Medienkompetenz, quo vadis? Teil I: Was ist das eigentlich?

Der Anteil der Menschen, die durchschauen, wer Zugang zu den Bildern auf ihrem Facebook-Profil hat, ist erschreckend gering. Die Verunsicherung darüber, ob eine Abmahnung ins Haus steht, wenn man sich ein Video im Netz anschaut, ist groß. Die Aufgabe, die ständig auf uns einprasselnden Informationen zu filtern und zu verarbeiten, überfordert viele. Wir befinden uns in einer Zeit, in der Kommunikationsmedien und Technik sich schneller verändern, als die meisten mit dem Verständnis hinterherkommen. Informatische Grundbildung und Medienverständnis befinden sich in einer massiven Schieflage.

Doch was verstehen wir eigentlich unter „Medienkompetenz“? Was soll da eigentlich vermittelt werden? Und wie erreicht man das, ist etwa Informatikunterricht für alle das Allheilmittel? Oder brauchen wir einen Internetführerschein? Was kann man selbst tun, um der heranwachsenden Generation nicht nur beizubringen, moderne Medien zu konsumieren, sondern sie auch dazu anzuregen, sie aktiv mitzugestalten?

Das soll in einem kleinen Themenspecial beleuchtet werden. In den kommenden Tagen wollen wir Beiträge sammeln, die sich damit beschäftigen, wie vor allem Kindern und Jugendlichen ein verantwortungsvoller und bewusster Medienumgang nahegebracht werden kann, damit die Facebook-Party-Fotos von heute nicht das vorzeitige Ende der Karriere von morgen bedeuten. Teil I beschäftigt sich ersteinmal mit ein wenig Theorie, um eine Definition dessen zu versuchen, worüber wir eigentlich reden wollen.

Medien ändern sich

Lascaux2“Medienkompetenz“ ist zum Buzzword geworden und findet sich gleichermaßen in Lehrplänen, politischen Vorträgen und ist selbst in Wahlprogrammen und dem aktuellen Koalitionsvertrag zu finden. Es wird schnell klar, dass der Begriff stark vom aktuellen Verständnis und Umfang des Begriffs „Medium“ an sich abhängt. Definiert man man „Medium“ nach Francois Fluckinger als Mittel zur Übertragung von Informationen zwischen Quelle und Senke , muss man ausgehend von Höhlenmalereien, Gesten, Sprache, Zeitung, Radio, Fernsehen, …, und Internet alles als Medium verstehen. Damit er nicht mit jeder technischen Veränderung sofort an Relevanz verliert, muss auch der Ausdruck „Medienkompetenz“ es schaffen, diese Faktoren zu umfassen – auch wenn wir heute und in dieser Serie primär an das Hauptmedium Internet denken.

Medienkompetenz tauchte zum ersten Mal in den 70er Jahren in der pädagogischen Literatur auf und wurde durch den Erziehungswissenschaftler Dieter Baacke geprägt. Sein Begriff der Medienkompetenz baut auf Habermas Verständnis von Kommunikationskompetenz auf und bezieht die Entstehung von Massenmedien und damit die Wandlung von Kommunikationsstrukturen mit ein. Baackes verfolgt eine positive Einstellung gegenüber der massiven Ausweitung an Kommunikationsmöglichkeiten und vertritt die Ansicht, dass jeder Mensch lernen könne, mit diesen neuen Möglichkeiten kompetent umzugehen. Darauf gründet sich sein Konzept der Medienpädagogik, die die Vermittlung von Medienkompetenz zum Ziel hat, die sich seiner Meinung nach aus vier Faktoren zusammensetzt:

  1. Medienkritik besteht aus der analytischen Erfassung gesellschaftlicher Prozesse, der anschließenden Übertragung auf sein eigenes Handeln und Denken sowie die Fähigkeit, dieses dadurch sozial-verträglich zu gestalten
  2. Medienkunde meint das Wissen über Medien und Mediensysteme, dazu zählt sowohl der Umgang mit selbigen als auch ein grundlegendes Wissen über deren Funktionsweise
  3. Mediennutzung besteht nach Backes Auffassung aus der Nutzung interaktiver Medien und dem Anwenden
  4. Mediengestaltung umfasst die innovative Veränderung und die kreative Nutzung medialer Möglichkeiten

Baackes Medienverständnis entspringt einer Zeit, in der sich der Computer, geschweigedenn das Internet, noch nicht als Massenmedium etabliert hatte. Später griffen Bernd Schorb, Erich Mohn und Helga Theunert Baackes Ansatz auf und stellen 1998 einen konkreten Bezug zum neuen Massenmedium Computer her:

Das Individuum […] unterliegt auch dem Einfluss der Medien. Es bestimmt jedoch in der Auswahl der Medien und in der Verarbeitung medialer Inhalte, welche Effekte diese haben können und es wirkt […] auch auf diese ein. […] Als besonders intensiv wird diese Beeinflussung bei Kindern und Jugendlichen gesehen, da hier die Medien und ihre Inhalte in den Prozess der affektiven und kognitiven Entwicklung eingreifen. […] dass Computerwelten nicht mehr von den foto- oder videografischen zu unterscheiden sind, und die vielen unterschiedlichen Formen der Computeranwendung bedingen stets neue Probleme, die der öffentlichen Kontrolle entgleiten oder ihr auch bewusst entzogen werden.

Auch die Politik schreibt sich die Förderung der Medienkompetenz auf die Fahnen

In einem Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ wird Medienkompetenz in Konkordanz mit Baackes und seinen Nachfolgern als einen durch viele Aspekte geprägten Begriff verstanden:

Medienkompetenz wird in der wissenschaftlichen Diskussion keineswegs reduziert auf technisch-manuelle Fertigkeiten verstanden, sondern bezeichnet eine Spannbreite von kognitiven, affektiven und konativen (also das Denken, Fühlen und Handeln betreffende) Fähigkeiten, die ein medienkompetentes Individuum aufweisen sollte.

CC-BY-SA 2.0 via flickr/lupuca
CC-BY-SA 2.0 via flickr/lupuca

Die Relevanz des Themas, wie es durch die Enquete herausgestellt wurde, hat auch dazu geführt, dass die politischen Parteien es im Vorfeld des letzten Wahlkampfs in ihre Wahl- und Regierungsprogramme aufgenommen haben. Die SPD spricht von der Förderung der „Digitalen Selbstständigkeit“ und will diese erreichen, indem sie digitale Klassenzimmer schafft, jedes Kind mit Mobilrechnern ausstattet und Lehrinhalte im Internet zugänglich macht. Die CDU setzt hingegen auf Software, um Kinder und Jugendliche „vor den möglichen Auswüchsen der modernen Medienwelt“ zu schützen. Solch ein Vorgehen wird von den Grünen wiederum komplett abgelehnt. Außerdem betonen sie, dass der mündige Umgang mit Medien „für Menschen aller Generationen gleichermaßen aktuell“ und eine wichtige Voraussetzung für politische Teilhabe ist.

Letztlich wurde das Konzept auch an vielen Stellen im Koalitionsvertrag wieder aufgegriffen, sogar in breitem Maße. Es wird zum Ziel gesetzt, Fortbildungen für Lehrer zu forcieren, Menschen zur Unterscheidung von illegalen und legalen Inhalten im Netz zu befähigen, Kinder und Jugendliche an eine sachkundige Internetnutzung heranführen und sogar ein „Freiwilliges Soziales Jahr Digital“ einzuführen, damit Jugendliche gemeinnützigen Einrichtungen mit ihrer oftmals fortgeschritteneren Medienkompetenz zur Seite stehen können.

Medienbildung ist nie abgeschlossen

Was klar ist: Medienkompetenz ist dynamisch. Sie ist nichts, was man sich einmal aneignet und auf dem man sich ausruhen kann. Deshalb ist sie grundlegend verschieden von konkreten Qualifikationen wie „Ich kann den Browser bedienen“ oder „Ich kann bei Facebook meine Privatsphäreneinstellung ändern“, sondern vielmehr ein gutes Beispiel für das Prinzip des lebenslangen Lernens, das sich immer wieder an neue Umstände anpassen muss und durch Medienbildung gefördert werden kann und sollte.

Eines ist Medienkompetenz mit Sicherheit nicht: Eine Liste an Regeln  oder eine Gebrauchsanleitung, die postuliert, wie sich der Mensch im Internet zu verhalten hat. So wie die 10 „Regeln für die digitale Welt“, die Hans-Magnus Enzensberger Ende Februar in der FAZ deklarierte. Smartphones wegzuwerfen und nur noch Postkarten zu schreiben, wie von ihm vorgeschlagen, wird kaum zu einer Welt führen, in der wir bessere Kontrolle über unsere Daten gewinnen und sicher vor Überwachung sind. Flucht in eine technologische Vorzeit bedeutet gleichzeitig auch das Aufgeben dessen, was uns die digitale Welt an positiven Aspekten beschert hat.

internetstoppLeider findet man den überprotektiven Ansatz, durch Medienvermeidung auch die Gefahren der Medien zu beseitigen, viel zu häufig, besonders im Umgang mit dem Jugendmedienschutz. Im schlimmsten Fall führt das zu Internetzensur, die auch für Kinder und Jugendliche wertvolle Inhalte gleich mitblockiert, statt zu einer gezielten und kompetenten Auseinandersetzung mit den Gefahren, die Internet und andere Kommunikationsmittel mit sich bringen. Ebenso kontraproduktiv ist die Verteufelung des Computers als Spielwerkzeug zum reinen Zeitvertreib oder – noch schlimmer – Plattform für Killerspiele. Denn auch das Spielen am PC kann, wenn reflektiert eingesetzt, großen pädagogischen und kulturellen Wert schaffen.

Nur ein mündiger Umgang mit der medialen Realität wird es möglich machen, die Fortschritte, die sich technologisch durch das Internet ergeben haben, zu erhalten, auszubauen und wiederzuerlangen, wo sie verlorengegangen sind: Die Möglichkeit globaler Kommunikation und die Überwindung nationaler Schranken. Eine Infrastruktur, um auf Missstände aufmerksam zu machen, die sonst ungehört blieben. Ein Medium ungeahnter Reichweite, um Massen zu mobilisieren, sich gegen festgefahrene Strukturen aufzulehnen. Eine nie dagewesene Agglomeration kreativen Potentials und eine Plattform für Kunstschaffende aller Sparten, ihre Werke zu verbreiten. Der Prozess ist lange, aber er lohnt sich.

Teaser: Der nächste Teil wird am Freitag erscheinen und sich mit einer Bestandsaufnahme der Lehrpläne in deutschen Schulen auseinandersetzen.

7 Ergänzungen

  1. Besten Dank, dass Ihr das Thema angeht !
    Förderungprogramme und -gelder gibt es anscheinend an allen Ecken und Enden, seitens EU (http://www.klicksafe.de/ – „Sensibilisierungskampagne zur Förderung der Medienkompetenz“), Bundesministerien (http://www.surfen-ohne-risiko.net/) sowie Stiftungen (http://www.mkfs.de/ – „den medialen Herausforderungen kompetent .. begegnen“) und Projekten mit Industriepartnern (http://www.internauten.de – Sicherheitsbewusstsein u.a. als „Grundlagen der Erziehung zu einer nachhaltigen Medienkompetenz“ – alle Links nur als Auswahl – der Wald ist vor lauter Bäumen schon nicht mehr zu sehen :) ). Es geht nach meinen Eindrücken vor allem um die MedienNUTZUNG, über -kritik, -kunde oder gar -gestaltung ist mir bisher weniger begegnet.
    Freue mich auf Freitag :)

  2. Als Lehrerin würde ich gerne diese gute verständliche Erklärung für meinen Pädagogikkurs in der 10 drucken oder herunterladen können – gerne auch als pdf. Könnt ihr das möglich machen?

    1. Hallo Vera, bei Firefox gibt es zum Beispiel eine „Leseansicht“. Wenn du die aus dem Browser in ein PDF druckst, sieht das eigentlich schon ganz ordentlich aus. Liebe Grüße, anna

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.