Im Dezember fand in Accra/Ghana die erste afrikanische re:publica statt. Dort habe ich den Vortrag der BBC-Journalistin Yemisi Adegoke gesehen und sie anschließend dazu interviewt. Adegoke war Teil eines Rechercheteams, das in einer Region in Nigeria untersucht hat, welchen Einfluss Falschmeldungen auf WhatsApp und Facebook auf religiöse Konflikte hatten: Like. Share. Kill. Nigerian police say false information on Facebook is killing people. Konkret geht um einen Fall im nigerianischen Bundesstaat Plateau. Dort kam es in Folge der Verbreitung von Falschnachrichten zu gewalttätigen Übergriffen auf Andersgläubige – mit mehreren Todesopfern.
Ich fand ihre Geschichte interessant, weil sie zeigt, dass Plattformen wie Facebook mitverantwortlich für Todesopfer sind, wenn sie keine Verantwortung für die Öffentlichkeit übernehmen, die sie herstellen. Statt in vernünftige Infrastrukturen, etwa ausreichend Fact-Checker mit Sprachkenntnissen, zu investieren, setzen sie schlicht auf Profit.
Vier Faktenprüfer für 24 Millionen NutzerInnen
netzpolitik.org: Hi Yemisi, worüber hast Du auf der re:publica hier in Accra gesprochen?
Yemisi Adegoke: Ich bin Journalistin bei der BBC. Gemeinsam mit Africa Eye habe ich recherchiert, welche Auswirkungen Desinformationen auf Gesellschaften haben. Wir wollten insbesondere Fälle aufdecken, bei denen Desinformationen einen realen Schaden verursacht haben. Recherchiert haben wir in Jos, das liegt im Bundesstaat Plateau in Nigeria. Die Polizei glaubt, dass elf Männer dort auf Grund von Desinformationen ums Leben gekommen sind. Mit ihrer Hilfe konnten wir diese Fälle identifizieren.
netzpolitik.org: Welche Bedeutung haben Facebook und WhatsApp in Nigeria?
Yemisi Adegoke: WhatsApp ist hier marktführend, wie auch weltweit. In dieser Hinsicht ist Nigeria dem Rest der Welt sehr ähnlich. Auch Facebook hat als Plattform eine enorme Bedeutung in Nigeria. 2016 hatte Facebook in Nigeria sechzehn Millionen NutzerInnen. Zwei Jahre später waren es schon vierundzwanzig Millionen. Viele junge Menschen nutzen Facebook, um sich mit dem Rest der Welt zu verbinden und um Informationen mit Freunden und Fremden auszutauschen. Es ist schon eine sehr große und einflussreiche Plattform in Nigeria.
netzpolitik.org: Während Eurer Recherche fandet Ihr heraus, wie viele Fakten-Checker es in Nigeria gibt. Wie viele sind es?
Yemisi Adegoke: Facebook leitet eine Initiative zur Überprüfung von Fakten durch Dritte. In Nigeria sind dafür zwei Partner zuständig: die französische Nachrichtenagentur AFP und die Nichtregierungsorganisation Africa Check. Wir haben herausgefunden, dass durch diese Partner tatsächlich nur vier Fakten-Checker in Vollzeit angestellt sind. Das heißt, es gibt vier Vollzeitbeschäftigte für vierundzwanzig Millionen NutzerInnen in Nigeria.
netzpolitik.org: Verstehen die Fakten-Checker alle Sprachen?
Yemisi Adegoke: Nein, das haben wir bei der Recherche ebenfalls herausgefunden. Keiner der vier Vollzeitbeschäftigten spricht Hausa, die meistgesprochene Sprache in Nigeria. Als wir Facebook mit diesen Informationen konfrontiert haben, haben sie uns mitgeteilt, dass sie ihren Teams einen Hausa-Support anbieten. Das heißt, wenn die Teams Hilfe der Übersetzung von Hausa brauchen, erhalten sie diese nach Bedarf. Aber es gibt niemanden, der Vollzeit in dieser Sprache arbeitet.
netzpolitik.org: Wissen die nigerianischen NutzerInnen, wie man Desinformationen melden kann?
Yemisi Adegoke: Das ist eine wirklich wichtige Frage. Viele Leute, mit denen wir vor Ort gesprochen haben, wussten nicht, wie man Desinformationen melden kann. Medienkompetenz ist generell ein zentrales Thema in Nigeria. Viele Leute sehen Desinformationen, sind aber unter Umständen nicht in der Lage, sie als solche zu identifizieren. In den Fällen, in denen Desinformationen erkannt werden, wissen viele Leute dann wiederum nicht, wie sie diese melden können. Ich meine damit auch Leute, die ziemlich gebildet sind. Sie wissen einfach nicht, wie man bei Facebook Desinformationen meldet.
netzpolitik.org: Was erwartest du von Facebook?
Yemisi Adegoke: In einem Markt mit vierundzwanzig Millionen NutzerInnen sollte man eine gewisse Verantwortung dafür übernehmen, wie die NutzerInnen mit der Plattform interagieren. Es sollte dabei nicht um Unternehmensexpansion oder die Einführung schicker, neuer Features gehen. Es ist notwendig, Verantwortung zu übernehmen und zu überprüfen, auf welche Weise die Menschen die Plattform nutzen. An Orten wie Jos oder auch in anderen Regionen in Nigeria sind Desinformationen kein Spaß, den die Leute einfach raus-tweeten. Sie führen zu ernsthaften Schäden in der realen Welt und sind damit eine gefährliche Angelegenheit, die sehr ernst genommen werden muss.
netzpolitik.org: Vielen Dank für das Interview.
Das klingt für mich merkwürdig: „Dort kam es in Folge der Verbreitung von Falschnachrichten zu gewalttätigen Übergriffen auf Andersgläubige – mit mehreren Todesopfern.“
Was für Falschnachrichten waren das denn? Und was sind Andersgläubige? Anders als was? Wären die Nachrichten richtig und nicht falsch gewesen, dann wären solche Ausschreitungen doch ebenfalls nicht in Ordnung. Ist das nicht das eigentliche Problem?
Wenn es hierzulande nach Falschmeldungen zum Lynchen eines Kinderschänders käme, würde man doch auch erst betonen, dass Lynchen generell falsch ist. Dass es eine Falschmeldung war, kann so verstanden werden, als ob es sonst in Ordnung wäre. Oder wollt Ihr genau das ausdrücken?
Das Um-den-heißen-Brei-Schleichen, was denn jetzt konkret die falsche Behauptung war, macht die ganze Meldung nebulös-fleischlos. Hat jmd. am falschen Tag angeblich Rasen gemäht? Wurde angeblich Schweinefleisch gegessen oder die heilige Jungfrau beleidigt?
Das viel größere Problem ist doch, dass die Menschen Facebook für eine seriöse Nachrichtenquelle halten. Oder es so benutzen, als wäre es eine.
Von Facebook zu fordern, mehr zu tun, um diesen Schein zu waren, erscheint mir in diesem Zusammenhang absurd. Auch 1000 Moderatoren ersetzen keinen Journalisten.