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BildungWarum wir ein Pflichtfach Informatik brauchen

Digitale Bildung für Kinder und Jugendliche ist aktive Kriminalprävention, sagt ein Cyberkriminologe. Informatikunterricht mindert soziale Ungleichheiten, zeigt eine Studie. Dennoch gibt es hierzulande noch immer kein einheitliches Lehrangebot. Dabei könnten wir von unserem Nachbarland Österreich lernen.

Ein weißes Gehirn, das farbig angeleuchtet wird vor einer weißen Wand
Die Schule formt unser Denken. Und deshalb brauchen wir auch digitale Grundbildung. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Milad Fakurian

»Lückenhaft und unterbesetzt« – so bewertet eine aktuelle Studie der Heinz Nixdorf Stiftung mit dem Titel „Informatik für Alle!“ den Informatikunterricht hierzulande. Die Verfasser:innen fordern, deutschlandweit einen verpflichtenden Informatikunterricht einzuführen. Digitale und informatische Kompetenzen seien wichtig für die gesellschaftliche Teilhabe, so ihre zentrale These. Erhebungen des Nationalen Bildungspanels zeigten zudem, dass ein fächerintegrativer Unterricht nicht ausreiche, um die Leerstellen auszufüllen.

Pflichtfach Informatik fördert die Chancengerechtigkeit

Die Studie legt einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der Chancengleichheit. Ein Pflichtfach Informatik könne demnach die Kompetenzunterschiede in ICT (Information and Communications Technology) zwischen Mädchen und Jungen ausgleichen. Statistische Erhebungen zufolge würden sich die ICT-Kompetenzen von Mädchen nahezu vollständig an das Niveau ihrer männlichen Mitschüler anpassen, wenn es einen verpflichtenden Informatikunterricht gebe.

Auch Kinder und Jugendliche aus wirtschaftlich benachteiligten Haushalten würden davon profitieren. Ohne verpflichtenden Informatikunterricht klaffen die ICT-Kompetenzen zwischen Jugendlichen der neunten Klasse aus sozio-ökonomisch starken Familien und solchen aus schwachen deutlich auseinander. Der verpflichtende Informatikunterricht verbessere die ICT-Fähigkeiten aller Jugendlichen dementgegen signifikant.

Würde die Informatik allerdings fächerintegrativ vermittelt, entwickelten Schüler:innen deutlich geringere Kompetenzen im ICT-Bereich als solche, die in einem eigens dafür vorgesehenen Fach unterrichtet werden. Erstere befänden sich sogar auf einem ähnlich niedrigen Kompetenzniveau wie Schüler:innen ohne jegliches schulisches Informatikangebot.

Informatikunterricht macht Lust auf mehr

Das ist aber nicht das einzige Manko. Denn das deutsche System gleicht derzeit auch noch einem Flickenteppich: Nur wenige Bundesländer bieten das Pflichtfach Informatik überhaupt an.

In zehn der insgesamt 16 Bundesländer wird Informatik als Wahlpflichtfach oder lediglich fächerintegrativ unterrichtet. Die jeweiligen Angebote unterscheiden sich erheblich hinsichtlich der Wochenstundenzahl und darin, in welchen Jahrgangsstufen das Fach angeboten werde. Den am stärksten ausgeweiteten Informatikunterricht haben laut Studie Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern im Angebot: Hier ist Informatik für einige Jahrgänge bereits Pflicht. In Bremen und Hessen gibt es in der Sekundarstufe I (Sek1) hingegen keine Möglichkeit, Informatik als Fach zu wählen.

Je nach Unterrichtsangebot in dem jeweiligen Bundesland unterscheide sich auch deutlich, welche Fächer die Schüler:innen in der Oberstufe wählen. 28 Prozent jener Schüler:innen, die in der Sek1 den verpflichtenden Informatikunterricht besuchten, wählten das Fach auch in der Oberstufe. An Schulen, die kein Pflichtfach Informatik anbieten, waren es hingegen nur 16 Prozent. In Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern wählten gar 36 Prozent der Schüler:innen Informatik in der Oberstufe, in Bremen und Hessen lediglich 9 Prozent.

Österreich macht’s vor: Pflichtfach statt integrativem Unterricht

Deutlich anders stellt sich die Lage im Nachbarland Österreich dar. Dort werden ab diesem Schuljahr junge Österreicher:innen in einem neuen Regelfach unterrichtet. Mit dem Angebot „Digitale Grundbildung“ will das österreichische Bildungsministerium (BMBWF) technische, mediale und digitale Kompetenzen von Schüler:innen stärken. Das Fach wird zunächst verpflichtend in den Klassen eins bis drei sowie in der Sek1 mit einer Stunde pro Woche gelehrt. Perspektivisch soll der Unterricht auf weitere Jahrgänge ausgeweitet werden.

Das neue Fach soll drei zentrale Fragen beantworten: Wie funktionieren digitale Technologien? Welche gesellschaftlichen Wechselwirkungen resultieren aus deren Einsatz? Und welche Interaktions- und Handlungsoptionen ergeben sich daraus für die Schüler:innen?

Die entsprechenden Inhalte sind in Österreich damit nicht länger in andere Fächer integriert, sondern werden in einer eigens dafür vorgesehen Stunde von Fachlehrkräften unterrichtet. Um dies zu ermöglichen, setzt das BMBWF auf eine mehrstufige Bildungsoffensive für Lehrkräfte: In Massive Open Online Courses (MOOC) sollen sich aktive Lehrkräfte „individuell und selbstgesteuert“ per Videokonferenz oder mittels eines neuen Moduls an Pädagogischen Hochschulen weiterbilden können. Darüber hinaus führt das Ministerium einen neuen Lehramtsstudiengang ein, der Fachlehrkräfte für die „Digitale Grundbildung“ ausbildet. 150 neue Stellen werden landesweit für das Fach eingerichtet.

Kultusexpert:innen empfehlen informatisches Pflichtfach

Auch hierzulande wird diskutiert, ob Informatik oder ein vergleichbares Fach, verpflichtend unterrichtet werden soll – und das nicht erst seit gestern: Bereits im Jahr 1984 kritisierte Der Spiegel die unzureichenden Computerkompetenzen von Lehrenden und Lernenden an den deutschen Schulen.

Und erst vor wenigen Wochen forderten Expert:innen der Kultusministerkonferenz, bundesweit ein Pflichtfach Informatik einzuführen. Informatische Bildung sei „ein wichtiger Bestandteil für erfolgreiche Teilhabe an der digitalisierten Welt“ – „daher [sollte] Informatik als Pflichtfach in der Schule eingeführt werden“, urteilen die Expert:innen in ihrem Gutachten. Sie fordern, dass digitale Kompetenzen bereits an den Grundschulen vermittelt werden.

GEW fordert integrativen Unterricht statt Pflichtfach

Spätestens seit diesem öffentlichkeitswirksamen Appell stehen die Kultusminister:innen unter wachsenden Druck. Denn obwohl Lehrkräfteverbände, Schüler:innenvertretungen und Jugendschützer:innen schon lange eine digitale Bildungsoffensive für Deutschland fordern, ist man sich uneins über deren Gestaltung.

Auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) steht Informatik als Pflichtfach bislang „eher kritisch“ gegenüber, so ein Sprecher. Die Gewerkschaft setzt stattdessen auf die Verknüpfung verschiedener informatischer und medialer Bereiche im Unterricht. Informatische Bildung dürfe nicht losgelöst von Medienbildung und Gestaltungskompetenz gedacht werden, so der Sprecher in Hinblick auf die österreichische Variante. Vielmehr müsse Informatikunterricht in sozio-kulturelle und geschlechtersensible Perspektiven eingebettet werden. Würde Informatik jedoch kurzerhand in den MINT-Fachbereich inkludiert, könnten diese Anforderungen nicht erfüllt werden.

Zudem befürchtet die GEW, dass ein neues MINT-Fach zulasten des Stundenbudgets der Gesellschaftswissenschaften geht. Sie verweist auf die Dagstuhl-Erklärung, in der zwischen anwendungsbezogenen, technischen und gesellschaftlich-kulturellen Lehrinhalten unterschieden wird. So könnten zum Beispiel Inhalte zu „Fake News“ im Deutschunterricht behandelt werden, während im Matheunterricht Algorithmen behandelt würden.

Medienbildung als Kriminalprävention

Thomas-Gabriel Rüdiger sieht in schulischem Informatikunterricht große Chancen. Er ist Leiter des Instituts für Cyberkriminologie an der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg und überzeugt, dass ein schulischer Fokus auf die Medienkompetenz großen Einfluss auf die Fähigkeit zum digitalen Selbstschutz bei Kindern und Jugendlichen haben würde. Gegenüber netzpolitik.org sagt er: „Jede Form einer strukturierten Vermittlung von Medienkompetenz in Deutschland an allen Schulen wäre bereits ein Gewinn“. Rüdiger plädiert daher für ein ähnliches Fach wie in Österreich: „Für mich würde die Vermittlung von Medienkompetenz an Minderjährige auch eine aktive Form von Kriminalprävention bedeuten.“

Dabei sieht der Kriminologe zwei wesentliche Herausforderungen: Zum einen müssten Minderjährige vor Übergriffen im Netz geschützt werden. Dazu zähle etwa die Aufklärung über Cybergrooming, der Umgang mit sexualisierten Aufnahmen und extremistischen Inhalten. Somit könne man im besten Fall verhindern, dass Kinder und Jugendliche Cyberkriminalität zum Opfer fielen.

Zum anderen müssten Jugendliche darüber unterrichtet werden, dass sie sich im Netz auch selbst strafbar machen können. „In diesem Jahr war erstmalig die Mehrheit der Tatverdächtigen, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik wegen kinderpornographischen Inhalten über das Tatmittel Internet auffällig wurden, selbst minderjährig“, gibt Rüdiger zu bedenken.

Zudem zahle sich eine frühe Bildung in Medienkompetenz auch langfristig aus: „Je mehr wir heute in die Vermittlung von Medienkompetenz investieren, umso medienkompetenter sind die Mitarbeiter:innen in der Zukunft, was sie im Bestfall widerstandsfähiger für Cyberangriffe macht“, so der Cyberkriminologe, „daher sollten wir alle ein Interesse an der strukturierten Vermittlung von digitalen Kenntnissen an Schulen haben.“

Mehr Bildung für mehr Jugendschutz

Ähnlich sieht dies die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ). „Je mehr Medienangebote auf die Interaktion von Nutzerinnen und Nutzern ausgerichtet sind, desto wichtiger wird der Selbstschutz von Kindern und Jugendlichen“, teilt die BzKJ auf Anfrage netzpolitik.org mit. Kinder und Jugendliche müssten lernen, mit verstörenden Inhalten, Cybergrooming, Kostenfallen und Mobbing umzugehen und wissen, wie sie notfalls Hilfe erhalten können. Ein verpflichtender Informatikunterricht könne dabei helfen, diese Fähigkeiten zu vermitteln.

Aus Sicht der Bundeszentrale soll die Vermittlung dieser Fähigkeiten bestenfalls so früh wie möglich beginnen. „Je früher die Vermittlung dieser Fähigkeiten fester Bestandteil des Unterrichts ist, desto wirksamer ist dies aus Perspektive des Kinder- und Jugendmedienschutzes.“ Denn Kinder würden digitale Angebote immer früher nutzen. Daher sei es „überaus positiv“, wenn Kinder und Jugendliche möglichst im jungen Alter über verpflichtende schulische Angebote bei der Mediennutzung unterstützt werden.

Diese Stimmen zeigen einmal mehr, dass es endlich eine bundeseinheitliche Lösung für die Vermittlung von Informatikkenntnissen braucht. Ein solcher schulischer Unterricht hilft den Schüler:innen – beim Selbstschutz vor Cyberkriminalität, bei der Überwindung von Genderungleichheiten und beim Erlenen zentraler Fähigkeiten für das alltägliche Leben. Und er stopft endlich jene Bildungslücken, über die wir bereits seit Jahrzehnten diskutieren.

27 Ergänzungen

  1. Ihr benutzt die Wörter „Chancengerechtigkeit“ und „Chancengleichheit“ kurz hintereinander.
    Welche unterschiedliche Wirkung glaubt ihr haben diese beiden Wörter?
    Welches ist für den Diskurs geeigneter?

  2. „Pflichtfach Informatik“
    Nicht nur einfach „Informatik“, sondern – ganz sicher – auch darin die Kategorie „Ethik in der Informatik“.
    Einige grundlegende Aussagen dazu hat Ingo hier:

    https://netzpolitik.org/2022/we-fight-for-your-digital-rights-sie-wollen-wissen-wie-viel-wir-wert-sind

    dargestellt.

    Dazu gäbe es noch viel zu sagen.

    In Schleswig-Holstein gibt es übrigens an drei Orten das Projekt „lokal.digital“, welches vom Landes-Kultusministerium gefördert wird:

    https://lokal.digital-sh.de/

    Das setzt mit den Aktionen und Angeboten genau dort an.

  3. 1. „Denn das deutsche System gleicht derzeit auch noch einem Flickenteppich“: Ja, natürlich. Und das wird auch so bleiben, unserer mittelalterlichen Kleinstaaterei sei dank. Das „derzeit“ und „noch“ kann man getrost streichen. In einer sich immer stärker globalisierenden Welt gilt hierzulande immer noch die berüchtigte „Kulturhoheit der Länder“, die das gesamte Bildungswesen einschließt! Das zu ändern, würde eine Verfassungsänderung benötigen, ist also illusorisch.

    2. Es wäre der Sache dienlich, wenn die Bildungsziele klar unterschieden würden. „Informatik“ ist etwas völlig anderes als „Medienkompetenz“. Vorrangig geht es um letztere; der Begriff „Informatik“ schreckt da eher ab. Es geht nicht darum, programmieren zu lernen. Auch mag es nett und interessant sein, selber (z.B. als Projekt) ein neuronales Netz zu konstruieren. Aber der Erkenntnisgewinn für das angestrebte Ziel ist gering. Was die Kinder und Jugendlichen lernen müssen, dreht sich um ganz andere Themen: Woher stammen die Daten über uns, mit denen die GAFAM Geld verdienen (und wie kann man sich gegen Verfolgung schützen)? Wie machen sie diese Daten zu Geld? Wie werden wir durch gezielte Werbung und Filterblasen manipuliert? Und so weiter.
    Vielleicht nennen wir das Fach noch anders, nämlich Internet-Kompetenz oder Internet-Führerschein. Wie wäre das?

    1. Ungefähr 100.000 unbesetzte Stellen für Informatiker in Deutschland und die Tatsache, dass Gesundheitsämter auch heute noch ihre Corona-Zahlen per Fax an das RKI senden, und unzählige ähnliche Beispiele aus allen möglichen Berufsgruppen machen deutlich, dass es mit der Erlangung von Medienkompetenz allein nicht getan ist.

  4. Und wer sorgt dafür, dass ein Pflichtfach Informatik nicht von der Bitkom, Apple, Microsoft & Co. zur Kundengewinnung und Kundenbindung gekapert wird? Ich habe Einblicke in eine „IPad-Schule“ – mit Informatik hat das wenig zu tun, was da gemacht wird.

    1. Da braucht man keine Angst haben: in Deutschland kommt das natürlich von Bertelsmann und den konservativen Verlagen.

      Wird also für Gegenwart oder gar Zukunft eher irrelevant sein, aber viel Steuergeld privatisieren.

      Wer Glück oder genug Geld hat, hat eine engagierte Lehrkraft, die trotzdem was draus macht. Wer wirklich genug Geld hat, dem ist es total egal, dessen Kinder erzielen später (aus)bildungsunabhängige Einkommen und können Interessen frei nachgehen.

    2. Na das fehlende Weltkunde Fach, in dem Manipulationsweisen, ihre Erkennung und Gegenmaßnahmen auf individueller, Gruppen- und Gesellschaftsebene durchgenommen werden.

  5. Manipulationskunde first? Könnte auch Weltkunde heißen, d.h. man fliegt hinaus, ohne die Grundlagen zu kennen, aber nährt sich den wesentlichen Eckpunkten letztlich bis hin zu mehr als einem allgemeinen Überblick.

    Da könnte Politik, Finanz, IT, Athen, Sparta, Rom, Ukraine, alles mit rein. Vertiefung dann in den anderen Fächern – aber real, daher muss es genügend Raum und Zeit auch für aktuelle Ereignisse geben!. Dazu sollte es schulübergreifende (wie Unis in Berlin z.B:) AGs und weitere anrechnebare (?) Kurse geben, bei denen man Vertiefung mit seiner Freizeit einkaufen darf. So eine Art von Allgemeinbildung mit Einschlag zu eigenständigem Denken, Überblick über wichtige Gebiete, und Anschlussmöglichkeiten, letztlich auch um Talente überhaupt entdecken zu können (- nicht nur Inseln und Leuchttürme!).

    Informatik sollte man gerade im Pflichtfach aber nicht zu dumpf machen, sonst verliert man die Menschen wie in Mathe. Welche theoretischen Grundlagen können wie wirklich behandeln, und wie gewichten wir die gegenüber einem gesottenen Überblick oder anderen allgemeineren Einschätzungsfähigkeiten und Allgemeinbildung? Darf man an Logiktafeln scheitern? Ist das vielleicht Zeitverschwendung? Sollte mit Tools gearbeitet werden (wer es braucht), dass man zumindest früh lernt Werkzeuge zu benutzen? Oder sollte man den richtigen Handwerkskurs erst machen, damit mehr Leute die Flucht in die Informatik wählen?

    Ich finde, auch aufgrund der Inkompetenz in der Gesetzgebung allgemein, sowie der problematischen Lehrplansetzung, dass man nicht einfach so Hauptfächer fordern sollte – das muss sehr weit und breit unterfüttert sein!

  6. Die Utopie wäre, alle lernen, wie das WWW funktioniert, was Scripte sind, wie Netzwerke aufgebaut sind und welche Aufgaben Server und Datenbanken erledigen. Dazu rudimentäre Kenntnisse in Quellenrecherche, Betriebssystemkunde, offene oder proprietäre Dateiformate und ihre Bearbeitung, Foto- und Videobearbeitung sowie Webprogrammierung. Dann noch ein paar Kurse zu social engineering, phishing, spam, exploit abuse, hate speech, fake news und Datenschutz und schon haben wir halbwegs trittsichere Internetuser

  7. Das kann ich so nicht unterstützen. Es geht nicht um Informatik, denn das ist die Wissenschaft von der systematischen Darstellung, Speicherung, Verarbeitung und Übertragung von Daten. Es geht um den Umgang mit digitaler Informations- und Kommunikationstechnik. Das problem ist, daß schon allein dafür die Lehrer fehlen, die vollkommen produkt- und technologieneutral Wissen vermitteln können. Dazu käme eine praktische Übung. Wenn Informatikunterricht eingeführt wird, dann heißt das nichts anderes als Werbung für Microsoft an staatlichen unjd für Apple an privaten Schulen. Die Kinder sollen schließlich früh auf bestimmte Produkte geprägt werden. Da das nicht zu verhindern sein wird, halte ich „Informatik“ als Pflichtfach für verfehlt.

    1. In der Tat sind das zwei große Problembereiche
      1. Umgang mit Technologie und ihren Versprechen (eher Allgemeinbildung).
      2. Frühere Spezialisierungsmöglichkeiten, für wer kann (wirkliches Interesse, Begabung, Vertiefung).

      Aus meiner Sicht brauchen wir dringenst beides, lediglich kann es nicht eine Veranstaltung sein, das haut einfach nicht hin.

      1. Im Gegenteil! Genauso wie in den allgemeinbildenden Schulen weder Holz- noch Metallbau gelehrt wird, braucht es keine frühe Vermittlung von Spezialwissen im Umgang mit Computern.

        Es muss einzig um den alltäglichen sicheren Umgang mit Computern gehen. Vorallem, dass man über einmal verschickte Daten keine Kontrolle mehr hat und Daten beliebig replizierbar sind. Kurz, dass Daten keine Dinge sind.

        Im Moment, und da sind auch M-V und Sachsen keine Ausnahmen, ist der Informatikunterricht extrem Microsoft-abhängig-machend. Das sehe ich als die größte Bedrohung für den Lernerfolg an. Das ganze Gerede von Ethik und digitaler Souveränität kann man sich klemmen, wenn man den Schülern, und die sind da nicht doof, vermittelt: Fresst Word und Powerpoint und Windows; das ist alternativlos; ihr bekommt sonst keinen Job. Ja, wenn DAS alternativlos ist, warum dann nicht auch die Chatkontrolle? Oder Vorratsdatenspeicherung? Da hat man als Lehrkraft keine Argumente mehr.

        1. Ein Mißverständnis. Mit „früh“ meinte ich vor der 12. Klasse, aber eben nicht so schwerwiegend wie ein Univorbereitungsurs im spezialisierten Gymnasium, und daher auch „früher“ möglich als in der Oberstufe – natüprlich nicht im Kindergarten, WOBEI sie genau das auch im Kindergarten lehren können, z.B.:
          – BÖSE KAMERA.
          – Laptoptaschen verstecken.
          – Auf Datenbrillen [Wort mit S].
          – …

          Was den Allgemeinteil betrifft, siehe 1.?

        2. „Es muss einzig um den alltäglichen sicheren Umgang mit Computern gehen“

          Doch noch ein „Im Gegenteil“ Post: Es geht darum, einige Konzepte zu verstehen.
          „Sicher mit einem Windows PC umgehen“ heißt eigentlich: „Aus dem Fenster werfen.“

          LEIDER geht das fast nur „ideologisch“, weil man sonst effektiv nichts beibringen kann. „Apps sind ein interessantes Konzept, das in der Realität so verwässert ist, dass wir es aus Sicherheitsgründen nicht empfehlen können, weil fast alle Hersteller dein Feind sind, auch der des Betriebssystems, das Apps unterstützt. Also baut euch euer eigenes OS, konfiguriert es selbst und wählt die Anwendungen sorgfältig aus“. (?) Das geht bestimmt „früh gut“.

          D.h. Sie meinten vielleicht Umgang mit Daten, mit Menschen mit sich. Den lernt man aber schon eigentlich am „fremden Mann“ – da müsste man jetzt endlich mal den Sprung vom Analogen ins Digitale schaffen, und aufhören, Geräte als Heilsbringer anzupreisen. Gleich die Gefahren aufzeigen… vielleicht mit Schockvideos? Diese Internetkannibalen vielleicht? Es gibt kaum so richtige Mittelwege, und ich sehe nicht, dass da eine kurze Formulierung so sehr greift.

          „Das ganze Gerede von Ethik und digitaler Souveränität kann man sich klemmen“
          Da kippen Sie von den Schienen! Gerade bei Ethik geht es um die Erweiterung des „ich schütze mich“, das ist natürlich aufbauend.
          Digitale Souveränität heißt auch nur, nicht von Herstellern abhängig zu sein, wenn Sie unbedingt wollen etwa „Windows nicht first, Apple and Android auch nicht“, aber letztlich berührt auch das die Frage, wie man denn eigentlich „ideologiefrei“ lehren kann. Der Grund ist natürlich der fehlende mathematische Beweis, und die Vermutung, dass eigentlich ein alternativloser Weg hauptsächlich ohne die Konzerne zu beschreiten ist. Man könnte z.B. alles ausschließen was über [irgendein Maß] Manipulationsmacht verfügt, oder in irgendeiner Weise flächig profitiert. Bei für den Zweck gebauter Hardware, in Batches von wenigen Herstellern könnte man eine Ausnahme machen, sollte man aber nicht – keine Logos, kein nichts. Nur Seriennummern?

          „Wir lehrten früh den Umgang mit dem Teufel.“ will dann auch keiner auf dem Grabstein stehen haben.

        3. Zur Güte noch ein Ansatz: der Zeitschnitt.

          Wir müssten da klären, worüber wir reden. Den Schülern (Microsoft-indoktriniert, Android-geschädigt, Apple-abhängig) also nicht erklären, was digitale Souveränität ist, oder Ethik, weil die das nicht kapieren.

          Dann ist doch klar: Mündigkeit auf 23. Unmündige raus. Aus dem Internet etc. Gesetze zurückschrauben, damit die Erwachsenen noch ein bischen Spass haben können, bis die heutigen Schüler als erwachsen gelten. Aber: Sourveränität und Ethik an den Schulen lehren, damit die Schüler von morgen dann verstehen, dass Chatkontrolle blöd ist.

          Nein, im Ernst: wir dürfen es Unternehmen nicht recht machen. Bringt den Schülern PRINZIPIEN bei, und wenn dabei alle Geschäftsmodelle der „modernen Welt“ bei draufgehen, weil keiner mehr mitmacht.

        4. Letzter Versuch, blos nicht alles veröffentlichen:
          „Im Gegenteil! Genauso wie in den allgemeinbildenden Schulen weder Holz- noch Metallbau gelehrt wird, braucht es keine frühe Vermittlung von Spezialwissen im Umgang mit Computern.“

          So ist es doch auch nicht gedacht. Nicht so früh, aber auch nicht so spezialisiert. Es braucht aber etwas dazwischen, was im günstigen ungeregelten Falle auch mal eine interdisziplinäre AG oder Lehrer verschiedener Fächer mittels (non-lethaler) Zusatzaufgaben gemäß Fähigkeiten bei Interesse „leisten“ können. Letztlich ist der Mittelbreich vielleicht der schwierigste.

          Schon die Prinzipien sind nicht leicht zu vermitteln.
          – Anderer Leute Geräte nicht benutzen.
          – Nicht in anderer Leute Kamera gucken oder rechtzeitig vermummen.
          – Keinen Ton, wenn andere ihre Geräte dabeihaben.
          – Nie Ausweise, persönliche Details oder Schlüssel in der nähe von Handykameras (und anderen) zeigen.
          – Nicht zuerst auf das Gesicht achten, oder wohin jemand zeigt, sondern wo die Hände sind, bzw. Fotohandies [Messer, Pistolen, Handgranaten, Kalasc…].
          – Verteidigende Ad-Hoc-Fotografie.
          – Nichts eintippen.
          – Nie mitsprechen, was man tippt.
          – Nicht mit dreckigen Händen tippen.
          – Auf gar keinen Fall Passwörter tippen wenn andere zugegen sind.
          – Passwörter nicht unter Kamerabeobachtung eintippen, und auch nicht „ja“ sagen, wenn andere aufnehmen könnten.
          – Nicht das Gesicht zeigen.
          – Keine Fingerabdrücke hinterlassen.
          – Geht es ohne Computer bzw. Smartphone?
          – (…)

          Wie lange die „Sicherheitskameras“ auf dem Schulhof dann wohl halten?
          Also heute ist das wieder so ein Tag…

        5. Also wir hatten „Werken“ und „Handarbeit“. Da hat man nicht nur den Umgang mit Nadel und Faden gelernt, sondern auch grob, wie man mit Metall und Holz umgeht, und vor allem auch, wie nicht.

  8. ‚digitale Souveraenitaet‘ hat mehrfache Bedeutung: von Staaten, von Firmen, von Personen …

    neben dem technischen Bereich (Geraete, Moeglichkeiten) und dem Gesellschaftlichen/Wirtschaft (Chomsky!!) auch die Mathematik (Denken auf Schienen _kann_ fuer Kids entspannend sein), wichtiger vielleicht die Psychologische Seite, die manipulativen Tricks unseres Hirns im soz Netz,
    wieder was fuer Aeltere?

  9. Der Informatikunterricht wie er derzeit praktiziert wird ist in keiner Weise geeignet „mehr Lust“ auf Informatik zu machen. Das sah ich bei meinen Kindern live und in Farbe. Vielmehr fehlt insgesamt eine entscheidende Komponente an den Schulen: Der Umgang mit der Realität und deren Herausforderungen! Wie eine CPU in Bits und Bytes funktioniert ist eine Sache für die Nerds. Genauso wie der Umgang mit Sprache und Büchern gelehrt wird, ist der Umgang und sinnvolle Nutzung von IT-Technik wichtig. Das fehlt aber gerade an den weiterführenden Schulen fast völlig und kann in der Familie nicht gänzlich substituiert werden. Das wäre mein Wunsch ans Bildungssystem. Mehr Bezug zur Praxis, dem täglichen, zu erwartenden Leben.

  10. Informatik und dann von digitaler Medienkompetenz reden??? Auch ist das Bedienen von Produkten (dummes Beispiel für jeden erkennbar: Excel etc.) keine gute Informatik die gelehrt werden sollte.
    Hier wird die Disskussion um die Steuererklärung für die Oberstufe als Pflichtfach nochmal aufgewärmt. Gute Idee aber total unsinnig.
    Genau wie dort ist Kompetenz im Bereich der Informtionsverarbeitung (Excel Powerpoint etc) bzw. der digitalen Medienkompetenz nicht mit einem 1:1 Unterricht etwas was nicht wirklich so vermittelt werden kann. Auch ist hier die gute alte Informatik AG mit C++ Basic oder was auch immer nicht geeignet diese Medien Kompetenz aufzubauen.

    1. Ich vermute also, dass hier die Themen der Hoffnung nach vermischt werden, u.a. weil die Expertise aus dem Fach natürlich für eine Einschätzung des Möglichen, aber auch der Risiken für eingeschlagene Richtungen, schon irgendwo mit vorkommen muss, wir aber auch dringend mehr Kompetenz in Wirtschaft und Politik (und der Zivilgesellschaft in der Breite) benötigen. Zivilgesellschaft in der Breite geht aber eigentlich nur über den Konsens, das auch adäquat zu lehren, also in öffentlich-rechtlichen Sendungen, in der Schule, als Pflichtkurse wie erste Hilfe, you name it.

      Nur kriegen viele Kids Geräte bereits in sehr jungem Alter vorgesetzt, und da gehört wirklich ein Schadensbegrenzungunterricht hin. Denn die Politik ändert sich garantiert gar nicht, wenn drei Politiker mehr etwas von Informatik verstehen – bei der Wirtschaft sieht es auf Dauer dann vielleicht anders aus, wenn in der Fläche mehr ankommt (was es wohl müsste, wenn es nicht nur drei Leuchttürme geben soll). Die heutige Politik kriegt aber schnell alles kaputt – so wird statt auf Aufklärung zu setzen, das Netz mit „Jugendschutz“ zugekleistert und wir erhalten eine dumme Barbarensprallohorde statt auch nur auf die Gegenwart vorbereiteten Nachwuchses. Eigentlich befüllt man damit die Kassen weniger Player, und das systematisch. Im Grunde eine Form des Verrats.

  11. Die GEW will (und muss, im Eigeninteresse) das Deutsche Bildungsideal hochhalten. Das liegt meiner Meinung nach immer noch im Ende 19.JH. mit Schwerpunkten auf Geistes- und Sozialwissenschaften. Nur verdienen Geistes- und Sozialwissenschaften kein Geld für die Volkswirtschaft (Geld verdienen ist im Rahmen des Deutschen Bildungsbürgertums ja auch anrüchig).
    Informatik und Technik wurzeln nicht im Deutsche Bildungsbürgertum, allenfalls noch Physik, Bio, Chemie, Medizin.
    Meine Schul- und Unibildung fand in 3 Ländern statt, die meiner Kinder in noch 2 anderen, und mein Berufsleben ist global (in einer MINT-Disziplin in der freien Wirtschaft).
    Nirgendwo sonst scheint die Schule derart agnostisch gegenüber MINT-Fächern, nirgendwo sonst ist die Frauenquote in diesen Fächern so niedrig wie in Deutschland.
    Man sollte dabei nicht vergessen dass Absolventen gerade der MINT Fächer überdurchschnittlich bezahlt werden und dass gerade diese Industrie weder auf Geschlecht noch Herkunft schaut.
    Ideal daher für Integration jedweder Art.
    Informatik gehört meiner Meinung als Pflichtfach ins Curriculum, ebenso wie Grundlagen der Wirtschaft.
    Fit fürs 21.JH statt Bildungsideal des 19.JH

  12. Was haltet Ihr in dem Zusammenhang von den Literaturquellen:

    1. Kamlah, W.; Lorenzen, P.: Logische Propädeutik – Vorschule des vernünftigen Redens, dritte Auflage, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 1998.

    2. Wedekind, H.; Ortner, E.: Toward Universal Literacy: From Computer Science Upward – An Appeal for More Extensive Expression and Understanding, in: Communication of the ACM, June 2004, Vol. 47, No 6, p. 101-104.

    Würde mich freuen, wenn wir darüber ins Gespräch kommen könnten.

    1. Und vielleicht Schülern ein gewisses Maß an Didaktik nahbringen, also durchaus mal Metaebenen beschreiten?

      Wenn man nicht nach Rom (und wieder zurück) will, gibt es sicherlich auch einige Wege, die man beschreiten könnte.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.