Neues Wissenschaftsurheberrecht im Rechtsausschuss: Kontroverse Anhörung, abgeklärte Abgeordnete

Die überfällige Reform des Urheberrechts für Wissenschaft und Bildung steht auf der Kippe: Verlagsvertreter versuchen das Gesetzesvorhaben mit Panikmache auf den letzten Metern zu stoppen. Ein Bericht von der Sachverständigenanhörung im Bundestag.

Sitzplan der Sachverständigenanhörung zum neuen Wissenschaftsurheberrecht CC-BY 4.0 Leonhard Dobusch

Bereits im Vorfeld der Anhörung zum Gesetzesvorschlag der Bundesregierung für eine Reform des Urheberrechts für Wissenschaft und Bildung, erschien in der Frankfurter Allgemeinen am Samstag ein Beitrag, wonach Heiko Maas mit seinem Entwurf „die freie Presse kaputt“ mache. „Faktenfrei und meinungsstark“ (Eric W. Steinhauer) belegt dessen Aufgeregtheit wieder einmal, dass bei jeder noch so kleinen Modernisierung des Urheberrechts immer gleich der Untergang des Abendlandes beschworen wird. Im Rahmen der heutigen Anhörung im Rechtsausschuss des deutschen Bundestags, an der ich als Sachverständiger (PDF meiner Stellungnahme) teilnehmen durfte, waren es vor allem Christian Sprang, der Justiziar des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, und Barbara Budrich vom gleichnamigen Verlag, die Untergangsszenarien beschworen und vor einer drohenden „Teilenteignung“ ohne Entschädigung warnten.

Unter den anwesenden Abgeordneten schien diese Sichtweise jedoch kaum Anklang zu finden. Quer durch alle Fraktionen wurde diese Wortwahl stattdessen als überzogen kritisiert und fast schon abgeklärt darauf verwiesen, dass ähnlich alarmistisch auch schon 2003 vor der Einführung jenes §52a UrhG gewarnt wurde, der u.a. mit dem neuen Gesetz ersetzt werden soll. Darauf wies beispielsweise auch Rainer Kuhlen vom „Aktionsbündnis: Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“, zu Beginn seiner Stellungnahme hin.

Etablierte Praxis legalisieren

Christoph Bruch, Repräsentant der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, wiederum betonte, dass die Bibliotheksbudgets ja auf Grund des Gesetzes nicht sinken und deshalb das für Verlage als Einnahmen potenziell zu verdienende Geld nicht weniger werden würde. Der größte Vorteil des Gesetzes liege darin, „dass das, was an Nutzung ohnehin stattfinden wird, legaler stattfinden wird.“ Denn nur legale Nutzungen können dann auch bei Vergütungen berücksichtigt werden.

Erörtert wurden außerdem noch einmal die Vorzüge einer Generalklausel für Wissenschaft und Bildung, wie sie die ebenfalls als Sachverständige geladene Katharina de la Durantaye in einem ausführlichen Gutachten empfohlen hatte. Sie plädierte dafür, den vorgelegten Regelungsvorschlag um eine Öffnungsklausel zu ergänzen, sodass auch zukünftige Nutzungsformen, die heute noch nicht absehbar aber den geregelten Fällen ähnlich sind, legal möglich wären.

Mir blieb hinsichtlich möglicher Substitutionseffekte, also dem möglichen Verzicht auf die Anschaffung eines Buches, weil 15 Prozent frei genutzt werden dürfen, auf den Fall des norwegischen Bokhylla-Projekts zu verweisen. Dort sind durch die Nationalbibliothek sämtliche norwegisch-sprachigen Werke im Volltext online verfügbar, die vor dem Jahr 2000 erschienen waren. Erste Erfahrungen mit Bokhylla deuten darauf hin, dass sich Substitionseffekte und Promotionseffekte – also Anschaffungen, die erst durch bessere Auffindbarkeit ausgelöst werden – die Waage halten. Durch die Begrenzung des Umfangs auf 15 Prozent dürfte der Substitutionseffekt in Deutschland noch viel geringer ausfallen.

Besonderheiten des Urheberrechts für Wissenschaft und Bildung

Zuvor hatte ich in meinem Eingangsstatement versucht, etwas grundsätzlicher darzulegen, warum es gerechtfertigt und notwendig ist, urheberrechtliche Nutzungshandlungen im Bereich von Wissenschaft und Bildung anders zu behandeln als in anderen Bereichen wie zum Beispiel Unterhaltung (Instruktiv dazu auch ein Gastbeitrag von Eckhard Höffner bei irights.info). Das Statement im Wortlaut:

Bevor wir uns in der Befragung den Details widmen, möchte ich mein Eingangsstatement dafür nutzen, noch einmal daran zu Erinnern, warum es überhaupt Schranken des Urheberrechts für Wissenschaft und Bildung gibt. Denn das Urheberrecht ist ein außerordentlich starkes, ausschließliches und damit auch ausschließendes Recht, das sehr viele Anwendungsbereiche umfasst: von der Literatur über bildende Kunst, Film- und Musikindustrie bis hin zur Software-Branche. Prinzipiell gibt es überall ein einheitlich hohes Schutzniveau.

Nicht nur, aber vor allem im Bereich von Wissenschaft und Bildung kann dieses hohe Schutzniveau aber zum Problem werden, weil es dort regelmäßig darum geht, Zugang zu einem ganz konkreten, spezifischen Werk zu bekommen. Wenn ich zur Unterhaltung einen Film sehen möchte und keinen Zugang bekomme, weil der Produzent Geoblocking einsetzt und das Werk in meiner Region nicht verfügbar ist, dann ist das ärgerlich, ich kann aber stattdessen einfach einen anderen Film sehen oder ein Buch lesen, um mich zu zerstreuen.

Wenn ich an einem wissenschaftlichen Aufsatz arbeite, dann ist die Situation eine völlig andere. Ich muss mich dafür mit dem Stand der Forschung auseinandersetzen, weil Forschung bedeutet, an diesen anzuknüpfen, entweder um ihn weiterzuentwickeln oder um vermeintliche Erkenntnisse zu widerlegen. Jedenfalls aber brauche ich dafür Zugang zu den jeweils konkreten Werken, ich kann nicht einfach ein ähnliches Paper eines anderen Autors oder Verlags nehmen. In der Lehre gilt ähnliches, auch dort kommt es oft auf den Zugang zu einem konkreten Text, zu einem konkreten Werk an, um Kenntnisse zu vermitteln.

Genau deshalb, weil Zugang zu konkret-spezifischen Werken für Wissenschaft und Bildung essenziell ist, müssen in diesen Bereichen andere Regeln gelten. Genau deshalb dürfen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht auf den Verkauf ihrer Werke zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts angewiesen sein. Genau deshalb wird Wissenschaft und Bildung größtenteils öffentlich finanziert. Und genau deshalb braucht es Regeln, die Zugang zu Werken sicherstellen, egal ob sich Forschungs- und Bildungseinrichtungen gerade mit Verlagen über die angemessene Vergütungshöhe streiten oder nicht. Mit dem Gesetzesentwurf wird diese Mindestanforderung an ein wissenschafts- und bildungsfreundliches Urheberrecht erfüllt.

Was dieser Gesetzesentwurf nicht schafft, ist, mit einer Generalklausel auch offen für zukünftige technologische Entwicklungen sowie vielfältige Anwendungskontexte zu sein. Was dieser Gesetzesentwurf auch nicht schafft, ist, alle Probleme des wissenschaftlichen Publikationssystems zu lösen. So werden die Konzentrationsprozesse der letzten 20-30 Jahre munter weitergehen, unter der vor allem kleinere Verlage zu leiden haben. Und schließlich kann ein deutsches Urheberrechtsgesetz auch nicht die Probleme eines zersplitterten Urheberrechts auf europäischer Ebene lösen. Aber es erlaubt zumindest, halbwegs zeitgemäße Lehr- und Lernbedingungen an deutschen Universitäten und Schulen im Zeitalter der Digitalisierung.

Fazit

Die im Rahmen der Anhörung ausgetauschten Positionen waren größtenteils vorab bekannt. Spannend wird jetzt vor allem, ob die Abgeordneten der Regierungsfraktionen den vorliegenden Kompromissvorschlag auch so beschließen werden, oder ob es Verlagsvertretern gelingt, den Beschluss vor der Bundestagswahl zu verhindern.

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