eine Zensur aufgrund der ACMA-Liste erzwingen würde, bekommt aber, wie berichtet , wohl keine Mehrheit.

Dafür haben wir in Deutschland jetzt auch noch eine Zensurdebatte auf Länderebene, nämlich in Nordrhein-Westfalen . Damit sind jetzt drei verschiedene Ansätze parallel im Gespräch: Auf Bundesebene die "freiwilligen" Verträge zwischen ISPs und BKA, sowie eine gesetzliche Regelung (die auch die SPD NRW fordert), und auf Landesebene eine Lösung über die Sperrverfügungen der Kommission für Jugendmedienschutz (von CDU und FDP in NRW gefordert).

Es gibt ja noch eine vierte Option, nämlich den ganzen Quatsch einfach sein zu lassen, weil es nicht funktioniert, weil es missbraucht werden wird für politische Zensur und die Durchsetzung von wirtschaftlichen Interessen, und weil es in die Grundrechte eingreifen würde. Leider ist hier kaum noch eine der Oppositionsparteien bereit, das offen so zu sagen. Die FDP ist zumindest in NRW auf CDU-Linie eingeschwenkt, und auch die Grünen dort haben bereits im Oktober 2008 in einer Landtagsdebatte gesagt :

Positiv zu vermerken ist, dass sehr viele Länder diese Diskussion führen und auch schon Access-Blocking eingeführt haben.

Welche Wahl habe ich jetzt im Wahljahr 2009? Die Linkspartei ist auch keine glaubwürdige Option, denn die gehen zwar auf Datenschutz-Demos, beschließen aber gleichzeitig als Regierungspartei im Land Berlin einen Ausbau der Kameraüberwachung . Die Piratenpartei ist hier zwar glaubwürdig, aber noch zu klein, um eine ernsthafte Alternative zu sein; außerdem fehlt denen noch ganz viel Substanz in anderen Politikfeldern. Bleibt wohl nur wieder der Gang auf die Straße…

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42 Ergänzungen

  1. Und ich werde es bis zum jüngsten Tag immer und immer wieder hervorholen:

    Dies alles wurde ins Rollen gebracht von einer Frau, die trotz ihrer Stellung als hochrangiges Regierungsohneglied
    1. keine Ahnung von Internet, Netzwerken und Computer hat
    2. vor laufender Kamera und Millionenpublikum in eine Mülltonne stieg.

  2. „Die Piratenpartei ist hier zwar glaubwürdig, aber noch zu klein, um eine ernsthafte Alternative zu sein; außerdem fehlt denen noch ganz viel Substanz in anderen Politikfeldern.“

    Mir sind deren Themen wichtig genug, um sie zu wählen. In meinen Augen keine verschenkte Stimme. Das mit „zu klein“ kann man nur ändern indem man sie wählt.

  3. In der Zeitschrift für Rechtspolitik (regelmäßige Beilage der Neuen Juristischen Wochenschrift) wird auf Seite 2009, 44 bereits diskturiert die Netzsperren dafür zu nutzen den deutschen Jugendschutz und die recht stregen Auflagen (Postidentverfahren)durchzusetzen.

    Im gleichen Heft übrigens auch ein kurzer nichts neues bringender Beitrag zu three strikes.

  4. Die Grünen sind meiner Meinung nach noch die Glaubwürdigsten. Die beschränken sich wenigstens auf Kipos.

  5. “Die Piratenpartei ist hier zwar glaubwürdig, aber noch zu klein, um eine ernsthafte Alternative zu sein; außerdem fehlt denen noch ganz viel Substanz in anderen Politikfeldern.”

    Das ist ein Teufelskreis. Sie werden nicht größer solange man mit dem für sie stimmen wartet bis sie groß sind. Mit dem Größerwerden kommt auch die thematische Ausweitung, da bin ich sicher.

    1. Die Piratenpartei ist eine altenative obwohl sie noch klein ist. Sobald die großen Parteien stimmen an kleine Parteien verlieren kommen sie vllt auf die Idee ihre Politik zu überdenken.

      Wählt Piratenpartei!

  6. Eine thematische Ausweitung würde den vermeintlichen strategischen Sinn und Zweck (Druck in einem Politikfeld auf die anderen Parteien durch eine thematische Partei) komplett negieren. Die bisher dort Aktiven sind zusammen gekommen, um sich im weitesten Sinne um das Internet zu kümmern. Da gibt es weitgehend einen Konsens. Diesen kann ich mir bei der Sozial- oder Aussenpolitik nicht vorstellen.

  7. Der größte Hammer den „Die Linke“ sich erlaubt hat ist ja wohl die Schülerdatei in Berlin.
    Und den Grünen trau ich auch keinen Meter mehr seit Rot-Grün. Es ist echt zum verzweifeln. Superwahljahr und man weiß nicht wohin mit den Kreuzen.

  8. mit der stimme für die piratenpartei unterstützt man diese wenigstens finanziell. das ziel, druck auf andere parteien auszuüben klappt insofern, als dass die grünen einiges aus dem parteiprogramm der piraten übernehmen, was (meine erfahrung) einige piraten gar nicht freut. zwickmühle.
    ein viel größeres programm sehe ich im namen, der (wieder meine erfahrung) viele erst mal an eine witzpartei denken lässt.

  9. @Fabian: Diese theoretische Überlegung teile ich überhaupt nicht und sehe sie als Designfehler an der Piratenpartei. (Neben dem Namen und einiger anderer Dinge).

    In Schweden hat die Piratenpartei das zigfache an Mitgliedern als in Deutschland. Trotzdem kommen sie nicht über 0.6% und ziehen die Stimmen auch noch vom progressiven Lager ab. Was eher einen Stimmenzuwachs für die konservativen Urheberechtsradikalen bringt.

    Aber vielleicht sehe ich das auch falsch. Ich lass mich gerne argumentativ eines besseres belehren.

  10. Da habe ich ja eine schöne Parteiendebatte losgetreten…

    Eigentlich ging es mir ja mehr um den letzten Satz des Artikels. Alle Parteien – und das gilt auch für die Piraten, sobald sie mal etabliert sein sollten – hören vor allem auf Druck von Interessengruppen. Wenn wir keine starke Wirtschaftslobby haben, müssen wir daher auf die Straße gehen. Der AK Vorrat sucht z.B. gerade noch Mitstreiter für die Aktionen zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes. Macht mit! Und ja, es wird im Herbst wieder eine Großdemo geben. Mehr Infos bald im Blog eures Vertrauens.

  11. Die Australische Internet Filterliste bzw. wie es sich herausgestellt haben soll Internet Zensurliste soll am morgigen Freitag 20. März 2009 bei wikileaks.org veröffentlicht werden!
    Als Kinderpornografie Sperrliste im Internet gedacht, soll überdie Hälfte der gesperrten Seiten mit Kinderpornografie nichts gemein haben, sondern eine schlichte Zensur von Sites, die der Australischen Regierung nicht ins Konzept passen enthalten!

  12. Is doch klar: Gerhart Baum et al müssen wieder ran und in Karlsruhe klagen. Leider wird er auch nicht jünger.

  13. „Welche Wahl habe ich jetzt im Wahljahr 2009?“
    Piratenpartei (leider sehr unbekannt – Werbung machen ;) ) aber ich meine auch, dass die Grünen dagegen sind

  14. Ein Kundenschreiben an den jeweiligen Provider (Stand heute wollen wohl Kabel Deutschland und Vodafone freiwillig mitmachen) mit folgendem Inhalt wäre vielleicht hilfreich:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    der Presse entnahm ich, dass Sie (Kabeldeutschland GmbH und Vodafone GmbH) das Vorhaben von Teilen der Bundesregierung unterstützen, unter dem Vorwand, die Kinderpornographie bekämpfen zu wollen, eine Internetzensur in Deutschland einzuführen.

    Ich lehne dieses Vorhaben ab, da es – sehr durchsichtig – die Netzneutralität beseitigt, und durch die Hintertür (für wen auch immer – das Personal an den Schaltstellen kann ja mal wechseln und vor nicht allzuferner Zeit durfte man bei Strafe auch keine „Feindsender“ hören) die Möglichkeit schafft, missliebige Inhalte im Internet zu unterdrücken.

    Die immer wieder an die Öffentlichkeit gedrungenen Listen, die von Autoritäten anderer Länder erstellt wurden, haben auch gezeigt, dass zahlreiche Betreiber von Webangeboten fälschlicherweise von der Sperrung/Umleitung betroffen sind und mit erheblichem Aufwand die Wiederzugänglichmachung betreiben müssen.

    Das eigentliche Problem wird dabei gar nicht angegangen, da ja nur der Aufruf der inkriminierten Inhalte, nicht aber deren Herstellung und Verbreitung – mit allen grausamen Folgen für die Opfer – unterbunden wird.

    Weiterhin haben Aktivitäten verschiedener Seiten u.a. CareChild gezeigt, dass man mit der korrekten Nutzung von abuse-Mechanismen durchaus auch die Verbreitung der inkriminierten Inhalte unterbinden kann, insbesondere auch deshalb, weil diese Inhalte wohl in erheblichem Umfange in Ländern bereitgehalten werden, deren Gesetze sehr wohl die Verfolgung von Inhalteanbietern und -Verbreitern und die Schließung dieser Angebote zulassen.

    Sollten Sie eine solche Sperr-/DNS-Umleitungsinfrastruktur – mit der eine Beschränkung auf die ursprünglich als Begründung aufgeführten Inhalte gar nicht zu gewährleisten ist – tatsächlich wirksam machen, werde ich meine Verträge mit Ihnen kündigen und auch im Bekanntenkreis über die daraus resultierenden Einschränkungen der Netzneutralität warnen.

    Mit freundlichen Grüßen

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.