Kunst und Wissenschaft forschen gemeinsam zu Privatheit

Was bedeutet Privatheit im digitalen Zeitalter? In einer neuartigen Kollaboration zwischen Kunst und Wissenschaft erforschte das Projekt „Privacy-Arena“ diese Frage. Analysiert wurden NSA-Untersuchungsausschuss, Datenschutzgrundverordnung, Big Data und Kryptographie. Im Oktober vergangenen Jahres fand dazu eine Ausstellung statt, deren Installationen teils im Netz erfahrbar bleiben.

Einduck von der Ausstellung des Forschungsprojekts im Kasseler Interim.

Das Privacy-Arena-Projekt unter der Leitung der beiden Kasseler Professoren Jörn Lamla (Soziologie) und Joel Bauman (Rektor Kunsthochschule Kassel) wirft ein neues Licht auf die Verhandlung von Privatheit im digitalen Zeitalter. Kürzlich erschien die Open-Access-Publikation (PDF) zur vorangegangenen Forschung und Ausstellung. Gefördert wurde das Projekt durch das Forum Privatheit und das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Die Themen, die von der Kollaboration zwischen Kunst und Wissenschaft schon 2016 aufgegriffen wurden, erlangten in den letzten Wochen durch das Ende des NSA-Untersuchungsausschusses, den Staatstrojaner und auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erneute Brisanz. Doch nicht nur diese Tatsache macht die Privacy-Arena hochaktuell. Die Tragweite liegt auch in der neuen Herangehensweise, durch die gemeinsame Forschung im Verbund von Wissenschaft und Kunst. Mit dem eigenen Format einer Verschränkung von Kunst und Wissenschaft wird ein Anfang zur Neukartographierung der Arena der Privatheit im digitalen Zeitalter gemacht. Ziel ist, die „digital verunsicherte Privatheit“ gemeinsam zu erforschen und sich der Frage zu nähern, wann die Digitalisierung die Grenzen der Privatheit überschreitet.

Hierzu gliederte sich die Forschung in die Teilbereiche „Kryptographie“, „NSA-Untersuchungsausschuss“, „Big Data“ und „Datenschutzgrundverordnung“.

Kryptographie und Privatheit

Andreas Baur Ahrens, Thilo Hagendorff und Maria Pawelec widmeten sich der Kryptographie. Sie wird von Unternehmen und Datenschützer*innen verteidigt, wenn auch aus teils unterschiedlichen Interessen, und dient als wichtiges Mittel für digitale Privatheit gegenüber der datensammelnden Wirtschaft oder gegenüber Staaten. Die bewusste Barriere von Information durch Kryptographie schützt über unaufgelöste mathematische Probleme. Je schwieriger desto sicherer. Asymmetrische und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung befindet das Projekt als die aktuell sichersten Methoden zum Schutz von Inhalten.

Der Schutz von Information ist aber noch nicht die Gesamtheit von Privatheit, wird nur oft damit verwechselt. Dennoch spielt Kryptographie für die Privatheit im digitalen Zeitalter eine beträchtliche Rolle. Die Kollaboration streicht heraus, dass durch Kryptographie soziale Informationskontexte getrennt und geschützt werden, aber auch individuell Informationen kontrolliert werden können. Kryptographie ist damit ein politisches Instrument und wird deshalb von Staaten – wie zuletzt mit dem Staatstrojaner – zu verhindern und zu hintergehen versucht.

Anhand einer Kontroverse zwischen dem Konzern Apple und dem FBI ging das Projekt auf die Problematiken von Verschlüsselung ein. Denn durch Verschlüsselung wird Strafverfolgung teils erschwert und damit staatliche Überwachung zu rechtfertigen versucht. Dabei gerät nicht nur die freie Meinungsäußerung in Gefahr. Verschlüsselung spielt sowohl eine politische als auch persönliche sowie eine wirtschaftliche Rolle. Für letzteren Zusammenhang wurde insbesondere die Vertraulichkeit im Umgang mit Daten hervorgehoben.

Die Gefahr die trotz Verschlüsselung von Metadaten ausgehen kann, wird durch das Töten von Menschen durch das Pentagon und die CIA auf Basis von Metadaten von der NSA belegt. Damit wurde festgestellt, dass Verschlüsselung kein Allheilmittel, aber ein Anfang zum Schutz der Privatheit sein kann.

NSA-Untersuchungsausschuss

Nach Edward Snowdens Enthüllungen schien die Demokratie im Netz zu einem großen Scherbenhaufen zerborsten. Mit dem NSA-Skandal schien das Thema Privatheit endgültig vom Tisch gefegt. Fabian Pittroff nahm sich daher dem Aufarbeitungsversuch dieser Krise durch den NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages an. Mit Bezug auf Bruno Latour argumentiert Pittroff, es mache wenig Sinn, nach dieser Krise eine Definition von Privatheit mit alten Maßen aufrechtzuerhalten. Vielmehr müsse das Augenmerk auf ihre Neuverhandlung gelegt werden – wie im NSA-Untersuchungsausschuss.

Die Analyse des Untersuchungsausschusses nutzt Pittroff, um eine Kartographie der Privatheit nach Anselm Strauss’ Theorie sozialer Welten und Arenen zu ermöglichen. Konflikte und Kompromisse zwischen sozialen Welten werden demnach in sozialen Arenen ausgetragen. Der NSA-Untersuchungsausschuss stellt eben so eine Arena zur Neuaushandlung von Privatheit, aber auch der generellen Ordnung der digitalen Welt und der demokratischen Zukunft dar.

Durch die detaillierte Beschreibung der verschiedenen im Ausschuss zusammentreffenden sozialen Welten – wie in etwa auch der Netzgemeinde, die Pittroff zwischen Chaos Computer Club, Wikileaks und netzpolitik.org verortet, – steckt Pittroff die politischen Grenzen und Möglichkeiten zur Bearbeitung des Problems ab. Nach der Beschreibung der Arena widmet sich der Text den demokratischen Möglichkeiten zur Bearbeitung der Krise. Er geht dabei unter anderem auch auf die Leaks ein, die während des Untersuchungsausschusses bei netzpolitik.org bekannt wurden.

Im Ergebnis zeigten sich in der Arena „zwei spezifische Reaktionsformen der Demokratie, die sich zugleich stützen und blockieren“. Diese verfahrene Situation drückte sich zuletzt im Abschlussbericht des Ausschusses vom 28. Juni 2017 durch ein Sondervotum aus. Die beiden Reaktionsformen Protektionismus und Konstitutionalismus, die nach Pittroff im Ausschuss maßgeblich waren, zeitigten ihre Effekte auf den Umgang mit Privatheit. Kaum wurden neue Formen ermöglicht. Stattdessen trat der Schutz alter Formen in den Vordergrund. Künstlerisch wurden die Verhandlungen in einer audiovisuellen Installation umgesetzt, um die Kontroversen des dreijährigen Ausschusses zu versinnbildlichen.

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(Die Detailerklärung findet sich im PDF und auf Vimeo.)

Big Data

Andreas Baur-Ahrens, Thilo Hagendorff und Maria Pawelec setzten sich mit der Bedeutung von Big Data für die Privatheit im digitalen Zeitalter auseinander. Auf der Privacy-Arena-Ausstellung wurde hierzu das „Stimmengewirr“ zwischen Datenschutz, Wirtschaft und Netzgemeinde, Informatik und Politik erfahrbar gemacht. Big Data bezeichnet nicht nur die Ansammlung, sondern auch die Analyse und Speicherung der Daten. Das Ausmaß von Big Data als neues Problem wird vom Projekt zwischen Fortschritt, Überwachung und damit einhergehenden ethischen Konflikten sowie der Dekontextualisierung von Informationen und damit einhergehenden Fragwürdigkeit der auf Big-Data-Analysen beruhenden Entscheidungen gefasst.

Dabei macht das Projekt das Vorherrschen einer „Algorithmischen Gouvernementalität“ aus – also der freiwilligen, oft unwissentlichen Selbstkontrolle von Individuen durch Big-Data-Algorithmen. Es entstünden Algorithmus-basierte Formen der Diskriminierung, der sich viele sogar selbst unterwerfen, da das Aufbegehren gegen die Algorithmen aufgrund ihrer scheinbaren Objektivität oft beinahe unmöglich sei.

Im Ergebnis der Big-Data-Betrachtung stellt sich heraus, dass nach der „Transparenz und Verantwortlichkeit von privaten und staatlichen Akteuren“ gefragt werden muss, da…

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Datenschutzgrundverordnung

Am umfassendsten Projektteil zur Datenschutzgrundverordnung waren Charlotte Barlag, Barbara Büttner, Christian Geminn und Nadine Miedzianowski beteiligt. Die digitale Verarbeitung personenbezogener Daten stellt die Zukunft des europäischen Datenschutzes in Frage. Daher wurde zwischen 2012 und 2015 die Datenschutzgrundverordnung verhandelt, die 2018 in Kraft treten wird. Anhand der Regelung über das EU-Recht zeigt das Projekt verschiedene Reaktions- und Umgangsweisen des Rechts mit der digital verunsicherten Privatheit.

Ähnlich des NSA-Teils kam die Theorie sozialer Welten und Arenen von Anselm Strauss auch hier zur Anwendung, um die Unterschiedlichkeit der Akteure, die an der Verhandlung der Verordnung mitwirkten, nicht nur transparent, sondern erfahrbar zu machen. Die Spannungen beim Verhandeln von Datenschutz und -verarbeitung, von Privatheit heute und in Zukunft und letztlich ökonomischer Interessen vermittelte die Forschung in der Ausstellung durch Telefonhörer, durch die verschiedenen Positionen gelauscht werden konnte.

Interaktion mit dem Unsichtbaren

Die Sensibilisierung für und das Ausfechten von zukünftigen Formen der Privatheit mag nicht nur über alte, einseitige Methoden gelingen. Daher ist der Verbund mit der Kunst eine neuartige Herangehensweise, um die unsichtbare Privatheit erfahrbar zu machen. Auf der Ausstellung gab es zum Beispiel auch ein Panel von Fabian Pittroff, Malin Kuht (Kunsthochschule Kassel) und Alex Hiller zu „The Sound Of Privacy – Wie klingt Privatheit“ auf dem Popmusik im Zusammenhang mit Privatheit gehört und besprochen wurde.

Mike Huntemann, Isabel Paehr und Jörn Röder umreißen die neue Methodik der Forschung in der Publikation gleich zu Beginn. Der Begriff der Transparenz wird als einseitiger dem der Permeabilität, also Durchlässigkeit, gegenübergesetzt. Permeabel sollte das Ausstellungskonzept und die Forschung sein. Um in der Ausstellung die Gegensätzlichkeit der Permeabilität zur Transparenz zu versinnbildlichen, wurde ein einsehbarer, nicht zugänglicher Raum mit Videos zum Thema bespielt.

Als nächstes wurde geklärt, wie eine Kartographierung der schwer zu visualisierenden Privatheit aussehen muss. Die herkömmliche Karte befand das Projekt als einen oft irritierenden, einseitigen Weg, um Dinge erfahrbar zu machen. Die Karte liegt selbst in einem dynamischen Netzwerk aus Praktiken. Daher kann auch Karten-Design Forschungsprobleme lösen. Damit kann sie weit mehr als nur darstellen. Sie birgt den Transport von schwer zu zeigenden, unsichtbaren Sachverhalten – wie im Feld der Privatheit gegeben. So machte die Ausstellung Routing und Kryptographie vermittels verschiedener Materialien nicht nur sichtbar, sondern erfahrbar.

Drittens lautete das Motto „Abstrakt vor Konkret“. Die Vergegenständlichung des Unsichtbaren müsse zwangsläufig abstrakt und metaphorisch bleiben. Die Abstraktion zog das Projekt der Konkretion in etwa beim Erfahrbarmachen von Big-Data-Algorithmen oder der Visualisierung der Funktionsweise von verschlüsselter Kommunikation vor.

Insbesondere der Permeabilitätsansatz der Kollaborationsarbeit ist aufgrund seiner Grenzübertritte vielversprechend. In ihm angelegt ist bereits die Interaktion mit Dritten. Andere Projekte und Individuen können sich nicht nur eine Scheibe der Privacy-Arena abschneiden. Sie werden bereits bei der Beschäftigung mit der Forschung in die Arena hineingezogen und selbst zu Akteur*innen in der Neuaushandlung der digital verunsicherten Privatheit.

Offenlegung: Ich war als Autor*in des Beitrags auch am Projekt beteiligt.

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1 Ergänzungen

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