Der niederländische Medientheoretiker und Aktivist Geert Lovink hat sich seit den 1990er-Jahren immer wieder mit dem Status des Users und seinem natürlichen Habitat, den Netzwerken, auseinandergesetzt. Bei der Vorstellung des Buchs „Im Bann der Plattformen: Die nächste Runde der Netzkritik“ (englische Version hier) bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin wurde viel diskutiert (Audio).
Wie Tech-Gurus, Unternehmen, Regierungen und die Öffentlichkeit sich „den User“ von Computern und Netzwerken vorstellen, hat erhebliche Auswirkung auf die Adoption, die Regulierung und die Entwicklung von Technologien. Der Aufstieg des Personal Computers und des Internets ist damit verbunden: Alan Kay, einer der Ingenieure im Xerox PARC, hatte sich 1972, als Computer noch weitestgehend auf Universitäten und Regierungsbüros beschränkt waren, einen Computer für „Kinder jeden Alters“ vorgestellt.
Dafür erfand er eine grafische Benutzeroberfläche, die die Bedienung eines Computers mithilfe eines Bildschirms und visuellen Symbolen möglich machte und damit die komplexen Prozesse und Befehlsstrukturen, die einen Computer ausmachen, hinter erst einfarbigen, dann immer bunteren Pixeln versteckte. Steve Jobs – so lautet der Mythos – erspähte diese Erfindung sieben Jahre später bei seinem Besuch im Forschungszentrum des Kopiererherstellers. Diese würde den Grundstein für die „Personal Computer Revolution“ durch Apple und Microsoft legen, da Computer nun auch durch jeden ohne technische Kenntnisse bedient werden könnten. Sich den User als Kind vorzustellen war in der Entwicklung des PC revolutionär und hilfreich. Von nun an verbreitete sich diese Vorstellung aber auch in unzählige Wohn- und Arbeitszimmer.
Heute ist der User in Widersprüche verstrickt
Die Ausgangsthese von Lovinks Buch ist, dass der User in vielen Lebenslagen in Widersprüche verstrickt sei – ob im Alltag oder in Versuchen, sich politisch zu organisieren. Um das zu demonstrieren, greift Lovink die Ideologie großer Plattformen auf. Diese sagen, der User sei in den letzten Jahren mit dem „Web 2.0“ zu einem Individuum geworden, habe die Sprache der Computer und Netzwerke gelernt und könne sich der Welt endlich ungehindert mitteilen. Dass er mit zwei Milliarden aktiven Facebook-Usern die größte Nation der Welt bilde, in der jeder vom anderen maximal sechs Klicks entfernt sei. Im Internet nach Snowden ist ihm allerdings, so Lovink, auch klar geworden, dass er unter Überwachung steht, dass sein Verhalten analysiert und monetarisiert wird. Doch teilt er fleißig weiter, kritisiert, streitet, macht Vorschläge und fällt abends erschöpft ins Bett – um morgens aufzuwachen und als Erstes den News-Feed zu checken. Diese widersprüchliche Haltung sei uns, so Lovink, zur Gewohnheit geworden.
Das „Web 2.0“ fordert zwar tatsächlich klassische Medienkonglomerate und andere Monster der Moderne heraus, bietet – abgesehen von der kommerziellen und geheimdienstlichen Überwachung – zurzeit aber aufgrund der Profitorientierung vor allem eine Aufmerksamkeitsökonomie, in der Tage damit verbracht werden, herauszufinden, was #covfefe heißt. Die Zeit der Clickbait-Überschriften, der Tiefenanalyse von einzelnen Tweets und Gesichtsausdrücken von Politikern würde jedoch nicht ewig anhalten, so Lovink.
Die Einkommensmodelle des Users sind in der Krise
Doch die Aufmerksamkeitsökonomie ist Teil der heute so problematischen Zentralisierung des Internets in den Händen einiger weniger Unternehmen an der amerikanischen Westküste. Einen wichtigen Teil dieses Problems, so Lovink, mache eine Krise der Einkommensmodelle der Digital Natives aus. Er bezieht sich damit auf Künstler, Blogger, Theoretiker und weitere urbane Mittelschichten, die auch mit zahlreichen Abzeichen an der Jacke auf dem Arbeitsmarkt nicht anzukommen scheinen. Wir leben „eine Ideologie des freien Contents“ (S. 89), sagt Lovink und fragt, „wie die Vorstellung entstand“, dass Radio, Film und weitere Kulturindustrien nur dadurch, dass sie spätestens mit dem „Web 2.0“ in Disruptionsgefahr geraten sind, „plötzlich ganz umsonst zu haben seien“*. „Die Ermächtigung des Users als Content-Produzenten“ (S. 18) sieht Lovink daher kritisch. Ein Versuch, diesem Kult des vermeintlich Freien entgegenzuwirken, ist beispielsweise die Plattform Patreon, die Kreativen auf Grundlage eines monatlichen Abomodells ein Einkommen jenseits von periodischen Projektabrechnungen und Gelegenheitsarbeiten geben soll und ihnen damit auch die Zeit und Raum geben soll, originelle Inhalte zu produzieren.
Auch der kollaborative und nachhaltige User der „Sharing Economy“ ist Thema. AirBnB hat das periodische Wohnen in den Topvierteln der Weltstädte auch dem easy-Jetsetter ermöglicht. Uber hat die bürokratische Handlung, ein Taxi zu rufen, (im besten Fall) in ein Videospiel verwandelt, an dessen Ende eine schwarze Limousine wartet – wenn auch in Deutschland erst allmählich. Doch (wir) Hipster merken, dass das zusätzliche Einkommen durch AirBnB auch die Mieten steigen lässt und dass die Klickarbeit bei Amazons Mechanical Turk sich auf Dauer nicht lohnt. Womit für Lovink wichtige Agenten der Zentralisierung des Internets und der Krise der Einkommensmodelle in der digitalen Ökonomie bereits genannt wurden: die großen Plattformen, die es als ihr Recht ansehen, mithilfe von mehr oder weniger Zeilen Code und genügend Risikokapital ihre schönen neuen Welten zu bauen.
Wer besitzt die Plattformen?
Worüber die Plattformen weniger gerne als über die Ermächtigung der User ihrer Dienste sprechen, sind die enormen Gewinne, die sich mit dem innerlich zerrissenen User machen lassen: „Wenn man fragt, was Google und Facebook sind, kommt keiner darauf, dass sie die zwei größten Werbeanbieter der Welt sind“, so Lovink. Derzeit haben sie nur Konkurrenten in China und sollen dieses Jahr einhundert Milliarden Dollar allein mit Werbung verdienen. Mit Facebook wird der User zum Arbeiter, der durch die Herstellung von Datenspuren und den Konsum von Werbung Wert generiert.
Deshalb muss die Frage nach dem Besitz gestellt werden, so Lovink. Die Plattformen der Sharing Economy zeichnen sich eher durch die Aufweichung von arbeitsrechtlichen Standards, beispielsweise in den gerichtlichen Auseinandersetzungen, die Uber weltweit führt, sowie die Einführung von dynamischer Preisgebung für ihre User aus.
Plattformen, so Lovink, neigen zur Monopolisierung durch selbstverstärkende Netzwerkeffekte. So werden große Netzwerke aufgrund des zusätzlichen Nutzens für ihre User tendenziell größer. Die Reduktion von Transaktionskosten kommt dabei eher dem Aufbau von privaten Milliardenvermögen zugute als den Arbeitern, die tendenziell mehr eingespannt werden und sich auf traditionelle Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnisse nicht mehr unbedingt verlassen können, da diese angegriffen werden. Amazons Mechanical Turk resultiert in einer extrem verteilten Arbeiterschaft, die nicht organisiert ist, sich untereinander nicht kennt, keine Organisationsstrukturen hat und deswegen gegeneinander ausgespielt werden kann.
In diesen Fragen gibt es einen Kampf, der laut Lovink ein wichtiger Teil davon ist, Einkommensmodelle zu entwickeln. Ein Team um die amerikanische Forscherin Lilly Irani hat beispielsweise mit einigem Erfolg probiert, mit dem Turkopticon so etwas wie ein Kommunikations-, Koordinations- und Beschwerdesystem für Klickarbeiter zu schaffen. Und Uber hat in Gerichten weltweit, nicht zuletzt in Deutschland, immer wieder Rückschläge einstecken müssen.
Neue Architekturen
Lovink stellt die Frage, was passiert, wenn das Soziale von Facebook und Twitter definiert wird – und zielt damit auch darauf ab, was jenseits der derzeitigen Internetökonomie liegen kann. Das sei, so Lovink, nicht nur eine Frage von Arbeitskämpfen, sondern auch des Experimentierens mit neuen technologischen Architekturen, beispielsweise Kryptowährungen.
Dazu schreibt er, dass Bitcoin allerdings nicht ausreichen würde, schon aus dem einfachen Grund, dass Bitcoin aufgrund der Volatilität für den Alltag nicht zu gebrauchen sei. Die diesen Sommer stark gestiegenen Preise und Marktkapitalisierungen von Bitcoin, Ethereum und weiteren Kryptoplattformen seien durch private Spekulation, die auf Bereicherung und nicht Kooperation aus ist, entstanden. Deshalb müsse man, so Lovink, nach „den sozialen Werten, die den Entwurf des Bitcoin untermauern“ (S. 111) fragen. Bitcoin habe viel in Gang gesetzt, biete aber keine glaubhafte Alternative zu den großen Finanzdienstleistern und Plattformen.
Stattdessen setzt er sich für den „Aufstieg kleinskaliger digitaler (Krypto-)Währungen ein, die innerhalb spezifischer sozialer Umgebungen (ob lokal oder translokal) operieren“ (S. 137). Das weist auf die Bewegung des „Plattformkooperativismus“ – über die wir bereits berichtet haben. Dabei geht es um genossenschaftlich organisierte Gruppen, die mit lokalen Behörden zusammenarbeiten und vor allem von den in verschiedenen Bereichen selbst betroffenen Menschen betrieben werden. Lovink nennt das Beispiel von FairBnB, die in enger Abstimmung mit Lokalpolitikern, Bewohnern und anderen Interessengruppen probieren, städtische Ferienwohnungen sozialverträglich anzubieten.
Blockchains sind auch in anderer Hinsicht interessant, da sie technisch das Konzept der zentralisierten Datenbanken der großen Plattformen, an die unsere Computer – versteckt hinter den bunten und pädagogischen Benutzeroberflächen – heimlich unsere Daten schicken, zumindest hinterfragen. So werden im Blockchainprinzip alle Daten eines Systems auf den Computern aller Netzwerkteilnehmer gespeichert, eine sehr radikale technische Realisierung der Forderung, dass Daten allen zugänglich gemacht werden sollen.
Auch wenn das im Sinne des Datenschutzes keine sinnvolle Option wäre, argumentiert Lovink doch, dass Daten als gemeinsames Gut anerkannt werden müssten, und verweist an dieser Stelle auf die Arbeit des Hamburger Datenschutzforschers Dirk Lewandowski, der sich für einen Open Web Index in Abgrenzung zu Googles privaten Datenbanken einsetzt.
Andere Intermediäre
Abschließend plädiert Lovink für andere, fairere Intermediäre und Plattformen, die optimalerweise von den Usern selbst betrieben werden und an genossenschaftliche Organisationen aus dem 20. Jahrhundert angelehnt sind, sich aber gleichzeitig mit alternativen Architekturen wie Blockchains und Kryptowährungen auskennen und damit experimentieren. Darin sieht er auch für die Netzkritik eine Aufgabe. Diese solle sich nicht allein auf den Schutz der „bürgerlichen Privatsphäre“ konzentrieren, sondern auch neue Modelle mitbegleiten, sich für sie einsetzen und sie dokumentieren. „Ich bin selbst dabei, ich bin mitschuldig“, sagt er in diesem Zusammenhang über sich selbst. Damit ist das in der Ausgangsthese skizzierte Problem von der gelebten und gewohnheitsmäßigen Widersprüchlichkeit des Users nicht vom Tisch. Aber es ist eine Möglichkeit, diese einengende, stark kontrollierte und überwachte Position, die die Reduktion von Menschen auf User seit Langem mit sich bringt, ein Stück weit zu hinterfragen und praktisch herauszufordern. „Eine Renaissance des kooperativen Internets ist möglich“ (S. 27), so Lovink.
An Lovinks Gedanken zu der Rolle, die neue technische, alte ökonomische und noch ältere, nämlich „lokale oder translokale“, soziale Modelle spielen sollen, erscheint wichtig, dass er darauf beharrt, dass diese unbedingt in gelebte Zusammenhänge eingebettet sein müssten. Er spricht von „organisierten Netzwerken“, in denen Menschen nicht nur durch die Ähnlichkeit ihrer Likes – das „technische Unbewusste“, so Lovink – verbunden werden, sondern auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Nach dem Lesen des Buches fällt auch auf, dass die derzeitig gelebten Widersprüche zwischen authentischem Selbstausdruck und kommerzieller und geheimdienstlicher Überwachung in den sozialen Netzwerken auch eingebettet sind – in Profitlogiken. Der in Profitmaximierung eingebettete Alltag des Users ist ein zentrales Thema des Buches – so sind besonders die Anfangskapitel aufschlussreiche Skizzen des Useralltags der vergangenen Jahre, nach dem „Web 2.0“.
Vereinfachung hat ihren Preis
Im Internet war die Figur des Users dann übrigens Thema eines der ersten Internetmemes. Darauf war ein Hund vor einem Computer abgebildet. „Im Internet weiß niemand, ob du ein Hund bist“, lautete die Bildunterschrift. Diese Vorstellung ist wunderbar und könnte heute, wo wir Hunderte von auf uns zugeschnittene Werbebanner am Tag angezeigt bekommen, nicht realitätsferner sein.
Eine interessante Zwischenphase der Figur des Users in den 2000er Jahren zeigen die „Mac vs. PC“-Werbespots von Apple. Das Problem (und der Reiz für Unternehmen), den auch Alan Kay und Steve Jobs erkannt hatten, ist, dass Menschen auf bestimmte Typen von Usern reduziert werden können. Sie werden zu Kindern (Kay), coolen Typen (Apple), drögen Bürokraten (Windows) oder enthemmten Content-Producern (Web 2.0). Das hat wenig mit der Wirklichkeit von Menschen und vielmehr damit zu tun, möglichst viele Menschen möglichst schnell den Zugriff auf neue Technologien zu ermöglichen – daher auch der komische Terminus der Benutzerfreundlichkeit, der an Hautfreundlichkeit und ph-Werte erinnert.
Dabei wurden, nett ausgedrückt, auch Vereinfachungen gemacht, und das wird wohl in der Zukunft auch so weitergehen. Denn, wo vereinfacht wird, da wird Macht neu verteilt. Lovink zeigt überzeugend, dass sich die derzeitige Stellung der großen Plattformen aus der letzten Vereinfachungswelle unter dem Schlagwort „Web 2.0“ speist. Doch Alternativmodelle scheinen nach einer Phase von gefühlter Ohnmacht heute wieder greifbar zu werden.
* Zitate ohne Seitenangaben sind von der Buchvorstellung.
Das Buch sollte man den Maas‘ und de Maizières dieser Welt schenken, die Demokratie und Freiheit eher durch den Nutzer gefährdet sehen. Danke für den Artikel.