Nicht-binär„Aber du siehst für mich wie ein Mann aus!“

Nicht-geschlechtsspezifische Menschen und andere gesellschaftliche Minderheiten sind immer wieder mit Ignoranz und Diskriminierung konfrontiert. Damoun berichtet im Portrait von den Erfahrungen als nicht-binäre, queere, nach Deutschland zugezogene Person und Aktivismus, online wie offline.

Nicht-binäre Personen sind nicht zwangsläufig anhand von Äußerlichkeiten identifizierbar. – Alle Rechte vorbehalten Bianca Maria Poppe

Damoun sitzt mit Freundinnen in einer Bar, als sich eine weitere Frau der Gruppe anschließt. Damoun kennt sie nicht, hat aber ein ungutes Gefühl. Sie präsentiert ihren neuen, kurzen Haarschnitt. Mitten im Gespräch schaut sie Damoun an und sagt, dass sie sich jetzt wie ein toxischer Mann fühle. Ein Mann, der die Welt beherrschen könne. Sie starrt Damoun an und wiederholt diese Sätze. Damoun ist einfach still.

Ein paar Minuten später wendet sie sich erneut Damoun zu: „Fragen wir den einzigen Mann in der Gruppe“, sagt sie.
Als Damoun sich ihr zu Beginn vorstellte, äußerte Damoun den Wunsch, genderneutral angesprochen zu werden. Doch sie ignoriert die Bitte.
In diesem Moment entgegnet Damoun: „Wie kannst du es wagen, mich einen Mann zu nennen? Seit du hergekommen bist, habe ich das Gefühl, dass ich von dir angegriffen werde. Ich identifiziere mich nicht als Mann.“ Sie entgegnet: „Oh, aber du siehst für mich wie ein Mann aus!“

Damoun ist nicht-binär und sieht sich weder als Mann noch als Frau. Damoun fühlte sich zuvor wie gefesselt von dem bei der Geburt vorgegebenen Geschlecht und die Befreiung von diesen Fesseln ist ein fortlaufender Prozess, der vor etwa zwei Jahren begann.

„Bitte missachte nicht meine eigene Identität“, sagt Damoun zu der Frau. Sie reagiert mit den Worten: „Du sagst diese Dinge immer wieder, aber die Welt außerhalb deiner Blase sieht dich als Mann.“

Solange man Menschen wie Damoun nicht zuhört, wird sich das nie ändern. Jede:r könnte die Perspektive ändern und die Art, die Welt zu sehen. Damoun hat im Interview mit netzpolitik.org über einengende Stereotype gesprochen, die Verwendung von nicht-binären Pronomen, Diskriminierung, Rassismus und Aktivismus dagegen.

Stereotype aufbrechen

Damoun holding the moon. - Alle Rechte vorbehalten Damoun

Damoun wurde in Teheran geboren, lebt mittlerweile seit fast zehn Jahren außerhalb von Iran und hat seitdem in Dubai, Zypern und in der Türkei gelebt und gelegentlich als Englisch- und Französischlehrer:in gearbeitet. Zurzeit studiert Damoun Digitale Medienkultur an der Filmuniversität Babelsberg und arbeitet nebenbei bei She Said in Berlin, dem deutschlandweit ersten queeren und intersektional-feministischen Buchladen mit Fokus auf BIPoC (schwarze, indigene Menschen und People-of-Color), weibliche und queere Autor:innen.

Damouns Arbeit soll das stereotypische Bild geflüchteter Personen aufbrechen und deren vielfältige Lebenserfahrungen darstellen. „Wir brauchen mehr Sichtbarkeit für unsere Geschichten, um den verschiedenen Anliegen Gehör zu verschaffen!“, appelliert Damoun und versucht gemeinsam mit anderen Geflüchteten über verschiedene Medien mit Kunst und weiteren Formen von Aktivismus die Sichtbarkeit ihrer Anliegen zu erhöhen. Meistens bleibe aber die harte Arbeit vieler Geflüchteter, nach Damouns Schilderung, unbemerkt und unerkannt, weil sich die Medien bis heute zu viel auf das klischeehafte Bild konzentrieren würden.

Aktivismus verschafft Gehör

Damoun ist auch im Team von Voices4 Berlin. Das Kollektiv setzt sich für die Rechte von LGBTQIA+ ein, kurz für: lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, queer, intersex und asexuell. Das Kollektiv ist verknüpft mit weiteren Gruppen in New York, London und einem für minderjährige queere Personen. Vor der Pandemie hat Voices4 Berlin sich vor allem getroffen und Demos organisiert. Seit Corona treffen sie sich digital und organisieren auch Protest im Netz. 

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Eine der vielen Aktionen, an denen Damoun teilnahm, fand im Frühjahr 2020 statt: Eine marokkanische Instagram-Influencerin machte einen homophoben Post, der schnell Reichweite erlangte. Sie schrieb kurz vor dem ersten Lockdown in Marokko über Grindr, eine beliebte Dating-App für schwule, bisexuelle und trans* Männer. Sie forderte ihre Follower:innen dazu auf, sich gefälschte Profile zu erstellen, um Menschen aus dem Bekanntenkreis auf Grindr ausfindig zu machen.

Die Leute machten Screenshots, outeten Grindr-Nutzer und stellten sie öffentlich bloß. Daraufhin verloren mehrere schwule Männer ihr Zuhause, nachdem ihre Familien sie rausschmissen. Homosexualität ist in Marokko illegal und Schwule können zu langer Haft verurteilt werden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Dating-Apps wie Grindr existieren zwar in Marokko, doch in Fällen, in denen homosexuelle Menschen ihre sexuelle Orientierung öffentlich preisgeben, ist Inhaftierung die Konsequenz. Voices4 Berlin kommunizierte gemeinsam mit den anderen globalen Kollektiven und sie organisierten vorübergehende Bleiben, Essen und weitere Unterstützung für die Opfer des Mobs.

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Von Mikroaggressionen bis hin zu Diskriminierung

Damoun erzählt im Interview viel von diskriminierenden Erfahrungen im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischen Stereotypen und Rassismus. An Tagen, an denen Damoun Make-Up trägt und androgyn aussieht, erfährt Damoun seitens weißer cis-geschlechtlicher Frauen tendenziell einen freundlicheren Umgang, von Cis-Männern hört Damoun hingegen häufig diskriminierende Kommentare oder Beleidigungen. Erst vor kurzem schilderte Damoun eine Situation, in der ein Cis-Mann Damoun während der Arbeit im Buchladen mit dem Wort „Schwuchtel“ beschimpfte. Damoun erlebt verbale Gewalt vordergründig analog – das liegt auch daran, dass Damouns Instagram-Profil aus Selbstschutz bereits auf privat gestellt ist. 

In einer Studie des Deutschen Jugendinstituts befragten Wissenschaftler:innen queere, junge Menschen und fanden heraus, dass Internetplattformen für sie beides zugleich sind: wichtiger Teil der Vernetzung und ein Ort, an dem Diskriminierung stattfindet. Zum einen können sie dort „zum Teil authentischer auftreten, als ihnen das im realen Leben möglich ist“, gleichzeitig berichtete fast die Hälfte von Beleidigungen und Beschimpfungen.

Damoun nimmt sich Geschehnisse dieser Art nicht zu sehr zu Herzen: „Diese Männer, die mich angreifen, fühlen sich in ihrer eigenen Haut nicht wohl, während sie ihre wahre Identität und ihre Wünsche unterdrücken. Wenn sie also eine sichtbar queere Person sehen, dann triggert das genau diese Männer, weil sie nicht ihr wahres Selbst zelebrieren und sehen, dass ich in meinen eigenen wahren Farben lebe. Sie sind neidisch auf mich und das gibt mir dass Gefühl, Gewinner:in zu sein.“

Wenn Damoun jedoch stereotypisch männlich aussieht, dann verhalten sich Cis-Frauen oft kühl, abweisend und respektlos Damoun gegenüber. Zum Beispiel laufen sie mit weitem Abstand an Damoun vorbei oder wechseln den Sitzplatz, wenn Damoun sich in der Bahn ihnen gegenüber setzt. Damoun befürchtet, dass das an der dunkleren Haar- und Hautfarbe liegt, dem dunklen Vollbart und rassistischen Vorurteilen gegenüber Migrant:innen innerhalb einer dominant weißen, westlichen Gesellschaft.

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„Das Geschlecht ist ein buntes Spektrum, es ist kein schwarz-weißes Konstrukt.“

„Das Geschlecht ist ein religiöses und soziales Konstrukt“, fährt Damoun fort. „Sieh dir beispielsweise einige der indigenen Stämme in der Vergangenheit an: geschlechtsspezifische Kleiderordnungen und soziale Rollen gab es bei ihnen nicht, weil sie nicht unter den begrenzten, engen Definitionen der vordefinierten Normen und Standards unserer heutigen Gesellschaft lebten.“

Damoun beschreibt weiter, dass eine geschlechtsinkonforme Person von überall innerhalb des Geschlechterspektrums stammen kann. Menschen können nicht-binär sein ohne androgyne oder körperlichen Merkmale. Zugleich ist die Geschlechtsidentität nicht mit der sexuellen Orientierung verflochten.

Geschlechtsneutraler Sprachgebrauch zeigt Respekt und erfordert Achtsamkeit. Doch wie genau funktioniert das überhaupt? Wenn man über mehrere Personen zugleich redet, dann ist die gendergerechte Sprache mittlerweile relativ etabliert. Wird über eine Person gesprochen, dann kommen die passenden Pronomen zum Einsatz. Das gefühlte Geschlecht sieht man einer Person nicht zwangsläufig an und im Zweifelsfall muss man höflich danach fragen.

Auch wenn sich der Gebrauch gendergerechter Sprache immer weiter durchsetzt, erhalten wir bis heute regelmäßig Kommentare zu diesem Thema. Unsere Erklärung, warum wir geschlechtergerechte Sprache verwenden, ist mittlerweile ein Jahr alt, aber das Thema scheint viele Leser:innen nicht loszulassen. Je häufiger man dieses Anliegen thematisiert und Menschen dafür sensibilisiert, desto eher kann sich der neue Sprachgebrauch etablieren. Persönliche Erfahrungen wie die von Damoun können durch tiefere Einblicke Empathie schaffen.

In der englischsprachigen Literatur wird seit vielen Jahrhunderten das Pronomen „they“ in einer geschlechtsneutralen Form verwendet, etwa dann, wenn das Geschlecht einer Romanfigur nicht verraten werden soll. Daher ist es etwas weniger kompliziert, die Verwendung der Pronomen „they/them/their“ im täglichen Gebrauch der englischen Sprache für Personen anzupassen, die sich außerhalb der geschlechtsbinären Vorgaben identifizieren.

Wenn man im Englischen über Damoun spricht, würde man immer die geschlechtsneutralen Pronomen „them/them/their“ nutzen. Im Deutschen bevorzugt Damoun keine Pronomen, daher wird der Name anstelle eines Pronomens gesetzt.

Damoun spricht nicht nur fließend Deutsch und Englisch, sondern auch Persisch, Französisch und etwas Türkisch. Persisch und Türkisch sind standardmäßig geschlechtsneutrale Sprachen, in denen geschlechtsspezifische Pronomen überhaupt nicht existieren. 

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„Nicht-binär zu sein ist eine Befreiung des Selbst.“

Ich fragte Damoun, was das Wort nicht-binär für Damoun bedeutet. Die Antwort war voller positiver Energie: „Für mich bedeutet nicht-binär zu sein, Ambiguität zu umarmen. In der Freiheit all der Möglichkeiten zu baden, die ein Körper sein kann. Ich entscheide mich dafür, mein Geschlecht als ein Wesen zu sehen, das nicht wegen mir oder für mich existiert, sondern durch mich. Indem ich es so darstelle, wie ich es möchte, ohne jemandem Androgynität zu schulden. Nicht-binär zu sein, ist eine Befreiung des Selbst.“

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12 Ergänzungen

  1. Geht es hier jetzt auch mit Gender und Identitätspolitik los? Bitte nicht!
    Ich würde es sehr begrüssen, wenn ihr euch weiterhin ausschließlich mit Sicherheitsgesetzen und Ausweitung von Behördenbefugnissen beschäftigten würdet.

    1. Einer der Gründe, wieso auch wir uns mit dem Thema beschäftigen sollten, ist (Ich zitiere aus dem Artikel):

      „Auch wenn sich der Gebrauch gendergerechter Sprache immer weiter durchsetzt, erhalten wir bis heute regelmäßig Kommentare zu diesem Thema. Unsere Erklärung, warum wir geschlechtergerechte Sprache verwenden, ist mittlerweile ein Jahr alt, aber das Thema scheint viele Leser:innen nicht loszulassen. Je häufiger man dieses Anliegen thematisiert und Menschen dafür sensibilisiert (…)“

    2. 1. ja anscheinend tut es das!
      2. ging es hier noch nie ausschließlich um Sicherheitsgesetze und die ausweitung von Behördenbefugnisse!
      und 3. warum so abfällig?

  2. Ein interessanter Artikel, der Mut macht, die eigene Selbstverwirklichung voranzutreiben! Keep it up, Damoun!

    Was das Eingangsszenario angeht, standen dir die Freundinnen zur Seite oder musstest du dich ausschließlich selbst verteidigen?

  3. Sollen doch alle so leben und glücklich werden, wie sie es wollen! Und doch zeigt dieser Beitrag das ganze Dilemma und die ganze Skurrilität dieses Themas.
    Wenn Damoun sagt: „Das Geschlecht ist ein religiöses und soziales Konstrukt.“, dann beschreibt er damit seine Sicht der Welt. Das widerspricht aber vermutlich der Weltsicht der allermeisten Menschen, für die es nunmal eine biologische Tatsache ist, dass es Frauen auf der einen Seite und Männer auf der anderen Seite gibt. Und genau das versucht doch eigentlich nur diese Frau zu erklären, die zu Damoun sagt: „Aber du siehst für mich wie ein Mann aus!“
    Ständig wird in solchen Momenten eingefordert, dass alle anderen gegenüber queeren Personen Respekt, Achtsamkeit und Verständnis zeigen müssen. Aber ist schon mal jemand auf die Idee gekommen, dass queere Menschen auch Respekt, Achtsamkeit und Verständnis aufbringen sollten gegenüber anderen Leuten, die ihnen begegnen und die nicht sofort verstehen, wie sich jemand einfach aus der allgemein anerkannten Realität verabschieden kann? Wie kann es ein diskriminierender Angriff sein, wenn eine Frau (die wie oben erläutert Damoun ja nicht kennt) ihn wie einen Mann behandelt, weil sie nunmal einen Mann vor sich sieht?
    Ich frage mich manchmal, wie weit die überwiegende Mehrheit, also die Gesellschaft als ganzes, eigentlich die Ideen oder die abweichende Weltsicht einzelner Menschen oder kleiner Gruppen mittragen muss. (Die Betonung liegt auf müssen.) Wenn demnächst eine Person für sich entscheiden sollte, dass sie, sagen wir mal, nicht mehr der Schwerkraft unterliegt. Sind dann automatisch all jene diskriminierend, denen auffällt, dass diese Person trotzdem weiter mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht?

    1. Es gibt auch „biologisch“ nicht-binäre Menschen. Nämlich Menschen, die intersex sind. Was ist also mit Menschen, die mit Ausprägungen beider Geschlechtsorgane geboren werden? Müssen sie sich dann immer entscheiden ob sie nun männlich oder weiblich sind?

      „Sollen doch alle so leben und glücklich werden, wie sie es wollen!“ – Wenn Personen dauerhaft deine eigene Identität bewusst ignorieren, dann wird man definitiv nicht glücklich.

    2. Damoun hat es dieser Frau eigentlich sehr einfach gemacht: „Als Damoun sich ihr zu Beginn vorstellte, äußerte Damoun den Wunsch, genderneutral angesprochen zu werden.“ Insofern hätte diese Frau nur Damouns Wunsch respektieren müssen. Dennoch entschied sich diese Frau, Damouns Wunsch zu ignorieren, indem sie Damoun wiederholt als Mann ansprach.
      Wir sind uns sicher einig, dass es verletzend ist, wenn ein Mensch den klar geäußerten und leicht zu erfüllenden Wunsch eines anderen Menschen bewusst ignoriert.

    3. Ich glaube dein scheinbarer Widerspruch kommt aus der Frage, ob das Geschlecht sozial oder biologisch ist.

      Ich denke was unstrittig sein sollte ist, dass es soziale Normen gibt, die sich auf Männer oder Frauen beziehen. Also wenn ich eine Person kennenlerne und sehe „das ist ein Mann“, dann habe ich direkt bestimmte Assoziationen dazu, vielleicht Erwartungen, etc.

      Diese Assoziationen kommen (hoffentlich, vielleicht) daher, dass sie bei vielen Männern zutreffen werden. (Das zu diskutieren sprengt jetzt den Rahmen.) Es gibt aber erstmal keinen Grund, warum ein Mensch sich damit wohlfühlen sollte, dass er eben auf eine bestimmte Weise assoziiert wird. Und wenn das so ist, dann sagt jemand beim Kennenlernen eben „ich sehe zwar aus wie ein Mann, aber erwarte doch bitte nicht, dass ich dein Bild von einem Mann erfülle“. Und bei einigen solchen Menschen ist die erste Ausprägung davon eben die Anrede als „er“ oder „sie“.

      Das Beispiel mit der Gravitation passt deshalb nicht, weil es kein soziales Konstrukt zu „man ist der Gravitation ausgesetzt“ gibt. Das ist etwas qualitativ anderes als „Du hast einen Bart und keine Brüste, also fühle dich mit folgendem Bild von dir wohl“.

    4. Moin Carsten.
      Ich möchte gern auf dein Kommentar antworten und hoffe das ich es schaffe alles so auszudrücken ohne dich zu arg vor den Kopf zu stoßen und vllt sogar etwas zu transportieren. Oft sind solche Gespräche schwierig, weil die meisten Menschen, die ddiesem Thema skeptisch oder ähnliches, gegenüber stehen, sehr schnell darin sind zu rechtfertigen oder nicht ernstzunehmen, nicht zu zu hören.
      Daher hoffe ich das es mir gelingt einen Text zu schreiben, der auf deine Ansichten empathisch genug eingeht, damit du das selbe aufbringen kannst für meine Sicht. Falls es beim ersten lesen nicht klappt, vllt ja beim zweiten mal oder beim nachdenken darüber in ein paar Tagen. Sicherlich wird es passieren, dass du dich nicht verstanden fühlst, oder angegriffen oder so. Dafür entschuldige ich mich bereits im Vorraus. Das ist nicht meine Intension.

      Für mich hat dein erster Satz total gut angefangen und ich habe mich gefreut, das zu lesen. Allerdings widerspricht er dem Rest des Textes.

      „Ich frage mich manchmal, wie weit die überwiegende Mehrheit, also die Gesellschaft als ganzes, eigentlich die Ideen oder die abweichende Weltsicht einzelner Menschen oder kleiner Gruppen mittragen muss. (Die Betonung liegt auf müssen.)“
      Bei diesem Satz kommt bei mir die Frage auf, ob du dich eigentlich schon mal mit der Queeren-community beschäftigt hast?! Weißt du wieviele Menschen du grob gerade als „einzelnen Menschen“ bezeichnest? oder Gibt es in deinem Leben denn keine Dinge von denen du dir wünschen würdest, dass sie in der „Gesellschaft“ anders gelebt würden und diese Dinge aber einfach nicht so sind?? Müssen wir nicht alle irgendwelche Gesetztesänderungen mittragen weil irgendeine bekackte Minderheit n neues Sicherheitsgesetz beschließt und uns alle überwacht?
      ich frage mich: Wo ist das Problem sich auf Wünsche anderer einzustellen und Rücksicht zu nehmen? Wenn deine Freunde dir sagen, dass sie ab sofort lieber nen anderen Spitznamen haben wollen, dann würdest du diesen doch sicher auch benutzen und nicht stur den alten Namen benutzen oder?
      Sobald es um Geschlechterrollen und ähnliches geht, schalten alle gleich ab und auf abwehr. bloß keine Veränderung.
      „So unsicher im eigenen Geschlecht?“

      „Wenn demnächst eine Person für sich entscheiden sollte, dass sie, sagen wir mal, nicht mehr der Schwerkraft unterliegt. Sind dann automatisch all jene diskriminierend, denen auffällt, dass diese Person trotzdem weiter mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht?“

      Ich muss leider auch sagen, dass dein Vergleich irgendwie weird ist. Denn erstens vergleichst du hier äppel und kirschen miteinander und dadurch macht es eine ehrliche Diskussion oder Unterhaltung über das Thema kaum noch möglich. Warum überhaupt ein Beispiel?
      Bleiben wir doch bei dem Fall:
      Sind Menschen, die die Selbstdefinition von anderen Menschen nicht anerkennen oder ernst nehmen, diskriminierend?
      Ja das ist diskriminierend!

      Was ich verstehe, und dir auch zustimmen möchte is, dass Queere, nicht binäre, Trans etc. Menschen, respektieren müssen, das andere Menschen nicht so schnell switchen können und andere Realitäten nicht so schnell in ihre Lebensrealität integriert bekommen!
      Aber es muss auch gesagt sein, wo kein Druck, da auch keine Veränderung!

      Was aber eben nicht sein kann, ist dass von queeren und anderen Menschen erwartet wird, dass jene Menschen ihre Realität nicht anerkennen wollen.
      Wenn ich sage, dass ich bitte ohne Pronomen angesprochen werden möchte, ist es ok, wenn du es nicht schaffst, dass durch zu ziehen, weil du es nicht gewohnt bist o.ä. aber du kannst dich wenigstens dafür entschuldigen, dich berichtigen und es versuchen zu tun. Wenn dein Gegenüber immer mit Frau Doktor angesprochen werden will, kriegste das ja auch hin… oder nicht?!

      Menschen mit einem pronomen anzusprechen welches sie nicht für sich benutzen, ist wie wenn dich ständig Leute mit einem anderen Pronomen anreden. Das würde dich doch auch nerven oder verletzen! oder nicht?
      Ich frage mich also wie ignorant, diskriminierend und gemein Menschen nur sein können, wenn sie so etwas tun!

      Ich glaube worauf ich hinaus will ist klar.
      Mein Wunsch an dich und alle anderen die diesem Thema, skeptisch, negativ oder abweisend gegenüber stehen ist folgender:

      Bitte akzeptiert es, auch wenn es für euch vielleicht viel zu weit weg ist, oder total unlogisch vorkommt. Wenn ihr nicht nachvollziehen könnt, wieso sich Menschen zu soetwas entschließen können, etc….
      Es ist nicht eure Baustelle, ihr müsst nicht auf ne Demo gehen und mit uns demonstrieren und ihr müsst auch nicht begeistert sein. Aber bitte spart euch eure abfälligen Bemerkungen, diskriminierenden Sprüche, verachtende Blicke, halbgare Kommentare, Lästereien mit Freunden und eure Beleidigungen…
      Seid tolerant!! Bitte!!

      Danke :)
      Yo* (nicht binär, männlich gelesen, mit Bart und geschminkten Augen) ;)

      1. Die Realitaet ist halt leider nicht so einfach.

        Es wird immer postuliert, dass der Wunsch einer nicht-binaeren Person ja einfach anzuerkennen sei. Das funktioniert in prinzipiell geschlechtsneutralen Szenarien.

        Nun ist aber zB ein typischer XY-Koerper, von einem Mann nicht zu unterscheiden. Eine entsprechend traumatisierte Person wird sich dieses Eindrucks nicht entziehen koennen, eine sexuell an Frauen interessierte Person wird nicht daran interessiert sein, eine Sportler:in mit einem XX-Koerper wird sich damit nicht messen koennen. Dieser XY-Koerper ist im Schnitt groesser, staerker und wird idR zumindest als aggressiver und dominanter eingeschaetzt.

        Der reale Eindruck beim Gegenueber ist ebenso wenig zu leugnen wie die Selbstwahrnehmung. Natuerlich darf ich mich mit klarem XY-Koerper und vielleicht Schminke als total weiblich (zumindest nicht-binaer maennlich) und toll fuehlen. Ich kann aber einem Gegenueber nicht absprechen, da einen Mann in fancy clothing wahrzunehmen und in dem gegebenen Kontext uU als Mann abzulehnen.

        Die notwendigen Loesungen sind auszuhandeln, und da ist ganz sicher noch vieles im argen und viel zu einseitig bei der vermeintlichen „Normalitaet“. Aber das gerne propagierte „akzeptiert’s doch einfach“ ist ebenso einseitig, und damit nicht erfolgversprechend, wenn es physische und psychische Realitaeten auf beiden Seiten leugnet.

  4. Als selbst nicht-binäre Person und langjährige Leser:in eures Blogs begrüße ich diese Ausrichtung sehr. Ich frage mich im Gegenteil immer, wieso Menschen sich so furchtbar aufregen, wenn sie sich mit „Genderpolitik“ konfrontiert sehen – so unsicher im eigenen Geschlecht?

  5. Als ebenfalls nicht-binäre Person habe ich bereits seit Anfang 2019 gemäß Gesetz/Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein Attest eines Arztes worin ich als Divers attestiert werde. Behörden in Köln haben mich und auch andere Menschen mit ebenfalls solch ein Attest abgewiesen. Mir fehlt seit dem jedoch die Kraft immer und immer wieder kämpfen zu müssen.
    Gesetz sah Attest als Pflicht. Ich musste mir irgendwelche diskriminierende Aussagen mancher Ärzte während meiner Arztsuche anhören. Und dann hatte ich das Attest und durfte mir dann Weigerungen seitens des Staats anhören.
    Es gab vor kurzem ein Bericht wie wenige Menschen(ich glaube es waren insgesamt 2) in Köln es geschafft haben ihr Geschlecht als Divers eingetragen zu bekommen. Am Standesamt in Köln hängt am Klingelschild im Übrigen das Logo der AfD.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.