Das Wetter checken, sich in der Stadt zurechtfinden oder mit Freund*innen schreiben: Smartphones sind längst kein Luxusprodukt mehr, sondern für die meisten Teil des Alltags. Das gilt auch für die hunderttausenden Wohnungslosen in Deutschland.
Als wohnungslos gelten Menschen, die keinen Wohnraum haben, der durch einen Mietvertrag oder eigenes Eigentum abgesichert ist. Obdachlos sind diejenigen von ihnen, die gar keine dauerhafte Unterkunft haben und beispielsweise nicht bei Bekannten unterkommen können. Wie viele Personen betroffen sind, lässt sich schwer genau bestimmen, im Januar 2022 übernachteten 178.000 Menschen in Notunterkünften.
Lutz Schmidt war bis 2012 selber wohnungslos, jetzt lebt er in einer Einrichtung gemeinsam mit anderen ehemals Wohnungslosen. 2019 hat er die Selbstvertretung Wohnungsloser Menschen mitgegründet, die sich als „Sprachrohr aller obdach- oder wohnungslosen Menschen im deutschsprachigen Raum Europas“ versteht. Er ist Vorstandsmitglied des Vereins und gibt Workshops zum Umgang mit Smartphones und dem Internet für Menschen, die aktuell auf der Straße leben.
Die Technik macht vielen Angst
Auch als er selber wohnungslos war, hatte er schon ein Handy. „Damals noch so einen alten Knochen“, sagt Schmidt. Für Computer und die Digitalisierung hat er sich schon immer interessiert. Mit seinen Workshops möchte er anderen die Angst vor der Technik nehmen. Viele Wohnungslose hätten Angst, Handys zu benutzen, sagt er. Sie würden sich davor fürchten, ausspioniert zu werden, indem etwa ihr Aufenthaltsort registriert wird. Dazu kommt die Sorge, nicht richtig mit der Technik umgehen zu können.
In den Workshops sei es deshalb wichtig, mit den Menschen auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten und auf ihre Fragen zu den Geräten einzugehen. „Ich hab viele schon davon überzeugen können, dass sie damit arbeiten“, sagt er. Durch den Zugang zum Internet ergäben sich neue Möglichkeiten: Die Kommunikation untereinander oder etwa mit dem Arbeitsamt werde leichter. Auch können sich Betroffene so über Hilfsangebote zu informieren. „Man hat dann nicht mehr diesen sturen Blick auf die Platte, wo man gerade ist, sondern kann ein bisschen weiter rausschauen in die weite Welt“.
Durch die Coronapandemie kamen neue Probleme hinzu. Die Menschen verbrachten mehr Zeit in ihren Wohnungen. Wer auf der Straße lebte, hatte plötzlich weniger Geld durchs Betteln zur Verfügung. Laut Schmidt konnten es sich viele dadurch nicht mehr leisten, ihr Handy-Guthaben aufzuladen. Die Ämter waren geschlossen und viele Angebote ohne Internetzugang nicht mehr erreichbar. „Das ist eine sehr schreckliche Situation für die Wohnungslosen gewesen“.
Auch die Selbstvertretung Wohnungsloser Menschen hat ihre Arbeit während der Pandemie ins Internet verlegt. Einige Treffen finden immer noch über Zoom statt. „Wir haben dann gemerkt, dass viele gar nicht erreichbar waren, sei es durch keine Zeit, kein Geld oder keine Geräte“. Seitdem es wieder möglich ist, sich persönlich zu treffen, sei es besser geworden, berichtet Schmidt.
Projekte verteilen Handys an Wohnungslose
Der Verein arbeitet aktuell an zwei Projekten, die sich mit der Digitalisierung beschäftigen. Im Projekt „Stein auf Stein“ in Bayern geht es darum, Wohnungslose mit Geräten auszustatten und sie im Umgang mit diesen zu schulen. Auch hofft die Selbstvertretung durch das Projekt, neue Mitglieder zu finden. Ein ähnliches Projekt hat der Verein im Rahmen des Förderprogramms „Internet für alle“ von Aktion Mensch.
Auch ein Forschungsprojekt an der Universität der Künste in Berlin möchte die digitale Teilhabe auf der Straße verbessern. Mit dem „MOWO-Projekt“ untersuchen die Wissenschaftler*innen, wie Wohnungs- und Obdachlose mobile Medien nutzen und welche Probleme sie dabei haben. Dazu führten sie im Jahr 2021 mit obdachlosen Menschen in Berlin eine Umfrage durch. Außerdem verteilten sie kostenlose Smartphones und SIM-Karten an Obdachlose, die davor für längere Zeit keines besessen hatten und begleiteten sie in den darauffolgenden Wochen.
Einige Ergebnisse des Forschungsprojektes hat der wissenschaftliche Mitarbeiter David Lowis Ende 2021 im Berliner Straßenmagazin „Karuna-Kompass“ vorgestellt. 99 Prozent der Menschen, die von den Forscher*innen ein Handy bekamen, hatten in der Vergangenheit schonmal eines. Doch wenn man in so prekären Verhältnissen lebt, ist es oft schwierig, ein Smartphone lange zu behalten: 44 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen ihr letztes Handy gestohlen wurde. Weitere 21 Prozent haben es verloren, bei fast einem Drittel ist es kaputtgegangen.
„Leider Gottes ist es so, dass das ein sehr begehrter Gegenstand ist“, sagt auch Lutz Schmidt. „So ein Smartphone muss man hüten wie seinen Augapfel, sonst ist es weg.“
Kein Ausweis, kein Handyvertrag
Ein weiteres zentrales Problem sei die Beschaffung von SIM-Karten. Wer in Deutschland eine kaufen möchte, muss seit 2017 seinen Ausweis vorzeigen. In vielen europäischen Staaten gibt es ähnliche Vorschriften, begründet werden sie oft mit der Bekämpfung von Terrorismus.
Menschen ohne festen Wohnsitz werden durch diese Regelung stark belastet, sagt Lowis. Auch Ausweisdokumente gehen oft verloren oder werden gestohlen. Einen neuen Ausweis zu beantragen, kostet Zeit und Geld. Besonders schwierig sei es laut Lowis für Menschen, die nicht aus Deutschland kommen. Ihnen fehlten oft die nötigen Dokumente.
Auch Lutz Schmidt kennt das Problem mit der SIM-Karten-Registrierung. „Viele haben keinen Ausweis oder möchten auch keinen. Klar kann man denen ein Handy geben, aber die Verträge bleiben ein Problem.“ Was wünscht er sich von der Politik? Es müssten mehr Geräte zur Verfügung gestellt werden, antwortet Schmidt. Auch der Zugang zu SIM-Karten und WLAN müsste vereinfacht werden.
Nur ein Smartphone reicht nicht
Allein mit dem Austeilen von Smartphones sei es aber nicht getan, schreibt Maren Hartmann, die Leiterin des MOWO-Projekts. Wenn die Menschen weiterhin auf der Straße lebten, ginge das Handy bald wieder verloren. Nur eine Wohnung reiche aber heutzutage nicht mehr aus, um in die Gesellschaft eingebunden zu sein, dazu brauche es auch digitalen Zugang. Sie spricht sich deshalb für ein Konzept aus, das sie „Housing First Plus“ nennt: Die Bereitstellung von Wohnraum und digitalen Medien.
Housing First ist ein Konzept aus den USA, auch in Deutschland gibt es inzwischen einige Projekte. Dabei bekommen Obdachlose eine Wohnung ohne zusätzliche Bedingungen wie etwa einen Drogenentzug. Zusätzlich werden die Teilnehmenden zum Beispiel bei der Jobsuche unterstützt und bekommen medizinische und psychologische Versorgung. Das Konzept ist eine Alternative zum sogenannten Stufenmodell, bei dem Wohnungslose erst dann eine eigene Wohnung bekommen können, wenn sie sich durch gutes Verhalten in Notunterkünften als „wohnfähig“ erwiesen haben.
Viele Housing First-Projekte melden hohe Erfolgsraten, in Berlin wohnten etwa nach drei Jahren noch 97,3 Prozent der Teilnehmenden in ihren neuen Wohnungen. Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung vorgenommen, Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden. Bauministerin Klara Geywitz will sich dazu auch ein Beispiel an Finnland nehmen, das die Housing-First-Strategie umsetzt. Dort ist die Zahl der Wohnungslosen seit 1987 von über 16.000 auf 3.950 gefallen.
Da es seit über einem Jahrzehnt fester politischer Wille war öffentliche WLANs zu unterdrücken, zu verhindern, oder die Betreiber zu kriminalisieren (damit der Abmahnanwalt Arbeit hat), kann man kaum auf Veränderung hoffen. Die deutsche Situation ist genau so gewollt. Mit der nächsten Bundesregierung unter Unions-Beteiligung dann wohl auch bald das „Bürger-Net“ nur noch mit Login per eID-Ausweis.
Persönliche Erfahrung: neues Handy, aber SIM-Karte noch im alten. Kein Problem, oder? es sind ja 3 „öffentliche“ WLANs in Reichweite. 5 Minuten später ist man dann schlauer und weiß, dass Vodafone, Telekom, und Netto zwar WLANs ohne Passwort haben, aber man ohne Anmeldung oder Ausweis trotzdem über keines der 3 Unternehmen ins Internet gelangen kann. Absolut bescheuert und echter Irrsinn für jeden der schon mal in irgendeinem anderen Land der Welt war (wo es anscheind keine Probleme mit „Internet-Seeräubern“ bei offenen WLANs gibt – oder aber die politische Kaste einfahc nicht den neurotischem Wahnvorstellungen der Content-Industrie erlegen ist).
>> Die deutsche Situation ist genau so gewollt. <<
Weil nicht Gemeinwohl und Teilhabe Priorität haben, sondern Förderung konsumierenden Verhaltens zum Wohl der Wenigen.
Digitale Teilhabe ist zwar ganz nett gemeint, aber letztlich ein Potemkinsches Dorf, wenn schon normale analoge und physische Teilhabe nicht funktioniert.
Wer mit seinem Konsum seine Außenfassade nicht mehr aufrecht erhalten kann oder will, der steht ganz schnell am Rand der Gesellschaft und erfüllt dem ihm zugedachten Zweck nicht mehr. Und wer keinen Ausweis mehr besitzen kann oder will, der erfüllt nicht mal mehr den Zweck, verwaltet werden zu können. Jene aber haben den größtmöglichen Freiheitsgrad erlangt, im Rahmen verfügbarer Nahrungsmittel.
Wer das Vertrauen zu 110 und 112 verloren hat, dem nützt ein Smartphone in etwa so viel, wie einem der im globalen Süden lebt, und sich die Verführungen des globalen Nordens vor die Nase hält.
>>> Weil nicht Gemeinwohl und Teilhabe Priorität haben, sondern Förderung konsumierenden Verhaltens zum Wohl der Wenigen.
Was allerdings nicht nachhaltig ist. Recipe for disaster. Wann wandert mal Hirn ein? Lohnt es sich dann aufzuwachen?
>>> Digitale Teilhabe ist zwar ganz nett gemeint, aber letztlich ein Potemkinsches Dorf, wenn schon normale analoge und physische Teilhabe nicht funktioniert.
Naja, das Digitale bietet schon andere und „mehr“ Möglichkeiten. Entscheidender ist eher der „Gestaltungswille“, oder wenn man es sieht, der „Vernichtungswille“.
>> Wann wandert mal Hirn ein? Lohnt es sich dann aufzuwachen? <<
Zustimmung zu all dem, was links davor steht. Textproduktion um 04:17 Uhr und die Frage nach einem lohnendem Aufwachen erzeugt hämische Empathie. Nun gut, der schlafende Wurm überlebt erst mal den frühen Vogel.
Noch nie gab es so viel Hirn auf Erden, wie heute, konserviert wie noch lebend. Und dem frühen (oder doch späten) Autor reicht es immer noch nicht, wobei überaus wachsende Hirn-Populationen nicht friedlicher werden?
Die Qualität von Hirnen scheint „Anonymous“ weniger zu kümmern, als wann kommt von draußen Hirn rein, endlich – sozusagen. Bei feindlicher Intelligenz könnte es zum Aufwachen jedoch zu spät sein.
Disaster interessiert ueberhaupt nicht, solange es nur andere trifft. Nachhaltigkeit interessiert ueberhaupt nicht, wenn es nicht um die eigenen Privilegien geht.
Das gilt ja auch fuer Schule, Verkehr, Klima, Gesundheit: solange man selber mit viel Geld und guten Verbindungen gut leben kann, kann der Rest gerne den Bach runter gehen.
Die CDU hat das auf ihre Wahlplakate gedruckt und ist gewaehlt worden.
Ich lebe ohne Strom und ohne Mobilfunkvertrag.
Zum Glück in meinem eigenen Haus auch wenn Behörden in Bremen versuchen das zu verändern.
Meinen Internet-Zugang habe ich über eine Prepaid Karte von Congstar.
Den Strom dafür hole ich mir über PV-Zellen.
In der Zeit wo das Datenvolumen aufgebraucht ist habe ich trotzdem noch eine Verbindung von 64k.
Mehr wäre schön aber Mail und langsames Browsen geht.
Die Wohnungslosen_Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, wohnungslose Menschen dabei zu unterstützten, sich selbst zu Wort zu melden – allein oder gemeinsam.
Dazu zählt auch digitale Teilhabe.
Wenn Du also wohnungslos bist oder einen wohnungslosen Menschen kennst, eine einfache Anfrage per email an kontakt@wohnungslosenstiftung.org reicht: Sage wer Du bist und was Du brauchen könntest.
Mehr Infos unter http://www.wohnungslosenstiftung.org – dort kannst Du Dich auch in den Newsletter eintragen!