Live: Public Square Squared – die Fronten des Info-Kriegs

Ich blogge hier live von der Ars Electronica in Linz. Rechtschreibfehler können erstmal gerne behalten werden. Gut möglich, dass ich Einzelheiten nicht berücksichtige, aber dafür gibts später Videoaufnahmen im Netz. Ich ergänze später noch Bilder.

Auf der Ars Electronica findet heute das Symposium “Public Square Squared – die Fronten des Info-Kriegs” statt. Der Tag ist unterteilt in „After the revolution“ und „Before the revolution“. Am Vormittag stand der arabische Frühling und eine Reflexion über den Einfluß von Internet und sozialen Medien auf diesen auf dem Programm.

David Sasaki, der das Symposium zusammen mit Isaac Mao organisiert hatte, verglich die 68er-Generation und ihre Proteste mit der medialen Situation heute. Das war interessant, weil mir noch nicht so bewusst war, dass deren Vernetzungsmedium damals das Fernsehen war. Denkt man ja erstmal nicht und ich fragte mich schon länger, wie die es früher geschafft haben, sich ohne Internet zu vernetzen. Aber vorher hatte sich Fernsehen flächendeckend durchgesetzt und man war erstmal in der Lage, auf Demonstrationen und während Protesten über Fernsehkameras eine größere Menschenmasse zu addressieren. In den USA waren wohl Ausschreitungen zwischen Polizisten und Demonstranten während eines Parteitages der Demokratischen Partei 1968 einer der Auslöser für landesweite Proteste. Damals berichtete das Fernsehen davon, dass sich Demonstranten dagegen whrten, ohen Grund von der Polizei zusammen geschlagen zu werden, wie das damals wohl üblich war. „The Whole World is Watching“ entwickelte sich als Slogan. David Sasaki zitierte auch Daniel Cohn-Bendit, der 1968 in Paris medial sehr präsent war mit den Worten „We met through television. We were the first television generation.“

Ideologische Vergleiche zwischen 1968 und heute sind eher schwer. In beiden Zeiten ging/geht es um Anti-Macht-Proteste, aber heute geht es weniger um ideologische Alternativen. Dafür gibt es heute ein gemeinsames Mem: Freiheit. Und „Reclaim your future“ (Wie @techsoc es im weiteren Verlauf der anschließenden Debatte nannte).

Als nächste sprach Lina Ben Mhenni, die als Bloggerin von „A tunesian girl“ bekannt geworden ist, über die tunesische Revolution und die Rolle des Netzes in dieser.

Die Proteste Anfang des Jahres waren nicht die ersten gegen den Diktator. Bereits 2008 gab es soziale Proteste im Süden, diese wurden blutig niedergeschlagen und viele verhaftet. Die sozialen Problemen blieben aber bestehen. Sie erklärte erstmal ausführlich, warum es Unsinn ist, von einer „Wikileaks-Revolution“ zu reden, wie das Wikileaks in einer leichten Selbstüberschätzung kommuniziert hatte. Es gab zwar US-Depeschen, die im November vergangenen Jahres Korruption in Tunesien anprangerten, aber man könne davon ausgehen, dass ein Großteil der tunesischen Bevölkerung niemals was von Wikileaks gehört habe. Eine Twitterrevolution sei es auch nicht gewesen, in der Hauptzeit wurde der zentrale Hashtag #sidibouzid nur bis zu 10.000 x pro Tag verwendet und am Anfang nur rund 2.000x. Für eien Internetrevolution gebe es auch wenig Anhaltspunkte.

Es sei eine Straßenrevolution gewesen, die durch Internet und ausländisches Fernsehen (France24 / Al Jazeera) gestützt wurde. Diese anderen Medien waren notwendig, um eine alternative Realität zu verbreiten, nachdem die Staatsmedien Lügen und Propaganda kommunizierten.

Aber das Internet spielte trotzdem eine große Rolle: Vor allem um mit Handies Bilder und Videos von Demonstrationen zu machen, diese zu verbreiten und damit anderen Menschen zu zeigen, dass man nicht alleine ist in den Protesten. Warum das bedeutend was, erzählte Zeynep Tufekci (@techsoc) anschließend. Sie sprach über „social media and collective action under authoritarian regimes“

In den meisten arabischen Ländern gab es Gemeinsamkeiten: Diktatoren waren 30-40 Jahre im Amt, oft nicht erfolgreich, sehr unbeliebt und es stellt sich die Frage: Warum waren die totzdem solange an der Macht? Sie beschrieb das „collective action problem“, wenn ein gemeinsames Problem effektiv durch Massenpartizipation gelöst werden soll, aber man in solchen Umständen lebt. Für den einzelnen ergeben sich aber in der Regel hohe Kosten, dazu ist die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns da und man kann nicht so einfach organisieren und kommunizieren, weil alles zensiert. Das sei oft der Schlüsselmechanismus, warum sich solche Diktaturen lange halten. Dazu gibt es noch andere Probleme in diesen Dikaturen, wie Patronage, ethische Unterschiede, etc.

Um die Gefahr und möglichen Kosten für den einzelnen zu erhöhen, gebe es Folter als Einschüchterungsmechanismus. Dazu Zensur, um Kommunikation und Organisation zu verhinden und insgesamt Protest zu minimieren. Aber auch ein großer Überwachungsstaat hätte natürliche in Ressourcenproblem und könne weder jeden einzelnen kontrollieren, noch auf die Schnelle Millionen Menschen ins Gefängnis packen.

Warum haben die Proteste in Tunesien und Ägypten 2011 geklappt und nicht schon früher? Soziale Medien und das Netz spielten eine wichtige Rolle. Das Netz und seine Many-to-many-Kommunikation macht es schwieriger, Menschen zu isolieren und zu zensieren, Netzwerke wachsen schnell und Menschen können schnell an viele Botschaften schicken. Dazu kann man mit dem Netz Protest organisieren und z.B. Folter dokumentieren.

Dazu lösen sie ein Problem: Wenn man in einem Staat lebt, wo man gefoltert wird für die Teilnahme an Demonstrationen, dann möchte man in großer Zahl direkt am Anfang von Protesten erscheinen, um das Risiko für jeden Einzelnen zu minimieren. Das wachsen von Netzwerken und die Kommunikationsgeschwindigkeit sind Schlüsselfaktoren. Weiterer Vorteil von Many-to-Many-Networks: Sie sind schwieriger kaputt zu machen, gegenüber „traditionellen“ sozialen Netzwerken, wo man oft nur einzelne Knotenpunkte entfernen muss, um Brücken zwischen verschiedenen Gruppen auszuschalten.

Zeynep Tufekci präsentierte sehr interessante Zahlen vom ersten großen Protesttag auf dem Tahirplatz in Kairo, die sie in einem soziologischen Paper ausführlich ausgewertet hat, was aber noch im Peer-Review-Verfahren liege. Die Zahlen wurden nach der Schnellball-Methode ermittelt, d.h. auf dem Platz empfahlen bereits Befragte andere Personen weiter, so dass es nicht für Gesamtbevölkerung repräsentativ ist (trotzdem 1050 befragte Personen). Aber es ging ja auch darum zu ermitteln, warum und wie die Menschen an dem Tag auf den Tahirplatz gekommen sind. Überraschendes Ergebnis: Die große Mehrheit hatte Internet zuhause (In Ägypten nicht ganz so die Regel wie bei uns), Frauen noch mehr als Männer, rund 50% waren Facebook-Nutzer (sonst 25% in Ägypten), 14% auf Twitter, etc. 28,3% haben von den Protesten auf Facebook erfaren (Facebook-Party), 13% übers Handy (Wohl SMS), 48% Face-to-face und Rest woanders.

Mit anderen Worten: Social Media Nutzer waren am Anfang statistisch gesehen viel mehr auf dem Tahirplatz. Das sei eine große Veränderung zu früher und einer der Schlüsselelemente dieser Proteste, weil kritische Masse sehr schnell erreicht wurde und das Regime Probleme hatte, dort einzugreifen. Rund 50% der befragten Teilnehmer machte Fotos, auch das ein großer Unterschied zu früher, wo man sich freute, wenn mal ein Journalist anwesend war, um Proteste zu dokumentieren.

Ihr Fazit:

1. Warum ist der erste Tag bedeutend? Der erste Tag ist der Schlüssel für gemeinsame Proteste, das schlimmste, was passieren kann ist, dass man an gescheiterten Protesten teilnimmt, wo sonst kaum jemand ist. Daher ist auch die Startgröße so bedeutend für Erfolge.
2. Visuelle Doukumentation ist bedeutend und die muss auch um die Zensur herum geschleust werden.
3. Soziale Medien haben sich als wichtige Komponente der Story erwiesen

Die letzte in der Runde war die syrisch-spanische Bloggerin Leila Nachawati Rego, die über „citizen mobilization: the internet and decentralized communications for social chance“ sprach. Sie redete über die aktuellen Proteste in Syrien und Spanien, die man kaum vergleichen könne, weil das eine in einer Diktatur stattfindet und das andere in einer Demokratie. Aber beide Proteste hätten eins gemeinsam: „A wall of silcence has been broken“. In ihrem Vortrag mit vielen Beispielen erklärte sie anschaulich, wie soziale Videoplattformen wie Youtube und Citizen-Journalismus Menschen erlauben, trotz dass sie ihr Leben riskieren, die Wahrheit (TM) zu verbreiten. Auf Bildern von Protesten habe man manchmal das Gefühl, dass mehr Handies als Hände auf einer Demonstration seien. Das würde viel verändern. Die Sichtbarkeit wäre gut und helfe Aktivisten. Aber oftmals sei es keine gute Idee, alle Beteiligten einer Demonstration zu fotografieren und die Bilder ins Netz zu stellen, da sie identifiziert werden können. Immer mehr Menschen würde das bewusst werden und sie würden beginnen, Menschenmassen von hinten zu filmen oder anschließend Gesichter zu schwärzen. Aber sie appelierte zugleich an die Tech-Communty, Werkzeuge zu entwickeln, am Besten noch direkt während des Filmens oder hochladen vom Smartphone Gesichter automatisch zu schwärzen.

Um 15:00 Uhr geht das Symposium weiter mit „Before the revolution“. Ich spreche da etwas über netzpolitik.org und mehr über unsere Motivation, mit „digitale Gesellschaft e.V.“ einen weiteren Weg einzuschlagen. Mal schauen, ob ich dazwischen noch die anderen Vorträge mitgeschrieben bekomme.

2 Ergänzungen

  1. Zu „Rechtschreibfehler können erstmal gerne behalten werden“: das Problem ist nicht, dass Rechtschreibfehler entstehen – das passiert immer und bei einem quasi live geschriebenen Beitrag erst recht. Es geht darum, wieviel Priorität man der sprachlichen Qualitätskontrolle einräumt, egal ob vorher (wie es normalerweise stattfinden sollte) oder nachher (was oft auch nötig sein dürfte, erst recht im Fall „quasi live“). Ich störe mich an der Attitüde, die aus „können behalten werden“ und aus vielen anderen Reaktionen der Autoren spricht, denn ich vermute dahinter die Botschaft „sind mir egal“.

    Ansonsten danke für den interessanten Bericht.

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