Mit Metaphern ist es so eine Sache. Vor einer Woche stellte Umweltministerin Svenja Schulze die Eckpunkte für die umweltpolitische Digitalagenda ihres Hauses vor. Anknüpfend an einen neuen Bericht des Umweltbeirats der Bundesregierung beschrieb sie die Digitalisierung als „Brandbeschleuniger für die ökologischen und sozialen Krisen unseres Planeten“.
Ihre Ansätze diskutierte die SPD-Ministerin auf der diesjährigen re:pubica mit Markus Beckedahl von netzpolitik.org und dem Forscher Tilman Santarius. Die Digitalisierung solle stattdessen zu einem „Brandlöscher“ umgestaltet werden, forderte sie hier. Brandlöschung ist meist eine dringende Sache. So eilig hat es ihr Ministerium fürs Erste jedoch nicht.
Über die Eckpunkte soll ein Jahr lang öffentlich diskutiert werden, bevor sie dann 2020 erneut auf europäischer Ebene besprochen werden. In dem Papier finden sich Fördermaßnahmen und einige wenige sinnvolle Gesetzesvorhaben, bei denen aber nicht immer klar ist, ob und wann sie eingebracht werden sollen.
Das Recht auf Reparatur
Das Umweltministerium greift in den Eckpunkten die wichtige Forderung nach einem Recht auf Reparatur auf. Die wachsende und vielfältige Reparaturbewegung fordert schon lange, dass Geräte länger genutzt und einfacher zu reparieren sein sollen. Es schont Ressourcen und verringert die Müllproduktion. Außerdem könnte man sich in einem Repair Café treffen und die Freude am Basteln teilen, anstatt regelmäßig neue Handys zu bestellen.
Für ein europaweites Recht darauf und eine IT-Designrichtlinie, wie es das Ministerium vorschlägt, müsste sich aber erst die EU-Kommission einsetzen. Dabei hätten dann auch das EU-Parlament und anderen Mitgliedsstaaten Mitspracherecht. Gleiches gilt auch für die bereits bestehende Öko-Design-Richtlinie für energieeffiziente Produkte, die ausgeweitet werden soll. Hersteller sollen stärker in die Pflicht genommen werden und für alle Prozesse zwischen Produktion und Recycling verantwortlich gemacht werden. Daneben gibt es eine Passage zum Elektroschrott, der nach wie vor teilweise illegal im Ausland entsorgt wird. Hier sollen bestehende Gesetze in Deutschland und Europa „überprüft“ und „wenn nötig“ verschärft werden.
In Deutschland setzt die Umweltministerin sich für das „Daten-für-Alle-Gesetz“ (pdf) ein. Es soll Daten als Gemeingut verfügbar machen und Unternehmen dazu verpflichten, nicht-personenbezogene Daten zu teilen. Es handelt sich um einen Vorschlag der SPD aus dem Februar. Jetzt kommt ein neuer Vorstoß aus dem Umweltministerium, das dabei aber auch auf die Unterstützung der anderen Minister:innen von der Union angewiesen sein würde. Auch in den Eckpunkten findet sich die im Koalitionsvertrag versprochene Änderung des Personenbeförderungsgesetzes, allerdings ohne Klarheit darüber, in welche Richtung es dabei gehen soll. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) versteht darunter vor allem die Legalisierung der zweifelhaften Geschäftsmodelle von Ride-Hailing- und Ride-Sharing-Unternehmen wie Uber oder Moia von VW, die bisher Umwege oder Ausnahmeregelungen nutzen, aber auf den vollen Marktzugang in Deutschland pochen. Dieser Wunsch würde laut einer Studie aus Boston mehr Autos auf die Straße bringen.
Bekanntes aus dem Koalitionsvertrag
Womit man bei der weichen Seite des versprochenen Ordnungs- und Handelsrahmens wäre: Anreize zur Transparenz und Fördergelder. In dem Bereich finden sich auch einige Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag wieder: Etwa, dass man ein Monitoringzentrum für Biodiversität schaffen will, den nachhaltigen Konsum stärken oder sich für nachhaltige Lieferketten einsetzen will.
Für ein anderes Vorhaben aus dem Eckpunktepapier, mehr Zugang zu Umweltinformationen, gibt es eine Regelung, die keine Erwähnung findet. Das Open-Data-Gesetz legt fest, dass Bundesbehörden ihnen vorliegende Daten möglichst öffentlich machen sollen. Das ist auch verbesserungswürdig, soll aber erst 2021 evaluiert werden. Markus Beckedahl brachte auf der re:publica ein Transparenzgesetz in Gespräch. Es könne auf Bundesebene dafür sorgen, dass der Staat auch weitere Informationen aktiv selbst veröffentlicht.
Welche Hürden es bei der Transparenz im Umweltbereich gibt, zeigt ein Beispiel: Das Bundesinstitut für Risikobewertung blockiert die Veröffentlichung eines Glyphosat-Gutachtens mit Verweis auf das Urheberrecht. Hier brauche es Klauseln, die öffentlich finanzierte Forschung verpflichtend der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt.
Das Motto: Erproben, entwickeln und erforschen
Auf kommunaler Ebene will das Ministerium 50 Modellprojekte für die Erprobung von Künstlicher Intelligenz für Nachhaltigkeit fördern. Die Kriterien dafür seien noch nicht festgelegt, sagte Svenja Schulze. Auch sollen Reallabore, Veranstaltungsreihen und Experimentierräume gefördert werden – und im Ministerium soll weiterhin einmal im Jahr ein Hackathon stattfinden. Umweltforscher Tilman Santarius forderte auf der re:publica, dass die Modellprojekte auch zu wirklichen Energieeinsparungen führen sollten.
Auch geplant ist, dass das Umweltministerium einen „Digital Innovation Hub for the Climate“ einrichtet, eine grüne Start-Up-Förderung. Der digitalen Industriepolitik der Bundesregierung („Industrie 4.0“) setzt das nicht viel entgegen, das Wirtschaftsministerium fördert zwölf solcher Hubs. Laut Umweltministerin Schulze müsse zudem „jedem Algorithmus Umweltschutz eingepflanzt werden.“ Dafür sollen Kriterien für nachhaltige Software-Entwicklung und Künstliche Intelligenz entwickelt werden. Auch soll das Umweltzeichen Blauer Engel auf weitere Arten von IT-Produkten ausweitet werden und ein Forschungszentrum für Digitalisierung und Nachhaltigkeit gegründet werden.
Konflikte mit den Digitalagenden anderer Ministerien
Welche der Vorhaben letztendlich auch wahr werden, hängt nicht nur vom Umweltministerium, sondern auch der restlichen Bundesregierung sowie der EU ab. Svenja Schulze lobte hier die Zusammenarbeit der Bundesregierung im Digitalkabinett: Eine „Offenheit“ für Fragen nach Nachhaltigkeit und Digitalisierung sei vorhanden. Die Debatte um Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist allerdings schon reicher und weiter fortgeschritten, als die Fördermaßnahmen, Gesetzesvorschläge und die Einjahresfrist zur Diskussion einer Agenda jetzt suggerieren. Dass Bürgerrechte, IT-Sicherheit und die Förderung demokratischer Prozesse auch ein Anliegen der Nachhaltigkeit sind, hielt vor Kurzem der Umweltbeirat der Bundesregierung fest. Der Vorsitzende warnte vor einem „digitalen Totalitarismus“. Die Forderungen der Bits und Bäume-Konferenz mit 2000 Teilnehmer:innen aus der Zivilgesellschaft gingen in eine ähnliche Richtung.
Nimmt man die Forderungen ernst, müssten sich innerhalb der Bundesregierung weitere Konfliktlinien zeigen, etwa mit dem Wirtschaftsministerium und der auf Wirtschaftsförderung ausgerichteten Digital Hub Initiative, mit dem Verkehrsministerium und der schleppenden Verkehrswende, oder mit dem Bundesinnenministerium und seiner offensiven IT-Sicherheitspolitik, die die IT-Sicherheit und die Bürgerrechte untergräbt. Diese Fragen auch im Kabinett anzusprechen und sich dazu zu positionieren, dabei wäre Svenja Schulze nun gefragt. Denn ein Brandbeschleuniger ist momentan auch die Bundesregierung, die ihre Umweltpolitik nur langsam vorantreibt und wichtige Klimaziele verfehlt.
Offenlegung: netzpolitik.org ist Medienpartner von Bits und Bäume. Ich habe bei der Organisation der Konferenz mitgeholfen.
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