Politische Inhalte auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und TikTok haben teilweise eine geringere Reichweite als andere Postings. Das kann unterschiedliche Gründe haben: Meta etwa bremst entsprechende Inhalte auf seinen Plattformen Threads und Instagram aus. Nutzende bekommen momentan standardmäßig keine politischen Inhalte von Accounts angezeigt, denen sie nicht folgen. Unter „politisch“ versteht Meta Inhalte zu Regierungen, Wahlen oder gesellschaftlich relevante Themen erwähnt werden.
Teilweise werden Inhalte von Plattformen aber auch vollständig unterdrückt. TikTok etwa fiel mehrmals dadurch auf, dass Inhalte zu queeren Themen anhand von Schlagwörtern blockiert wurden. Andernorts üben Regierungen Druck aus, bestimmte Dinge zu zensieren.
Aber obwohl die Plattformen es politischen Inhalten schwer machen, verschwinden diese nicht vollständig. Nutzer:innen finden immer wieder Lösungen, die Filtermechanismen der Plattformen zu umgehen.
Codewörter für Eingeweihte
Eine Möglichkeit dafür ist eine angepasste Sprache, welche etwa die Journalistin Taylor Lorenz „Algospeak“ nennt. So sollen Filter ausgetrickst werden, die auf bestimmte Wörter anspringen. Besonders häufig werden dafür Emojis, Synonyme oder andere Schreibweisen genutzt.
In China beispielsweise verwenden Nutzer:innen auf Plattformen mit staatlicher Zensur andere Worte für Regionen, in denen Protest stattfindet, da die Inhalte sonst gesperrt werden. So erhielt die Provinz „Henan“ das ähnliche Wort „Helan“, was Niederlande bedeutet. Dementsprechend wurde die Provinzhauptstadt „Zhengzhou“ zu „Amsterdam“.
In anderen Fällen versuchen Nutzer:innen die Einschränkung von Reichweite zu umgehen. Bei dem sogenannten Mascara-Trend auf TikTok im Jahr 2023 wurde das Kosmetikprodukt als Symbol und Code-Wort genutzt, um Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch und toxischen Beziehungen zu teilen.
Hashtags mit unerwarteter Bedeutung
Teilweise nutzen Gruppen bestimmte Begriffe oder Symbole jedoch auch schlicht als Erkennungszeichen. In Deutschland nutzen Wähler:innen der AfD beispielsweise blaue Herzen als Emojis, um sich zu erkennen. Weitere rechte Erkennungsemojis sind beispielsweise „⚫️ ⚪️ 🔴“ – die Farben der Flagge des Deutschen Kaiserreichs und des „Dritten Reichs“ – oder auch „🦅“ – ein Adler, der als Gruppenzugehörigkeits-Code dient.
Während viele Algospeak-Varianten vor allem darauf abzielen, eine Beschränkung der Inhalte zu umgehen, sorgen andere für eine ganz neue Verbreitung, wie aktuell in den USA: Während es für den TikTok-Algorithmus so aussieht, als würde in den USA gerade ein neuer Fashiontrend entstehen, werden unter dem Hashtag #winterboots und #cutewinterboots Ratschläge für Migrant:innen in den USA gepostet – oft zusammen mit anderen populären Hashtags wie #superbowl. Aber es geht nur symbolisch um Stiefel, die vor Kälte schützen. Nutzer:innen halten handgeschriebene Zettel in die Kamera, auf denen Tipps stehen, wie sie sich vor Schnee (metaphorisch für die US-Einwanderungsbehörde „ICE“) schützen können und rufen zum Widerstand gegen die Abschiebungen auf.
Back-Videos mit politischer Botschaft
Mittlerweile häufigere Formen des kreativem Algorithmus-Umgehens sind Schminkvideos und Videos, in denen Ersteller:innen ihr Outfit präsentieren, während sie sich zu politischen Themen wie dem Gender Pay Gap äußern. So haben die Inhalte zunächst einen unverfänglichen Anschein, solange man nicht auf die gesprochenen Worte achtet.
Ein anderes Beispiel dafür sind Koch- und Backvideos: Während der Algorithmus ein Video erkennt, in dem Kekse gebacken werden, steht auf den fertigen Keksen „FCK AFD“ und ein durchgestrichenes Hakenkreuz. Es erhält deutlich mehr Reichweite als die meisten Videos desselben Creators, in denen er sich politisch äußert.
Ob diese Reichweite durch die Form der Präsentation oder eine umgangene Einschränkung kommt, lässt sich meist nicht klar feststellen. Im Fall von Caren Lay, einer Bundestagsabgeordnete von den Linken, war es vermutlich eher ersteres. So hatte die Politikerin zwei Parodien des Liedes „Bauch Beine Po“ von der Deutschrapperin „Shirin David“ veröffentlicht, in welchen sie auf humorvolle und Gen-Z-nahe Weise empowern und zum Wählen gegen die AfD aufrufen möchte. Lays „Empowerment-Version“ hat 1,8 Millionen Aufrufe und die „Bundestag-Version“ fast 1 Millionen Aufrufe bekommen, während die meisten Videos auf ihrem Account weniger als hunderttausend Aufrufe erreichten.
Ein Katz-und-Maus-Spiel
Während die Menschen neue Wege finden, ihre politischen Inhalte vor den Filter-Algorithmen der Plattformen zu verstecken und weiter zu verbreiten, passen die Plattformen ihre Erkennungssysteme immer wieder an. Zusätzlich ändern sie häufig ihre Regeln, so etwa der Konzern Meta, der im Vorfeld der Trump-Präsidentschaft angekündigt hat, seine Regeln zu politischen Inhalten zu lockern.
Damit werden Algospeak und andere kreative Formen von Social-Media-Postings zu einem Katz-und-Maus-Spiel, während die eigentlichen Botschaften für Außenstehende immer schwerer zu verstehen werden.
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