Kurz vor Weihnachten fand in Ghana die erste afrikanische re:publica statt. Ich war dort und hab die Gelegenheit genutzt, mit der äthiopischen Aktivistin Berhan Taye ein Interview zu führen, die für Access Now an der globalen #keepiton – Kampagne gegen Internet-Shutdowns arbeitet. Am Mittwoch machte die Meldung die Runde, dass das Internet in Simbabwe abgeschaltet wurde. Da passt das Interview für den Kontext gut.
Die #keepiton-Kampagne hat einen offenen Brief an die Regierung von Simbabwe veröffentlicht: Joint letter on keeping the internet open and secure in Zimbabwe.
netzpolitik.org: Du arbeitest für „Access Now“ und machst dort die #KeepItOn-Kampagne. Worum geht es dabei?
Berhan Taye: #KeepItOn ist eine Kampagne gegen Internet-Shutdowns. Es handelt sich um einen Zusammenschluss von mehr als 175 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus verschiedenen Bereichen. Das sind nicht nur netzpolitische Organisationen, sondern die Koalition ist breiter aufgestellt: Sie arbeiten in den Bereichen Gesundheit, Informationsfreiheit und vielen mehr. Die Organisationen teilen den Grundsatz des freien Zugangs zum Internet. Insgesamt besteht die Koalition inzwischen aus Organisationen aus mehr als 65 Ländern. Wir kuratieren eine Liste von Internet-Shutdowns, den Hintergrund-Stories und weiteren Informationen, um den jeweiligen Regierungen klar zu zeigen, dass die Shutdowns inakzeptabel sind.
netzpolitik.org: Kannst Du einer deutschen Leserschaft erklären, was ein Internet-Shutdown ist?
Berhan Taye: Ich verwende gerne ein Beispiel: Ein Internet-Shutdown passiert nicht an einem ganz normalen Dienstag. Auch nicht wenn man gemütlich im Café sitzt und einen Tee trinkt. Typischerweise kommt ein Shutdown, wenn du eine Demonstration organisierst, weil deinem Volk oder deiner Community etwas Schlimmes widerfahren ist. Es passiert, wenn du für die nächste Wahl mobilisierst. Oder wenn du selbst für Menschenrechte auf die Straße gehst. Eines Tages entscheidet die Regierung einfach, dass Du heute online keine Stimme mehr hast und nichts posten darfst. Wortwörtlich schalten sie das Internet ab, damit du wie ein „vernünftiger Bürger“ die Füße still hälst und die jeweilige Regierung nicht in Frage stellst. Ich kann mir vorstellen, dass das für eine deutsche Leserschaft absurd klingt, aber wir hatten allein im Jahr 2018 188 Shutdowns, ein Großteil davon leider in Indien. In Indien finden mehr als 65 Prozent der Shutdowns weltweit statt. In Afrika hatten wir schon mehr als 18 Shutdowns und wir erwarten einen weiteren in zwei Wochen, wenn die Wahlen im Kongo anstehen.
netzpolitik.org: Hast Du selbst schon mal die Erfahrung eines Internet-Abschaltens gemacht?
Berhan Taye: Ja, leider zu oft. Für genauere Zahlen müsste ich mal in unserer Datenbank schauen, wie häufig das Internet in Äthiopien abgeschaltet wurde und ich betroffen war.
netzpolitik.org: Wie fühlt sich das an?
Berhan Taye: Wenn es nur ein technischer Zwischenfall wäre, dann wäre es ja in Ordnung. Leider passieren die Shutdowns, während man Schießereien hört. Sie passieren, wenn du nach deiner Familie suchst und dich vergewissern möchtest, dass es ihnen gut geht und sie nicht ermordet wurden. Du fühlst dich einfach nur machtlos und hast das Gefühl, zu ersticken. Auf der anderen Seite hilft es natürlich auch zu reflektieren, weil dir klar wird, in was für einem Abhängigkeitsverhältnis wir zur Online-Welt stehen. Du beginnst Virtual-Private-Networks (VPNs) zu nutzen und denkst ein bisschen darüber nach, mit wem und wie du vernetzt bist – online und offline. Internet-Shutdowns haben meine Karriere drastisch verändert. Ich konzentriere mich auf andere Dinge und ich habe festgestellt, wie viel Meinungsfreiheit mir eigentlich bedeutet. Insofern gibt mir das Ganze Kraft. Du kannst das Ganze auch von dieser eigenartig positiven Seite betrachten.
netzpolitik.org: Erreichen Internet-Shutdowns die Ziele, die Regierungen damit verfolgen?
Berhan Taye: Nein. Der häufigste Grund für einen Shutdown durch eine Regierung sind Demonstrationen. Wenn Leute auf die Straße gehen, gilt das als Gefährdung der nationalen und öffentlichen Sicherheit, und genau dann kommt typischerweise ein Shutdown. Auch bei Wahlen wird eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Hassrede und Falschinformationen als Grund herangeführt. Aber es ist einfach kein Zustand, jeglichen Internetzugang alternativlos mit der Begründung abzuschalten, Hassrede zu blockieren. Natürlich möchte ich Hassrede und Falschinformationen keineswegs verharmlosen: Beides sind Ursachen einer Menge gesellschaftlicher Gewalt in unserer jeweiligen Heimat, oder nicht? Aber Internet-Abschalten kann nicht die Lösung sein. Wir haben bisher nicht eine Regierung gefunden, die sagt „Oh, der Internet-Shutdown hat tausende Leben gerettet“ – nein, so läuft es leider nicht. Oft tritt der Shutdown sowieso erst in Kraft, nachdem sich die Informationen schon verbreitet haben. Infolgedessen treibt Panik und Chaos die Leute auf die Straße, weil es dann keine Alternative mehr gibt, an weitere Informationen zu kommen. Das ist eher kontraproduktiv und funktioniert nicht.
netzpolitik.org: Was sind Deine politischen Forderungen dazu?
Berhan Taye: Das ist doch klar: Schaltet das Internet nicht bei jeder Gelegenheit ab. Denn genau so fühlt es sich gerade an. Natürlich gibt es in vielen Ländern Gesetze und eine Verfassung, die eine gewisse Sicherheit für die Bürger garantieren. Wenn das Internet von einem ISP abgeschaltet wird, möchte ich in der Lage sein, dagegenzuhalten und sie zu verklagen. Andersherum erwarte ich eine Begründung, warum das Abschalten angebracht sein sollte. Ein rechtsstaatliches und unabhängiges Gericht sollte dann prüfen, ob das Abschalten gerechtfertigt war. Momentan entscheidet eine Person oder eine Gruppe von Politikern anhand von persönlichen Interessen darüber, wann ich eine Stimme habe, und das ist verfassungswidrig. Ich mag meine Meinungsfreiheit. Solange es keinen Gerichtsbeschluss gibt, der mir anhand einer triftigen und verhältnismäßigen Begründung verbietet, offen meine Meinung zu äußern, sollte mir auch kein Internet-Abschalten widerfahren. Besonders nervig ist die Tatsache, dass man selbst während eines Shutdowns weiterhin alle Rechnungen für bestehende Internetanschlüsse zu begleichen hat. Das ist unfair. Auch mal abgesehen von der Meinungsfreiheit: Es ist hier ganz normal, Leute für etwas zu belangen, das sie gar nicht benutzt haben. Es ist einfach nur verrückt.
netzpolitik.org: Danke für das Interview und viel Erfolg bei Deinem Einsatz gegen Internet-Shutdowns.
Berhan Taye: Danke, großartig.
Vielen Dank an Marie-Charlotte Matthes und Jonathan Schlue für Mithilfe beim transkribieren und übersetzen.
Hier ist das Interview als Video im englischen Original:
Ein interessantes Interview, da Internet-Shutdown bei uns nicht so verbreitetet sind.
Ein kleiner Fehlerteufel hat sich allerdings eingeschlichen: Insofern gibt mir das (G)anze Kraft.
Ansonsten danke für die super Arbeit
Tolles Interview. Habe bisher selbst zum Glück noch keinen Shutdown erlebt, kann mir die Machtlosigkeit jedoch sehr gut vorstellen. Keep fighting, Berhan!
Habe einen kleinen Fehler entdeckt: „Die häufigste Grund“
Danke, ist jetzt korrigiert.
Wie wird das technisch umgesetzt? Sie spricht von VPNs, also ist die Verbindung nach außen nicht komplett tot?