Über eine Millionen DNA-Profile hat das Bundeskriminalamt in einer Datenbank gespeichert. Ein neues Buch betrachtet diese Vorratsdatenspeicherung von Gen-Daten, die klassischerweise aus Krimis bekannt ist, aber immer breiter angewendet wird. Aufgezeigt werden Grenzen und Fehlerquellen – sowie Möglichkeiten für Widerstand, Protest und Organisation.
Dies ist ein Gastbeitrag von Vlaska Sumner.
Auf circa 130 Seiten stellen die Herausgeberinnen des Gen-ethischen Netzwerks eine lesenswerte Sammlung von Beiträgen zusammen, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit der polizeilichen DNA-Vorratsspeicherung in Deutschland und anderen Ländern beschäftigen. Der bei Assoziation A erschienene und u.a. von der Wau Holland und Sebastian Cobler Stiftung geförderte Sammelband entstand im Nachgang der Kampagne „DNA-Sammelwut stoppen!“, die in den Jahren 2011 und 2012 den Fokus bürgerrechtlicher Kritik auch auf diese biometrischen Datensammlungen lenken sollte. Damals hatte beispielsweise das überdimensionierte Wattestäbchen – bekannt unter dem Namen „Willi Watte“ – auf der Demonstration „Freiheit statt Angst“ für Aufmerksamkeit gesorgt.
„Über eine Million Profile: DNA-Sammelwut in Deutschland“
Im ersten Teil des Buches wird neben den historischen, rechtlichen und biostatistischen Grundlagen vor allem über die Fehlerquellen, Unwägbarkeiten und ständigen Ausweitungen dieser polizeilichen Ermittlungsmethode aufgeklärt. Beispielsweise thematisiert die Journalistin Heike Kleffner in ihrem Beitrag, wie die DNA-Spur einer „unbekannten weiblichen Person“ die Ermittlungen im Mordfall Kiesewetter in die Irre leitete. Die unter dem Begriff „Phantom von Heilbronn“ bekannt gewordene falsche Verdächtigung, verursacht durch eine Verunreinigung von Wattestäbchen für DNA-Probennahmen, war allerdings nur eine Seite des schockierenden Falls, dessen gesamte Dimension erst später im Rahmen der NSU-Ermittlungen offenkundig wurde. Begünstigt wurde die falsche Ermittlungsrichtung nämlich nicht nur durch die vorgeblich so beweiskräftigten DNA-Spuren, sondern mindestens ebenso durch rassistische Stereotype der ermittelnden Polizeibeamten und der aufmerksamkeitsheischenden Medien, die unter der Überschrift „Landfahrer“ und „Spur ins Zigeunermilieu“ mehrere Sinti- und Roma-Familien unter Generalverdacht stellten.
Die rassistische Komponente von DNA-Datenbanken wird auch im Beitrag von Susanne Schultz über die Methode der Verwandtensuche deutlich: Da in den USA afroamerikanische Familien durchschnittlich größer sind als die Familien weißer US-Amerikaner, geraten durch das in einigen Bundesstaaten übliche, aber unscharfe „familial searching“ diese Bevölkerungsgruppen häufiger in den Fokus polizeilicher Ermittlungen. Vorurteile gegenüber Menschen mit dunkler Hautfarbe durch die überwiegend von weißen besetzten Polizeiberufe führen zu einer diskriminierenden Strafverfolgungspraxis, die sich unter dem Stichwort „racial profiling“ auch in Deutschland wiederfindet.
Der Beitrag über den ausgehöhlten Datenschutz und die Rechtslage in Deutschland zeigt die Problematik der DNA-Sammelwut: Die beim Bundeskriminalamt (BKA) im Verbund mit den Ländern betriebene DNA-Analyse-Datei (DAD) enthält derzeit 1.085.348 Datensätze, davon 826.924 Personen- und 258.424 Spurendatensätze. Anders als vom BKA behauptet, sind die meisten der Einträge jedoch nicht aufgrund schwerer Verbrechen gespeichert. Stattdessen werden dort vorwiegend Diebstahldelikte und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz gespeichert. Zudem sind die gesetzlichen Vorschriften mit unbestimmten Rechtsbegriffen durchsetzt und in der Praxis werden selbst die wenigen Datenschutzgesichtspunkte – beispielsweise bei der Durchführung von Massengentests – nicht eingehalten. Insgesamt wird damit deutlich, dass für den Gesetzgeber und die Exekutive die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen auch in diesem Bereich polizeilicher Datenspeicherung als nachrangig gelten.
„Individuell und gemeinsam: Kampagnen, Protest, Widerstand hierzulande“
Der zweite Teil des Buchs gibt einen Überblick zu Kampagnen, Protest und Widerstand gegen die Praktiken der biometrischen Erfassung und die Vorratsdatenspeicherung von DNA-Profilen. Die meist relativ kurzen Beiträge zeichnen ein trauriges Bild: Einerseits wird zwar deutlich, dass es durchaus gezielte Kritik und Widerstand gegen diese Ermittlungsmethode gibt; schon in der gemeinsamen Erklärung verschiedener Frauenverbände zur Errichtung der DNA-Analyse Datei von 1999 hatten diese deutliche Worte gefunden. Dort ist beispielsweise von einem „trojanischen Pferd“ und der Instrumentalisierung der Opfer für „Justizinteressen“ die Rede. Andererseits sind die wenigen Versuche einer Verweigerung der DNA-Abgabe oft nicht erfolgreich.
Beispielsweise hat die Polizei trotz fehlender richterlicher Anordnung durch Zwangs- und Einschüchterungsmaßnahmen bei der Freiburger Wagengruppe „Sand im Getriebe“ die Abnahme von DNA-Proben erreicht. Auslöser war eine geringfügige Sachbeschädigung in einer Straße in der Nähe. Auch ein Göttinger Antifa-Aktivist musste trotz renitenter Weigerung schließlich eine Speichelprobe abgeben, weil sich das Bundesverfassungsgericht letztendlich für seine Beschwerde als nicht zuständig erklärte. Allerdings sind solche Verweigerungen zugleich oft folgenschwer für die Betroffenen, wie der Beitrag von Winfried Wessolleck zeigt: In Gütersloh wurden 27 Verweigerer eines Massengentests von der Polizei kurzum zu „Tatverdächtigen“ gemacht und von ihnen ein Alibi gefordert. Bei zehn Personen wurde anschließend eine richterliche Anordnung zur Speichelprobe eingeholt, obwohl die Beteiligung an Massengentests eigentlich „freiwillig“ ist. Einer der Verweigerer wurde dann – ohne über die richterliche Anordnung informiert zu werden – von der Polizei in seiner Wohnung überfallen und gefesselt, mit Pfefferspray handlungsunfähig gemacht und auf der Polizeiwache zur Speichelprobe gezwungen. Zwar war die nachträgliche Beschwerde des Anwalts des Betroffenen erfolgreich, da kein Anfangsverdacht vorlag und kein Mensch gezwungen werden kann, den Nachweis seiner Unschuld selbst zu führen. Allerdings blieb die Strafanzeige wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung gegen die Polizei sowie wegen Verfolgung Unschuldiger gegen Staatsanwaltschaft und Amtsrichterin folgenlos. Ein Klageerzwingungsverfahren wurde ebenfalls abgelehnt.
Ein ermutigendes Beispiel wird hingegen im Beitrag von Katrin Lange geschildert: Als in Erfurt wegen der Verwüstung von Büroräumen und des Diebstahls einer Spardose mit ca. 15 Euro alle Mitarbeiter der betroffenen Liegenschaft zur Abgabe einer „freiwilligen Speichelprobe“ zum Zweck des Spurenabgleichs aufgefordert worden, zögerte eine Mitarbeiterin aus Unbehagen. Wenig später drohte die Kriminalpolizei in einem Telefongespräch damit, dass die Verweigernde möglicherweise selbst in den Fokus der Ermittlungen gelangen könnte – samt richterlicher Anordnung der gewünschten DNA-Speichelprobe. Daraufhin verweigerten auch die näheren Kollegen der Mitarbeiterin ihrerseits die Abgabe der Vergleichsprobe.
„Europa – USA – Global: DNA-Datennetze und Protestkampagnen“
Im dritten Teil des Buches erweitert sich der Fokus auf internationale Aspekte und Kampagnen. Dass Großbritannien nicht nur in Sachen Videoüberwachung eine weltweite Vorreiterrolle einnimmt, wird im Bericht von Alexander Schwarz deutlich: Weil er vor 20 Jahren in London einen unzulässigen Fahrschein benutzte und deshalb kurzerhand festgenommen wurde, ist sein DNA-Profil noch heute in der britischen DNA-Datenbank (NDNAD) gespeichert – zusammen mit den Profilen fast fünf Millionen weiterer Personen. Zu dieser Unmenge kommen noch ca. 450.000 Spurendatensätze hinzu, wie Helen Wallace in ihrem ausführlichen Beitrag beschreibt. Der Kampagne „GeneWatch“ und einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es zu verdanken, dass seit 2011 zumindest die DNA-Daten von Unschuldigen – solange es sich nicht um ein schweres Delikt handelt – gelöscht werden müssen.
Eric Töpfer nimmt in seinem Beitrag den Vertrag von Prüm und das europäische DNA-Datennetz in den Blick, welches maßgeblich vom SPD-Sicherheitsarchitekten Otto Schily ersonnen und vorangetrieben wurde. Dieser Vertrag dient auch als Vorbild für bilaterale Abkommen, mit denen beispielsweise die USA ihre biometrischen Datenbanken weltweit vernetzen. Zu Recht ordnet Töpfer diese Strategie als „transatlantischen DNA-Freihandel“ ein, obgleich mit Deutschland wegen technischer Schwierigkeiten der automatisierte Abruf nach dem so genannten Hit/no-Hit-Verfahren noch nicht in die Praxis umgesetzt worden ist. Schließlich beleuchtet Uwe Wendling die Lobbypolitik der Biotech-Branche. Am Beispiel der in Washington ansässigen Firma „Gordon Thomas Honeywall ‘Governmental Affairs’“ (GTH-GA) wird gezeigt, mit welchen Tricks die Lobbyisten vorwiegend in afrikanischen Staaten für eine umfassende DNA-Vorratsspeicherung und die Übernahme der FBI-Software CODIS werben.
Den Abschluss des Buches bildet ein Kompendium für Betroffene von DNA-Speicherungen, das auch im Internet auf den Webseiten des Gen-ethischen Netzwerks oder bei der Initiative Datenschmutz.de zur Verfügung steht. Darin wird neben der komplexen Rechtslage auch die dahinter wirkende DNA-Analysetechnik sowie die Vernetzung von DNA-Datenbanken kurz und übersichtlich erklärt. Schließlich kommen auch Strategien der Gegenwehr zur Sprache.
Fazit
Ein äußerst lesenswertes Buch, welches uns vielschichtig und unterhaltsam vor Augen führt, dass Regierungen und Polizeibehörden das Mittel der Vorratsspeicherung nicht nur für den Bereich der Telekommunikationsverbindungsdaten auf der Agenda hatten und haben. Einziges Manko: Die DNA-Sammelwut von Konzernen und privaten Forschungsinitiativen kommt bei der gewählten Fokussierung auf staatliche Bedarfsträger leider nicht zur Sprache. Gut das diese Datenberge unlängst in anderem Zusammenhang einer ausführlichen Kritik unterzogen worden sind.
Gen-ethisches Netzwerk (Hg.): Identität auf Vorrat – Zur Kritik der DNA-Sammelwut, Assoziation A, 2014, ISBN: 978-3-86241-439-0
Am 27. November findet ab 20 Uhr im Berliner Café k-fetisch (Wildenbruchstr. 86) die Buchvorstellung und Release-Party statt.
Kein ebook? Oder übersehe ich es?
Grüße
Dirk
Wer den Law-Blog regelmäßig liest, dem sollte klar sein, dass jeder dem seine DNA wichtig sind, diese am besten garnicht herausgibt.
https://www.lawblog.de/index.php/archives/2014/07/03/die-doppelt-vergessene-dna-loeschung/
https://www.lawblog.de/index.php/archives/2014/02/03/ihre-dna-bitte/
https://www.lawblog.de/index.php/archives/2012/05/04/dna-test-weigerung-begrndet-keinen-verdacht/
Nur einige Auszüge, aus einem Haufen von Beiträgen, wo ich mich regelmäßig an den Kopf fassen musste.
Das ist genau das gleiche wie mit den RFID chips die sie uns inpflanzen wollen. Was glauben die eigentlich wer die sind?
Man sollte die Anforderung von Massen-DNA-Tests in der Öffentlichkeit noch viel deutlicher als das herausstellen was es ist: Massives Versagen der Polizeiarbeit auf allen vorherigen Ebenen, die nicht mal dazu geführt hat, den Verdächtigenpool auch nur ansatzweise einzuschränken.
Aber das der Polizei an sich schlechte Arbeit irgendwann peinlich wird ist wohl auch nur ein Wunschtraum, ohne jetzt einzelnen engagierten Beamten zu Nahe treten zu wollen.