53 Seiten soll das Dokument namens „TikTok Master Messaging“ umfassen. Für die Öffentlichkeit war es nicht bestimmt. Es wurde dem US-amerikanischen Tech-Medium Gizmodo zugespielt und beschreibt, wie sich TikTok nach Außen präsentieren möchte. Drei der vier Top-Prioritäten lauten demnach:
- den Mutterkonzern Bytedance herunterspielen
- die China-Verbindung herunterspielen
- KI herunterspielen
Gizmodo zitiert aus dem Dokument, veröffentlicht es aber nicht in voller Länge. TikTok hat sich gegenüber Gizmodo und netzpolitik.org nicht öffentlich geäußert, die Echtheit aber auch nicht bestritten. Das Dokument gibt einen seltenen Einblick hinter die Kulissen der einflussreichen Kurzvideo-Plattform, die selbst engagierte Creator:innen als „Black Box“ beschreiben.
Wie Gizmodo berichtet, handelt es sich bei „TikTok Master Messaging“ um ein Dokument beim Anbieter Google Docs. Es sei von knapp einem Dutzend Menschen bearbeitet worden und beinhalte Kommentare von sechs aktuellen oder ehemaligen TikTok-Angestellten. Das Dokument sei im März 2020 erstellt und im August 2021 zuletzt bearbeitet worden.
Öffentlichkeitsarbeit per Copy-and-Paste
Es ist zunächst professionell, wenn ein internationaler Konzern seine Öffentlichkeitsarbeit koordiniert. Ungewöhnlich ist es auch nicht, dass Unternehmen einige Statements auf Vorrat haben. Bei TikTok ist diese Praxis jedoch offenbar besonders ausgeprägt. Diese Erfahrung hat auch netzpolitik.org gemacht. Regelmäßig beantwortet die TikTok-Pressestelle spezifische Anfragen mit allgemeinen Statements, die anscheinend aus einem Fundus kopiert wurden.
„TikTok ist in China nicht verfügbar“ – dieses Statement haben auch wir schon per E-Mail erhalten, ohne danach gefragt zu haben. Eine ähnliche Botschaft auf Englisch steht laut Gizmodo im geleakten TikTok-Dokument. Offenkundig gehört es zu den Dingen, die das Unternehmen möglichst oft betonen möchte.
Das Kuriose an dem Leak ist die Wortwahl: „herunterspielen“. Es erweckt den Eindruck, dass TikTok an dieser Stelle vorrangig das Image im Blick hat, weniger differenzierte Fakten. Dass TikTok mit Bytedance einen chinesischen Mutterkonzern hat, ist ja nicht automatisch ein Problem. Bedenklich wird es, falls die autoritäre Regierung in China via Bytedance Entscheidungen von TikTok beeinflussen oder Zugriff auf sensible Daten erlangen könnte.
Auf einen prägenden Einfluss von Bytedance gibt es Hinweise. Im Juni haben interne Mitschnitte TikTok belastet. BuzzfeedNews wurden Aufzeichnungen aus Meetings zugespielt. Darin hieß es, ein „Master-Admin“ aus Beijing habe „Zugriff auf alles“. Eine Sprecherin antwortete BuzzfeedNews: „Wir wollen jeden Zweifel an der Sicherheit der Daten unserer Nutzer:innen ausräumen.“ Im Jahr 2019 haben wir aufgedeckt, wie TikTok Inhalte kontrolliert, unterdrückt und lenkt.
Nachrichten-App soll China-freundliche Inhalte gepusht haben
Eine neue BuzzfeedNews-Recherche liefert weitere Hinweise darauf, wie Bytedance politischen Einfluss ausüben könnte. Demnach soll Bytedance mit einer App namens TopBuzz pro-chinesische Nachrichten in den USA verbreitet haben. Die App hat im Jahr 2020 den Betrieb eingestellt. Die Recherche stützt sich auf Aussagen von ehemaligen Mitarbeiter:innen. Demnach hätten TopBuzz-Angestellte etwa Panda-Videos oder China-Reisetipps gut sichtbar in der App platzieren sollen.
Wir recherchieren weiter zu TikTok und Bytedance. Hast du Hinweise? Hier erreichst du Sebastian per E-Mail und Messenger, am besten mit einem Gerät, das nicht deinem Arbeitgeber gehört.
BuzzfeedNews berichtet auch von mutmaßlicher Zensur bei TopBuzz. Das Unternehmen habe etwa Artikel über den chinesischen Präsidenten Xi Jinping entfernt und Berichte über die demokratischen Proteste in HongKong. So hätten es fünf Mitarbeiter:innen berichtet. ByteDance bestreitet die Vorwürfe gegenüber BuzzfeedNews: Die Behauptung, dass TopBuzz „pro-chinesische Regierungsinhalte in der App angepinnt oder dafür geworben habe“ sei „falsch und lächerlich“.
TikTok versucht die Flucht nach vorn
Nach den Veröffentlichungen von BuzzfeedNews und Gizmodo kündigte TikTok am 27. Juli neue Maßnahmen zur Transparenz an. Künftig sollen „ausgewählte“ Forscher:innen über eine Schnittstelle neue Zugriffe erhalten, etwa auf öffentliche, anonymisierte Daten über Inhalte und Aktivitäten auf TikTok. Auch Einblicke in das automatische System für die Moderation von Inhalten soll es geben. Die Forscher:innen könnten demnach eigene Videos hochladen und überprüfen, ob TikTok sie automatisch erlaubt, zurückweist oder an menschliche Moderator:innen weiterleitet.
Forschende sollen außerdem Zugriff auf die geheimen Listen mit Wörtern erhalten, mit deren Hilfe TikTok bedenkliche Inhalte filtert. Über solche Wortfilter hatten unter anderem netzpolitik.org und die Tagesschau im Frühjahr berichtet. Die Filter bewirken schon jetzt, dass Nutzer:innen auf TikTok aus Vorsicht ihre Wortwahl einschränken. Sie befürchten, dass TikTok sie für manche Begriffe abstraft, und schreiben Dinge wie „Depression“, „Drogen“ oder „Sex“ absichtlich falsch. Diese Art von vorauseilender Selbstzensur hat einen eigenen Namen: Algospeak. Das Problem gibt es auch bei Instagram.
An dieser Praxis möchte TikTok anscheinend nichts ändern. Die Transparenz-Bemühungen des Konzerns haben ihre Grenzen. Wie TikTok in dem Blogbeitrag schreibt, soll die Öffentlichkeit weiterhin keinen Zugriff auf die Liste bedenklicher Wörter bekommen. TikTok wolle „böswilligen Akteur:innen“ keine Anleitung geben, wie sie Schutzmechanismen unterlaufen können. Was TikTok an dieser Stelle nicht erwähnt: Auch gutwillige Akteur:innen können sich nicht an die Regeln halten, wenn man ihnen diese Regeln verheimlicht.
The director of GCHQ, Jeremy Fleming, said he would encourage young people to use TikTok, despite a campaign pledge by the prime minister, Liz Truss, to “crack down” on the Chinese video app and companies like it.
https://www.theguardian.com/technology/2022/oct/11/tiktok-young-people-gchq-chief-jeremy-fleming
Geheimdienste lieben die großen Plattformen, besonders aber wenn sie dem Systemgegner gehören.