Der „Tag des Geistigen Eigentums“ beim BDI – die Nachlese aus der Sicht der FSFE

Der 26. April ist von der WIPO im Jahr 2000 zum „Welttag des Geistigen Eigentums“ ausgerufen worden, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie Patente, Urheberrechte, Warenzeichen und Designs unser tägliches Leben beeinflussen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) hat am 26. April 2012 zum „Tag des Geistigen Eigentums“ ins Haus der Deutschen Wirtschaft eingeladen. Das Motto der Veranstaltung war diesmal „Geistiges Eigentum verpflichtet“ – was in Anbetracht der Hitzigkeit der aktuellen Debatte um eine Reform des Urheberrechts spannende Diskussionen versprach. Insbesondere wäre die Betonung der Pflichten der Rechteinhaber eine willkommene Bereicherung. Eine Delegation der FSFE nahm an der Veranstaltung teil, und wartete lange darauf, dass es zur Sache ging.

Schaltgetriebe, Kettensägen, Kopfhörer


Denn bei den Beiträgen ging es zunächst mal um Schaltgetriebe, Kettensägen und Kopfhörer. In einer tatsächlich beeindruckenden Präsentation von VW über das Direktschaltgetriebe und seinen auf den entsprechenden Patenten in Verbindung mit VWs Lizensierungspolitik aufbauenden Erfolges standen zunächst traditionelle Ingenieurserfindungen und ihr Schutz durch Patente im Vordergrund. Aus Sicht von VW „verpflichtet geistiges Eigentum zum Schutz von Technologien und Innovationen, damit Hochlohnländer wei Deutschland gegen die Konkurrenz aus Niedriglohnländern bestehen können“.
Der Werkzeughersteller Stihl berichtete unter der Überschrift „Wie der Schutz geistigen Eigentums allen nützt“ über die erschreckenden Ausmasse, die Produktpiraterie angenommen hat, und zog die Verbindung zwischen den Namen der Unternehmen und Produkte, die Konsumenten entsprechende Qualität erwarten lassen, und der Verbrauchersicherheit, die durch Nachbauten schlechterer Qualität nicht gewährleistet wird. Dabei wird vorausgesetzt, das Nachahmer immer auch schlechtere Qualität mit weniger Verbrauchersicherheit liefern, was sicher im demonstrierten Einzelfall zutrifft, aber – wie die deutsche Solarindustrie gerade schmerzlich lernt – sicherlich nicht verallgemeinert werden kann.

In der Paneldiskussion reduzierte dann Volker Bartels von Sennheiser das Internet auf einen „Marktplatz für Produktpiraterie, mit Strukturen wie bei der Mafia, und Gewinnen wie im Drogenhandel“. Überraschend war der Hinweis von Uwe Wiesner, Leiter Patente, Marken und Lizenzen bei VW, das China inzwischen in Sachen Durchsetzung von Patenten ein verlässlicher Partner sei. Später im Pausengespräch wurde darauf hingewiesen, dass circa 30 Prozent der Produktnachbauten inzwischen aus Deutschland kämen (eine Quelle war dafür nicht aufzutreiben). Die Hamburger Politologin Ingrid Schneider betonte, das ACTA sich als umfassende Alphabetisierungs- und Sensibilisierungskampagne für geistiges Eigentum und Schutzrechte herausgestellt hat. Durch das Internet kommen Bürger direkter und häufiger mit Schutzrechten in Berührung, und durch die ACTA-Debatte denken sie darüber bewusster nach, erkennen die Wichtigkeit und beziehen deutlicher Position. Dies begrüssensewerte Erkenntnis stand im Gegensatz zu früheren Kommentaren, die den ACTA-Gegnern indirekt mangelnen Sachverstand vorgeworfen hatten.

Linke Ecke Digitale Gesellschaft e.V., rechte Ecke Industrie

Auf den Punkt gebracht wurde die aktuelle Bruchstelle zwischen Bürgerinteressen und geistigem Eigentum beim Streitgespräch zwischen Günter Berg vom Hoffmann und Campe Verlag und Markus Beckedahl von Digitale Gesellschaft e.V. Beckedahl wies erneut darauf hin, dass der Begriff Geistiges Eigentum an sich irreführend ist und aus dem Sprachgebrauch gestrichen gehört. Er stellte die aktuelle Laufzeit des Urheberrechts mit siebzig Jahren nach dem Tod des Autors in Frage, und brachte erneut Pauschalabgaben zugunsten von Urhebern ins Gespräch. Er erläuterte, warum mit dem Internet aufgewachsene Bürger dieses als öffentlichen Raum betrachten.

Berg dagegen sprach von Mythos des Internets als öffentlichem Raum, der nicht zuträfe, weil das Internet im wesentlichen von wenigen sehr starken Unternehmen wie Google und Facebook kontrolliert sei. Es müsse auf die Entwicklung eine Unrechtsbewusstseins bei Internetnutzern hingewirkt werden, wenn sie sich ohne Gegenleistung Dinge aneignen, so wie sie dies im realen Leben auch haben.

Es schien, als ob beide Seiten deswegen nicht zu einem gemeinsamen Standpunkt finden konnten, weil die Rolle des Internet diametral unterschiedlich gesehen wurde. Zum Beispiel ist der Handlungsspielraum der Politik, wenn es sich um einen Marktplatz handelt, wesentlich umfassender als bei einem öffentlichen Raum, in dem politische Grundrechte geltend gemacht werden können. Im letzteren sind zum Beispiel Zugangssperren auf Grund von wiederholten Urheberrechtsverletzungen undenkbar, im ersteren schon.

Immer um den heissen Brei

In seiner Begrüssungsrede stellte Markus Kerber vom BDI Schutzrechte als das Fundament des Exporterfolgs der deutschen Wirtschaft heraus. Immer wieder wurde ACTA als Antipiraterieabkommen bezeichnet, dessen Umsetzung doch im Interesse aller liegen müsste. Wiederholt wurden Markenverletzungen und Produktpiraterie als Gründe herangezogen, um die Notwendigkeit der Überwachung des Internets zu belegen. Geistiges Eigentum wurde als integraler Bestandteil einer freiheitlichen und marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung hervorgehoben. Es ist verständlich, dass der BDI die Interessen der deutschen Industrie vehement vertritt, es erscheint aber wenig zuträglich für das kultivierte Führen der Debatte um Geistiges Eigentum im 21. Jahrhundert, solche Positionen relativ unreflektiert vorzutragen. Auch drängt sich der Eindruck auf, dass der BDI im wesentlichen die Interessen der etablierten deutschen Unternehmen vertritt. Jedenfalls waren Stimmen von Tech-Startups bei der Veranstaltung nicht präsent (genauso wenig wie die von Urhebern).

Max Stadler, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz, erklärte, der Schutz des Eigentums sei ein Grundrecht, aus dem direkt der Schutz des geistigen Eigentums folgte. Es ist nun aber so: Der Schutz des Eigentums ist ein Grundrecht, dass zuvorderst nicht nur dem Schutz des Bürgers vor Dieben, sondern aus den Schutz des Bürgers vor dem Zugriff der Staatsmacht sicherstellt. Das Grundgesetz sichert die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Freiheit der Kunst. Geistiges Eigentum kommt erst ausserhalb des Grundgesetzes im Urheberrechtsgesetz vor. Das geistiges Eigentum im Interessenkonflikt zwischen Urheber und Gesellschaft modelliert werden muss, zeigt sich an den einschlägigen Einschränkungen – so sind Schutzrechte im allgemeinen nur zeitlich beschränkt gültig, was beim Besitz an realen Gütern selbstverständlich nicht der Fall ist. Die amerikanische Verfassung enthält eine Copyright Clause, die den Schutz von geistigem Eigentum nur zu bestimmten Zwecken und ebenfalls befristet zulässt. Eigentum und geistiges Eigentum sind eben nicht das gleiche, und das eine folgt aus dem anderen nicht direkt. Die leichtfertige Gleichsetzung von Eigentum an Realgütern und geistigem Eigentum ist einer der Kernkritikpunkte der FSF(E) an der bestehenden Rechtsordnung, und dieser lässt sich durch einen solchen Pauschalsatz nicht aus der Welt schaffen. Eher entsteht der Eindruck, dass es sich um den Versuch der Wegdefinition des Problems handelt.

„Geistiges Eigentum“ als irreführender Begriff

Wem dafür bisher Gründe fehlten – die Veranstaltung des BDI zeigte deutlich, wie der Begriff des „Geistigen Eigentums“ an sich irreführend sein kann. Produktpiraterie, also das Verkaufen von Nachahmungen, die dem Verbraucher vorgaukeln, Produkte eines namhaften Herstellers zu kaufen, ist ein Problem des Markenrechts, also entweder der unrechtmässigen Verwendung eines Namens oder einer sehr ähnlichen Verballhornung (in der Präsentation von Stihl wurde von Produkten gesprochen, die unter den Namen „Still“ oder „Sthil“ verkauft wurden). Das Recht einer Firma an seiner Marke ist vergleichbar mit dem Recht einer Person am eigenen Namen, entsteht automatisch und gilt potentiell ewig. Es hat mit Urheberrecht oder Patenten an sich gar nichts gemein, dient aber in der Argumentation immer wieder als Beweis, das Geistiges Eigentum ständig verletzt wird, und deswegen die Durchsetzung dessen forciert werden muss. Selbst wenn durch Produktpiraterie Patente verletzt werden, lässt sich noch keine Verbindung zur Anwendung des Urheberrechts auf das Internet aufbauen. Die Argumente der betroffenen Industrieunternehmem sind berechtigt und ihnen muss bei der Vertretung ihrer Rechte zur Seite gestanden werden. Es handelt sich hier aber um ein Problem der Durchsetzung der bestehenden Rechtsordnung, während dem Wehleiden der Verwertungsgesellschaften das Wegbrechen eines überholten Geschäftsmodells zu Grunde liegt.

Tragisch ist, dass diese falsche Zusammenfassung von artverschiedenen Sachverhalten in diesem Fall der Industrie Schaden zufügt: Die Forderung nach der Bekämpfung von Produktpiraterie ist allgemein nachvollziehbar, und hätte, da sie dem gesunden Menschenverstand entspricht, es sicherlich leicht eine politische Mehrheit zu finden. Dadurch das ACTA aber quasi huckepack mit Antipirateriemassnahmen auch Vorhaben zur Überwachung wegen Urheberrechtsverletzungen enthält, erregte das Gesamtpaket an Massnahmen erheblichen politischen Widerstand. Es ist im Interesse des BDI und der deutschen Industrie darauf hinzuwirken, diese Verquickung eines Gemischtwarenladens an Schutzrechten unter dem Namen Geistiges Eigentum aufzulösen, und die einzelnen daraus entstandenen Problemfelder – den Kampf gegen Produktpiraterie, die Reform des Urheberrechts, das europäische Patent, … – einzeln anzugehen. Eine solche Vorgehensweise würde der deutschen Industrie und dem BDI auch ermöglichen, die Debatten um den Schutz von realen Gütern einerseits und die Umsetzung des Urheberrechts auf Informationsgüter im Internet andererseits sachgerecht zu trennen.

Das Internet – Marktplatz oder öffentlicher Raum?

Es ist überraschend, dass die Frage nach dem Charakter des Internets als öffentlichem Raum immer noch diskutiert wird. Deswegen folgt hier noch einmal das Verständnis derjenigen, die mit dem Internet aufgewachsen sind: Das Internet ist der öffentliche Raum, in dem Beziehungen gepflegt (Privatsphäre), Informationen aufgenommen (Meinungsfreiheit) und bereitgestellt (Freiheit der Presse) werden, das eigene Gesamtbild gepflegt wird (freie Entfaltung der Persönlichkeit), in dem in Communities gemeinsame Ziele verfolgt werden (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit), Nachrichten versandt werden (Briefgeheimnis), … Eine abschliessende Aufzählung ist wohl nicht möglich, aber wer will unter dieser Sichtweise dem Internet die Eigenschaft des öffentlichen Raums absprechen? Damit wird auch deutlich, warum die Verweigerung des Zugangs zum Internet vom Bürger aufgenommen wird, als würde man erwägen, Berufsverbote wieder einzuführen. Für Netzbürger ist das Wegnehmen des Internetzugangs vergleichbar mit dem Hausarrest für Dissidenten.

Politik und Interessenvertreter wie der BDI sind in diesem Zusammenhang gefordert, und offensichtlich teilweise überfordert, ihr eigenes Verstandnis vom mündigen Bürger auf den neuesten Stand zu bringen. So erlaubt das Internet neue Formen der partizipativen Demokratie, da es tatsächlich möglich macht, jeden einzelnen Bürger nach der Meinung zu einem Thema zu befragen. Insofern liegt Markus Kerber vom BDI falsch, wenn er postuliert, dass das einzige Thema der Piratenpartei die Umdeutung geistigen Eigentums as Kollektivgut ist. Es ist das Gespenst der aktiven Teilhabe des mündigen Bürgers an transparenten Entscheidungsprozessen, die das Internet möglich macht und von der Netzbürger wissen, dass sie möglich ist. Politik und institutionelle Interessenvertreter wie der BDI empfinden diese zumindest als unangenehme Veränderung.

Deswegen sollte es aber nicht verwundern, wenn protektionistische Massnahmen wie ACTA heute grosse Teile der interessierten Öffentlichkeit zum Protest aktivieren, während man diese vor einigen Jahren noch gemütlich zwischen politischen Ausschüssen und Interessenvertretern verkungeln konnte. Der BDI sollte sich dafür einsetzen, alle Sektoren der deutschen Industrie in eine rational geführte Debatte einzubeziehen, und Lösungen zu unterstützen, die nicht sofort wieder auf Grund von Einschränkung von Freiheitsrechten auf den Prüfstand gebracht werden. Eine zukunftsweisende, langfristig stabile, den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und individuellen Interessen gerecht werdende Regelung des Urheberrechts ist eine wichtige Grundlage für das langfristige Wachstum der deutschen Wirtschaft. Der BDI kann hierzu eine führende Rolle übernehmen, denn „Geistiges Eigentum verpflichtet“.

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4 Ergänzungen

  1. Leider falsch der Hinweis mit der Produktpiraterie. Es geht nicht nur um Markenverletzungen sondern zu 90 Prozent um Produkte, die eben nicht simuliaren (durch Produktnummer,Logo,TM) dass sie von einem bedeuenden Hersteller sind sondern einfach kopiert werden.

  2. Ich finde die Darstellung der rechtlichen Zusammenhänge, der verschiedenen Bestandteile des Begriffs „Geistiges Eigentum“ (lt. Auffassung des BDI) sehr interessant. Eine gute Visualisierung der tatsächlichen rechtlichen Zusammenhänge (Eigentum vs. Geistiges Eigentum, Markenschutzrecht, etc.) wäre vermutlich oft sehr Hilfreich um der Masse dieses Thema näher zu bringen. Denn das zu verstehen ist für einen Großteil der Bevölkerung nicht trivial.

  3. „Geistiges Eigentum“ ist – auch wenn es eine internationale Organisation, die so benamt ist, gibt – ein irreführender Begriff.

    Beispiel Patentrecht: Der Patentinhaber erwirbt gebührenpflichtig ein zeitlich begrenztes Monopol dafür, dass er seine „geistige Alleininhaberschaft“ aufgibt, indem er in der Patentschrift seine Erfindung offenlegt, idealerweise so, dass nach Ablauf der Schutzfrist jeder Wettbewerber die Erfindung nutzen kann.

    Ein Patent hat also zur Voraussetzung, dass der Erfinder seine Erfindung jedermann bekanntmacht. Lediglich für bestimmte Nutzungen derselben erhält er im Gegenzug ein zeitlich begrenztes Monopol. Er darf also – will er ein Patent erlangen – seine Idee gerade nicht „für sich behalten“.

    „Geistiges Eigentum“ ist ein Kampfbegriff. Die Analogie zum Sacheigentum ist aber ebenso falsch, wie die Gleichstellung von Delikten gegen urheberrechtliche Bestimmungen mit Gewaltverbrechen („Raub“, „Piraterie“).

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