Heiligendamm: Champagner und dpa für die Journalisten

Eine Mitarbeiterin von newthinking ist mit einer netzpolitik.org – Medienakkreditierung (Hat tatsächlich problemlos geklappt!) in Heiligendamm, um dort ein Video-Kunstprojekt zu machen. Nachdem ich dadurch regelmässig am Telefon erfahre, was gerade passiert, hat sie mir eben den ersten kleinen Erfahrungsbericht geschickt:

„Die heutigen Blockaden, die rund um Heiligendamm die Anreise der Delegierten zum G8 Gipfel behinderten, verliefen zum grossen Teil friedlich und im Grossen und Ganzen enorm erfolgreich. Die Organisation der G8-Kritiker ist beeindruckend.

Nur der NDR sah es anders. Wir beobachteten vor dem Tor 2 einen Redakteur dabei, wie er Live fuer die Abendnachrichten von angeblichen Molotowcocktails und Schlagstöcken berichtete, von denen bei den fröhlichen Sitzblockaden, die wir gerade besucht hatten, nichts zu sehen gewesen war. Das 10-köpfige Fernsehteam des NDR, das eigens aus Hamburg angereist war, stand jedoch samt Übertragungswagen beinahe 2 km von dem Geschehen entfernt und traute sich nicht weiter vor. Wie sie sagten „aus Sorge“, dass die Polizei sie nicht weiter durchlassen würde. Da sie aus dem Team niemanden entbehren konnten, der vorne am Beginn der Demonstration mal genauer nachsieht, mussten sie also notgedrungen auf Informationen des dpa zurückgreifen, wie mir die Redakteurin auf Nachfrage berichtete. Da auch die dpa nicht vor Ort gesehen worden war, im Gegensatz zu Reuters, muss man annehmen, dass die Informationen direkt aus den Presseinformationen der Polizei weitergeleitet wurden…

Schöne alte Medienwelt. Im Medienzentrum in Kuehlungsborn gibts dafuer den ganzen Tag Champagner kostenlos und Häppchen.. Wenigstens gibts das dann auch fuer die Blogger, sofern sie sich akkrediert haben..“

Mal schauen, ob sie die nächsten Tage noch zu mehr Kurzberichten kommt. Ansonsten freue ich mich auf die Videobilder.

9 Ergänzungen

  1. ähm mal ne frage:

    woher weiß denn die eine bploggerin alles besser?
    sie ist überall / sieht alles / weiß alles /
    ist womöglich gar eine neutrale beobachterin des geschehens?

    macht sie sich denn nicht lächerlich,
    wenn sie genau so arbeitet wie die „kollegen“?

  2. Es geht hier nicht darum, was sie besser weiss. Ich vertraue ihr und hab sie gebeten, das was sie mir am Teleofn erzählte von vor Ort, nochmal kurz aufzuschreiben. Ansonsten ist dies hier ein Blog und wir schreiben deutlich darein, dass dies hier alles subjektiv ist und keinerlei „objektiven“ Anspruch hat.

  3. Es stimmt – und ist aber nicht neu: immer weniger Reporter „trauen“ sich dorthin, von wo sie „eigentlich“ berichten sollten.

    Punkt 1: Nicht wenige KollegInnen haben einfach „Angst“, dass sie physisch zwischen die Fronten geraten könnten. Also: in ein Handgemenge geraten, nass werden oder – wie die anderen, die protestierenden Mitbürger auch – mit Tränengas oder CS-Reizgas eingenebelt werden.

    Punkt 2: Die Chefs-vom-Dienst (Koordinatoren der Reporter-Tätigkeiten) in den Redaktionen hören dann allerlei wüste Geschichten von den Reportern, warum sie nicht zum eigentlichen Ort des Geschehens vordringen können. Weil aber die CvDs ihre Sendungen / Seiten füllen müssen, werden halt die Reporter zu anderen, „erreichbaren“ Orten und Themen geschickt. Und statt dessen die Agentur-Berichte genommen – beziehungsweise von den für Live-Schalten vorgesehenen Kollegen als „Faktum“ dargestellt – meist ohne Zitatangaben.

    Punkt 3: Für nicht wenige Reporter gilt es als „Adelung“, wenn sie bei einem solchen „Groß-Ereignis“ unmittelbar „vor Ort“ berichten dürfen (macht sich gut für’s Image und die Heldengeschichten in den Funkhaus-Kantinen). Motto: „I survived Heiligendamm“. Nicht weiter verwunderlich in einer Image-Gesellschaft, in der das Schmücken mit fremden – aber beeindruckenden – Federn zum ganz normalen Procedere gehört. Ich kenne selbst ehemalige „Pseudo-Reporter“, die ihren Karrierweg mit Legenden unter dem Label „Ich berichtete mitten aus dem Stahlgewitter“ nachhaltig gepusht haben…aber nach Möglichkeit lieber auf Pressekonferenzen oder am liebsten „koordinierend“ am Schreibtisch abhingen.

    Punkt 4: Die Regel ist mittlerweile die, daß die Reporter gefälligst die Stories „zu bringen“ haben, die sich CvDs und deren Alpha-Tierchen in den Redaktionshierarchien ausdenken oder vorstellen. Sei es aus politischer Tendenz oder schlicht aus quoten-/auflagenbewusstem Kalkül. Motto: DAS müssen wir bringen, das wollen die Leute sehen“. Man kann auch „wollen“ durch „sollen“ ersetzen.

    Im Übrigen scheinen mir insbesondere Nachrichten-Sender – als Spartensender meist am unteren Ende der Quoten- und damit „Erfolgs“-Skala – eine Fluchtburg für ganze Hierarchien von ehemaligen oder aktiven „Pseudo-Reporter“.

    Mehr zu der Rolle der Medien in Heiligendamm und Rostock unter
    http://etiennerheindahlen.wordpress.com/2007/06/08/boulevard-heiligendamm
    http://etiennerheindahlen.wordpress.com/2007/06/06/nachrichten-sender-n-tv-und-informationsvielfalt
    http://etiennerheindahlen.wordpress.com/2007/06/04/massives-unbehagen

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