Regierung verwässert Entwurf zum Wissenschaftsurheberrecht

Mit der Reform des Wissenschaftsurheberrechts möchte die Regierung Rechtssicherheit für Lehrende und Forschende schaffen. Ein Vergleich von Regierungs- und Referentenentwurf dokumentiert jedoch vor allem die Lobbying-Erfolge der Rechteinhaberseite.

Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz. CC-BY 3.0 Ralf Roletschek

Zur Vorgeschichte: Anfang des Jahres präsentierte das Justizministerium einen Referentenentwurf für die überfällige Modernisierung des Wissenschaftsurheberrechts. Ziel war eine Vereinfachung und Zusammenführung von Ausnahmebestimmungen für Bildung und Wissenschaft durch einen eigenen Unterabschnitt im Urheberrechtsgesetz (UrhG). Zwar entschied man sich gegen die Einführung einer flexiblen und damit innovationsoffenen Generalklausel, die vorgeschlagenen Änderungen waren aber weitreichend genug, um Verlagslobbyisten zu einer Schmutzkübelkampagne voller Halbwahrheiten unter dem irreführenden Titel „Publikationsfreiheit“ zu motivieren.

Screenshot des Dokumentenvergleichs mittels Draftable

Seit heute liegt ein Regierungsentwurf vor und ein Vergleich der beiden Versionen offenbart, dass das Verlagslobbying nicht wirkungslos geblieben ist. Wie sich in einem Vergleich von Referenten- und Regierungsentwurf schön nachvollziehen lässt, wurden die vorgesehenen Ausnahmen für Wissenschaft und Bildung eingedampft und gleichzeitig zusätzliche Mittel für Rechteinhaber versprochen. Eine kurze Übersicht der wichtigsten Änderungen:

  • Prognose höherer Einnahmen für Verwertungsgesellschaften: Gleich in den Vorbemerkungen wird angekündigt, dass die „Ausgaben für Zahlungen an Verwertungsgesellschaften (gesetzliche Vergütung) sich in dem Maße erhöhen [werden], als die Begünstigten zukünftig von den erweiterten gesetzlichen Nutzungsbefugnissen Gebrauch machen“, wobei der „genaue Umfang dieser erweiterten Nutzungen und daraus folgenden Ausgabensteigerungen nicht vorhergesagt werden [kann]“.
  • Reduktion des erlaubten Nutzungsumfangs von 25 auf 15 Prozent: Die entscheidende Abschwächung kommt gleich zu Beginn des neuen § 60a UrhG, wonach nur noch 15 Prozent – und nicht wie im Referentenentwurf vorgeschlagen 25 Prozent – eines Werkes „[z]ur Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre an Bildungseinrichtungen […] zu nicht-kommerziellen Zwecken […] vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger Weise öffentlich wiedergegeben werden“ dürfen. Selbiges gilt auch für § 60c zu wissenschaftlicher Forschung, auch dort dürfen nur 15 statt 25 Prozent eines Werkes genutzt werden.
  • Verlage können Einzelbestellungen vertraglich untersagen: Im Vorschlag zu § 60g, der den Vorrang gesetzlicher vor einzelvertraglichen Bestimmungen (z. B. zwischen Verlagen und Bibliotheken) festlegt, wurde verfügt, dass vertragliche Regeln den gesetzlichen Bestimmungen zu Einzelbestellungen in § 60e vorgehen. In § 60e ist vorgesehen, dass Bibliotheken bis zu 10 Prozent eines Werkes oder einzelne Beiträge einer Zeitung oder Zeitschrift zu nicht-kommerziellen Zwecken auf Einzelbestellung hin versenden dürfen. Genau dieses Recht kann aber hinkünftig in Verlagsverträgen ausgeschlossen werden – ein schwerer Schlag für Fernleihe und den Zugang zu wissenschaftlichem Wissen an kleineren Forschungseinrichtungen mit niedrigeren Bibliotheksetats.

Regierung weist Einwände von Rechteinhabern zurück

Neben diesen Änderungen der vorgeschlagenen gesetzlichen Bestimmungen gibt es in der Begründung nur eine größere Änderung, die sich an der Entkräftung von Einwänden insbesondere der Verlagsseite versucht, wonach „Rückgänge bei Umsätzen der Verwerter und in der Folge bei den Honoraren für die Urheber […], sowie im Buchhandel und bei ihren Zulieferern“ zu erwarten wären. Weiters werden die Einwände der Rechteinhaber wie folgt zusammengefasst:

Diese Einnahmeausfälle könnten, so das Vorbringen, nicht über Zahlungen von angemessenen Vergütungen an Verwertungsgesellschaften kompensiert werden. Verwerter, die in den vergangenen Jahren in digitale Angebote investiert haben, befürchten, dass diese Investitionen sich nicht mehr rentieren könnten. Auch wird vorgetragen, dass das Angebot hochwertiger Publikationen insgesamt zurückgehen könnte. Quantifiziert wurden diese befürchteten Einbußen bislang nicht.

Dem wird im Regierungsentwurf (S. 32) nun entgegengehalten, dass diese Annahmen zwar nachvollziehbar, die zu erwartenden Effekte aber nur teilweise berücksichtigen würden:

Denn sie setzen voraus, dass die künftig gesetzlich erlaubten Nutzungen ansonsten auf vertraglicher Grundlage erfolgen würden. Dies ist zweifelhaft, denn ebenso gut kommt in Betracht, dass gesetzlich nicht erlaubte Nutzungen schlicht unterbleiben würden. Dann erhielte der Rechtsinhaber, und zwar weder der Verlag noch der Autor (sofern diesem vertraglich ein Honorar zusteht), keinerlei Vergütung. Unklar ist zudem, ob vorgetragene Umsatzrückgänge für bestimmte Lehrmedien in der Vergangenheit tatsächlich z. B. auf die gesetzliche Erlaubnis für digitale Semesterapparate (§ 52a UrhG) zurückzuführen waren, oder aber auch und vor allem auf den Umstand, dass durch Digitalisierung und Vernetzung zunehmend eine Vielzahl von Inhalten per Internet für Lehrende und Lernende verfügbar sind: Dies gilt für klassische (häufig bereits gemeinfreie) Basistexte in den Geisteswissenschaften ebenso wie für aktuelle Forschungsergebnisse und für Enzyklopädien (Wikipedia) oder spezifische Repositorien. Vor diesem Hintergrund sind Auswirkungen der Reform insoweit nicht verlässlich zu prognostizieren.

Eine sehr schöne Erläuterung, die nur die Frage aufwirft, warum man dann nicht an den vorgeschlagenen 25 Prozent Nutzungsumfang festgehalten hat. Im Falle höheren Nutzungsumfangs wäre auch die pauschale Vergütung höher ausgefallen.

Fazit

Zusammengefasst bleibt es auch trotz der Verwässerungen im Regierungsentwurf dabei, dass zahlreiche etablierte Praktiken dadurch aus der Illegalität geholt werden und das Wissenschaftsurheberrecht ein wenig zeitgemäßer gestaltet sein wird. In Kraft treten soll das Gesetz am 1. März 2018, um – so der neu eingefügte letzte Satz des Entwurfs – „zum Beginn des Sommersemesters 2018 Rechtssicherheit für die digitalen Semesterapparate“ zu schaffen.

5 Ergänzungen

  1. Warum wählt der Autor so eine negative Überschrift?
    Wenn diese Reformbemühungen scheitern, sind wir es selbst schuld.
    Was zu diesem Zeitpunkt schon hätte kommen können, werden wir noch im parlamentarischen Verfahren erleben….

  2. Bisher nicht problematisierte „Übergangsregelung“ in Pragraph 137o macht Aenderungen am Wissenschaftsurheber*innenrecht irrelevant.

    Erst einmal vielen Dank fuer den Kommentar, die Zusammenfassung und den komfortablen Nachvollzug durch einen Vergleich mit #draftable.

    Es waere vielleicht interessant, nicht nur auf die Unterschiede zwischen den Entwuerfen einzugehen, sondern auch auf gleich bleibende Bereiche.

    Dass dies Not tut zeigt vor allem eine in den letzten Zuegen des Kommentars erwaehnte, im Regierungsentwurf (RegE) aufgestellte Behauptung. Der RegE behauptet, die Regelung schaffe „insbesondere für die Hochschulen und Verwertungsgesellschaften zum Beginn des Sommersemesters 2018 Rechtssicherheit für die digitalen Semesterapparate.“

    Dem ist nicht so.

    Sowohl der Referent*innenentwurf (RefE), als auch der Regierungsentwurf (RegE) beinhalten im Paragraphen 137 eine „Übergangsregelung“. Diese „Übergangsregelung“ (im RefE in Paragraph 137k und im RegE in Paragraph 137o) besagt folgendes:

    „§ 137o Übergangsregelung zum Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz
    § 60g gilt nicht für Verträge, die vor dem 1. März 2018 geschlossen wurden.“

    Fuer das Wissenschaftsurheber*innerecht gibt es nun mehrere relevante Vertraege. Der #Unirahmenvertrag, ist seit Ende letzten Jahres gueltig und musste kurz darauf durch ein „Moratorium“ ausgesetzt, also pausiert werden. Grund war unter anderem, dass Regelungen des #Unirahmenvertrags elementare Bereiche des Betriebs von Bildungsreinrichtungen lahm zu legen drohen. Kurz gesagt: Der #Unirahmenvertrag ist gueltig und bleibt eine Zumutung.

    Die „Übergangsregelung“ in Paragraph 137o (RegE) sorgt nun dafuer, dass der auch #Unirahmenvertrag weiterhin Vorrang vor Regelungen des Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz selbst hat.

    Noch einmal: Ist es nicht so, dass derzeit jedwede Aenderung des Urhebe*innenrechts, die nicht auf den Inhalt von Paragraph 137k / 137o verzichtet fuer vom bereits gueltigen #Unirahmenvertrag betroffene Bereiche irrelevant ist?

    Oder anders: Ist es nicht so, dass OHNE Aufkuendigung der bestehenden „Grundsatzvereinbarung“ und des #Unirahmenvertrages diese dank Paragraph 137k /137o weiterhin gelten?

    Es ergibt sich folgende Forderung an die beteiligten Parteien, speziell die Kultusminister*innenkonferenz (KMK) und die Hochschulrektor*innenkonferenz (HRK):

    KEIN weiteres Moratorium des #Unirahmenvertrags SONDERN eine Kuendigung dessen #Unirahmenvertrags.

  3. Diese Debatte ist doch sowas von überholt. Im Grunde soll das Gesetz etwas regeln, was so nicht mehr relevant ist für den Wissenschaftsbetrieb. Und zwar das Verbreiten von gedruckten Informationen durch Publisher. Wer bitte schön ließt heute noch Zeitschriften wie die Nature oder versucht Autoren Geld abzunehmen? Ich will hier ganz sicher keine Werbung für Academia.edu machen, aber die neue Währung im Wissenschaftsbetrieb lauten Klicks, Profilbildung, Content und leichte Indizierbarkeit durch Suchmachinen.

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