Zentrum für digitale SouveränitätOhne Strategie ist es nur ein Feigenblatt

Völlig überraschend hat das Bundesinnenministerium die Geschäftsführerin des Zentrums für Digitale Souveränität geschasst. Dabei gilt Jutta Horstmann vielen als erfahrene wie visionäre Expertin. Für die Zukunft von Open Source in der öffentlichen Verwaltung verheißt das nichts Gutes.

die mittlere Körperhälfte von Michelangelos David-Statue, über dem Intimbereich ein Feigenblatt, im Hintergrund verschwommen Quelltext
Nach der Kündigung von Jutta Horstmann droht das ZenDiS ein Feigenblatt zu werden. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Quelltext: KI-generiert; Michelangelos David-Statue: Wikipedia; Feigenblatt: IMAGO/Panthermedia; Montage: netzpolitik.org

Wie zuvor die Ampel hat sich nun auch Schwarz-Rot „digitale Souveränität“ auf die Fahnen geschrieben. Laut Koalitionsvertrag heißt das auch: Open Source fördern und dabei auf die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für digitale Souveränität (ZenDiS) setzen.

Diese bundeseigene GmbH gründete die Ampel im Jahr 2022 und setzte damit ein Vorhaben um, das der IT-Planungsrat noch zu Merkel-Zeiten entwickelt hatte. Im Organisationskonzept aus dem April 2021 stellte das Bund-Länder-Gremium fest: Die Abhängigkeiten der öffentlichen Verwaltung von proprietären IT-Anbietern gefährden nicht nur die Informationssicherheit und schränken die Flexibilität der Verwaltung ein, sondern machen sie auch abhängig von „fremdgesteuerter Innovation“. Ob nun Microsofts Office-Anwendungen, Oracle-Datenbanken oder Virtualisierungssoftware von VMware: Ein erschlagend großer Teil der Verwaltungs-IT hängt von Tech-Riesen mit Sitz in den USA ab.

Maßnahmen gegen eine solche Unsouveränität: Es brauche eine Organisation, die über alle Ebenen hinweg – Bund, Länder, Kommunen – „moderne, leistungsfähige und skalierbare“ Alternativlösungen aus Open-Source-Software (OSS) für die öffentliche Verwaltung verfügbar mache, und zwar mit der nötigen „Flexibilität und Dringlichkeit“ – das ZenDiS.

Von Open Source überzeugen

Strategische Aufgabe des Zentrums ist zudem, die öffentliche Verwaltung zu Open Source zu beraten, aber auch von Vorteilen und Möglichkeiten zu überzeugen. Diese Aufgabe übernahm bis vor kurzem Jutta Horstmann. Seit Oktober war sie Geschäftsführerin des ZenDiS und engagierte sich nicht nur für die Produkte des ZenDiS, sondern auch als Sachverständige zum Thema Open Source, zum Beispiel im Digitalausschuss des Bundestages.

Für diese Arbeit qualifizierte die Linux– und OSS-Expertin der frühen Stunde, Informatikerin und Politikwissenschaftlerin ihre langjährige Berufserfahrung im Bereich OSS-Beratung. Für das Zentrum trat sie auf Veranstaltungen wie der FOSS Backstage oder zuletzt bei der Free Software Foundation Europe auf.

Dass die zwei Produkte des ZenDiS, openDesk und openCode, in anderen europäischen Ländern und auch international Anklang finden, ist auch ihr zu verdanken. Beim digitalen Arbeitsplatz für die öffentliche Verwaltung, openDesk, gibt es inzwischen eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich und den Niederlanden.

Es schien etwas ins Rollen gekommen zu sein. Umso mehr überraschte letzte Woche die Nachricht, das Bundesinnenministerium (BMI) habe Horstmann abberufen. Über die Hintergründe schweigt sich das BMI aus. Auf Anfrage sagt ein Sprecher gegenüber netzpolitik.org knapp: Um die Verwaltungsdigitalisierung effizienter zu machen und voranzutreiben, sei es notwendig, „Prozesse und Kompetenzen zu bündeln“. „Als einen Schritt dieser Bündelung“ habe das BMI am 9. April 2025 beschlossen, „Horstmann von ihrer Funktion als Geschäftsführerin abzuberufen“.

Das BMI konnte hier allein entscheiden. Denn zwar war angedacht, dass das ZenDiS eine GmbH von Bund und Ländern wird. Bis heute allerdings ist der Bund Alleingesellschafterin und verschleppt schon seit drei Jahren die Beteiligung interessierter Bundesländer als Mitgesellschafter.

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Einzelspitze statt Doppel

Ohne Geschäftsführer steht das ZenDiS derweil nicht da. Im Januar löste Alexander Pockrandt den Interimsgeschäftsführer Ralf Kleindiek ab und besetzte die Position des Chief Financial Officer (CFO). Pockrandt war zuvor Abteilungsleiter für Landesverfahren bei der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung. Während Pockrandt die kaufmännische Funktion im ZenDiS übernahm, war Horstmann für die strategische Umsetzung der Aufgaben zuständig. Die Doppelspitze war für das ZenDiS seit der Gründung geplant.

Dabei habe sich aber schnell gezeigt, dass die beiden Geschäftsführer:innen Horstmann und Pockrandt unterschiedlicher nicht sein könnten, berichtet uns eine mit den Vorgängen vertraute Person. Auch vor dem Hintergrund der starken OSS-Ausrichtung des ZenDiS habe es Verwunderung dazu gegeben, warum das BMI Pockrandt für diese Position ausgewählt habe.

Denn der systemische Berater und gelernte Bankkaufmann hatte mit Open Source vorher wenig am Hut. Bei seiner vorigen Station beim öffentlichen IT-Dienstleister des Landes Hessen dürfte er auch wenig mit der unbürokratischen Arbeitsweise vertraut sein, durch die das ZenDiS möglichst schnell Erfolge mit OSS in der öffentlichen Verwaltung erzielen sollte.

Wer kümmert sich um Strategie?

„Horstmann wird fehlen“, heißt es aus ZenDiS-Kreisen. Dort besteht auch Sorge, dass nun jemand für die Strategie des ZenDiS fehlt. Wer übernimmt zukünftig den Einsatz für Open Source, der Teil des Aufgabenbereichs ist? Fällt diese Arbeit weg und soll es nun in erster Linie darum gehen, die Produkte „unters Volk zu bringen“? Diese Sorge besteht. Tatsächlich hat das ZenDiS erst kürzlich einen Vertrag mit der Bundeswehr über die Nutzung von openDesk abgeschlossen.

Die Idee hinter dem digitalen Arbeitsplatz openDesk war ursprünglich: Behörden und Ämter können sich damit unabhängiger machen von Microsoft Office 365. Dazu gehörte, in den Verwaltungen Beratungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Inzwischen scheint jedoch ein anderes Ziel vorrangig: Produkte in die Breite bringen und Umsatz erzielen. Von der ursprünglichen Idee bleibt dabei kaum etwas übrig.

Wie das ZenDiS Vision und Mission nach der Kündigung Horstmanns weiterverfolgt, wird sich zeigen. Es besteht die Gefahr, dass das Unternehmen zum Feigenblatt werde – nach dem Motto: Die Bundesregierung engagiert sich schon für Open Source und digitale Unabhängigkeit von proprietärer Software – dafür gibt es ja das ZenDiS.

Die Zukunft von Open Source unter einer schwarz-roten Regierung ist indes ungewiss. Wird es tatsächlich ein Digitalministerium geben, das der CDU untersteht und für Staatsmodernisierung sorgen soll, untersteht es einer Partei, in deren Wahlprogramm Open Source nicht ein einziges Mal erwähnt wurde.

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4 Ergänzungen

  1. HMM, Open-Source, Infrastrukturmilliarden.

    Also haben wir den Zyklus bei IT noch nicht bis zum Krieg vollzogen?
    Das muss wohl erst noch manifest werden, denn was hat bei Russland gefehlt?
    Strategie, Mitdenken, Bereitschaft zum Einsatz. Vor allem Strategie.

  2. Das BMI hat natuerlich eine Strategie. Die ist halt scheisse aus der Perspektive von IT und Souveraenitaet, aber total toll als Foerderung der ueblichen Konzerne, und darauf kommt es CDU/SPD schliesslich an.

    Da handelt ja noch Faeser, und bei der SPD entscheidet bekanntlich das WIR: Wirtschaft, Industrie, Ruestung.

  3. Hierzu passend ist das heutige Meinungsstück von SAP-Vorstand Christian Klein in der FAZ.

    Man frage sich: Wird ZenDiS schwach gemacht für den Einsatz der SAP-Microsoft-Lobby mit ihrer Delos-Cloud?

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