Es war keine entspannte Woche für das Internet Archive. Kaum hatte sich die gemeinnützige Organisation im Streit mit vier Großverlagen geeinigt, brach ein neuer Konflikt aus. Diesmal sind es mehrere große Plattenlabels, die dem Online-Archiv massive Verletzungen des Urheberrechts vorwerfen. Es geht um hunderte Millionen US-Dollar und potenziell um die Zukunft des Archivprojekts – und das wegen teils 100 Jahre alter Schallplatten.
Das Internet Archive ist seit den 1990er-Jahren vor allem für seine Wayback Machine bekannt, mit der sich ältere Versionen von Websites aufrufen lassen. Inzwischen sammelt das in San Francisco sitzende Archiv auch Software, Videos oder Bücher und stellt die Daten weitgehend frei zugänglich zur Verfügung. Es versteht sich als aktivistisches Projekt mit der Mission, „universellen Zugang zu allem Wissen zu ermöglichen“.
Großverlage wollen Kontrolle über Verleih
Doch die Mission des Internet Archives wird immer wieder durch die juristischen Fehden ausgebremst. So verlor das Internet Archive bereits im Frühjahr ein Gerichtsverfahren, geklagt hatten die vier US-Verlage Hachette Book Group, HarperCollins, John Wiley & Sons und Penguin Random House aus der Bertelsmann-Gruppe. Ihnen war die „Nationale Notfall-Bibliothek“ ein Dorn im Auge, die das Archiv in der Coronapandemie gestartet hatte. Damit Menschen zumindest genug Lesestoff haben, verlieh das Internet Archive vorübergehend mehrere Exemplare eines digitalen Buches auf einmal, anstatt sich nur auf die Anzahl der Exemplare zu beschränken, die die Online-Bibliothek physisch erworben hatte.
Die Verlage hielten das für eine Verletzung des Urheberrechts, das Gericht schloss sich dieser Sicht an. Der nun erzielten Einigung zufolge darf das Internet Archive künftig keine Bücher der klagenden Verlage mehr ohne ausdrückliche Genehmigung verleihen. Hinzu kommt eine nicht öffentlich bekannte Geldsumme, sofern das Internet Archive das Berufungsverfahren verlieren sollte. Denn trotz der Einigung will Brewster Kahle, der Gründer des Projekts, in Berufung gehen: „Wir brauchen starke Bibliotheken“, heißt es auf dem Blog des Archivs.
Hundert Jahre alte Platten gerettet
Der nächste Streit kommt durch die frische Klage von Musiklabels. In diesem Fall hatte das Internet Archive alte Schellackplatten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts digitalisiert und zum freien Herunterladen bereitgestellt. Es gehe darum, dieses auf „obsoletem Format“ verewigte kulturelle Material für künftige Generationen zu retten, bewirbt das „Great 78 Project“ seine bewusst knisternde, digitale Plattensammlung. Zu den derzeit verfügbaren Alben aus der Frühzeit der Musikindustrie gehören neben Stücken von Stars wie Frank Sinatra auch traditionelle Lieder auf Jiddisch und Tschechisch.
Aus Sicht der Labels hat das Internet Archive damit ihre Rechte bei knapp 3.000 Musiktiteln verletzt. Zum Vergleich: Im Archiv sind derzeit mehr als 400.000 Aufnahmen. Um den erlittenen Schaden auszugleichen, seien bis zu 412 Millionen US-Dollar fällig, so die Kläger:innen, zu denen unter anderem die Universal Music Group und Sony Music Entertainment zählen. Alle beanstandeten Aufnahmen würden sich auf legalen Streaming-Angeboten finden, heißt es in der Klageschrift. Deshalb bestünde keine Gefahr, dass sie in Vergessenheit geraten oder zerstört würden, heißt es weiter.
Möglich gemacht hat die Klage eine US-Gesetzesänderung aus dem Jahr 2018. Mit dem „Music Modernization Act“ wurde die Laufzeit des urheberrechtlichen Schutzes für Aufnahmen teils verlängert, die vor 1972 aufgezeichnet wurden. Auf Ausnahmeregelungen wie „Fair Use“ könnte sich das Internet Archive nicht berufen, betont die Industrie. Insgesamt sei das „Great 78 Project“ nichts anderes als ein massenhafter Verstoß gegen das Urheberrecht ohne rechtliche Grundlage, so ein Vertreter des Branchenverbands „Recording Industry Association of America“.
Plattenarchiv vor allem für Forschung interessant
Von einer massenhaften Nutzung könne keine Rede sein, argumentiert dagegen das Internet Archive. Seit 2006 würden engagierte Mitarbeiter:innen aus Bibliotheken und Archiven hunderttausende Aufnahmen konservieren. Dabei würden auch analoge Artefakte wie Knistern und Rauschen aufgezeichnet. Dies sei bei den restaurierten Aufnahmen der Labels, die sich auf Streaming-Diensten finden, nicht der Fall.
„Wenn Menschen Musik hören wollen, gehen sie zu Spotify“, schreibt Kahle. Wenn Menschen aber Aufnahmen von Platten studieren wollten, die so klingen, wie sie ursprünglich erschaffen wurden, dann würden sie sich an Bibliotheken wie das Internet Archive wenden. Eigenen Angaben zufolge würde jede Aufnahme aus der Sammlung durchschnittlich einmal pro Monat von einer Forscher:in aufgerufen, so das Projekt über die Nutzungszahlen. Beide Formen der Nutzung seien notwendig, so Kahle: „Es sollte hier keinen Konflikt geben.“
Die Contentmafia ist wieder einmal so sympathisch wie Fußpilz mit ihrem geradezu dystopisch anmutenden Wahn nach absoluter Kontrolle über Kunst und Kultur. Ich habe ja noch nie verstanden, woher diese Anspruchshaltung kommt, für dieselbe Arbeit immer und immer wieder „entlohnt“ zu werden – Arbeit, die man nicht einmal selbst geleistet hat, und das auch Jahrzehnte nach dem Tod der eigentlichen Urheber.
Sowohl das Urheberrecht als auch die damit verbundenen Blankoschecks für die Verwerter sind überdies eine Erfindung aus der Zeit der Industrialisierung, als man Wege entdeckt hatte, Medien maschinell vervielfältigen zu können – weder zu Bachs, noch zu Goethes Zeiten kannte man dieses Konzept, obwohl der Buchdruck und damit die Möglichkeit, dasselbe Werk nach Erwerb mehrfach zu konsumieren, wesentlich älter sind.
The lawsuit was filed Friday in a US district court in New York by:
UMG Recordings,
Capitol Records,
Concord Bicycle Assets,
CMGI,
Sony Music Entertainment, and
Arista Music.
Neben Kaufverweigerung empfiehlt sich auch das Beschriften von WC-Papier mit diesen Firmennamen.
Naja, das ist so eine Frage. Soll die Kultur vernichtet werden?
Eigentlich konsequent, aber was ist, wenn es den Plattenfirmen mehr nützt als der Gesellschaft? Denken wir mal an Wiederverwertung, KI, usw. usf…
Zuviel „naja“, „eigentlich“ und „aber“. Zudem zwei wirre Fragen. Sorry.
Denken wir mal lieber daran, welche politischen Kräfte solch schädliches Firmenverhalten fördern und ermöglichen.
KonsumentInnen könn(t)en über Wahl- und Kaufverhalten sanktionieren. Um dies zu erleichtern, hätte die explizite Nennung der politischen Kräfte im Artikel stehen können, die die Gesetzesänderung durchgesetzt haben.
Beispiel ist doch KI. Schrott (bzw. Durchschnitt, irgendwie verwertbar) wie Gold werden dort zur Huldigung des statistischen „Mittels“ hineingefüllt. Das Ergebnis ist wieder Gold, für das die Dienstbetreiber zunächst Pfennige einsammeln o.ä.
Ich hoffe, deine Gold-fixierte Phase ist nicht schon chronifiziert.
Die Regel „Garbage in, Garbage out“ gilt auch in Zeiten von KI-Verdummung.
Naja, Garbage (rather average) up to gold in, what’s the outcome? Throw some producers into the mix, kill a couple of drummers for it, if you will, and it might end up „good enough for the market and it’s future“.
>>> Zuviel „naja“, „eigentlich“ und „aber“. Zudem zwei wirre Fragen. Sorry.
Naja, es geht doch um den Vernichtungsaspekt.
Gerade das Entfernen der Musik aus dem Archiv sorgt doch dafür, dass die KI „dunkel trainierbar“ wird, d.h. die Trainingsdaten nicht nur eine geschickte Auswahl sind, sondern sich (zu Teilen) beinahe vollständig unter Kontrolle des Unternehmens befinden!
Dazu kommt Oblivionik, also die denkbare Möglichkeit der Auslöschung der Vergangenheit, bei stetigem neuem Bespielen mit Versatzstücken aus selbiger.
Das Argument war vielleicht andersherum gedacht oder aus Versehen ins Gegenteil modifiziert worden. Tatsächlich wäre eine freie Verfügbarkeit auch immer ein Risiko bzgl. KI-Strategien, eben weil andere es vieleicht irgendwann auch zum Training von KI nutzen dürfen. Die „Vernichtung“ der Songs, kann dennoch eintreten, wenn Konsumenten strikt die Nutzung verweigern. Die Plattenfirmen stampfen es also ein, die „Vernichtung“ findet also statt, aber sie können ihre eigenen KIs immer noch damit trainieren. KI wird sozusagen zur Datenwaschmaschine. Das muss der Ansatz des Posts gewesen sein. Also kürzer gefragt: setzt ein Boykott der Lieder auf der falschen Ebene an?
Profit kann nur noch durch künstlichen Mangel erreicht werden.
Durch die Worte „nur noch“ ist es eine falsche Behauptung.
Künstlicher Mangel kann teilweise, in beschränktem Ausmaß und zeitlich begrenzt Preise treiben.
Steigende Preise können sich höchst unterschiedlich auf „Profite“ auswirken, entlang der Lieferkette und entlang der Handelskette.
https://www.fr.de/wirtschaft/amazon-entsorgt-retouren-11008625.html
Der Regulator fehlt hier. Z.B. könnte man den Plattenfirmen auferlegen, historische Werke, also ALLES immer, zu archivieren. Höchsstrafen, wenn mal was verloren geht.
Wer’s nicht macht und dokumentiert, kommt eben in dieses Archiv.
> Z.B. könnte man den Plattenfirmen auferlegen, historische Werke, also ALLES immer, zu archivieren.
Also den Bock zum Gärtner machen? Firmen sind die denkbar schlechtesten Archivare. Daher ist es zumindest in unserem Kulturkreis so, dass Kulturgut durch staatliche Archive archiviert wird. Libertäre Neo-Feudis in den USA sehen das aber anders.
Firmen sind vor allem deshalb grottig in Archivierung, weil sie pleite gehen können, ihren Besitz horten und nicht mit der Öffentlichkeit teilen, Unangenehmes (peinliches, schlechtes, nicht legales …) schon mal verschwinden lassen und weil die Bestandspflege in Zeiten schlechter Kassenlage schon mal Papierfraß, Rost und Schimmel gedeihen lassen.
Natürlich wäre ein gemeinnütziges Archiv unter nicht verrückten Regeln, dazu noch internationalen Solchem viel viel schöner.
Aber wenn man schon so herumreguliert, wäre eine (teils satirische) Herangehensweise, doch eine allgemeine Verpflichtung zur Aufbewahrung von Kulturgut anzudenken. Also mehr als jetzt, nicht weniger. Wer dem nicht nachkommen will, kann, oder es de facto nicht tut, kommt eben ins gemeinnützige Archiv. Zu dem Zweck darf das Archiv schon mal sammeln, sowie der Wissenschaft zugänglich machen, falls die Unternehmen später mal versagen.
Eher die Richtung. Und der Spruch „Besser nicht regulieren…“ stimmt natürlich nicht allgemein. Manche Felder macht man besser dicht als auf. Nur falls das die Idee war…
@netzpolitik Durch Unterdrücken :( von Antworten fallt ihr auf das Framing herein: „Besser nicht regulieren, als falsch regulieren“.
Denn das eine ist ein Denkansatz mit vielen Gestaltungsmöglichkeiten, dazu noch mit Interpretationsbedarf bzgl. der Richtung (Strafen, Gemeinnütziges Archiv, Rolle des Copyrights, Erlaubnis zu speichern, Verfügbarmachung wann bei welchem Versagen von wem? Und mehr…). Das andere ist „Propaganda for Germans makes Angst“, eine Maximalposition zum Abtöten des Denkens. Da wächst nichts mehr dran. Das war noch 10-20 Jahren Cool, als irgendwelche CDU oder SPD Fratzen markige Sprüche abgesondert haben, und man was Kantiges zum Zufassen und irgendwo Draufhauen hatte. Wir sollten uns da weiterentwickeln wollen…
Ich glaube wir wissen alle, dass es im Kern nicht um Urheberrechte an 100 Jahre alten Werken geht.
Aber es wird schlußendlich der offiziell-legal-juristische Sargnagel werden.
> Ich glaube wir wissen alle, dass es im Kern nicht um Urheberrechte an 100 Jahre alten Werken geht.
Ich denke hingegen, dass das Wörtchen „wir“ gelegentlich übergriffig eingesetzt wird.
Auch würde ich niemals unterstellen, dass „alle wissen“. Oft ist es so, dass die meisten eher unwissend sind, vor allem wenn es um Details geht. Zu „glauben“ ist mit zu wenig, begründete Vermutungen wären aber schon was.
Ob es aber im Kern nicht um „Urheberrechte an 100 Jahre alten Werken geht“ ist eine Vermutung, über die es sich lohnt zu diskutieren.
Doch worum geht es dann, wenn übermäßig saturierte Konzerne sich auf ein unterfinanziertes Projekt wie archive org stürzen?
> Doch worum geht es dann, wenn übermäßig saturierte Konzerne sich auf ein unterfinanziertes Projekt wie archive org stürzen?
Machtdemonstration an einem Opfer, von dem sie zumindest glauben, dass es sich nicht wehren kann.
Um zu ergründen, ob es nicht um Urheberrechte an 100 Jahre alten Werken geht,
musste man sich schon zunächst damit befassen, ob es um Urheberrechte an 100 Jahre alten Werken geht.
Das erfordert freilich, sich vorher ausgiebig mit Urheberrechte an 100 Jahre alten Werken zu befassen.
Tja, auf der einen Seite die Politik die das Internet systematisch zerstört und aushöhlt und auf der anderen Seite die Verwertungsindustrie. Verbraucher sind irgendwo dazwischen und haben außer zu konsumieren den Schnabel zu halten und werden dafür als Dank mit allerlei Restriktionen belegt und kriminalisiert.
> Tja, auf der einen Seite die Politik die das Internet systematisch zerstört und aushöhlt …
Tja, wer mit Politik (als Ganzes) argumentiert, lässt (absichtlich?) außer Acht, dass es in der Politik stets widerstreitende Interessen (Regierende vs. Opposition) gibt. Auch gibt es (zu wenige?) Politiker, die sich redlich um ein gutes und freies Internet bemühen (Netzpolitik).
Hilfreich ist es immer wieder, wenn diejenigen klar mit Namen und Partei benannt werden, die das Internet für ihre Interessen missbrauchen, um Lebenswelten von Menschen zu beeinflussen und zu steuern.
Zugutehalten kann man, dass keine Partei sich bisher hervorgetan hat.
Nicht dabei waren: Linke, Kommunisten, Piraten, …
Nicht ernstzunehmen, Parteien mit ansonsten verrückten Ansätzen: …
Jetzt realistisch angehen: was muss passieren, damit… ?