Die EU-Grenzagentur Frontex nutzt Satelliten, um die unerwünschte Migration nach Europa aufzuhalten. Im Rahmen des Überwachungssystems EUROSUR hat Frontex verschiedene Dienste eingerichtet, um mithilfe von Flugzeugen, Drohnen und auch Satelliten Schiffe und Boote mit Geflüchteten automatisiert zu erkennen. Anschließend informiert Frontex die zuständigen Küstenwachen über die Sichtung; von nordafrikanischen Behörden werden die Bootsinsassen dann in Länder wie Libyen oder Tunesien zurückgebracht. Die Satellitendaten stammen aus den Sentinel des EU-Erdbeobachtungsprogramms „Copernicus“, Bilder mit höherer Auflösung kauft Frontex auch bei privaten Anbietern. Neben Frontex unterhält die EU-Agentur für die Meeressicherheit mit dem „CleanSeaNet“ ebenfalls ein satellitengestütztes Überwachungssystem.
Auch der Verein Space-Eye experimentiert nun mit der Nutzung von Satellitendaten. Die Informationen sollen Rettungsorganisationen helfen, Schutzsuchende in Seenot an Bord zu nehmen und in einen sicheren Hafen zu bringen. Die Satelliten-AG des Vereins besteht aus einem Dutzend Wissenschaftler:innen und Studierenden. Für das Interview sprachen wir mit der Entwicklungsingenieurin Elli Wittmann, Steffen Merseburg und Jonathan.
Verschiedene Datenquellen
netzpolitik.org: Ihr wollt Daten von Satelliten nutzen, um damit Boote auf dem Mittelmeer zu entdecken. Welche Bilder zieht ihr dafür heran, und von welchen Diensten oder Firmen stammen diese?
Space-Eye: Für die Entwicklung des Systems arbeiten wir mit Daten des kommerziellen Anbieters Planet und in Zukunft auch mit den Daten des „Copernicus“-Programms der Europäischen Weltraumorganisation. Unser Projekt befindet sich aktuell noch in einem rein wissenschaftlichen Stadium, wir arbeiten dazu mit verschiedenen Universitäten und Hochschulen zusammen. Unsere Vision geht dahin, möglichst viele verschiedene Datenquellen nutzen zu können. Das ist auch nötig, um überhaupt regelmäßig Bilder zu erhalten.
„Copernicus“ liefert Bilder von optischen und von radarbasierten Satelliten, auch Frontex nutzt den Dienst. Könnt ihr den Unterschied der Technologie erklären?
Optische Satelliten fotografieren die Erde und nutzen dafür das Sonnenlicht. Radarsatelliten hingegen senden Mikrowellen aus, sie beleuchten also das Gebiet aktiv. Das hat den Vorteil, ungestört von Wolken zu sein und auch nachts Aufnahmen machen zu können. Dafür haben diese Bilder jedoch im Vergleich zu optischen Bildern ganz andere Eigenschaften und können schwerer zu interpretieren sein. Auch wir arbeiten daran, Radarbilder in unsere Anwendung zu integrieren.
Brauchbare Aufnahmen sind teuer
Die Bilder von „Copernicus“ sind vergleichsweise niedrig aufgelöst. Wie teuer sind die Dienste von kommerziellen Anbietern? Und bestellt man diese dann tageweise für eine bestimmte Region?
Leider haben Satellitenbilder aktuell entweder eine gute räumliche Auflösung oder eine große Abdeckung. Wir würden aber beides benötigen, das bedeutet, dass wir zusätzlich zu den Daten der Sentinel-Satelliten von „Copernicus“ weitere Bilder von gleich mehreren Satelliten kaufen müssen. Das ist aber recht teuer, wir bewegen uns hier im fünfstelligen Bereich. Bei der Firma Planet kauft man beispielsweise eine bestimmte Quote – also eine Anzahl an Quadratkilometern pro Monat, welche man dann aus dem Archiv herunterladen kann. Das sind die Bilder mit relativ guter Auflösung (3 mal 3 Meter pro Pixel). Für die noch bessere Auflösung (0,7 mal 0,7 Meter pro Pixel) müsste man Satelliten tasken, also eine gewünschte Region in Auftrag geben. Das ist dann noch deutlich teurer und nur für sehr kleine Gebiete möglich. Zum Vergleich: die typischen Bilder in Google Maps, die meist von Flugzeugen stammen, haben eine Auflösung von wenigen Zentimetern pro Pixel.
Wie ist der Pixel-Wert zu verstehen? Wenn ein Schlauchboot etwa zehn Meter lang ist, ist es dann auf den Aufnahmen der Satelliten des EU-Erdbeobachtungsprogramms nur als ein oder zwei kleine Quadrate zu erkennen? Wie wollt ihr dann die Wahrscheinlichkeit bestimmen, dass es sich um ein Boot mit Geflüchteten handelt?
Ein Wert von 3 mal 3 Meter gibt an, dass ein Pixel vom Bild einer Fläche von drei mal drei Metern am Boden entspricht. Das zehn Meter lange und vier Meter breite Schlauchboot ist also bestenfalls mit etwa drei aufeinander folgenden Pixeln zu erkennen. Es gibt auch Satelliten wie beispielsweise „World-View-3“ von DigitalGlobe mit einer Auflösung von 0,31 mal 0,31 Meter pro Pixel. Leider kann dieser Satellit aber immer nur einen kleinen Ausschnitt aufnehmen und nicht die gesamte Erde scannen. Das Schlauchboot wäre dann etwa 10 mal 30 Pixel groß und gut als solches zu erkennen. Boote dieser Art sind nicht für das offene Meer gemacht und sind im Prinzip immer in Seenot, sobald sie die Küste verlassen. Bei größeren Booten wird es nicht möglich sein, das genau zu sagen. Allerdings tragen unsere Daten dennoch zum Überblick über die Situation bei.
Problematische Wartezeiten
Ihr habt davon gesprochen, dass ihr ein großes Gebiet beobachten müsstet, um sorgfältig arbeiten zu können. Satelliten umkreisen jedoch doch die Erde, ist eine solche Abdeckung also mit der derzeitigen kommerziellen Flotte überhaupt möglich? Und wären nicht geostationäre Satelliten brauchbarer?
Eine Abdeckung, wie wir sie benötigen, bietet derzeit kein einzelner Anbieter. Wir hätten gerne mehrere Bilder pro Tag vom gesamten Mittelmeer. Das beste Angebot, das wir kennen, bietet maximal eine komplette Aufnahme pro Tag. Daher auch der Ansatz, möglichst viele verschiedene Satelliten mit in das System einzubinden. Wenn wir die Angebote mehrerer Anbieter kombinieren, können wir eine bessere zeitliche Abdeckung erreichen. Geostationäre Satelliten sind für uns keine Option, da diese zu weit von der Erde entfernt sind und mit mehreren Kilometern pro Pixel eine zu geringe Auflösung haben.
Wie lange dauert es, bis die Satelliten, deren Bilder ihr nutzen wollt, die Erde umkreist haben und wieder über dem Mittelmeer ankommen?
Normalerweise braucht ein Satellit mehrere Tage, um wieder über demselben Punkt zu stehen. Die meisten Anbieter haben daher eine ganze Flotte, bestehend aus mehreren Satelliten. Dadurch kann man dann auch eine bessere zeitliche Abdeckung erreichen.
Ein Problem ist auch der sogenannte Downlink, also die Übertragung der aufgenommenen Daten. Worin besteht die Herausforderung und wie funktioniert dieser Download, wenn der Satellit außer Sichtweite ist?
Da wir noch keinen eigenen Satelliten haben, müssen wir uns nicht um den Downlink kümmern. Dafür sind die jeweiligen Anbieter zuständig. Für uns ist es nur problematisch, dass dieser oft mehrere Stunden oder gar Tage dauert. Das kann der Fall sein, wenn die Satelliten keinen Kontakt zu Bodenstationen haben, zu wenig Energie zum Senden haben oder nicht gleichzeitig senden und aufnehmen können. Dann müssen die Bilder natürlich auch noch vorverarbeitet und in die Datenbank geladen werden, damit wir sie benutzen können. Das kann bei manchen Satelliten schnell gehen, aber bei den Daten, die wir bisher verwenden, dauert es leider seine Zeit.
Erste Erprobung erfolgreich
Ihr wollt die Erkennung der Boote auch automatisieren, damit nicht alle Satellitenbilder von Auswerter:innen durchgesehen müssen. Wie soll das funktionieren und was ist das „neuronale Netz“?
Da es sich um eine solch große Menge an Daten handelt, ist es quasi unmöglich, alle Daten „per Hand“ beziehungsweise „per Auge“ zu untersuchen. Daher trainieren wir verschiedene Algorithmen, die besondere Auffälligkeiten auf den Bildern erkennen können. Dafür verwenden wir auch neuronale Netze, also Algorithmen, die anhand vieler Beispielbilder gelernt haben, wie ein Boot auf einem Satellitenbild aussieht. Diese Entdeckungen der Algorithmen können dann wiederum von Menschen verifiziert werden.
Auf dem rc3 habt ihr berichtet, dass das System schon im Mittelmeer getestet wurde. Wie lief das ab?
In einem ersten Schritt wollten wir wissen, ob wir wirklich die kleinen Boote auf den Bildern erkennen können. Dazu haben wir zum einem ein Segelboot eines unserer Mitstreiter auf den Satellitenbildern gesucht und gefunden. Zum anderen haben wir Rettungseinsätze von anderen NGOs gesucht und gefunden. Ärzte ohne Grenzen hat beispielsweise einige der Einsätze ihres Rettungsschiffs auf einer interaktiven Karte mit Orts- und Zeitangaben veröffentlicht. Wir mussten dann nur im Archiv des Satellitenanbieters suchen, ob zu den Zeitpunkten Bilder gemacht wurden. Wir konnten über hundert Rettungseinsätze auf den Bildern erkennen und nutzen diese Daten unter anderem, um unsere Algorithmen zu verifizieren.
Unterstützung möglich
Um möglichst akkurat zu sein, können weitere Daten eingebunden werden, darunter etwa die Transponder, mit denen große Schiffe regelmäßig ihre Kennnummer, Standort und Ziel durchgeben. Welche weiteren Datenquellen wären für euch sinnvoll?
Wir planen Wetterdaten an verschiedenen Stellen in unser Modell mit einzubeziehen. Beispielsweise ist bei starkem Seegang die Bilderkennung weniger präzise. Um die Genauigkeit unserer Information einschätzen zu können, müssen wir also wissen, wie hoch die Wellen sind. Außerdem lässt sich aus den Wind- und Strömungsverhältnissen des Meeres grob vorhersagen, wo ein manövrierunfähiges Boot hintreibt.
Ihr habt gesagt, dass ihr derzeit vorwiegend wissenschaftlich arbeitet und mit einem Segelboot habt ihr auch schon erste Erprobungen unternommen. Wie können Interessierte euch unterstützen, was sind eure nächsten Schritte?
Je mehr Menschen sich der Zustände an den Europäischen Grenzen bewusst sind, desto besser. Wir können daher nur dazu auffordern, sich über die Grenzpolitik von Deutschland und Europa zu informieren und aktiv zu werden.
Wir arbeiten alle ehrenamtlich daran, mehr verlässliche Informationen zu sammeln. Wir planen in näherer Zukunft, historische Daten zu analysieren, um vergangene Fälle aufzuarbeiten und unser System dabei ausführlich zu testen. Aber um beispielsweise Satellitendaten zu kaufen und auszuwerten, benötigen wir Geld. Durch eine Spende an Space-Eye kann das Projekt direkt unterstützt werden.
Vielleicht sollte man das Symbolbild zu etwas ändern was auch wirklich ein Überwachungssatellit ist. Gezeigt wird nämlich eine alte SpaceX Dragon Raumkapsel die zur belieferung der ISS verwendet wurde.
Ich habe eine Info in die Bildbeschreibung aufgenommen, danke für den Hinweis!
Ist eine Zusammenarbeit mit dem Satellite Sentinel Project (SSP)[www dot satsentinel dot org] besprochen worden, vielleicht geplant, gar schon im Gange?