The Empire Strikes Back: Großverlag Elsevier verleumdet abtrünnige Wissenschaftler

Nachdem die komplette Editorengruppe des renommierten Linguistik-Journals Lingua ihren Rücktritt eingereicht hat, um in Zukunft alternative Publikationswege zu gehen, versuchte der Verlag Elsevier nun, den Wissenschaftlern Gier und sich selbst eine Opferrolle anzudichten und setzte dabei auch auf falsche Behauptungen.

Als das lukrativste Geschäftsmodell aller Zeiten bezeichnen manche die auch als „double dipping“ bekannte Art und Weise großer Wissenschaftsverlage, vor allem beim sogenannten Hybrid Open Access Publishing sowohl bei den Autoren ihrer wissenschaftlichen Journals hohe Publikationsgebühren (Article Processing Charges, kurz APCs) als auch von Universitäten und Bibliotheken horrende Abonnements-Preise zu kassieren (siehe dazu z.B. dieses Paper). Immer öfter und immer offener wird daher im akademischen Bereich die Frage gestellt, womit sich die resultierenden enormen Gewinnmargen von mehr als 30% noch rechtfertigen lassen. Dass diese Großverlage angesichts fast immer pro bono geleistetem Peer Review und abnehmender Bedeutung von Druck und Auslieferung noch immer eine Leistung erbringen, die derart gefragt und lukrativ sein könnte, leuchtet kaum noch ein.

Publish or Perish

Das ist zweifellos einer der Gründe, warum die Open-Access-Ideen in den Wissenschaften immer mehr an Boden gewinnen. Immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen raus aus den alten Verwertungsstrukturen und alternative Publikationsmodelle ausprobieren. Wenn da nur der Impact Factor nicht wäre! Das einflussreiche Ranking wissenschaftlicher Fachzeitschriften nach diesem Faktor zwingt viele, weiterhin in den klassischen Journals zu publizieren, um dem Prinzip „publish or perish“ gerecht zu werden und die eigene akademische Karriere nicht aufs Spiel zu setzen. Der Impact Factor wiederum ist dem Titel und der ISSN des jeweiligen Journals zugeordnet und an diesen halten üblicherweise die Verlage alle Rechte. Zudem wird der Faktor aus Zitationen der bisher veröffentlichten Ausgaben eines Journals gebildet, und auch die Rechte an diesem Bestand bereits erschienener Artikel liegen fast immer vollständig bei den Verlagen. Ein neues Journal fängt also vom Impact Factor her bei Null an und hat gegen die bereits mit hohem Faktor etablierten alten Journals kaum eine Chance, Boden gut zu machen. Bislang ist es nur wenigen gelungen, sich mit neuen Open-Access-Journals gegen die Titel der „großen Alten“ der Verlagsbranche durchzusetzen, meist genanntes Beispiel ist wohl PLoS.

Dennoch scheinen es immer mehr Wissenschaftler inzwischen drauf ankommen lassen zu wollen, so wie die Gruppe von sechs Editors des Journals Lingua, die Ende Oktober gemeinsam mit dem gesamten 31-köpfigen Editorial Board ihren Rücktritt von der Editorenrolle eingeleitet haben. Vorangegangen waren Verhandlungen mit Elsevier, das Journal in einen Full-Open-Access-Status zu überführen, was der Verlag ablehnte, sodass sich die Wissenschaftler veranlasst sahen, ihre Arbeit außerhalb von Lingua fortzusetzen. Doch bei der Ablehnung durch Elsevier blieb es nicht.

Von ganz oben kommt mehr als Ablehnung

Gestern veröffentlichte Tom Reller, bei Elsevier Vice President und Head of Global Corporate Relations, im verlagseigenen Blog einen Artikel zum Rücktrittsvorgang, der es in sich hatte – PDF der ersten Fassung des inzwischen leicht überarbeiteten Posts. Darin wurde behauptet, Linguas Noch-Editor-in-Chief, der angesehene Linguistikprofessor Johan Rooryck von der Universität Leiden, habe Übereignung des Journals an sich verlangt. Anschließend erzählt Reller die Geschichte von Lingua so nach, dass Elsevier das Journal vor 66 Jahren gegründet habe. Er lässt es dadurch so aussehen, als sei durch gierige Wissenschaftler versucht worden, Elsevier um eine eigene Kreation zu bringen.

Rooryck versuchte, die tatsächlichen Abläufe in den Kommentaren zum Elsevier-Blog klarzustellen, was aber nicht freigegeben wurde, sodass er letztlich auf Facebook ausweichen musste. Keineswegs hatte er die Übereignung an sich gefordert, sondern die Editoren gemeinsam hatten Übereignung an sie als Kollektiv und Übergang zu Full Open Access gefordert. Und war es nicht Elsevier, die das Journal einst ins Leben gerufen hatten, sondern zwei niederländische Linguisten. Es war dann zunächst über den Verlag North Holland veröffentlicht worden, der in den 1980er Jahren von Elsevier übernommen worden war. Auch Elseviers Argument, die von den Editoren geforderten OA-Bedingungen seien für einen kommerziellen Verlag niemals nachhaltig und damit per se inakzeptabel, widerlegt Rooryck mit Verweis auf andere Journals. Der inzwischen korrigierte Blog-Fehler in Bezug auf die Forderung der Editors und die Zuspitzung auf Rooryck als Person erweckt den Eindruck, da solle ein Exempel an einem Einzelnen statuiert werden, in dem Elsevier eine Art Rädelsführer der Editoren zu sehen scheint. Am Ende dürfte sich der Verlag mit diesem Vorgehen allerdings eher selbst geschadet haben.

12 Ergänzungen

      1. Das Wort „abtrünnig“ hat schon seine Richtigkeit, wenn auch mit anderer Definition. Unabhängig davon ist das entscheidene Wort wohl eher „Verleumdung“.

  1. Die Linguisten werden wissen, wo sie künftig ihr Fachblatt beziehen – für sie alle hat es nur Vorteile.

    Vielleicht folgen andere Autorengruppen diesem tollen Beispiel der Selbstbestimmung.

  2. Das schöne an diesem Fall ist, dass die gesamte Editorengruppe geschlossen gegangen ist. Das bringt jeden Verlag in Kalamitäten. Gut so! Die Blutsauger haben es verdient.
    Man sollte nicht nur hoffen, dass das Beispiel Schule macht, sondern aktiv daran arbeiten. Es gibt weitere bekannte Parasiten, die abgeschüttelt werden können.

  3. Durch den Verzicht auf den teuren Druck, ist es eigentlich für die Universitäten und Forschungseinrichtungen ein leichtes wieder eigene (Open Access) Verlage einzurichten. Kleinere Einrichtungen können sich ja auch problemlos zusammentun. Mehr als einen Server im Uni Rechenzentrum und ein paar qualifizierte Leute (an den Universitäten immer spottbillig zu haben in Form von (Pflicht -) Praktikanten) braucht es nicht.
    Am besten wäre natürlich ein Gesetz das Steuer finanzierte Forschung zur Open Access Veröffentlichung verpflichtet. Der Steuerzahler hat es bezahlt und soll es deswegen auch frei lesen können dürfen.
    Wahrscheinlich man einen grossen Teil der Mehrkosten langfristig durch wegfallenende Abos refinanzieren.

  4. Den Konflikt zwischen den Wissenschaftsverlagen und der Wissenschaft gibt es schon seit über 10 Jahren. Hier ein Brief des Informatikers/Mathematikers Donald E. Knuth von 2003: http://www-cs-faculty.stanford.edu/~uno/joalet.pdf . Die Herausgeber gründeten nach ihrem Rücktritt vom Journal of Algorithms die ACM Transactions on Algorithms. Elsevier fand danach neue Herausgeber für das Journal of Algorithms und führte es bis 2009 weiter.

    Hintergrund ist, dass die Verlage heutzutage eigentlich überflüssig sind und das auch wissen. Die frühere Symbiose zwischen Wissenschaftsverlagen einerseits und Wissenschaftlern und Universitäten andererseits ist deshalb beendet. Die Verlage versuchen jetzt nur noch, während des unvermeidlichen Niedergangs der alten Strukturen den maximalen Profit herauszuholen, was dazu führt, dass viele Bibliotheken auf wichtige Journals in ihrem Fach verzichten müssen, weil sie zu teuer sind. Elsevier ist dabei noch etwas rücksichtsloser als Springer, das andere große Konglomerat, und wohl deshalb häufiger von Rücktritten betroffen.

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