Vier Buchstaben ergeben ein Handelsabkommen. TiSA, das Trade in Services Agreement, ist unbekannter als sein Geschwisterkind TTIP, doch nicht weniger problematisch. Während TTIP sich mit dem Handel von Waren beschäftigt, geht es bei TiSA um Dienstleistungen. Dabei bekommt TiSA wesentlich weniger öffentliche Aufmerksamkeit als TTIP, die Auswirkungen werden jedoch ebenso schwerwiegend sein.
Derzeit befindet sich TiSA noch in Verhandlung. Neben der EU nehmen noch 22 weitere Länder an diesen Verhandlungen teil. All das findet hinter verschlossenen Türen statt. Was wir bisher über TiSA wissen, haben wir Leaks zu verdanken. Wie denen von Wikileaks, die heute weitere, aktuellere Entwürfe des Abkommens ans Tageslicht brachten.
Neben Internetdiensten betrifft TiSA noch eine Menge anderer Bereiche, darunter zentrale öffentliche Dienste wie Energie- und Wasserversorgung sowie Bildung. Unter dem Deckmantel der Liberalisierung von Dienstleistungen wird Ländern die Möglichkeit genommen, ihre eigenen gesetzlichen Regeln und Voraussetzungen anzuwenden. Zum Nachteil der Verbraucher.
„Datenschutz darf kein Handelshemmnis sein“
Zwar steht im Kerntext von TiSA, dass Länder nicht daran gehindert werden dürfen, Maßnahmen zu ergreifen, die zum „Schutz der Privatsphäre von Personen“ dienen. Das gilt aber nur, wenn sie „nicht inkonsistent“ mit den Vereinbarungen von TiSA sind.
So wird aus freiem Markt und Wettbewerb ganz schnell freier Datenfluss – ohne Rücksicht auf Datenschutz. Aus dem früher geleakten Kapitel zu e-Commerce kennen wir folgenden Abschnitt:
Kein Unterzeichner darf einen Diensteanbieter eines anderen Unterzeichners daran hindern, Informationen zu übertragen, auf sie zuzugreifen, sie zu verarbeiten oder zu speichern. Das schließt persönliche Daten mit ein, wenn der Vorgang in Zusammenhang mit der Ausführung der Geschäfte des Diensteanbieters steht.
Das heißt im Klartext: Sollte etwas im deutschen oder europäischen Datenschutzrecht verboten sein, darf das kein Handelshindernis für beispielsweise US-Unternehmen sein. Sie dürften dann mit den Daten europäischer Kunden tun, was sie wollen, solange das in irgendeiner Weise in Zusammenhang mit ihrem Geschäft steht.
Auch der Weiterverkauf persönlicher Daten kann ohne große Argumentationsschwierigkeiten zum Geschäft gehören. Man dürfte also nicht mehr verlangen, dass Daten nicht nach Belieben für zunächst nicht vorgesehene Zwecke genutzt werden können. Auch wenn das der Gesetzgebung im eigenen Land widerspricht.
Die Datenübertragung darf auch in Drittländer erfolgen. Ob dabei ein gleichwertiges Datenschutzniveau gewährleistet wird, ist dafür unerheblich. Sollte TiSA also in Kraft treten, wären auch die als unzureichend kritisierten Vereinbarungen im sogenannten Privacy Shield zwischen der EU und den USA obsolet.
Das steht europäischem Datenschutzrecht diametral entgegen. Die EU würde damit die Vorschriften zur Datenübertragung und -verarbeitung, die in einem langen und mühsamen Prozess in die EU-Datenschutzgrundverordnung gemündet sind, aufgeben. Die Datenschutzgrundverordnung ist, durch die Augen von TiSA gesehen, ein Handelshemmnis. Und damit möglicherweise unvereinbar und unzulässig.
Raum für Interpretation bei Netzneutralität
Auch Netzneutralität darf laut TiSA kein Handelshemmnis sein. Nutzer sollen nach eigener Wahl auf Internetdienste zugreifen und sie nutzen können. Die dürfen „Gegenstand gerechtfertigten [reasonable] Netzwerk-Managements“ sein. Dieser Zusatz beinhaltet Schlupflöcher für die Willkür von Internetdiensteanbietern, Ausnahmen unter dem Deckmantel des Netzwerk-Managements zu erschaffen. Welche Bedingungen und Voraussetzungen gelten, ist in TiSA nicht näher geregelt.
Die Begriffe Zugreifen und Nutzen schließen zwar Internetsperren aus. Aber eben nicht das Drosseln von Übertragungsgeschwindigkeiten oder das Etablieren von Spezialdiensten, die aus kommerziellen Interessen Netzneutralität untergraben.
Das Problem mit der Transparenz
Dass TiSA wie TTIP und CETA auch hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, lässt der Zivilgesellschaft wenig Spielraum, den Prozess zu kommentieren. Nur durch Leaks und spärliche Unterrichtungen der EU-Kommission gibt es eine Chance, an Informationen über den aktuellen Stand der Verhandlungen zu gelangen. Ironischerweise gibt es sogar ein Kapitel zu Transparenz in TiSA. Dort ist geregelt, dass Staaten unverzüglich Gesetze, Regulierungen und sonstige administrative Vorschriften veröffentlichen sollen, die mit TiSA zusammenhängen. Auch während Gesetzgebungsprozessen soll die Möglichkeit bestehen, dass „interessierte Personen“ und andere die Entwürfe kommentieren. Auf Transparenz während der Verhandlung des Abkommens selbst legt man dagegen ganz offensichtlich keinen Wert.
Und selbst bei den bisherigen Analysen und Kommentaren, die auf Basis geleakter Informationen abgegeben wurden: Die Kritik der Zivilgesellschaft lässt die Verhandlungspartner kalt, die Öffentlichkeit wird zuerst ausgeschlossen und dann ignoriert. Das Europaparlament hat im Februar eine Resolution verabschiedet, in der es fordert, dass die europäischen Datenschutzregelungen durch TiSA nicht untergraben werden dürfen. Es fordert, zu respektieren, …
[…] dass Datenschutz kein Verwaltungsaufwand, sondern eine Quelle des Wirtschaftswachstums ist; […] dass die Wiederherstellung des Vertrauens in die digitale Welt von entscheidender Bedeutung ist; […] dass Datenströme für den Handel mit Dienstleistungen unverzichtbar sind, aber keinesfalls den Besitzstand der EU in den Bereichen Datenschutz und Recht auf Privatsphäre aushöhlen sollten.
Die Resolution fordert auch, „für Netzneutralität und ein offenes Internet zu sorgen“.
Wenn der Prozess um TiSA nicht transparenter wird, bestehen kaum Chancen, den Prozess kritisch zu begleiten. Es ist höchste Zeit, dass auch TiSA eine ähnliche Aufmerksamkeit wie TTIP bekommt und eine starke Öffentlichkeit der Geheimhaltung der Handelsnationen entgegensteht.
Gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA wird in den nächsten Tagen wieder demonstriert werden. Für den 17. September ruft ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis zu Protesten in sieben deutschen Städten auf. Es werden zehntausende Menschen erwartet.
TiSA ist potentiell wesentlich gefaehrlicher, da es wie geschrieben weite Teile oeffentlicher Daseinsvorsorge und Infrastruktur der Privatisierung zwangsoeffnet. Es winken gewaltige Gewinne der wenigen Reichen auf Kosten der Bevoelkerung, und ein weiterer Schritt zur neo-feudalen „marktgerechten Demokratie“.
Und dann wundern sich unsere Politiker, dass die Leute irgendwas waehlen, solange irgendwas nur irgendwie anders aussieht. Irrsinn.
Die wundern sich nicht; die sind heilfroh, dass eine weitere neoliberale Partei derzeit den Frust des Plebs kanalisiert, und nicht etwa irgendwer querab von links.
Das ist eben nicht nur Plebs.
Aber klar, beim konservativen Fluegel sind die Krokodilstraenen ob des Rechtsrucks sehr zweifelhaft, und die blasen nicht umsonst alle in die Paniktrompete der Hysterie. Jemand wie Seehofer ist der beste Wahlhelfer der Afd, auch wenn er selber jeder Ideologie ausser dem eigenen Machterhalt um jeden Preis unverdaechtig ist.
Und die SPD? Bleibt wie gewohnt linke Antworten letztlich schuldig. Vermutlich weniger aus Machtkalkuel als aus Unvermoegen. Ok, bis auf den Vorstand, der muss natuerlich Liebkind bei Merkel bleiben, denn nur als kleiner Partner der grossen Koalition gibt es Positionen zu ergattern.