OverblockingNetzsperren klemmen in Österreich legale Webseiten ab

Bis zum Montagmittag hatten überzogene Netzsperren in Österreich viele legale Inhalte blockiert. Ein Urheberrechtsvertreter hatte bei den Providern eine Sperrliste mit IP-Adressen eingereicht, die vom Unternehmen Cloudflare genutzt werden.

"Stop" auf eine weiße Backsteinwand geschrieben
Nichts ging mehr bei manchen legalen Webseiten im österreichischen Netz. (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Jana Knorr

In Österreich kam es gestern zu Ausfällen von zahlreichen legalen Webseiten, weil die Verwertungsgesellschaft LSG bei einem Gericht die Sperrung von IP-Adressen der Firma Cloudflare durchgesetzt hatte – und österreichische Provider wie Magenta oder Liwest diese umsetzten.

Cloudflare ist ein Unternehmen, mit dessen Diensten viele große Website-Betreiber ihre Online-Angebote absichern. Oft werden dabei die IP-Adressen von Cloudflare nicht nur von einer Website, sondern von vielen genutzt. Wird eine solche IP-Adresse gesperrt, dann sind womöglich dutzende andere Websites betroffen. Einem Bericht des Standard zufolge hat die Verwertungsgesellschaft ihre Sperrliste mit den Cloudflare-IPs am Mittag zurückgezogen.

„Was da gestern im Internet in Österreich los war, ist so, als würde man ein ganzes Hochhaus oder Einkaufszentrum sperren, weil in einem Geschäft etwas geklaut wurde“, erklärt Dominik Polakovics von der Bürgerrechtsorganisation epicenter.works den Vorgang. Betroffen von der Netzsperre waren mindestens ein unbeteiligter Online-Shop, ein Sachverständiger und die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch. Und das sind nur die Seiten, deren fälschliche Sperrung bislang bekannt ist. Nutzer:innen hatten die Sperren in einem Forum bekannt gemacht, netzpolitik.org erhielt einen Hinweis von einem Leser am Sonntagabend.

Liste der iOS und Domains
Screenshot der Domains und IPs, die am 29. August 2022 zur Sperrliste hinzugefügt wurden. - Alle Rechte vorbehalten Liwest

Einsehbare Sperrlisten

In Österreich sind die Zensurlisten im Gegensatz zu Deutschland offen und transparent einsehbar, sie lassen sich beispielsweise bei der Regulierungsbehörde RTR oder bei diversen Providern abrufen. Die Listen zeigen, dass Websites vor allem wegen Verletzungen des Urheberrechts gesperrt werden.

Meist kommen dabei DNS-Sperren zum Einsatz, der Domainname einer Website verschwindet dann sozusagen aus dem Telefonbuch des Internets, dem Domain Name System. Offenkundig wurden zuletzt aber auch direkt IP-Adressen gesperrt. Sowohl DNS- wie IP-Sperren sind allerdings mit einem alternativen DNS-Server beziehungsweise VPN-Dienst einfach zu überlisten. 

Die NGO epicenter.works kritisiert, dass es keine Rechtsgrundlage für die Sperrungen gäbe. Österreichische Gerichte und der EuGH haben in Urteilen jedoch bestätigt, dass Urheber in Österreich Netzsperren veranlassen dürfen. Der Vorgang zeige jedoch, „wie rücksichtslos die Urheberrechtsindustrie vorgeht“, sagt Thomas Lohninger von epicenter.works. Die Bürgerrechtsorganisation erwägt deswegen, vom Overblocking betroffene Webseiten bei Klagen zu unterstützen. 

Auch Netzsperren in Deutschland

Auch in Deutschland gibt es Netzsperren: Einerseits sind da die Sperren russischer Staatsmedien, die nach dem Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine europaweit durchgesetzt werden, andererseits versucht die Medienaufsicht mit Netzsperren gegen Porno-Angebote vorzugehen, die keinen richtigen Altersnachweis auf ihren Seiten integriert haben. Netzsperren einsetzen will auch die Glückspielaufsicht.

Die meisten Sperren dürften jedoch auf das Konto der Initiative CUII  („Clearingstelle Urheberrecht im Internet“) gehen, einem Zusammenschluss aus Urheberrechtsindustrie und Providern, die „strukturell urheberrechtsverletzende“ Webseiten ohne Gerichtsbeschluss sperren will. Transparent ist die Zensur in Deutschland nicht. Für Nutzer:innen besteht bislang keine Möglichkeit, die Listen vollständig einzusehen. 

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8 Ergänzungen

  1. Warum bin ich nicht überrascht?
    Es wurde hier nur wieder deutlich aufgezeigt auf welchem fachlichen Level das Know-How der meisten „Verantwortlichen“ liegt. Anwälte und Richter scheinen sich um sowas wie technische Details nicht viel zu scheren – den Schaden haben schließlich die anderen.

  2. >> Transparent ist die Zensur in Deutschland nicht. Für Nutzer:innen besteht bislang keine Möglichkeit, die Listen vollständig einzusehen. <<

    Und wer setzt sich politisch für eine Transparenz in Deutschland ein?
    Ist das heimliche Sperren nicht ein Merkmal repressiver Staaten?

  3. Es ist so, als ob man eine ganze abriegelt, weil irgendwo ein Kiosk Zigaretten an Minderjährige verkauft hat. Das Internet ist nicht der richtige Adressat. Es ist wie Strassen. Die Urheberrechtsmafia soll doch gegen den Anbieter vorgehen und nicht gegen Übertragungsdienstleister. Aber die möchten offensichtlich den größtmöglichen Schaden verursachen und Richter ohne jede Ahnung unterstützen sie dabei noch. Das Internet ist sowas von kaputt.

    1. Das Internet funktioniert. „Kaputt“ sind die Justizsysteme, die seit circa zwei Jahrzehnten damit ringen ihr klassisches analoges Rechtsverständnis den digitalen Systemen überzustülpen.
      Während man vor 50 Jahren bei Hausdurchsuchungen nur nach bestimmten Dingen suchte und mitnahm wird heute schon bei Lapalien („so 1 Pimmel“) fast immer das gesamte digitale Dasein – PC, Laptop, Smartphone, Tablet, und gerne auch immer öfters Smart-TVs, Smart-Watches, etc. – eines Menschen für viele Monate beschlagnahmt, weil die Straftat „im Internet“ stattfand. (Dieses Vorgehen ist meiner Meinung nach krass unverhältnismäßig, wenn es sich um Delikte handelt die im analogen häufig wegen Geringfügigkeit einfach eingestellt werden.)

    2. mw sagt: „Das Internet ist sowas von kaputt.“

      Das Internet ist ein Begriff, keine Sache.
      Kann ein Wort kaputt gehen? Wie?

      1. Es gibt kein „Das Internet“.

        Es gibt eine Sammlung von unabhängigen Netzen die meinander verbunden sind und mit dem selben Protokoll kommunizieren. Wer den Endpunkt des Netzes kontrolliert (idR dein Zugangsprovider) kann deine Perspektive kontrollieren (und Dinge ausblenden).

        1. Naja und das zusammengeschlossene erreichbare Netz ist eben „das Internet“, der Ort wo man mit diesen Protokollen alles mögliche adressieren und machen kann. Da gibt es kein zweites Internet von einem Ort aus gesehen o.ä. (Ja, abzüglich VPN…) Ich fahre auch nicht in die USA, um einen Server in deren Netz aufzusuchen. Bin jetzt nicht sicher, ob wir da lang wollten… Also jedenfalls, ist das Internet in der typischen Nutzersicht… Facebook. Ach nee, ich meine es ist etwas Nutzbares, mit Sachen drinnen. Und das wird als kaputt empfunden, wenn es nicht mehr so gut zu beuntzen ist – vielleicht?

          Aus der Schnittstellensicht in Deutschland/EU sind viele grundlegende Möglichkeiten mindestens konzeptionell kaputt, durch EU-Urheberrechtsreform, und den folgenden Sachen. Hass, Terror, Kinderpornographie, Altersverifikation ohne für Nutzer wie für Dienste niedrigschwellige und sichere Infrastruktur plus Frage der Privatsphäre der Nutzer, Datenzugriff ungeklärten Ausmaßes und Sinn seitens Ermittlungsbehörden, also ohne Eingrenzung auf Sinnfälligkeit, d.h. Vorabklärung der Widerspruchsmöglichkeiten je nach Dienstart bzw. Art der Daten, Sperrung und später ja vielleicht noch alles andere durch EU-Nachbarlandsbehörden, jetzt noch Chatkontrolle, vielleicht erfindet jemand in 100 Jahren dann noch Konzepte wie Free Speech, Fair Use, u.ä. Community, privatsphärenbezogen, keine Kuhfladen, sowas – den Nutzern Garantien geben können. „Kein Chat kein Problem“ gilt leider auch nicht. Es geht nicht, weil man sich so ziemlich alles vorbehält – ohne dass wirksame Barrieren gegen überbordende Ausweitung der schwerwiegensten Strafteten bestünden, nicht mal bei Mißbrauch bzgl. bestehender „Hürden“, selbst wenn ein Gesetz mal vor dem Verfassungsgericht scheitert, da es bis dahin gilt. Vom Moderationsprinzip habe ich bei den jüngsten Gesetzgebungsversuchen auch noch nichts gelesen, bzw. gehört, nur falls doch mal ein Forum oder ein Chat – alles ist auf Big Tech zugeschnitten, ohne die Schadwirkung der Gesetze auf eben jene einzugrenen, geschweige denn die Schadwirkung bzgl. alles anderen überhaupt erst zu prüfen. Die Urheberrechtsreform ist ein gutes Beispiel für Betrug der Wähler, u.a. weil die PR immer auf die großen Plattformen abzielt, sofort immer nur die Perspektive der bösen Rechtsbrecher oder der guten Urheber Scherenschnittartig bemüht wurde, Verunglimpfung der technisch hochbesetzten Demonstrationen (streiche einfach den Mob weg, so viele Selbständige und IT-ler sieht man sonst nicht über Normal-Null), dann das Gelüge um die Uploadfilter und die Verächtung der Fachwelt. Gerade mal die Tagesschau hat am Tag vor der Abstimmung im EU-Parlament noch ein Pro/Kontra o.ä. gebracht. Für ein Gesetz mit so eine Flächengüllenwirkung ist das extrem – extrem bemerkenswert.

          Es ist eben nicht geklärt, wohin die Gesetzgebung hingehen darf, und wo sie systematisch gestoppt zu werden hat – also wird „es“ immer wieder versucht. Wir haben keine derzeit wirksame Verfassung bzgl. des Internets und IT allgemein, weil die Politik absichtlich übersieht, dass die allgemeinen Schutzziele über das Digitale systematisch verfehlt werden, zudem die Verfassung mit Ansage, Nachlese und X-facher Wiederholung einfach ignoriert wird. Es ist so gesehen kaputt, das Internet. bzw. die Verfassung? Oder der Rechtsstaat? Die Demokratie? Illegaler Zustand, im Kreise.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.