Dunkle Wolken über Wikileaks

Für DRadio Wissen hab ich einen Netzkommentar zu Wikileaks verfasst und eingesprochen, der dort gesendet wurde (MP3). Die längere Fassung blog ich mal hier.

Über der Transparenz-Plattform Wikileaks sind dunkle Wolken aufgezogen. Vor einer Woche überraschte eine Meldung des Spiegels die Netzwelt: Daniel Domscheit-Berg, deutscher Sprecher von Wikileaks, ist aus dem Projekt ausgestiegen. Domscheit-Berg, vorher bekannt unter seinem Pseudonym Daniel Schmitt, war einer der wenigen öffentlich bekannten Vertreter des Projekts. Noch im Sommer brillierte die Plattform mit ihrem zweiten großen internationalen Scoop, der Veröffentlichung der Afghanistan Tagebücher in Kooperation mit dem Spiegel, dem Guardian und der New York Times. Später folgten Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen Julian Assange in Schweden, die zu einem Umschwung der öffentlichen Meinung führten. In Folge dessen wurde Domscheit-Berg im Streit um die richtige Ausrichtung und Kommunikationsstrategie von Assange vom Projekt suspendiert.

Wikileaks steckt in einer Krise. Auch wenn einige zentrale Aktivisten zusammen mit Domscheit-Berg ausgestiegen sind, ist Wikileaks nicht tot. Die Kriegskasse dürfte nach den beiden großen Veröffentlichungen der vergangenen Monate gut gefüllt sein. Und sicherlich wurden in den vergangenen Monaten auch weitere interessante Geheimnisse hochgeladen und warten nur auf Veröffentlichung.

In den dunklen Wolken liegt auch die Chance, grundlegende Reformen anzustossen. Oft wurde Wikileaks kritisiert: Ausgerechnet eine Organisation, die sich den Kampf um Offenheit und Transparenz auf die Fahnen geschrieben hat, praktiziert diese nicht. Wer entscheidet eigentlich bei Wikileaks darüber, wie das Geld verwendet wird und welche Dokumente wann veröffentlicht werden – und welche nicht? Offensichtlich wussten nicht mal enge Mitarbeiter des Projektes Antworten auf diese Fragen. Mehr Offenheit würde Wikileaks gut tun. Damit könnte das Projekt auch Kritikern Wind aus den Segeln nehmen, Spender langfristig binden und Vertrauen bei potentiellen Whistleblowern schaffen.

Aber auch andere Chancen stehen im Raum: Wikileaks hat es geschafft, Whistleblowing populär zu machen. Das Projekt war nicht der erste sichere Hafen für geheime Dokumente, aber die erste Plattform, die uns in den Fernsehabendnachrichten präsentiert wurde und fast schon Teil der Popkultur wurde. Vielleicht ist es an der Zeit, die Idee aufzunehmen und weitere sichere Häfen im Netz zu errichten. Diese könnten dann in Konkurrenz zueinander verschiedene Betreibermodelle entwickeln und sich unterschiedlich gegen rechtliche und staatliche Interventionen absichern. Dann hat man konkurrierende Projekte im Wettbewerb gegeneinander, die jeweils der Öffentlichkeit und potentiellen Geheimnisverrätern beweisen müssen, dass ihre Art zu arbeiten erfolgreich und vertrauenswürdig ist. Den gemeinsamen Zielen von Transparenz und Offenheit würde das sicher gut tun.

16 Ergänzungen

  1. Ich bin eher skeptisch, ob konkurrierende Plattformen eine gute Idee wären. Die Gefahr, dass über den „Wettbewerb“ die basale Arbeit an belastbaren Strukturen vernachlässigt wird, scheint mit einfach zu groß.

    Vielleicht ist das auch etwas, was man aus Wikileaks hecheln nach medialer Aufmerksamkeit lernen sollte.

    Auch aus Sicht potentieller Whistleblower ist ein niederschwelliges Modell imo sinnvoller. Wer wichtige Informationen teilen will, steht ohnehin schon unter Druck und sollte nicht erst noch den Markt nach dem besten/sichersten Deal abklopfen müssen (keep it simple!).

    Ich würde daher eher für ein kollaboratives Modell mit maximal transparenten & nachvollziehbaren Strukturen plädieren.

    Und ja, ich glaube weiterhin, dass sich Transparenz und der Umgang mit brisanten/geheimen Informationen nicht ausschließen. Ohne näher über tragfähige Modelle nachgedachte zu haben: Redundante Kommunikationsstrukturen, evtl. angelehnt an die Idee des „Onion Routings“, könnten ein Ansatz sein. Aber gut, in so einem Kommentarkasten schreibt sich das leicht …

    1. @Jörg-Olaf Schäfers: Ein „kollaboratives Modell mit maximal transparenten & nachvollziehbaren Strukturen“ schließt sich ja nicht aus mit dem, was ich geschrieben habe.

  2. Vielleicht ist das ganze auch garnicht so schlimm, sondern wieder unnötig aufgebauscht. Keiner weiß, wie es wirklich bei Wikileaks aussieht, ich würde mich nicht einfach nur auf die subjektive Aussage eines ehemaligen Mitarbeiter stützen, der im Streit gegangen ist. Und nicht deswegen schon von Wikileaks in der Vergangenheitsform schreiben.

  3. Hat Wikileaks das Whistleblowing wirklich populär gemacht oder das bereits populäre Thema abgeschöpft und in der Netzöffentlichkeit monopolisiert? Die wesentlichen US-Initiativen zum Whistleblower-Schutz basieren ja nicht auf den Erfahrungen von Wikileaks, sondern auf der Aufdeckung des Enron-Skandals.

    Onion Routing ist schön und gut – aber die beste Technik kann die Integrität eines Seymour Hersh nicht ersetzen. Man braucht IMHO keine expliziten Wikileaks-Konkurrenten, Journalisten, Blogger und NGOs können die Rolle im Zweifel besser übernehmen, da sie geleakten Dokumenten einen Rahmen bieten, den Wikileaks durch Skandalisierung und ein pseudo-revolutionäres Narrativ bieten wollte.

  4. @Markus: Ich dachte eher, dass die Plattformen, (bzw. autonome agierende Schnittstellen/Zellen einer gemeinsamen Plattform) miteinander arbeiten und nicht in Konkurrenz gegeneinander um einen Markt buhlen.

    Machen wir uns nichts vor, es ist ein Wettkampf, nicht nur um Aufmerksamkeit, sondern ab einer gewissen Größe offenbar auch um Geld/einen Etat. Ich befürchte einfach, dass Konkurrenz dem Geschäft (und vor allem der Sicherheit potentieller Informanten und in Veröffentlichungen genannten Personen) hier eher schadet als nützt.

    @Gordon: Das, was Daniel im Interview sagte, passte zum Teil recht gut zum Eindruck, den man als aufmerksamer Beobachter in den letzten Monaten gewinnen musste. Er ist da ja auch nicht die einzige Quelle, wenn nun vielleicht auch die prominenteste.

    Es geht letztendlich aber auch gar nicht darum, WL für tot zu erklären (dafür ist es zu früh), sondern darum, sich ganz grundsätzlich Gedanken zu machen, wie man eine derart wichtiges Projekt (bzw. die mit dem Projekt verbundene gesellschaftliche Aufgabe) mit einem etwas stabilerem Fundament versehen könnte.

    @Torsten: Die Sache mit der Integrität sehe ich ähnlich. Die betrifft aber vor allem die Repräsentanten und Schnittstellen zur Öffentlichkeit. Das scheint mir lösbar. Die Frage ist aber nicht zuletzt, wie man die Strukturen schützt, die nicht als Schnittstelle zu Öffentlichkeit fungieren (müssen). Sind die inneren Strukturen sicher, macht das auch die Schnittstellen nach aussen weniger angreifbar.

    Was das „pseudo-revolutionäre Narrativ“ betrifft, glaube ich einfach, dass die intendierte Schutzwirkung der gepflegten Legende irgendwann von der immanenten Verschwörungtheorie rechts überholt wurde.

    Oder, etwas böser formuliert: Ein Junkie kommt nicht mehr von seinem Trip runter. Aber auch das ist von aussen natürlich leicht gesagt.

  5. Joerg-Olaf Schaefers: Das Problem mag lösbar sein – aber wozu? Wo ist der tiefere Sinn darin naturgemäß dezentrale Leaks auf einer Plattform zentralisieren zu wollen?

  6. @Torsten: Ohne vor dem Wochenende groß nachdenken wollen, hätte ich 4 Punkte:

    1) Ich glaube einfach, dass eine zentrale (besser: etablierte) Plattform mit verlässlichen Strukturen Veröffentlichungen für Whistleblower einfacher und sicherer macht. Je sicherer sich ein potentieller Whistleblower fühlt, desto eher teilt er sein Wissen.

    2) Wer auf eingespielte Strukturen zurückgreifen kann, kann sich besser auf seine eigentlich Arbeit konzentrieren und macht gleichzeitig weniger Fehler im administrativen Bereich (Aus dem Heft: „Warum ich niemals ein guter Freelancer werde“).

    2) Auch für Informationssuchende ist ein zuverlässiges Archiv von Vorteil. Das Netz vergisst mir einfach zu schnell.

    3) Gerade bei komplexeren Themen/ Veröffentlichungen hat eine etablierte Plattform deutlich bessere Möglichkeiten/einen ganz anderen Impact (auch was das konzertierte Zusammenspiel mit anderen Medien betrifft), als eine Instanz, die nur hin und wieder Geheimnisse veröffentlicht.

    Und weil ich letztendlich doch ein Kontrollfreak bin: Nein, ich glaube nicht, dass dies durch Vernetzung und Aufmerksamkeitsökonomie („wird sich schon verbreiten, wenn es nur interessant genug ist“) auszugleichen ist. Nicht alles an professionell arbeitenden Gatekeepern ist schlecht.

  7. @Joerg-Olaf Schaefers

    Irgendwie kommt mir bei den genannten Punkten eines zu kurz, was massiv für den von markus genannten Ansatz der Konkurrenz spricht:

    Machtkonzentration – wenn nun eine Plattform alle Leaks bekommt, woher wissen wir dann, ob wir den auch zu Gesicht bekommen?

    Das von dir angedachte Problem mit der Archivierung könnte man ja Auslagern auf eine Plattfrom, die sich um die Archivierung von geleaktem kümmert.

    Für das Veröffentlichen der Leaks brigt eine einzige Plattfrom langfristig doch mehr Risiken finde ich.

  8. Jörg-Olaf: Alle Deine Punkte sehe ich bei einer Kombi Journalisten / NGOs / Blogger besser aufgehoben.

    Gerade vor der Komplexität von Problemen muss eine Plattform für alle möglichen Leaks scheitern, während zum Beispiel Amnesty International relativ einfach glaubwürdige Experten zu Menschenrechtsverletzungen aufbieten kann.

  9. Da sollten wir einfach mal das Weisshaupt-Knigge Problem grundsätzlich lösen und uns fragen wie man die Illuminaten richtig gründet. Deren Ziel war Aufklärung: im Gegensatz zu den unwürdigen Aristokratensöhnen, welche den Staat beherrschten, wollte man diesen durch einen Geheimstaat im Sinne Platos parallelisieren, aufklärerische Zielsetzungen verfolgen. Der Fall Struensee zeigt, dass es mit dem Besitz formeller Macht allein nicht getan war.

    Sprich:
    1. Wie gründet man eine Geheimgesellschaft richtig.
    2. Wie verhindert man den autoritären Missbrauch innerhalb des Ordens.
    3. Wie löst man Geldverwaltungs und Kommunikationsprobleme

    Ich hätte da gerne Technologie aus der Schublade. Mich interessiert das Problem durchaus auch modellhaft, nicht für einen bestimmten Zweck. Bei Wikileaks ist nach Angaben von Daniel genau dieses Problem aufgetaucht.

    1. Gründe den Illuminatenorden
    2. ???
    3. Weltherrschaft

    Also z.B.

    1. Gründe Illuminator.Net
    2. ????
    3. CDU versteht Netzpolitik

  10. „Verhindern“ ist ein großes Wort. Zunächst müsste operational geklärt werden, was damit gemeint sein soll. Angenommen, es gäbe keine autoritäre Struktur, wie wollte man dann verhindern, dass Projektziele projektintern demokratisch konterkariert werden? Nun ja, ein weites Feld.

  11. Wozu braucht man eigentlich wl? Als Whistleblower kann man doch sein eigenes anonymes Blog schnell erstellen, wozu braucht man da eine Organisation, der ich nie trauen würde?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.