Wochenrückblick KW6Zwischen zu viel und zu wenig Regulierung

Viel ist passiert in der letzten Woche: Die Frontex-Files wurden veröffentlicht, ein Projekt zur Erfassung rechter Gewalt ging online und der BND ist weiterhin eine Gefahr für Journalist:innen. Wer vor lauter Schnee die netzpolitischen Nachrichten verpasst hat, sollte jetzt gut mitlesen.

Fuchs schläft.
Die Regierung schläft beim Schutz von Journalist:innen. – Vereinfachte Pixabay Lizenz Shingo_No

Beginnen wir in US-Amerika, dort hat sich 2014 Tech Workers Coalition in der Bay-Area und dem Silicon Valley gegründet. Mittlerweile gibt es auch eine TWC-Gruppe in Berlin. Wir haben mit Gründer Yonatan Miller gesprochen, der uns erklärt hat, warum digitale Gewerkschaftsarbeit mehr Aufmerksamkeit braucht und warum gewerkschaftliche Organisation auch für Tech-Arbeiter:innen wichtig ist.

Ebenfalls in den USA haben Polizist:innen des Beverly Hills Police Department offenbar versucht, Uploadfilter zu missbrauchen: Während ein Aktivist die Polizist:innen im Rahmen eines Live-Streams filmte, spielten sie auf ihren Mobiltelefonen populäre Songs ab – wohl in der Hoffnung, Instagram würde den Stream wegen Urheberrechtsverletzungen unterbrechen. Funktioniert hat das nicht. Aber könnte auch bald in Deutschland möglich werden: Trotz riesiger Proteste 2019 werden die Uploadfilter wohl kommen.

Vieles bleibt unklar

In der letzten Woche wurden in Deutschland viele Dinge beschlossen, die sich auf die Sicherheit unserer Daten auswirken. Zum einen einigte sich das Bundeskabinett auf einen Entwurf des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetzes. Es soll lange verschleppte EU-Vorgaben zum Datenschutz im digitalen Bereich regeln. Wie das Wirtschaftsministerium mitteilte, sei das oberste Ziel, „Rechtsklarheit für den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre in der digitalen Welt zu schaffen“. Doch vieles bleibt bei dem Entwurf uneindeutig. Die umstrittene Ausweis-Pflicht für Messenger soll zwar nicht kommen. Andere Vorgaben, unter anderem die Verpflichtung zur Bestandsdatenauskunft durch die Anbieter:innen von Telekommunikations- und Telemediendiensten, geben aus bürgerrechtlicher Perspektive dennoch Anlass für Sorge.

Offen geblieben sind auch einige Fragen zum 2. Open-Data Gesetz. Es scheint, als würden bei dem Thema der Offenen Regierungsführung Open-Data und Transparenz immer noch nicht zusammen gedacht werden. Und wie ist es zu erklären, dass auch im 2. Open-Data-Gesetz kein Rechtsanspruch auf die Bereitstellung offener Daten formuliert wurde? Vorreiter wird Deutschland bei diesem Thema so nicht.

Einfach mal machen?

Nach den Enthüllungen Snowdens musste das BND-Gesetz überarbeitet werden. Vieles von dem, was 2016 beschlossen wurde, stellte sich im Mai 2020 als verfassungswidrig heraus. Also nochmal ran ans Gesetz. Der neue Entwurf liegt jetzt dem Bundestag vor. Danach wären Journalist:innen und ihre Quellen weiterhin durch legalisierte Massenüberwachung und den Austausch von Metadaten zwischen Geheimdiensten in Gefahr. Reporter ohne Grenzen hat eine Kampagne gestartet, um den Druck auf Bundestagsabgeordnete für Nachbesserungen zu erhöhen.

Unabhängig von diesem weitreichenden Gesetz will die Große Koalition Geheimdiensten den Einsatz „kleiner“ Staatstrojaner erlauben. Inwiefern dieses Unterfangen nicht nur organisatorisch und technisch schwer umsetzbar ist, sondern auch verfassungswidrig, verdeutlichen Prof. Dr. Mario Martini und Forschungsreferentin Sarah Fröhlingsdorf.

Das BKA hingegen hatte einen großen Erfolg zu vermelden. Zu der Frage, ob dabei ganz legal vorgegangen wurde, wollen sich die Beteiligten aber nicht genauer äußern. In einer internationalen Aktion wurde die Infrastruktur der Schadsoftware-Familie Emotet, die allein in Deutschland einen Schaden von 14,5 Millionen Euro verursacht haben soll, vorerst unschädlich gemacht. Hierfür wurde offenbar in mindestens 40.000 infizierte IT-Systeme eingegriffen. Auf welcher Rechtsgrundlage das BKA dabei gehandelt hat, muss dringend geklärt werden.

Ein weiteres Gesetz, das verfassungswidrig und technisch schwer umsetzbar ist, ist das zur Antiterrordatei. In dieser speichern Polizei und Geheimdienste Daten, die potenziell gegen Terroranschläge von Nutzen sein könnten. Sie soll die Zusammenarbeit der Behörden erleichtern, in Wirklichkeit ist aber unklar, inwiefern die Datensammlung bei der Aufklärung oder Verhinderung von Anschlägen hilft. Klar ist jedoch, dass das Gesetz in Teilen gegen die Verfassung verstößt. Im Dezember wurde die Bundesregierung vom Verfassungsgericht bereits zum zweiten Mal dazu aufgefordert, das Gesetz zu überarbeiten. Die Bundesregierung wartet ab, sie scheint mit dem Konzept „Blankovollmacht für Überwachungsbefugnisse“ weiterzumachen.

Polizeigewalt und der Einsatz von biometrischen Daten

Netzpolitik.org sprach mit der „Kooperation gegen Polizeigewalt“, die als „Einzelfälle“ abgetane Ereignisse von Polizeigewalt untersuchen, um mögliche strukturelle Probleme aufzudecken. Die Initiative wurde als Protest gegen die Abänderung des sächsischen Polizeigesetzes gegründet.

Skepsis ist auch bei Predictive-Policing-Programmen angebracht. Florian Krahmer zeigt in einem Gastbeitrag die Schwachstellen der „vorhersagebasierten Polizeiarbeit“ auf. Und fordert die Diskussion über haftungsrechtliche Fragen zum polizeilichen Umgang mit biometrischen Daten und Prognosesoftware.

Frontex und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

Seit 2017 gibt es ein Gesetz, das dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlaubt, Datenträger auszulesen und auszuwerten. Schon bei seiner Verabschiedung äußerten Anwält:innen, Menschenrechtsorganisationen und auch die ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Es laufen bereits mehrere Klagen vor deutschen Gerichten, jetzt kommt eine Beschwerde bei Voßhoffs Nachfolger dazu.
„Das Datenschutzrecht gilt für alle Menschen, auch für Geflüchtete. Die Handydatenauswertungen sind damit schlicht nicht vereinbar“, sagt die Juristin Lea Beckmann, die die Verfahren koordiniert. Es liegt nun am BfDI, die Praxis zu untersuchen und einzugreifen.

Das ZDF Magazin Royal hat diese Woche die „Frontex-Files“ präsentiert, die jetzt auf den Servern von Frag Den Staat liegen. Nach Informationsfreiheitsanfragen hat die Organisation mehrere hundert Präsentationen zur Verfügung gestellt, in denen europäische Hersteller zum großen Teil militärische Technologien zur Sicherung der EU-Außengrenzen vorstellen. Die bereitgestellten Papiere enthalten vor allem Informationen zu möglichen Aufrüstungsplänen, wie dem Einsatz von Drohnen, Satelliten, hochauflösenden Kameras und Radargeräten, Muster- und Verhaltenserkennung sowie bleifreier Munition.

Was sonst so in Europa los war

Politik wird oft hinter verschlossenen Türen gemacht, auch in der EU. Was bei den Frontex Files geschehen ist, sollte Normalität werden. „FragDenStaat“ ermutigt mit einer Kampagne die Zivilgesellschaft, unveröffentlichte Dokumente einzufordern. Vorformulierte Anfragen nach dem EU-Informationsfreiheitsgesetz sollen es Bürger:innen erleichtern, per Mausklick an Verhandlungsunterlagen zu kommen.

Aufregung um die ePrivacy-Verordnung: Eigentlich soll sie Privatsphäre-Standards im Netz verbessern. Stattdessen verwässerten einige EU-Staaten im Rat das „digitale Briefgeheimnis“ und bauten die wichtige Reform zugunsten der großen Datenkonzerne um.

Der Journalismus steckt in einer Krise – die EU will mit Subventionen und mehr Transparenz im Werbemarkt nachhelfen. Google macht derweil, eigene Deals mit den Verlagen.

Auf gegen Rechts

Der Kampf gegen Rechts ist nicht so einfach. Neonazis sammeln private Daten, Telefonnummern Adressen oder ähnliches auf sogenannten Feindeslisten, die für die Betroffenen, die auf so einer Liste stehen, zu einer ernsthaften Gefahr werden können. Auch der damalige Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke stand auf einer Feindesliste, bevor er von einem Neonazi ermordet wurde. Ein neuer Gesetzentwurf gegen solche Feindeslisten könnte aber auch antifaschistische Recherche erschweren und so zu einer Gefahr für die Strukturen werden, die Betroffene schützen, indem sie beispielsweise Informationen zu rechtsradikalen Netzwerken veröffentlichen. Statt mit so einem Gesetz die Meinungsfreiheit zu gefährden und Journalist:innen einzuschüchtern, sollte es zunächst um konsequente Strafverfolgung gehen, sagt beispielsweise Martina Renner.

Auch das Rap-Duo Audio88 & Yassin greift in ihrem neuen Album „Todesliste“ Rechtsterrorismus auf. Nach fünf Jahren Pause geht es in den Tracks sehr politisch zu: Hassrede, Verschwörungsmythen, wegschauende Sicherheitsbehörden, die beiden Künstler thematisieren so einiges.

Eine gute Nachricht ist, dass weiterhin an der Transparenz und Aufklärung rechtsradikaler Vorfälle gearbeitet wird. Heute ist die neue Plattform Tatort Rechts an den Start gegangen. Das Open-Source-Projekt macht rechte Straftaten auf einer interaktiven Karte sichtbar. Die Daten stammen momentan von zwölf bundesweit verteilten Opferschutzverbänden, Vereinen und gemeinnützigen Organisationen. Das Projekt will für mehr Transparenz sorgen und kann als Recherche-Tool für Präventionsmaßnahmen verwendet werden.

Und außerdem…

Letzte Woche begann ein Streit zwischen der indischen Regierung und Twitter um Kontensperren. Hintergrund der Anfrage Indiens sind Proteste um eine neue Agrarreform, bei denen es zu gewaltvollen Ausschreitungen kam. Twitter sperrte über 200 Konten, gab sie jedoch nach weltweiter Kritik an dem Vorgehen wieder frei, woraufhin die indische Regierung dem Unternehmen mit Strafen drohte. Diese Woche hat Twitter eine offizielle Erklärung veröffentlicht, bevor es auf Anfrage der Regierung wieder Konten sperrte. Diesmal hat das Unternehmen jedoch Konten von Journalist:innen, Aktivist:innen und Medien öffentlich gelassen. Die indische Regierung sieht das als Verstoß gegen indische Gesetzgebung, Twitter beruft sich aber ebenfalls auf indisches Recht. Ob Twitter erneut Strafen drohen, wird sich erst noch zeigen.

Und zum Schluss eine kleine Vorschau, wie unsere Fernsehsender in Zukunft aussehen könnten. Leonhard Dobusch berichtet jede Woche aus dem Fernsehrat. Diese Woche stellt er das Strategiepapier des österreichischen Rundfunksenders ORF vor.

Und das wars von uns diese Woche. Wem das etwas zu viel zu lesen war, der kann sich aufs Wochenende freuen, da erscheint unser Podcast, in dem es wieder netzpolitische Themen auf die Ohren gibt. Schönes Wochenende!

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