GrenzüberwachungFrontex drängt in die Stratosphäre

Die EU-Grenzagentur will mit hochfliegenden Plattformen eine Lücke zwischen Flugzeugen und Satelliten schließen. Spanien setzt die Technik bereits über dem Atlantik ein. Im Sommer findet ein Testflug über dem Mittelmeer statt.

Eine Art Zeppelin schwebt in der Stratosphäre.
Der Stratobus wurde vom französischen Rüstungskonzern Thales entwickelt. CC-BY-SA 4.0 Thales Alenia Space, Collage netzpolitik.org

Frontex will zukünftig sogenannte High Altitude Pseudo-Satellites (HAPS) in der Stratosphäre fliegen lassen und damit eine angebliche Lücke zwischen Luftfahrzeugen und Satelliten, die schon jetzt zur Grenzüberwachung genutzt werden, schließen. 2022 hatte die EU bereits ein dreijähriges Forschungsprojekt für insgesamt 7 Millionen Euro zur Integration der Systeme gestartet. Dabei ging es auch um die Eignung zur Grenzüberwachung.

Vor dem nahenden Ende des Projekts lud Frontex am Donnerstag zu einem sogenannten HAPS-Industrietag in ihr Hauptquartier nach Warschau. Dort konnten Hersteller den möglichen Einsatz ihrer Pseudosatelliten zur Migrationsabwehr bewerben und deren Fähigkeiten darstellen.

Zwei Funktionsweisen von HAPS-Systemen

Die Stratosphäre ist Teil der Atmosphäre und bezeichnet Höhen über 15 Kilometer, in denen keine zivilen Flugzeuge mehr unterwegs sind. Verschiedene Firmen und Institute entwickeln derzeit Lösungen, die in Höhen von 18 bis 22 Kilometern fliegen können. Sie müssen dort extremen Bedingungen wie Temperaturen von bis zu -90 Grad Celsius, starker UV- und kosmischer Strahlung sowie niedrigem Luftdruck standhalten.

Es gibt zwei Hauptkategorien von HAPS: aerostatische (leichter-als-Luft) Systeme wie Ballons und Luftschiffe sowie aerodynamische (schwerer-als-Luft) Systeme wie propellerbetriebene Segler. Während erstere durch Auftrieb in der Luft bleiben, nutzen letztere aerodynamische Kräfte. Beide Technologien können – anders als etwa von Frontex genutzte Flugzeuge oder Drohnen – monatelang in der Stratosphäre operieren und dabei hochpräzise Daten liefern. Ihre Hauptenergiequelle sind Solarpaneele, die tagsüber Sonnenlicht in Strom umwandeln und überschüssige Energie in Hochleistungsbatterien oder Brennstoffzellen speichern, um den Betrieb während der Nacht sicherzustellen.

Den Auftrag für den ersten Test einer „fortschrittlichen Überwachungsplattform zur Verbesserung der Effizienz und Zusammenarbeit der europäischen behördenübergreifenden Grenzsicherheit“ hatte Frontex an ein Konsortium aus 16 Firmen, Ministerien, Behörden und Instituten aus zwölf Mitgliedstaaten vergeben. Das Geld dafür kam aus dem EU-Forschungsrahmenprogramm Horizont Europa. In dem Projekt wurde ein Fabrikat von Thales erprobt. Der französische Rüstungskonzern hat den „Stratobus“ entwickelt, den er zur Bekämpfung von Terrorismus und Drogenhandel oder zur „Videoüberwachung“ von Offshore-Plattformen bewarb.

Forschungsprojekte und Einsatzmöglichkeiten

Ebenfalls 2022 startete Frontex eine Forschungsstudie, um die Potenziale von HAPS für europäische Grenztruppen zu analysieren. Untersucht wurde, wie die Plattformen Überwachungs-, aber auch Kommunikationsfähigkeiten verbessern können. Ein Jahr später veröffentlichte Frontex schließlich einen Bericht zur technologischen Bewertung von HAPS, der deren Einsatzmöglichkeiten für die Überwachung, Telekommunikation, Navigation sowie Such- und Rettungseinsätze untersuchte. Dabei wurden aerostatische und aerodynamische Plattformen verglichen. Von besonderem Interesse war die Nutzlastkapazität, die bei den geflügelten Plattformen 140 Kilogramm und bei Luftschiffen und Ballons bis 300 Kilogramm beträgt.

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Zur Grenzüberwachung können die Pseudosatelliten mit hochauflösenden optischen Kameras, Infrarotsensoren und Radarsystemen bestückt werden. Dabei kann Technik eingesetzt werden, die für das Militär entwickelt wurde, wie etwa Bildverarbeitungstechnologien zur automatischen Erkennung von Objekten, Bewegungen oder Anomalien. Die gewonnenen Daten werden in Echtzeit über Hochfrequenz-Funkverbindungen oder Laserkommunikation an Bodenstationen übertragen. Im Vergleich zu Satelliten bieten HAPS eine höhere Bildrate und flexiblere Steuerung der Kameraausrichtung, sodass sie bestimmte Gebiete gezielt und kontinuierlich beobachten können.

Für Telekommunikations- und Navigationsaufgaben nutzen HAPS gerichtete Antennensysteme und Phased-Array-Technologien, um Signale gezielt in bestimmte Regionen zu senden. Ihre niedrige Flughöhe im Vergleich zu Satelliten reduziert die Signalverzögerung erheblich und ermöglicht stabile Verbindungen mit geringer Latenz. Anders als viele Satellitensysteme verbleiben sie auch über einer Region von Interesse und können auf diese Weise permanent Daten liefern.

Regulierung und erste Einsätze in Europa

Neben Frontex arbeiten derzeit auch Akteure wie die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) und eine gemeinsame Behörden-Gruppe für ein „Europäisches Betriebskonzept für den Betrieb des höheren Luftraums“ (ECHO) an einem technischen und rechtlichen Rahmen, der HAPS-Operationen innerhalb der EU ermöglichen soll. Erste Einsätze sollen demnach schon in diesem Jahr erfolgen. Geplant ist beispielsweise ein Testflug im Mai und Juni über dem Mittelmeer.

HAPS erfordern spezifische Start- und Landeinfrastrukturen: Aerodynamische Systeme benötigen lange Start- und Landebahnen, aerostatische Systeme große offene Flächen ohne Hindernisse. Um die Systeme testen zu können, hat die EU einen ersten europäischen „Stratoport“ für HAPS in Europa auf der Insel Fuerteventura auf den Kanarischen Inseln mitfinanziert. Entstanden sind dort 900 Meter asphaltierte Start- und Landebahn sowie Kreiszonen, Hangars und ein Gebäude für Steuerung und Datenverarbeitung.

Von dort sollen nun erstmals reguläre HAPS-Flüge zur Grenzüberwachung durchgeführt werden. Im Auftrag der spanischen Guardia Civil wird dabei der Atlantik zwischen Gambia und den Kanaren aus der Stratosphäre beobachtet. Mithilfe von nicht näher erläuterten Sensoren an Bord der Pseudosatelliten sollen Boote mit Migrant*innen „frühzeitig erkannt“ werden. Der Einsatz der HAPS soll den zuständigen Grenzbehörden eine „vorausschauende und effektive Reaktion ermöglichen“. Die Finanzierung für dieses 1,86 Millionen Euro teure Projekt „Agamenon“ erfolgt größtenteils aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.

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10 Ergänzungen

    1. Ich denke es geht darum das eine Lücke ja nicht nur bedeutet das es ein Potenzial gibt, sondern dass etwas notwendiges fehlt. Wenn mensch weiterliest „Lücke zwischen Luftfahrzeugen und Satelliten, die schon jetzt zur Grenzüberwachung genutzt werden, schließen“ dann soll das angeblich hier wohl die Notwendigkeit für solche Systeme, wie sie von Frontex und anderen behauptet wird, in Frage stellen. Ob man jetzt aus grundsätzlichen Gründen gegen diese Art der Überwachung ist oder weil wie genannt schon viele Systeme existieren um die Grenzen zu überwachen.

  1. Frontex? Sind das nicht die mit illegalen Pushbacks, Abschiebungen von Booten auch mit Leichen an Board nach Lybien, die, die drohen überfüllte Schiffe zu zerstören oder auch mal beschießen?

    Denen wollen wir Hi-Tech-Überwachungsequipment überlassen? Überwachung von Menschen, die nichts mehr als die Lumpen am Körper haben mit Supertechnik? Technik, die Kobalt aus Afrika braucht, bei dessen Abbau Menschen sterben?

    Wie wäre es einmal damit, die Verbrechen aus der Kolonialzeit zu begleichen statt weiterer Ausbeutung von Diamanten, Gold, seltene Erden, Kobalt und Uran? Wie wäre es mit Hi-Tech gegen Hunger? Wie wäre es einmal, sich auf europäische Werte und wenigstens auf Menschenrechte zu besinnen, statt Werte immer nur in Gold zu messen.

    Ich schäme mich für dieses mein Europa und für diese Kommission.

    Wem das egal ist, dem sei die Frage gestellt: wie lange dauert es, bis sie oder noch Radikalere das fliegende Auge zur Überwachung von Europäern einsetzen? Bin ich irgendwie im falschen Film?

    1. „Ich schäme mich für dieses mein Europa und für diese Kommission.“

      Schämen ist halt billig und bequem, hindert es einen doch nicht an der Wahrnehmung aller Vorteile als Europäer.

      1. Ich denke nicht, dass schämen so billig ist. Im Gegenteil, es ist gar nicht einfach, für andere einzutreten. Immerhin führt die Erkenntnis, als Europäer Privilegien zu genießen, zu der Frage, wie es zu rechtfertigen ist, dass Menschen anderer Regionen der Welt unter Diktaturen leiden, im Mittelmeer ertrinken, verhungern, an Krankheiten, die für uns unproblematisch sind, sterben und vieles mehr.

        Und die neue Regierung beschließt gerade, diese Menschen an den Grenzen zurückzuweisen, damit die Privilegien aus der Kolonialzeit für uns weiter erhalten bleiben. Würde ich ja sogar verstehen, würde diese Welt nicht mehr als genug bieten, alle satt zu machen. Aber nein, einige haben mehr Geld als das gesammte Bruttosozialprodukt ganzer Staaten, während wir um Zölle auf Burbon Wiskey streiten.

        1. „Ich denke nicht, dass schämen so billig ist. Im Gegenteil, es ist gar nicht einfach, für andere einzutreten.“

          Schämen kostet nichts und hat keine Auswirkungen, allein damit tritt man für niemanden ein.

          „würde diese Welt nicht mehr als genug bieten, alle satt zu machen.“

          Wir haben die Ressourcen, alle ohne Einbußen bei uns satt zu machen, und dass wir es nicht tun ist furchtbar. Aber selbst wenn wir alle satt machten, hätten wir nicht einen Migranten oder Flüchtling weniger.

          Wir verdanken unseren Lebensstandard übrigens nicht primär der Kolonialzeit.

          1. Normalerweise würde ich ja hier gar nicht mehr antworten. Doch weil du IMHO sehr typisch „argumentierst“ jetzt mal Butter bei die Fische.

            1) Du sagst: „Schämen kostet nichts und hat keine Auswirkungen, allein damit tritt man für niemanden ein.“

            Wenigstens bei mir ist es umgekeht. Ich versuche mich einzusetzen (für Andere – ist wohl krankhaft) und z.B. die EU-Kommission macht alles zunichte. Da ich mich mit dem Europagedanken identifiziere schäme ich mich für eine EU, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert.

            2) Du erkennst „Furchtbares“…

            Stimmst mir also zu, wir lassen also Menschen verhungern. Aus Geldgier? Machtstreben? Was immer. Ein Grund sich als Europäer zu schämen und Grund etwas dagegen zu tun.

            3) Und meinst: „Aber selbst wenn wir alle satt machten, hätten wir nicht einen Migranten oder Flüchtling weniger.“

            Weil? Ich meine, wenn jemand keine Not leidet, sein Auskommen findet, warum sollte der dann seine Heimat, sein Dorf/Stadt, Verwandte und Freunde verlassen wollen?

            4) „Wir verdanken unseren Lebensstandard übrigens nicht primär der Kolonialzeit.“

            Nicht? Informiere dich, wann und wie in „Holland“ die erste Aktiengesellschaft gegündet wurde. Informiere dich, welche Rolle Silber und Gold aus Südamerika zu Fuggers Zeiten für Europa gespielt haben. Wann ist Kapitalismus entstanden und was hat die Industrialisierung bewirkt. Und was hat das mit heute zu tun? (…)

            Der Kandidat hat leider 0 Punkte. Versuch doch wenigstens mal ein wenig, Dinge zu begründen.

          2. 1 & 2) Wer sich fuer Dinge ausserhalb seiner Verantwortung und Wirksamkeit schaemen mag, dem sei es natuerlich unbelassen.

            3) Es ist ein sehr weiter Weg von „satt machen“ zu “ keine Not leiden, sein Auskommen finden“. Und was sollte das Auskommen alles beinhalten? Ansonsten habe ich meine Stadt und Freunde zum Studium und fuer interessante und gut bezahlte Arbeitsplaetze verlassen, fuer eine Partnerin, fuer eine neue Gegend, fuer ein neues kulturelles Umfeld. Ich habe Freunde und Kollegen aus vielen Laendern in vielen zT anderen Laendern. Keiner von denen war von existentieller Not getrieben. Meine schwarzafrikanische Wahlverwandschaft findet die Unterstellung, derart ambitionslos und traege zu sein, uebrigens paternalistisch bis beleidigend.

            4) Wir verdanken unseren Wohlstand primaer technologisch/wissenschaftlichem Fortschritt und der Etablierung stark arbeitsteiliger grosser kooperativer Gesellschaftsstrukturen, wobei das eine nicht ohne das andere geht.

          3. „“Aber selbst wenn wir alle satt machten, hätten wir nicht einen Migranten oder Flüchtling weniger.“

            Weil?“

            Weil reine Hungerflüchtlinge schon jetzt nicht bis zu uns kommen, können die sich weder finanziell noch organisatorisch leisten.

    2. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht ein Filmtipp: Thomas Vinterbergs Families Like Ours wird vielleicht diejenigen berühren, die einen Holzhammer zum empathischen Empfinden benötigen.

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