Das internationale Recherchenetzwerk Forbidden Stories hat verschiedene Dienstleister im Bereich der Desinformation untersucht und ihre Machenschaften ans Licht gebracht. Die Recherche erfolgte zusammen mit zahlreichen Medienpartnern in aktuellen Veröffentlichungen unter dem Obertitel „Storykillers“. Im deutschsprachigen Raum waren das ZDF, Die Zeit, Der Spiegel, Papertrail Media und Der Standard beteiligt.
Das Ausmaß der Enthüllungen ist erschreckend, kommt aber leider wenig überraschend. Vor zehn Jahren begannen die Snowden-Enthüllungen und offenbarten, dass Geheimdienste mit unvorstellbaren Ressourcen und geringer demokratischer Kontrolle überwachen, was sie nur können. Vor allem, wenn ihnen die Ausspähung leicht gemacht wird. Vor fünf Jahren zeigten die Cambridge-Analytica-Recherchen auf, wie Akteure skrupellos alle Möglichkeiten nutzen, um ihre Interessen durchzusetzen – und demokratische Werte und Gesetze dagegen kein ausreichendes Schutzschild sind.
Eine Regulierung steht erst am Anfang
Die aktuellen Recherchen ziehen Linien zurück bis zum Cambridge-Analytica-Skandal. Die israelischen „Desinformations-Söldner“ von „Team Jorge“ werben damit, zusammen mit dem britischen Skandalunternehmen unter anderem Wahlen in Nigeria manipuliert zu haben.
Sie bieten ausgefeilte Desinformations-Kampagnen an. Dafür nutzen sie unter anderem Tausende Fake-Accounts zur Stimmungsmache, die sie über ein Dashboard steuern. Mir war bewusst, dass mit den aktuellen technologischen Möglichkeiten relativ einfach Troll-Fabriken gebaut und gesteuert werden können. Ich hatte es nur noch nicht live gesehen. Eine 30-minütige Dokumentation des ZDF-Magazins frontal zeigt eindrucksvoll, wie sie dabei vorgehen.
Gleichzeitig zeigten die israelischen Söldner den Journalist:innen, dass sie Zugang zum globalen Kommunikationssystem SS7 haben. Mittels Account-Spoofing können sie in die Kommunikationskanäle politischer Gegner eindringen und diese in Echtzeit überwachen (sofern diese keine 2-Faktor-Authentifizierung nutzen). Das kommt einem Einbruch in gegnerische Wahlkampfzentralen gleich, nur dass dieser aus einem beliebigen Land bequem vom Sofa erfolgen kann. Auf diese Weise lassen sich nicht nur gegnerische Kommunikationskanäle überwachen und damit in Echtzeit ermitteln, was die andere Seite plant. Sondern deren Pläne lassen sich auch manipulieren.
Andere Recherchen im Rahmen von #Storykillers untersuchten, wie Unternehmen als professionelle Spurenlöscher sogenanntes Reputationsmanagement betreiben und im Auftrag teilweise krimineller Akteur:innen das Internet säubern.
Es gibt vermutlich viele Konkurrenten, die ähnliche Angebote unterbreiten – schlichtweg, weil eine Nachfrage danach besteht. Und vor allem hat sich fünf Jahre nach Cambridge Analytica leider noch zu wenig getan. Die EU hat mit dem Digital-Services-Act zwar Regeln geschaffen, die eine demokratischere Kontrolle von Plattformen ermöglichen sollen. Allerdings wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen, ob diese Regeln ausreichen und ihre Durchsetzung gelingt. Aktuell wird außerdem eine Gesetzgebung zur Regulierung politischer Werbung im Netz verhandelt. Der Ausgang der Verhandlungen ist derzeit aber noch offen.
Kern des Problems ist das Geschäftsmodell der großen Plattformen
Ein elementarer Bestandteil des Problems bleibt auch weiterhin bestehen: das Geschäftsmodell der personalisierten Werbung auf den großen Plattformen. Dieses setzt Anreize für möglichst viel Interaktion, damit die Unternehmen immer weitere Datenpunkte sammeln können. Das macht das System massiv bespielbar für Akteur:innen, die über die passenden Werkzeuge verfügen. Bisher gab es auf europäischer Ebene leider keine politischen Mehrheiten, dieses Problem an der Wurzel anzugehen. Und wir reden hier nur von der Europäischen Union. „Desinformations-Söldner“ wie das Team Jorge agieren weltweit.
Umso wichtiger aber ist es, dass Journalist:innen international kooperieren und genau hinsehen, wer aus welchem Interesse und mit welchen Mitteln Öffentlichkeiten manipuliert. Die aktuellen Recherchen belegen damit einmal mehr die Relevanz und Bedeutung von investigativem Journalismus und einer freien Presse.
Und auch Wissenschaftler:innen und zivilgesellschaftliche Akteur:innen brauchen eine sichere finanzielle Ausstattung und bessere Datenzugänge. Nur dann können sie im gemeinwohlorientierten Interesse derartige Machenschaften untersuchen und Desinformationskmapagnen auf den Grund gehen. Damit noch mehr Licht ins Dunkel kommt.
Denn fest steht auch: Bislang sehen wir nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs. Aber immerhin sehen wir ihn.
Diese Bösen Akteure, das zeigen die Beispiele können sowohl Staaten als aber auch Privatfirmen sein die in ihren Heimatländern völlig legal operieren können. Durch Einkauf von Staatstrojanern bei privaten Herstellern finanzieren auch EU Staaten diese kriminellen Akteure mit und machen sich durch das Offenhalten von Sicherheitslücken selbst verwundbar.
>> Kern des Problems ist das Geschäftsmodell der großen Plattformen <<
Das ist fast schon zu banal, als dass es Erkenntniswert hätte. Und ja, personalisierte Werbung ist ein Hauptproblem, aber die fortgeschrittenen Analysemöglichkeiten sind es, die zum Grundproblem geworden sind. Werbung ist nur eine Anwendungsform, die populär und einträglich (für wenige) ist.
Gut gewählt ist das Bild von der "Spitze eines gewaltigen Eisbergs". Um im Bild zu bleiben bedeutet das: Bewegt sich der Internet-Nutzer als kluger Seemann im Netz, so bleibt ihm nur das konsequente Ausweichen vor den Eisbergen: Meidet die großen Plattformen!
Und immer noch ist hier auf NP.org "über AutorInnen" zu lesen: Er/Sie ist auch auf Facebook, Twitter und Instagram zu finden.
Dazu: Wahlen undercover (andere Cambridge Analytica Nachfolger):
https://www.youtube.com/watch?v=Ro2XHel83v0