Videoüberwachung des öffentlichen RaumsJetzt soll die Echtzeit-Gesichtserkennung kommen

Die Bilder hessischer Überwachungskameras sollen künftig automatisch live nach bestimmten Personen durchsucht werden. Und die Bundes-CDU fordert eine derartige biometrische Fernidentifizierung an deutschen Bahnhöfen.

Ein Kamerastrauß vor Hochhäusern.
Videoüberwachung in Frankfurt am Main. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jochen Tack

Das „Gesetz zur Stärkung der Inneren Sicherheit“ steht im hessischen Landtag kurz vor der Verabschiedung. Morgen findet die zweite Lesung dazu statt, am Donnerstag soll die finale folgen. Das Gesetz erlaubt unter anderem Videoüberwachung rund um Flughäfen und an sogenannten, polizeilich definierten „Angsträumen“, Drohneneinsätze zur Telekommunikationsüberwachung und zum Filmen von Wohnungen, elektronische Fußfesseln für Gefährder.

Ein aktueller Änderungsantrag der Regierungsfraktionen CDU und SPD, der vermutlich morgen angenommen wird, macht den Gesetzentwurf noch einmal deutlich brisanter. Demnach sollen die Bilder von Kameras, die den öffentlichen Raum in Hessen überwachen, zum Beispiel im Frankfurter Bahnhofsviertel, mit sogenannter KI in Echtzeit nach den Gesichtern bestimmter Personen durchsucht werden dürfen.

Die Software soll prüfen, wer sich verdächtig bewegt oder mutmaßlich gefährliche Gegenstände bei sich trägt und nach Auftrag einer Beamt*in die Person dann über alle einlaufenden Streams hinweg verfolgen. Zur Gefahrenabwehr dürfen die aufgenommenen Bilder auch automatisiert mit polizeilichen Datenbanken abgeglichen werden.

Anlasslose biometrische Massenanalyse

Aktuell sind in den polizeilichen Datenbanken hauptsächlich die biometrischen Merkmale von Menschen gespeichert, die zuvor Gegenstand einer erkennungsdienstlichen Behandlung waren. Künftig sollen, geht es nach Bundesinnenministerin Nancy Faeser und den Innenminister*innen der Länder, in einer weiteren polizeilich zugänglichen Datenbank alle Gesichter erfasst werden, von denen öffentlich einsehbare Fotos im Internet existieren.

Zur Terroristenjagd, zum Auffinden von Vermissten und mutmaßlich bedrohten Personen sollen die hessischen Polizist*innen das Videoüberwachungssystem auch mit Fahndungsfotos füttern können, nach denen das anfallende Material gescannt wird. Carsten Linnemann, Generalsekretär der Bundes-CDU, denkt in eine ganz ähnliche Richtung. Er sieht als einen der ersten Schritte einer potenziell CDU-geführten nächsten Bundesregierung den Aufbau von biometrischer Echtzeitidentifikation an Bahnhöfen. „Wir sorgen durch Gesichtserkennung mittels KI für sichere Bahnhöfe“, sagte er dem Handelsblatt.

Der automatische Abgleich wäre ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Unschuldiger. Ein Test am Berliner Südkreuz erbrachte 2017/2018 eine Falsch-Positiv-Rate von etwa 0,1 Prozent. Das heißt, von 1.000 Passant*innen löst eine aus Versehen Alarm aus. Allein auf den 5.400 Bahnhöfen der deutschen Bahn bewegen sich allerdings täglich etwa 21 Millionen Menschen – das heißt durchschnittlich alle vier Sekunden würde jemand Opfer einer unbegründeten Ausweiskontrolle oder sogar Leibesvisitation.

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18 Ergänzungen

  1. Wenn Videoüberwachung so viel Sicherheit bedeutet, müssten London und die Großstädte Chinas zu den sichersten Orten der Welt gehören. Das Gegenteil ist der Fall. Was erzählt man denn den Leuten, sobal alles installiert ist, die Kriminalitätsrate aber schlicht nicht fällt oder sogar steigt?

      1. Angst vor dem CEO-Shooter? Oh ja!

        Die gesteuerten Klimakleber hingegen dienen aber denselben, die unsere Politiker kontrollieren: den Reichen und Mächtigen. Arme haben nicht die Mittel, um Medien, Wissenschaftspriester und NGOs zu finanzieren.

    1. Die Schlüsse, die daraus gezogen werden, lauten, dass es schlichtweg noch nicht genug Überwachung sei und man daher jetzt noch mehr installieren müsse. Dass Befugnisse und Instrumente den vorgeblichen Zweck nicht erfüllen, ist noch lange kein Grund für den Staat, sie wieder aus der Hand zu geben, nachdem man die Bevölkerung so mühselig daran gewöhnt hat! Wenn sie schon einmal da sind, finden sich noch andere Einsatzmöglichkeiten (die man bisher nicht offen kommunizieren durfte), und überhaupt, es geht schließlich um Macht!

    2. Eine ehemalige Kollegin wurde am hellichten Tag in London (gut videoüberwachte Stadt) in einem guten Restaurant von einer Bande von Neubürgern ausgeraubt. So sicher wollen wir es hier auch haben!

  2. Also künftig Wuhan statt Wiesbaden, na perfekt die Seuche.

    2018/19 waren also durch und durch ein dunkle Jahre der Verfassungsgerichtsrechtsprechung und ich befürchte, es ist seitdem nicht besser geworden.
    Aber immerhin hat das BVerfG noch zur Strafverfolgung, was ja „Zur Terroristenjagd“ einschließen sollte (wer Terrorist ist muss ja schon die Tat begangen haben die ihn dazu machte; beißt hier etwa die ewige Vorfeldverlagerung die Gefahrenabwehrbehörden der Länder?) die Handlungskompetenz der Länder (sogar konkret Hessens) aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes verneint in 1 BvR 2795/09, 1 BvR 3187/10 . Und das bei der noch verhältnismäßig niedrigeren Eingriffsschwelle eines KFZ Kennzeichens im Vergleich zum unveränderlichen persönlichen Kennzeichen des menschlichen Gesichtes.

    Da dieser Beschluss entsprechend §31 BVerfGG direkt den hessischen Landtag bindet, wie versuchen die sich da nicht gerade an Rechtsbeugung?

  3. Man liest auffallend oft immer Hessen, wenn es um den Aufbau und / oder die Ausweitung rechteaushöhlender Überwachung geht.
    Kann mich im Bezug auf die Etablierung grundrechtswidriger Überwachung gerade nicht erinnern, so viel über ein anderes Bundesland gelesen zu haben…
    Wird witzig, wenn man dann auch irgendwann in Hessen feststellen wird, dass es nix gebracht hat. Als Reaktion wird die Überwachung dann wahrscheinlich noch weiter ausgebaut.

    Ruft bei mir gerade diesen Artikel in Erinnerung
    https://netzpolitik.org/2023/koalitionsvertrag-einmal-alles-fuer-hessens-hardliner/

    Dazu kann man nur sagen:
    „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“
    Die Wahrheit dieses Zitats war gefühlt nie so sehr sichtbarer wie heute.

  4. Was bedeutet eigentlich „die zuvor Gegenstand einer erkennungsdienstlichen Behandlung waren.“ Betrifft das auch Unschuldige, die z.B. Zeugen waren?

    1. Für welche Bereiche sollen eigentlich diese „virtuellen Ermittler“ gelten, von denen immer die Rede ist?
      Bislang lese ich diesbezüglich immer von Sozialen Netzwerken oder Chatforen

      z.B. hier
      https://gruene-fraktion-nrw.de/parlament/eine-moderne-kriminalpolizei-zur-digitalen-kriminalitaetsbekaempfung/

      oder hier
      https://www.unternehmensstrafrecht.de/e-evidence-die-wichtigsten-ueberwachungsmittel-der-strafverfolgungsbehoerden-kurz-erklaert/

      Also quasi Plattformen, wo Personen kommunizieren können und diese Kommunikation öffentlich einsehbar ist.
      Verstehe ich das richtig?

      1. Vergleichen wir mal so… angenommen in restaurants, auf Plätzen und überall stünden „Offline-Ermittler“ und erfassen und notieren jede Kommunikation, also jedes Gespräch und jeden Informationsausch zur prüfung auf Strafbarkeit.
        Angeblich gilt doch, online soll verboten sein was auch offline verboten ist.
        Die Systemverschiebung in den leztzten ca. 10 Jahren hätte man so nie werwartet, aber jetzt sind sogar Grüne dafür, weil sie Angst vor „Hetze“ haben.

  5. CDU/SPD/FDP wissen, dass ihre erfolgreiche Politik der Umverteilung von unten nach oben, von den vielen auf sehr wenige, absehbar zu Konflikten führt. Daher baut man Strukturen zum Machterhalt, dazu gehört Überwachung ebenso wie loyale und durchsetzungsfähige Polizeistreitkräfte.

    Nicht vergessen: weite Teile der konservativen und neoliberalen Politik sehen Pinochets Chile als positives Beispiel.

  6. Ich verabschiede mich von „gesellschaftlichdt Teilhabe“ in dem Sinne dass ich wieder Auto fahre um Bahnhöfe und Züge zu meiden, kaufe leider vermehrt online obwohl ich gerne mit Bargeld in Geschäfte gehe. Aber wenn ich in der Stadt biometrisch verfolgt werde keine Lust mehr. Ich unterstütze die „rechtsstaatliche Demokratie“ dann auch nicht mehr, weil sie mir die eigene Lebensgrundlage genommen hat: Freie, unbeschwerte Bewegung und ein Leben nach meinen grundwerten und meiner Weltanschauung. Das ist in DE und EU nicht mehr möglich.

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