Bayerischer Drohnen-Klüngel profitiert vom Ausstieg aus dem „Euro Hawk“ – Neue Drohne heißt „FEMALE“

Der frühere "Talarion" von EADS (Modell) war der erste Versuch, eine "europäische Drohne" auf den Weg zu bringen.
Der frühere „Talarion“ von Airbus (Modell) war der erste Versuch, eine „europäische Drohne“ auf den Weg zu bringen.
Der frühere "Talarion" von EADS. Das "FEMALE" soll über zwei Triebwerke verfügen.
Der frühere „Talarion“ von EADS. Das „FEMALE“ soll über zwei Turbinen verfügen.

Ein Netzwerk mehrerer deutscher Firmen hat sich längst auf den Ausstieg aus der geplanten Beschaffung der US-Spionagedrohne „Euro Hawk“ vorbereitet und ein eigenes System auf die Schiene gebracht. Dabei handelt es sich im Kern um die Drohne „Talarion“, deren Entwicklung der deutsch-französische Rüstungskonzern EADS 2011 vorläufig eingestellt hatte. „Talarion“ war konzipiert als sogenannte MALE-Drohne („Medium Altitude Long Endurance“).

Das nun favorisierte „Future European MALE“ („FEMALE“) ist immer noch eine MALE-Drohne und würde damit in Höhen operieren, in denen auch Zivilflugzeuge fliegen. Das Konzept ist bereits soweit durchdacht, dass es in eine Studie des Verteidigungsministeriums zum Ausstieg aus dem „Euro Hawk“ eingeflossen ist. In der Öffentlichkeit hat EADS das „FEMALE“ jedoch erst in den letzten Wochen bekannt gemacht, ein entsprechender Eintrag auf der Cassidian-Webseite ist noch frisch.

Die Studie „Alternativen zur Trägerplattform Euro Hawk“ wurde angesichts der Zulassungsprobleme der US-Drohne bereits im August letzten Jahres von Stéphane Beemelmans, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, in Auftrag gegeben. Gesucht wurde ein Flugzeug, mit dem die Bundeswehr ihr von EADS gebautes Signalerfassungssystem ISIS zukünftig transportieren kann.

Durchgeführt wurde die Untersuchung vom Rüstungsdienstleister IABG im bayerischen Ottobrunn. Die Firma bezeichnet sich selbst als „zentrale Analyse- und Testeinrichtung für die Luftfahrtindustrie und das Verteidigungsministerium“. Geprüft wurden insgesamt elf bemannte und unbemannte Plattformen.

Alternativen Airbus 319, „Heron TP“ und „FEMALE“

Der „Euro Hawk“ ist eine sogenannte HALE-Drohne („High Altitude Long Endurance“) für Flughöhen weit über der zivilen Luftfahrt. Da weltweit kein anderes HALE-System verfügbar ist, werden von der IABG lediglich weniger hoch fliegende MALE-Alternativen skizziert. Als Ergebnis kämen demnach drei Flugzeuge bzw. Drohnen in Frage, die allesamt von EADS entwickelt werden bzw. an denen der Konzern beteiligt ist:

  • Das ISIS könnte in einen Airbus 319 verbaut werden. Dieser sei schnell verfügbar, jedoch wären PilotInnen gegenüber eines unbemannten Systems im Falle eines Abschusses gefährdet.
  • Als mögliche Plattform könnte auch die israelische Drohne „Heron TP“ dienen. Diese sei zwar die kostengünstigste Variante, allerdings kann das Gerät nicht die gesamte ISIS-Technik tragen. Die IABG schlägt daher vor, das ISIS in seine zwei Komponenten zu zerlegen (COMINT und ELINT) und je nach gewünschter Mission nur eines der Systeme in die Luft zu schicken. Weil die Bundeswehr womöglich „Heron“-Drohnen für Kampfeinsätze beschafft, könnten sich hier Synergieeffekte anbahnen, wenn die „Heron“ nach Bedarf als Kampf- oder Spionagedrohne genutzt würde.
  • Als dritte und kostengünstigste Alternative schlägt die Studie vor, stattdessen auf die neue „FEMALE“ zu setzen. Veranschlagt werden Kosten von rund 1,3 Milliarden Euro. Vorteilhaft wäre, dass wegen der grundsätzlichen neuen Entwicklung eine Zulassung der Kategorie 3 (dürfte dann am nicht-militärischen Luftverkehr teilnehmen) einfach zu erlangen wäre. Allerdings sei das System erst 2023 verfügbar.

Heute wurde Bernhard Gerwert, der Chef der EADS-Luftfahrtsparte Cassidian, im Untersuchungsausschuss des Bundestags vernommen. Auf die IABG-Studie angesprochen erklärte Gerwert, er würde deren Ergebnis nicht kennen. Einige Zeit später antwortet er aber, von der dort vorgeschlagenen Alternative, das ISIS auf zwei Heron TP aufzuteilen, zu wissen. Wie Gerwert an die Informationen gelangte, verschwieg er. Weiterhin hält er die Behauptung aufrecht, EADS habe keine Zuarbeit für die IABG geleistet. Daraufhin wird ihm eine Passage aus der Studie vorgelesen, die belegt dass Cassidian Teile davon sogar selbst geschrieben hatte:

„Für diese Studie hat IABG Cassidian in Unterauftrag genommen und von Cassidian die Integration von ISIS in FEMALE untersuchen zu lassen, die zu erwartenden Flugleistungen abschätzen zu lassen und den aktuellen Stand der wichtigsten technischen Eigenschaften des FEMALE erhalten“.

„Ein oder zwei Gespräche mit Staatssekretären“ zu europäischer Drohne

In Bedrängnis erklärt Gerwert, er habe keine Ahnung welche Unterlagen hierzu an die IABG gingen. Von deren Umfang habe er erst jetzt erfahren, die Weitergabe sei wohl durch „Mitarbeiter“ erfolgt. Gleichzeitig erwähnt er, dass der neue „FEMALE“ bereits in sieben Jahren, also 2020, fertig entwickelt sein könnte. Von der IABG war noch 2023 genannt worden.

Die IABG ist selbst an der Entwicklung des „Euro Hawk“ beteiligt. Die Firma erhält Aufträge von den Hauptauftragnehmern EADS und Northrop Grumman und musste deshalb ein sogenanntes „Technical Agreement“ (TAA) unterzeichnen, um überhaupt aus den USA gelieferte, geheime Informationen einsehen zu dürfen. Insofern dürfte es sich bei der Studie zum Alternativszenario für den „Euro Hawk“ um ein voreingenommenes Gutachten handeln. Aber wie hat nun EADS von deren Ergebnis erfahren? Wer hat dafür gesorgt, dass der neue „FEMALE“ berücksichtigt wurde und – voilá – sogar als beste Alternative vorgeschlagen wird?

Nachdem der Cassidian-Chef Gerwert „ein oder zwei Gespräche mit Staatssekretären“ zu einer europäischen Drohne á la „Talarion“ und „FEMALE“ geführt hat, traf er sich laut eigener Auskunft am 10. Dezember mit dem Verteidigungsminister in Manching zu einem Vier Augen-Gespräch. Demnach sprachen die beiden über die neue EADS-Drohne, Aspekte waren „Budgetzwänge, Zeiträume, Partner“. Am Tag dieses „Antrittsbesuchs“ von de Maizière in Manching ging es auch in Bonn hoch her: Beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr wurde die brisante Studie der IABG zu den Alternativen für den „Euro Hawk“ vorgestellt.

Zu den Protagonisten einer europäischen Drohne statt eines „Euro Hawk“ gehört insbesondere die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Zwar behauptete Gerwert heute im Bundestag, für die Entwicklung der inzwischen eingestampften EADS-Drohne „Talarion“ niemals Gelder der Bundesregierung erhalten zu haben. Das stimmt aber nicht, denn EADS wurde unter der Legislatur von Angela Merkel mit hohen Summen über den Forschungsetat gefördert. Dabei ging es vornehmlich um Ausweichverfahren, die für eine angestrebte Zulassung für den allgemeinen Luftverkehr erforderlich sind.

„International führender Cluster für Sicherheit, Luft- und Raumfahrt“ in Ottobrunn

Der CSU-Abgeordnete Reinhard Brandl hatte zur anvisierten EADS-Drohne ein Interview des Verteidigungsministers mit der Lokalzeitung „Donaukurier“ in Ingolstadt eingefädelt. Während de Maiziere das in seinem Ministerium längst beschlossene Ende des „Euro Hawk“ damals noch nicht bestätigen wollte, zitiert der „Donaukurier“ den beim Termin ebenfalls anwesenden Brandl:

Der Ingolstädter CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl gewinnt dem „wirklich teuren Desaster“ mit dem Euro Hawk noch aus einem anderen Grund eine positive Seite ab: Die Zulassungsprobleme sprächen „eindeutig für eine europäische Entwicklung“, sagt er. Ein Hoffnungsschimmer für Cassidian in dem Dauerstreit, ob man Drohnentechnik aus dem Ausland – den USA oder Israel – zukaufen oder doch lieber in Europa entwickeln soll.

Um bei der Entwicklung der neuen „FEMALE“ über ausreichend Kompetenzen zu verfügen, wurde in Ottobrunn (dem Sitz der IABG) kürzlich der „Bavarian International Campus Aerospace and Security“ (BICAS) eingeweiht. Die Vorbereitungen dazu dauerten nur ein Jahr. „Wissenschaft und Industrie bündeln ihre Kräfte in gemeinsamen Forschungsvorhaben auf den Gebieten der Luft- und Raumfahrt sowie der Öffentlichen Sicherheit“, erklärt die IABG hierzu fröhlich. Die Schwerpunkte des BICAS sind „Öffentliche Sicherheit, Integrierte Systeme sowie Autonome Flugsysteme“. Zu den zentralen Beteiligten des neuen Exzellenzclusters zählen die IABG, EADS, Airbus und die Bundeswehr – mithin alle Akteure, die laut der IABG-Studie vom Scheitern des „Euro Hawk“ profitieren könnten. Auch der BICAS wurde von der CDU/CSU initiiert:

Für die CSU-Abgeordneten Kerstin Schreyer-Stäblein, MdL und Florian Hahn, MdB ein besonderer Tag, nachdem sie den Entstehungsprozess des BICAS zwei Jahre intensiv und maßgeblich begleitet hatten.

Die beiden Abgeordneten bezeichnen den BICAS als „international führenden Cluster für Sicherheit, Luft- und Raumfahrt“.

Der MdB Florian Hahn kommt als Direktkandidat aus dem Wahlkreis München-Land. Hier liegt auch der Technologiestandort Ottobrunn. Hahn ist Berichterstatter für die CDU/CSU zum „Euro Hawk“ im Verteidigungsausschuss und hat an Sitzungen des derzeitigen Untersuchungsausschusses teilgenommen.

Es ist unwahrscheinlich, dass der Abgeordnete nichts vom drohenden Scheitern des „Euro Hawk“ wusste. Denn Hahn ist nicht nur ein glühender Verfechter des „FEMALE“, sondern zugleich Mitglied im Aufsichtsrat der IABG – also jener Firma, die im Auftrag des Verteidigungsministeriums Alternativen zu ihrem eigenen Scheitern im „Euro Hawk“-Konglomerat untersuchen sollte.

Dadurch könnte der hochrangige IABG-Mitarbeiter vor einem Jahr von dem Gefälligkeitsgutachten zu Alternativen für den „Euro Hawk“ gewusst haben, als es vom Verteidigungsministerium bei der Firma in Auftrag gegeben wurde.

Zur Vernehmung des Verteidigungsministers im Untersuchungsausschuss am Mittwoch müsste die CDU/CSU Stellung beziehen, ob sie über den MdB aus Ottobrunn an Ergebnisse aus der Studie gelangte oder sogar Inhalte einbrachte. Denn es ist immer noch ungeklärt, wer dem Rüstungskonzern EADS den entscheidenden Hinweis gab, dort sein „FEMALE“ zu platzieren und die entsprechende Passage sogar selbst zu schreiben.

11 Ergänzungen

  1. Ist doch ein geniales Geschäftskonzept. Erst lässt man sich für die Grundlagen-Forschung bezahlen (EADS Barracuda). Dann verlangt man soviel Geld für eine darauf aufbauende Weiterentwicklung zur Serienreife, dass die Luftwaffe ganz sicher erst woanders kauft. Dort steckt man über die, zwangsweise deutsche, Spionagetechnik (SIGINT) ohnehin mit drin. Dann bietet man der Luftwaffe die Zulassung des Konkurenzprodukts für den zivilen Luftraum zum Schnäppchen von ein paar hundert Mio an. Da man aber weiß, dass es die frühestens 2023 geben kann (nach derzeitiger (!) Timeline des SESAR-Projekts (UAS heissen dort RPAS (Remote Piloted Air Systems) und der zivile Luftraum entspricht IFR/VFR), in dem die Zulassungs-Kriterien für UAS erst definiert werden) lehnt man sich entspannt zurück und schaut dem EuroHawk beim planmäßigen Scheitern zu. Dann schlägt die Firma, die mit der deutschen EADS-Zentrale in Ottobrunn Tür an Tür wohnt (IABG), wiederum für ein Schäppchen von diesmal 1300 Mio, als günstigste Alternative eine Eigenentwicklung der EADS vor. Und die könnte dann – es ist natürlich nur Zufall! – ab 2023 einsatzbereit sein.

    Die damaligen Verhandlungen kann ich mir richtig gut vorstellen. Ein Luftwaffen-General, ein EADS Sales- und ein Marketing-Mitarbeiter:

    : Deutschland braucht Drohnen!
    : Für den deutschen Lauftraum?
    : Natürlich! Für welchen denn sonst?
    : Für den Betrieb von Drohnen im deutschen Luftraum gibt es aber noch keine Zulassungsregularien.
    : [Ist Widerworte nicht gewohnt] Wir brauchen aber Drohnen !!
    : Aber es wird bis mindestens 2023 dauern, ehe die eine Zulassung bekommen können.
    : [Gesichtfarbe färbt sich blutrot] ICH WILL DROHNEN !!!
    [Marketing blickt fragend zu Sales]
    : [lächelt] Aber natürlich können wir Ihnen da helfen…

  2. Also FEMALE ist nun wirklich nichts neues. Das ist immer noch die Talarion, die seit 2008 entwickelt wird. Nur seit die Bundesregierung keine derartige Entwicklung alleine bezahlen will und man potentielle Kooperationspartner (Dassault, BAES) nicht vor den Kopf stoßen wollte, wurde der mit EADS verbundene Name der Drohne „verbannt“. FEMALE ist nun mehrnational und alle erarbeiteten Konstruktionspläne und Softwaregrundlagen wurden übernommen.

    Zum andern liefen Eurohawk und Talarion schon damals parallel und in Konkurrenz zueinander. Heute ist das zwar alles „Cassidian“, sogar mit einem standortübergreifendem Engineering seit letztem jahr, damals war Eurohawk aber EADS Defence Electronics Friedrichshafen zusammen mit Defense and Communications Systems in Ulm und Barracuda/Talarion war EADS Military Air Systems in Manching.
    Da wurden richtige Fehden zwischen den Standorten und Spitzenmanagern ausgetragen. Eigentlich war der Zukauf des Global Hawk aus den USA eine Verlegenheitslösung, um eine schnelle Lösung zu haben und um nicht mit den anderen von Air Systems zusammenarbeiten zu müssen.

    FEMALE ist technisch offensichtlich die beste der genannten Alternativen um das ISIS System praktisch zu nutzen. Da musste die IAGB in Ottobrunn nichts manipulieren.

    Aber das eigentliche Problem bleibt: Es gibt keinen Zulassungsprozess für derart große Drohnen. Ohne Anforderungskatalog und Prozessdefinition keine Zulassung. Mit einem entsprechenden Anforderungskatalog wäre auch bezifferbar, mit welchem Aufwand man den Eurohawk modifizieren und dokumentieren müsste, damit der zugelassen werden könnte. Das war die Hausaufgabe des Verteidigungsministeriums in den letzten Jahren und sie haben das Problem bis heute noch nicht wirklich angepackt. Da steht die Industrie machtlos daneben.

    Grüße aus Manching,
    Steve

    1. Als Anforderungskatalog für die Zulassung von militärischen UAV könnte man sich an der STANAG 4671 „UAV Systems Airworthiness Requirements“ orientieren. Diese behinhaltet eine Sammlung von Anforderungen für den Nachweis der Lufttüchtigkeit (Airworthiness Requirement) for UAV mit einem Startgewicht zwischen 150 und 20.000 kg.
      Es wäre auch hilfreich, wenn man Personal von der Wehrtechnischen Dienststelle (WTD 61) als Zuständige für die Zulassung von militärischen Luftfahrzeugen die Anforderungen für die Zulassung von vornherein in die Flugzeugprojekte einbinden würde und nicht am Ende vor vollendete Tatsachen zu stellen, um dann festzustellen, dass wichtige Unterlagen für die Zulassung nicht vorhanden sind.
      Vorschlag: 10 Personen, die sich mit militärischer Lfz-Zulassung auskennen 3 Monate konzentriert (ohne Einmischung vom BMVg und Beschaffungsamt – BAAINBw) arbeiten lassen und man hätte einen Ansatz, welchen Prozess man für die Zulassung benötigt.

  3. Male und Female, das ist perfide! Malen die auch noch lustige Nasen drauf, damit die Kinder was zum Lachen haben, bevor sie in Stücke geschossen werden?

    1. @marc:
      Wieso abgeschossen?
      In Deutschland hat es schließlich seit den seligen Starfigther-Zeiten eine langjährige Tradition, die Entsorgung von Fluggerät ganz ohne Feindkontakt zu machen ;-).

  4. Brilliant! Wenn wir die Informationen nicht wegzensiert bekommen, vergeben wir halt Codenamen, die sich nicht mehr vernünftig googeln lassen…

    1. wenn es dann noch zu einem schwesterprojekt von „female“ eines kommt das „child“ oder „doogy“ lautet, kommt – dann werden journalisten in zukunft häufiger von der sittenpolizei, observiert und früher oder später weggesperrt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.