Markus Deimann, Jan Neumann und Jöran Muuß-Merholz haben mit Unterstützung des Stifterverbands der deutschen Wissenschaft in einem Whitepaper (PDF) eine Bestandsaufnahme von offenen Lehr- Lernunterlagen (Open Educational Ressources, OER) an deutschen Hochschulen vorgelegt und Potentiele für die weitere Entwicklung identifiziert. Das Whitepaper ist bereits das dritte in einer Reihe zu unterschiedlichen Anwendungsfeldern von OER, den Anfang machte 2012 ein (2014 upgedates) Whitepaper zu OER im Schulbereich, gefolgt von einem weiteren zu OER in der Weiterbildung. Interviews, die im Zuge der Recherchen für die Whitepaper geführt wurden, sind teilweise auch als Podcasts bei open-educational-resources.de verfügbar.
Deutlich wird an Hand der Analyse der Autoren, dass OER im Hochschulbereich bislang noch völlig im Schatten von Open Access, der Forderung nach einer freien Zugänglichmachung von Forschungsergebnissen steht. So gibt es seit zehn Jahren Bekenntnisse großer Wissenschaftsorganisationen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Förderung von Open Access, jedoch bis heute keine offizielle Stellungnahme zu OER. Der Abgrenzung bzw. den Schnittmengen von Open Access und OER ist dementsprechend auch ein eigenes Unterkapitel (S. 32-33) gewidmet.
Ganz allgemein hält das Kapitel „Zentale Themen der Debatte“ zwar, was der Titel verspricht und widmet sich einer großen Bandbreite an Fragen von Geschäftsmodellen über E-Learning und Qualitätssicherung bis hin zu Policy-Making, die einzelnen Punkte werden aber eher unsystematisch nacheinander abgearbeitet.
Am spannendsten liest sich Kapitel 7 (ab S. 55), in dem die Autoren „Ausblick und Erwartungen“ zu formulieren wagen. Für jeden Punkt schätzen sie die Wahrscheinlichkeit des Eintretens und die Auswirkungen für OER ein. So erwarten sie beispielsweise keine längst überfällige Reform des Wissenschaftsurheberrechts, mit stark negativen Auswirkungen auf die OER-Landschaft in Deutschland. Ähnlich pessimistisch auch die Einschätzung hinsichtlich eines staatlich geförderten Aufbaus einer OER-Infrastruktur.
Optimistischer zeigen sich die Autoren hingegen zumindest mittelfristig, was die Implementation von OER-Funktionalitäten in etablierte Lehr- und Lernplattformen (z.B. Moodle) betrifft, und verbinden damit große Hoffnungen für eine größere Verbreitung von OER.
Über die einzelnen Prognosen der Autoren hinweg lassen sich die Erwartungen allerdings mittel- bis langfristig positiv zusammenfassen. Kurzfristig ist demnach an Hochschulen jedoch kein OER-Boom in Sicht.
Sandra Hofhues, Juniorprofessorin für Mediendidaktik/Medienpädagogik an der Universität zu Köln, forderte wiederum anlässlich der Veröffentlichung des Whitepapers am Blog von Wikimedia Deutschland, die OER-Debatte in Deutschland stärker didaktisch zu rahmen:
Es ist erstaunlich, dass insgesamt nur wenige normative Zielvorstellungen existieren, wozu Bildungsmaterialien digital vorliegen sollten. Zwar wird regelmäßig postuliert, „Bildung für alle“ solle ermöglicht werden. Selten werden aber weitere Szenarien für akademische Kontexte entworfen, wie man mit den frei und offen zugänglichen Bildungsmaterialien auch studieren könnte. Denn eins dürfte klar sein: Die Verfügbarkeit des Materials allein sorgt nicht dafür, dass damit auch gelernt wird.
Ich persönlich bin skeptisch, ob eine stärkere Debatte didaktischer Fragen tatsächlich die Chancen für die Verbreitung von OER steigert oder diese nicht eher zusätzlich verkompliziert. Andererseits könnte ein stärkeres Interesse von HochschuldidaktikerInnen am Thema OER dem Wissen und der Verbreitung von OER durchaus zuträglich sein.
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