Im EU-Parlament gibt es selten mehr Einigkeit. „Wir warten seit Jahren darauf – bitte löst das endlich!“ Die niederländische Sozialdemokratin Christel Schaldemose bringt gestern Abend auf den Punkt, was Abgeordnete vor und nach ihr ähnlich sagen.
Anlass der Empörung: das Fehlen eines einheitlichen Ladegerätes für alle Handys. Das gibt es immer noch nicht, obwohl es die EU-Kommission vor elf Jahren erstmals angekündigt hat.
Die Vorteile eines einheitlichen Ladegeräts liegen auf der Hand: Für Konsument:innen wäre es bequemer, wenn alle Handys mit dem selben Kabel geladen werden könnten. Es geht aber auch um die Umwelt: Ein Standard-Ladegerät könnte eine Menge an Elektroschrott vermeiden.
Handy-Ladegeräte produzieren laut Schätzung einer neuen Studie im Auftrag der EU-Kommission bis zu 14.000 Tonnen Elektromüll pro Jahr, Tendenz steigend. Ein neuer Standard könnte nicht nur für Handy-Ladegeräte gelten, sondern auch für Tablets, E-Book-Reader und andere Geräte. Wenn alle gleich geladen werden, sinkt der Bedarf nach Ladegeräten.
EU-Kommission vertrödelt Ladekabel-Standard
Eigentlich sollte es seit einem Jahrzehnt ein einheitliches Ladegerät für alle Handys geben. 2009 kündigt die EU-Kommission ein Standard-Ladegeräte für alle Smartphones an. Die großen Handy-Hersteller unterschreiben damals auf Druck der EU eine freiwillige Übereinkunft für ein einheitliches Ladegerät auf Basis des Micro-USB-Standards.
Doch Apple unterläuft die Vereinbarung. Der Konzern schafft mit Lightning seinen eigenen Standardanschluss, darum können iPhones nur mit solchen Ladekabeln aufgeladen werden. Durch Lobbying verhindert die Digitalindustrie einen gesetzlichen Standard für Ladegeräte.
2014 stimmt das EU-Parlament für eine Richtlinie, die der Kommission künftig erlaubt, sogar ohne Zustimmung der Abgeordneten direkt ein einheitliches Ladegerät zu schaffen, per einfacher Verordnung.
Doch EU-Kommission beharrt auf einer freiwilligen Übereinkunft mit der Industrie. Nach Druck des EU-Parlaments gibt 2018 Kommissarin Elżbieta Bieńkowska lediglich eine Studie in Auftrag, die die Einführung eines einheitlichen Ladegerätes neuerlich prüfen soll.
Studie macht Druck zu Lösung
Seit drei Monaten liegt ein fertiger Entwurf der Studie vor. Doch die EU-Kommission weigert sich, die Ergebnisse der Studie zu veröffentlichen. Auf einen Antrag von netzpolitik.org nach dem EU-Informationsfreiheitsgesetz schickt uns die Kommission den 166-Seiten-Entwurf. Darin ist allerdings bis auf das Deckblatt fast alles geschwärzt.
Die Studie könnte die Kommission unter Zugzwang setzen. Der Studienautor präsentiert zuletzt ihre Ergebnisse vor einer Expert:innengruppe der Kommission. Zwar gebe es wegen der Umstellungskosten für die Hersteller „keine optimale Lösung“, ein einheitliches Ladegerät mit Standard-Anschluss sei jedoch die beste Variante.
Der Studienautor schlägt außerdem vor, neue Handys nicht mehr mit beigepackten Ladegeräten zu verkaufen. Die Zahl ungenutzter Ladegeräte soll so deutlich sinken.
Der Lobbyverband DigitalEurope, in dem Apple Mitglied ist, gibt inzwischen eine eigene Studie in Auftrag. Diese kommt wenig überraschend zum Schluss, dass ein verpflichtender Standard innovationsfeindlich wäre und zu mehr Produktfälschungen führen würde. Ähnlich hatte Apple bereits zuvor argumentiert.
„Wir ertrinken in einem Ozean aus Müll“
Im EU-Parlament herrschte am Montagabend Einigkeit über die Fraktionsgrenzen hinweg. „Wir ertrinken in einem Ozean aus Elektromüll“, sagt die Abgeordnete Róża Thun von der konservativen Bürgerplattform in Polen.
„Dieses Thema ist seit zehn Jahren am Tisch, es ist Zeit, dass wir endlich etwas unternehmen“, sagt die niederländische Liberale Liesje Schreinemacher. Ihre Fraktionskollegin Dita Charanzová aus Tschechien betont, der freiwillige Ansatz sei gescheitert.
Der französische Grüne David Cormand erinnert die Kommission daran, dass sie endlich ihre Studie veröffentlichen solle. „Die Lobbyisten reiben sich die Hände, wir haben genug davon“, ruft er in den Plenarsaal in Straßburg.
Der CDU-Abgeordnete Andreas Schwab erklärt, es gebe vielleicht Argumente gegen die erzwungene Vereinheitlichung von Ladegeräten. Es müsse aber zumindest für kabelloses Laden, das sich immer mehr verbreite, eine einheitliche Lösung geben.
Die Kommission möchte sich weiterhin nicht richtig festlegen. EU-Kommissar Maroš Šefčovič gesteht gegenüber dem Parlament ein, dass die bisherigen Bemühungen nicht ausreichend gewesen seien. Er verspricht, die Studie werde in den „nächsten Tagen“ veröffentlicht.
Definitive Ansagen macht Šefčovič aber nicht. Die Kommission werde sich „regulatorische und nicht-regulatorische Möglichkeiten“ ansehen – sie schließt also nicht aus, den Versprechen der Industrie nochmal eine Chance zu geben. Die Idee, vielleicht könnte es tatsächlich mal ein einziges Ladegerät und -kabel für alle Handys geben, bleibt dann wohl eine waghalsige Utopie.
> Doch Apple unterläuft die Vereinbarung. Der Konzern schafft mit Lightning
> seinen eigenen Standardanschluss
Wie immer, Apple macht sein eigenes Ding. Sind ja was besonderes :-)
Aber „löst“ sich das Problem nicht von selber, wenn USB4 kommt? Das ist doch ein verkapptes Lightning, also haben dann halt alle Lightning/USB4.
Wenn das damals konsequent umgesetzt worden wäre, hätten jetzt alle Handys für alle Zeiten Micro-USB, super. Mit aktuell USB-C sieht das natürlich etwas besser aus, aber trotzdem.
Und der einheitliche Stecker bringt ja nichts, wenn man die Kabel noch beilegt. Also müssen die Kabel aus den Verpackungen weg. Und das könnte man auch heute schon machen. Denn entweder man hat schon ein Kabel, oder man muss es halt dazu kaufen. Ob jetzt Lightning oder USB ist dann auch egal.
Mein Vorschlag: Wenn dann einfach Kabel als Beilage verbieten, Schnittstellen und Innovation weiterhin ermöglichen.
Wenn man den Gerüchte glaubt, wird Apple dem sowieso zuvor kommen, wenn das erste iPhone ganz ohne Stecker kommt.
Verstehe das Problem nicht: Ein USB-Ladegerät kann mit allen gängigen Smartphones etc genutzt werden, im Falle von Apple ist da einfach ein separates Kabel oder zumindest ein Zwischenstecker erforderlich.
Das wäre auch der Ansatz, um beigepackte Ladegeräte zu verbieten.
Es soll gerne Kabel dazu, allerdings muss schon spezifiziert und regelmäßig aktualisiert werden, nach welchem Standard so geladen werden kann (Protokoll, Spannungen, Ströme). Hier darf nicht ein lock-in auf eine spezifische USB-Version erfolgen, es muss schon ein „freies“ Protokoll sein, dass in Zukunft ohne Umweg über irgendeine Betoninstitution aktualisiert werden kann – dadurch sind die Netzteile tendentiell „smart“, dürfen aber von mir aus auch irgendein USB Verhalten annehmen (kein Smart = USB X.Y wie gehabt). Dafür muss wohl eine eigene Institution gegründet werden :).
Nur so lässt sich einerseits ein über- oder unterdimiensionierter Standard vermeiden, andererseits der Müll reduzieren, auch durch ellenlange Kompatibilität, wiederum andererseits ein „kann alles Ladegerät“ an „Spezialisten“ verkaufen, das 500A bei 3KV kann, bevor der Standard es verlangt :). Man darf halt nicht nur 5 bit nehmen…