Wer heutzutage über offene Datensätze spricht, stößt kaum noch auf Unverständnis. Das Thema ist mittlerweile im Bewusstsein vieler Unternehmen und staatlicher Institutionen angekommen. Am vergangenen Mittwoch haben sich Open-Data Expert:innen aus der Zivilgesellschaft, der Forschung und der Verwaltung getroffen, um sich über die jüngsten Entwicklungen im Bereich von offenen Schnittstellen und Open Government auszutauschen. Das Zusammenkommen fand im Rahmen des diesjährigen Berliner Open Data Days (BODDy) statt, den die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe organisiert hat.
Unter dem Motto „10 Jahre Open Data – Ein Blick in die Zukunft“ haben verschiedene Akteur:innen, etwa die Open Data Informationsstelle, die Senatsverwaltung und die Open Knowledge Foundation e.V. (OKF) ein vielschichtiges Programm zusammengestellt. Interessierte konnten die Vorträge auf der grünen Dachterrasse in Berlin Charlottenburg besuchen oder das Programm per Livestream verfolgen. Dieser ist auch noch nach dem Event auf YouTube verfügbar.
Als vor zehn Jahren der erste Berliner Open Data Day ins Leben gerufen wurde, war die Debatte um offene Datensätze noch lange nicht in der Gesellschaft angekommen. Über die Jahre schufen verschiedene Initiativen dafür auch mit praktischen Projekten ein wachsendes Bewusstsein. Die Corona-Pandemie hat nun eindrücklich gezeigt, dass in einer Krisensituation verschiedene Akteur:innen von transparenten und zugänglichen Daten profitieren. Damit war die Pandemie durchaus ein Katalysator für die Bereitstellung von offenen Daten. In einer Podiumsdiskussion sprachen unter anderem der Leiter der Forschungsdaten des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der „Datenzauberer“ Thomas Tursics von Code for Germany über ihre Erfahrungen mit Open-Data-Prozessen in der Pandemie. Der gemeinsame Tenor der Diskussion lautete: Die allgemeine Bereitschaft, Daten für die Öffentlichkeit herauszugeben, hat sich durch den Druck der Krisensituation deutlich erhöht.
„Das wäre ohne die Pandemie nicht passiert“
Dr. Linus Grabenhenrich, ein Vertreter des RKI, berichtet, wie sich das öffentliche Interesse an den Daten des Forschungsinstituts durch die Corona-Krise verstärkt hat. Er sieht die Tendenz, „dass überall begonnen wird Daten zu teilen“. Für ihn sei das ein Prozess, der zunächst von unten käme, also aus der Zivilgesellschaft heraus. Allerdings verfolge das RKI nun auch eigene Ambitionen im Bereich der Datentransparenz – angestoßen durch die Pandemie und den öffentlichen Druck. Laut Grabenhenrich soll das RKI Ende nächsten Jahres technologisch transparent sein, was bedeutet, dass das Institut datenbezogene Prozesse öffentlich mache. Dann soll für alle Bürger:innen und Institutionen nachvollziehbar sein, wie das RKI Daten verarbeite. Der Leiter für Forschungsdaten meint:
Vollständige Transparenz in der Behörde heißt, alles offen zu legen. Und nicht, weil wir dafür bezahlt werden, sondern weil die Gesellschaft uns als Institution ja erfunden hat.
Thomas Tursics ist für Code for Germany aktiv, ein Projekt, das ehrenamtlich Open Government Daten aufbereitet. Auch er erkennt, dass sich durch die Pandemie viel im Bereich Open Data bewegt habe. Die Bevölkerung begann sich plötzlich für Daten und Informationen zu interessieren, etwa für Inzidenzwerte, und habe so Druck auf die entsprechenden Institute gemacht. Der Datenzauberer, wie Tursic sich selbst nennt, sieht beispielsweise einen großen Fortschritt in der Freigabe von Gesundheitsdaten ohne Personenbezug. Der ehrenamtliche Aktivist sagt:“Die Bereitschaft Daten rauszugeben, weil die Bevölkerung die Informationen wissen möchte, das hat sich geändert.“
Die Datenjournalistin Helena Wittlich nutzt diese Gesundheitsdaten und informiert damit die Bürger:innen über das aktuelle Pandemie-Geschehen. Sie ist Redakteurin des Tagesspiegel Innovation Labs und spricht auf dem BODDy über ihre herausfordernde Arbeit während der Corona-Krise. So würden etwa viele Daten des RKI zeitverzögert erscheinen. Sie erklärt, dass durch die Pandemie ein Trend, weg von historischen Daten und hin zu sehr zeitnahen Dashboards, entstand. Diese Entwicklung spiegelt sich in vielen weiteren Projekten, etwa der digitalen Plattform des Stadtverkehrs, wieder.
Öffentlichen Daten für die Energiewende
Neben Gesundheitsdaten stehen viele weitere Berliner Datensätze bereit. Menschen finden sich auf sogenannten „Hackdays“ zusammen und bereiten diese Daten mit verschiedenen Projekten auf. Ein besonders nennenswertes Projekt entstand auf dem EnergyHackday, der sich zum Ziel gesetzt hat, mit öffentlichen Daten die Energiewende der Stadt zu gestalten.
Dr. Sandra Maeding präsentiert ein Dashboard, das die dynamische Photovoltaik-Einspeisung in Berliner Bezirken visualisiert. Das PV-Dashboard.Berlin greift auf verschiedene Datenquellen zu, etwa auf Quellen zur Solarstromversorgung und zum Stromverbrauch der Stadt. Das Dashboard stellt sehr zeitnah dar, wie viel Prozent des Strombedarfs durch Solarenergie gedeckt wird. Damit soll es als Analyse für das Berliner Energiesystems dienen. Für die Gestalter:innen der Energiewende ist es gerade im Bereich der erneuerbaren Energien notwendig, die sehr dynamischen Veränderungen der Stromgewinnung und des Stromverbrauchs quasi in Echtzeit vor Augen zu haben.
Drei Impulse für die Zukunft
Nicht nur der Berliner Open Data Day feiert sein zehnjähriges Jubiläum – auch die Open Knowledge Foundation e.V. ist seit zehn Jahren aktiv. Der gemeinnützige Verein beherbergt eine Vielzahl an Open-Data-Projekten und stärkt damit die digitale Zivilgesellschaft.
Henriette Litta, die Geschäftsführerin des OKFs, formuliert zu dem diesjährigen Open Data Day drei Impulse für die Zukunft. Sie fordert erstens einen Strukturwandel in der Open-Data-Szene, die keine einzelne Akteur:innen pushen solle, sondern sinnvolle Strukturen für offene Datenanwendungen aufbauen solle. Litta spricht von einem ganzheitlichen Blick auf Probleme. Sie meint, Data-Expert:innen sollen vom Problem her denken und nicht von den vorhandenen Daten. Sie betont, dass offene Datensätze ein wichtiges Instrument seien um beispielsweise die Verkehrswende zu bewältigen, dass sie aber nicht die alleinige Lösung sind. Zweitens wünscht sie sich eine engere Kooperation der Stadtverwaltung mit der Zivilgesellschaft und drittens spricht sie von einem starken Rahmen, der aus einer Berliner Open-Data-Strategie und einem echten Transparenz-Gesetz bestehe.
Damit spielt sie auf die konkurrierenden Gesetzesentwürfe des „Bündnis Volksentscheid Transparenz“ und des Berliner Senats an. Letzterer stand Anfang März in starker Kritik, da er einen Rückschritt zu dem bestehenden Informationsfreiheitsgesetz darstellt. Das Bündnis legte schon 2019 einen Entwurf vor, dessen rechtliche Prüfung allerdings erst kürzlich endete. Litta schließt sich in ihrer Rede der Kritik an dem Entwurf des Berliner Senats an und fordert stattdessen einen starken rechtlichen Rahmen, der die Verwaltung und städtische Unternehmen zu mehr Transparenz verpflichtet.
Die Geschäftsführerin des Open Knowledge Foundation blickt auf zehn ereignisreiche Jahre zurück. Sie zieht das Fazit, dass die Diskussion um Open Data nun aus ihrer Nische herausgekommen sei und nicht mehr allein von Aktivist:innen geführt werde.
0 Ergänzungen
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.