Dieser Beitrag ist mit freundlicher Genehmigung dem heute erschienen Band „Recht gegen rechts“ entnommen. Der Report verzeichnet die Entwicklungen im Recht, die aus dem Kontakt mit rechten Tendenzen in der Gesellschaft resultieren, und bewertet sie. Alexander Hoffmann ist Rechtsanwalt in Kiel, verteidigt in Strafverfahren wie dem Münchener Kommunistenprozess und vertritt Betroffene nazistischer und rassistischer Übergriffe als Nebenklagevertreter, zum Beispiel im NSU-Verfahren oder im Gruppe-Freital-Verfahren.
Der alltägliche politische Meinungskampf ist seit einigen Jahren um eine Variante reicher: Abmahnungen und Anträge auf den Erlass einstweiliger Verfügungen im Auftrag von Aktivist*innen, Politiker*innen und Landtagsfraktionen gehören heute zum politischen Alltag. Mit Abmahnungen wird versucht, im Vorfeld von Artikel- und Buchveröffentlichungen Einfluss zu nehmen und auch, Veröffentlichungen vollständig zu unterbinden.
Wie der ehemalige Sprecher der Werteunion, einem reaktionären Zusammenschluss von CDU/CSU-Mitgliedern mit inhaltlichen Übereinstimmungen zur AfD, Ralf Höcker, es formulierte: „Jeder hat das grundgesetzlich verbriefte Recht, Journalisten zu beeinflussen und ihnen zu drohen! … Es ist also das gute Recht eines jeden Bürgers, Unternehmens oder Politikers, präventiv und reaktiv Einfluss auf journalistische Berichterstattung zu nehmen.“
Da wird beispielsweise eine antifaschistische Website abgemahnt, weil sie über „Lebensschützer_innen“ und ihre Allianzen berichtet und dabei auch einen evangelischen Pfarrer erwähnt. Dieser will es bereits verbieten lassen, dass sein Name auf einer Website genannt wird, die in ihrem Header die Frage »Was machen Nazis hier?« stellt. Der Pfarrer fühlt sich hierdurch als Neonazi denunziert. Sein Anwalt droht mit einer Unterlassungsklage, erhebt diese auch. Ein paar Monate später trifft man sich beim Landgericht, hier herrscht „Anwaltszwang“, die Verantwortlichen der Website müssen also einen Rechtsanwalt beauftragen. Schließlich wird die Klage abgewiesen.
Das Risiko bleibt, dass der Kläger kein Geld hat und die Website, obwohl sie gewonnen hat, auf ihren Anwaltskosten sitzen bleibt. Beispielhaft sei hier auf die gezielte Abmahnwelle gegen das Buch „Völkische Landnahme“ von Andrea Röpke und Andreas Speit im Ch. Links Verlag über völkisch-nationalistische Siedler*innen in Ostdeutschland hingewiesen. Das deutsche PEN-Zentrum nannte diese Abmahnungen ein Beispiel für Versuche, „die Meinungsfreiheit in Deutschland einzuschränken und Autor*innen durch juristischen Druck zur Selbstzensur zu bewegen“.
Abmahnungen und einstweilige Verfügungen
Traditionell spielten Unterlassungsforderungen im Presserecht vor allem bei spektakulären Meldungen in der Tagespresse und bei Buchveröffentlichungen eine Rolle. Für alltägliche Pressemeldungen schien das Instrumentarium des Presserechts zu schwerfällig – eine alltägliche Pressemeldung geriet zu schnell in Vergessenheit, als dass sich ein Rechtsstreit darum gelohnt hätte. Gegen Falschmeldungen wurde eher die Staatsanwaltschaft bemüht, jedenfalls soweit diese geeignet waren, auch beleidigend oder verleumderisch zu wirken.
Mit der fortschreitenden Internetnutzung sind Websites, soziale Medien und Internetausgaben von Zeitungen und Medienanstalten aber für die öffentliche Willensbildung immer wichtiger geworden. Darüber hinaus hat sich das Internet durch Suchmaschinen wie Google mehr und mehr zu einem Archiv entwickelt, in dem mit ein paar Klicks alles zu finden ist, was über eine Person jemals veröffentlicht wurde.
Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass neben dem klassischen Zeitungs- und Buchjournalismus auch freischaffende Journalist*innen und Medienkollektive immer größere Medienwirkung und Reichweiten entfalten konnten. Spätestens seit dem Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) in die Parlamente gewannen sie durch die investigative Berichterstattung über die Partei und ihr politisches Umfeld an öffentlicher Bedeutung. Berichte und Meldungen, die zum Teil auf spezialisierten Internetseiten oder über Twitter verbreitet wurden, finden mehr und mehr ihren Weg in die Leitmedien und stellen damit offenbar eine unmittelbare Bedrohung für die Partei und ihre Anhänger*innen dar.
Im Falle einer rechtswidrigen Veröffentlichung – in der Regel, weil in einer Veröffentlichung unzutreffende Tatsachenbehauptungen enthalten sind – kann zunächst eine sogenannte Abmahnung erfolgen. Eine beauftragte Rechtsanwaltskanzlei teilt denjenigen, die die Veröffentlichung zu verantworten haben, mit, dass diese nicht zulässig sei, und fordert sie auf, dies zu unterlassen und eine entsprechende strafbewehrte Unterlassungserklärung zu unterzeichnen. Wird dieser Forderung nachgekommen, so hat die abmahnende Partei Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten. Kommt die abgemahnte Partei der Forderung nicht nach, so kann die Abmahnende sich entscheiden, die Angelegenheit einfach auf sich beruhen zu lassen oder sich an ein Gericht zu wenden. Entweder im Eilwege, dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung oder einer „normalen“ Klage, bei der der Weg bis zu einem Urteil oft Monate oder Jahre dauern kann.
Ein Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird von einer Pressekammer beim Landgericht in der Regel innerhalb von einer bis vier Wochen entschieden, manchmal ohne Anhörung der Gegenseite. Ist der Antrag erfolgreich, ergeht eine einstweilige Verfügung; die unterlegene Partei muss unmittelbar nach Zustellung der Verfügung die beanstandeten Textpassagen löschen (im Internet) oder schwärzen beziehungsweise den Vertrieb einstellen (in Printmedien). Sie kann gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch erheben, dann muss das Gericht eine Verhandlung durchführen und ein Urteil fällen. Hiergegen kann Berufung beim nächsthöheren Gericht eingelegt werden. Alternativ oder zusätzlich können beide Parteien auch eine „normale“ Verhandlung, also ohne die Besonderheiten des Eilverfahrens, durchführen.
Es ist offensichtlich, dass hier aufgrund einer angegriffenen Äußerung bis zur endgültigen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit eine Vielzahl von Prozessen geführt werden kann: nämlich mindestens eine erstinstanzliche Verhandlung sowie eine Berufungsverhandlung im Eil- sowie im Hauptsacheverfahren.
Insbesondere bei Printveröffentlichungen muss in dem Moment, in dem eine Abmahnung eingeht – weil ja der Erlass einer einstweiligen Verfügung droht –, überlegt werden, ob bereits zu diesem Zeitpunkt eine sogenannte Schutzschrift an alle in Frage kommenden Gerichte beziehungsweise an das zentrale Schutzschriftenregister geschickt wird, denn der Abmahnende kann sich bei überregionaler Verbreitung ein Gericht seiner Wahl aussuchen. Wenn nämlich eine einstweilige Verfügung von einem Gericht erlassen wird, muss beispielsweise der Vertrieb eines Buches eingestellt werden, auch wenn gegen diese vorgegangen wird. Eine sogenannte Schutzschrift soll einem Gericht, dem ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vorliegt, Gegenargumente liefern. Entscheidet sich der Abmahnende allerdings, keinen solchen Antrag zu stellen, hat das abgemahnte Medium keinen Anspruch auf Ersatz der entstandenen Kosten. Dieser Anspruch würde erst mit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs auf Unterlassung entstehen.
Gerade (Internet-)Medien, die über keinerlei finanziellen Ressourcen verfügen, lassen sich auf diese Weise unter Druck setzen und zensieren nach Abmahnungen häufig ihre Meldungen, um das Risiko einer einstweiligen Verfügung und die damit verbundenen Kosten zu vermeiden.
Abmahnungen beeinflussen Berichterstattung
Im Zusammenhang mit den Massenabmahnungen wegen illegaler Downloads haben Rechtsanwaltskanzleien aus dem Bereich des unerlaubten Wettbewerbs und des Presserechts festgestellt, wie einfach es sein kann, die Berichterstattung von Journalist*innen und Medienplattformen ohne finanzielle Rücklagen zu beeinflussen. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass zu diesem Zweck jede erfolgreiche einstweilige Verfügung (seltener Klagen, weil sich das gerichtliche Verfahren lange hinzieht) die Grundlage für Dutzende erfolgreicher Abmahnungen darstellt.
Wenn es gelingt, gegen einzelne Journalist*innen oder Medienprojekte erfolgreich eine einstweilige Verfügung zu bewirken und dabei erhebliche Rechtsanwalts- und Gerichtskosten entstehen, wird dies leicht selbst zu einer Meldung. Die Streitwerte im Presserecht, auf deren Basis sich die Rechtsanwalts- und Gerichtskosten berechnen, sind naturgemäß hoch – immerhin handelt es sich immer um grundrechtsrelevante Fragen, entweder um das Persönlichkeitsrecht der Person, über die berichtet wird, oder um die Presse- und Meinungsfreiheit der Journalist*in, die berichtet.
Die Streitwerte beginnen daher in der Regel bei mindestens 5001 Euro, sehr häufig liegen sie bei 10000 Euro, oft bei dem Mehrfachen. Das bedeutet, dass bei einem Rechtsstreit in der Regel nicht weniger als 800 Euro pro Rechtsanwalt*in für die erste Tätigkeit anfallen, oftmals entstehen mehrere Tausend Euro Gesamtkosten. Damit fallen bereits im Rahmen einer einzigen einstweiligen Verfügung, soweit dagegen vorgegangen wird, Kosten an, die für ein nichtkommerzielles Medienprojekt oder freischaffende Journalist*innen existenzbedrohend sind.
Die Entwicklung der hier dargestellten juristischen Auseinandersetzung ist weiter davon geprägt, dass sowohl viele der Antragsteller*innen beziehungsweise Kläger*innen, als auch ein erheblicher Teil derjenigen Kanzleien, die in diesen Verfahren presserechtlich tätig sind, ihr juristisches Vorgehen als Teil beziehungsweise als Fortsetzung ihres politischen Kampfes verstehen. Dies bedeutet, dass die rechtlichen Gegner*innen in erster Linie als politische Gegner*innen verstanden werden, denen es möglichst großen Schaden zuzufügen gilt.
Vor allem in Fällen, in denen eine Meldung einzelner Journalist*innen oder eines Medienprojekts von Dritten übernommen wird, ist es beispielsweise möglich, mit Abmahnungen und Anträgen auf einstweilige Verfügung gegen jede weitere Verbreitung einzeln vorzugehen. Damit vervielfacht sich gegebenenfalls die öffentliche Wirkung des Geschehens.
Solche öffentlichkeitswirksamen Verfahren verbreiten Unsicherheit bei Medienprojekten und Journalist*innen. Das wird oftmals bei weiteren Abmahnungen genutzt. Die abmahnenden Kanzleien weisen in den oft sehr umfangreichen Abmahnschreiben mit regelmäßig viel zu hoch angesetzten Streitwerten und mitgeschickten Kostennoten für ihr Tätigwerden auf die finanziellen Risiken eines Rechtsstreits hin. In einem solchen Schreiben können vermeintlich für die Abmahnung entstandene Rechtsanwaltskosten nach eigener Einschätzung festgesetzt werden, oft doppelt so hoch, wie sie ein Gericht festsetzen würde. Dies erfüllt noch nicht den Tatbestand des Betruges, trägt aber natürlich ebenfalls zur Einschüchterung bei. Die Bereitschaft, eine bestimmte Behauptung nicht mehr zu verbreiten und eine entsprechende strafbewehrte Unterlassungserklärung zu unterschreiben, wird hierdurch natürlich drastisch erhöht, gleichgültig, ob tatsächlich eine rechtliche Verpflichtung hierzu besteht.
Besonders hart von solchen Abmahnungen getroffen sind Journalist*innen und Verlage, die Bücher veröffentlichen. Eine erfolgreiche einstweilige Verfügung kann dazu führen, dass eine gesamte Auflage nicht mehr vertrieben werden oder zumindest jedes einzelne Exemplar vor der Auslieferung geschwärzt werden muss. Natürlich sollte dementsprechend die rechtliche Überprüfung vor der Veröffentlichung besonders gründlich ausfallen, um dieses Risiko zu mindern.
Existentielle Bedrohung für Kleinverlage
In einem Rechtsstreit gegen eine Buchveröffentlichung ist es möglich und angemessen, zunächst mit einer Abmahnung oder einem Antrag auf einstweilige Verfügung gegen den Verlag vorzugehen. Nach Abschluss dieses Streits können anschließend die betroffenen Autor*innen und Herausgeber*innen einbezogen werden. Einen anderen Weg geht, wer entweder den Herausgeber*innen und Autor*innen unterstellt, sie würden sich ohnehin an eine gegen den Verlag ergangene einstweilige Verfügung oder einen zwischen Abmahnendem und dem Verlag getroffenen Vergleich nicht halten, oder der Gegenseite einfach nur maximalen Schaden zufügen will. Dann wendet sich die abmahnende Kanzlei gegen Verlag, Herausgeber*innen und Autor*innen, die jeweils einzeln abgemahnt werden. Die Kosten allein des außergerichtlichen Verfahrens vervielfachen sich dadurch.
Verlag, Herausgeber*innen und Autor*innen haben in einem solchen Fall die Möglichkeit, sich mit einer Schutzschrift an die Gerichte zu wenden, an die sich die antragstellende Partei wenden könnte, damit das Gericht keine einstweilige Verfügung erlässt, ohne die Argumente der Journalist*innen gehört zu haben, und mit der Verfügung beispielsweise die gesamte Auslieferung eines Buches gestoppt werden muss, was dann zu hohen Kosten führen kann.
Für den Fall, dass gar kein Antrag auf einstweilige Verfügung gestellt wird, bleiben die Kosten der Schutzschrift beim Verlag und den betroffenen Journalist*innen. Dies mag bei großen Verlagen und Magazinen Bestandteil ihrer Kostenkalkulation sein, kleine Verlage, Projekte und selbständige Journalist*innen kann dies aber existentiell bedrohen.
Man kann aber auch Abmahnungen schreiben, in denen teilweise falsch vorgetragen wird. Während in einem Antrag auf einstweilige Verfügung jede Behauptung unmittelbar bewiesen werden muss – entweder mit einem Dokument oder mit einer eidesstattlichen Versicherung –, kann in einem Abmahnschreiben erst mal alles behauptet werden.
So kann zum Beispiel in den Raum gestellt werden, man habe bereits eine erfolgreiche einstweilige Verfügung bezogen auf den zugrundeliegenden Sachverhalt bewirkt, oder es gebe bestimmte eidesstattliche Versicherungen. Man kann aber auch eine umfangreiche Abmahnung schreiben, aus der nicht einmal im Ansatz hervorgeht, welche konkrete Behauptung des streitgegenständlichen Textes eigentlich angegriffen werden soll. Beispielhaft sind auch umfangreiche Abmahnungen gegen Fotojournalist*innen wegen angeblicher Verstöße gegen die Datenschutzgrundverordnung durch Aufnahmen und Speicherung von Fotos.
Die adäquate Antwort auf die neuen Kampfformen im Presserecht muss seitens der Journalist*innen natürlich eine noch präzisere Recherche und vor allem Sicherung der Rechercheergebnisse sein. Auch muss die Schulung bezüglich der Zulässigkeit und der Grenzen journalistischer Veröffentlichung verbessert werden. Da dies Kleinstverlage und selbständige Journalist*innen alleine nicht leisten können, sind Journalist*innenverbände, Verlage und alle gefordert, die weiterhin einen unabhängigen, investigativen Journalismus bewahren wollen. Neben Schulungsangeboten muss der allgemeine Rechtsschutz verbessert werden. Wenn Großverlage Rechtsabteilungen haben, müssen Kleinstverlage, Projekte und selbständige Journalist*innen auf eine vergleichbare juristische Unterstützung zurückgreifen können.
„Recht gegen rechts“ wird herausgegeben von Nele Austermann et al. und ist erschienen im Fischer Taschenbuch Verlag. Alle Rechte vorbehalten © S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstraße 114, D-60596 Frankfurt am Main, 2020.
Können die auch ein Medienprojekte abmahnen das im EU Ausland hostet und die Autoren anonymisiert ?
Vielleicht würde es sich dann ja lohnen AfD kritische Inhalte auf Webseiten in Panama oder Island zu hosten oder sonstwo wo der Klageweg nicht so einfach möglich ist bzw. für die Rechten viel zu teuer wäre. Anonyme Hoster die per Bitcoin bezahlt werden können und so. Vielleicht wäre das ja mal interessant wenn Netzpolitik da mal die Möglichkeiten die es gibt aufzeigen könnte.