WSIS Review – Hacking a Dictatorship

Für die Dokumentation des 22. Chaos Communication Congress hab ich einen ausführlichen und subjektiven Bericht zum UNO-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft geschrieben. Am letzten Kongresstag, dem 30.12.2005, werde ich in Saal 1 um 12:00 Uhr eine Stunde lang eine WSIS-Review mit dem Untertitel „Hacking a dictatorship“ geben.

Vom 16.- 18. November 2005 fand in Tunis / Tunesien der zweite World Summit on the Information Society (WSIS) statt. Der WSIS-Prozess wurde von den Vereinten Nationen gestartet, um eine globale Vision einer Informationsgesellschaft zu debattieren und Lösungen für die Verringerung der Digitalen Spaltung weltweit zu finden. Der erste WSIS fand im Dezember 2003 in Genf statt. Damals entstanden eine Gipfel-Erklärung und ein Aktionsprogramm. Da wurde, kurz zusammengefasst, in blumigen und diplomatischen Worten eine Informationsgesellschaft für alle gefordert und mit dem Aktionsplan wollte man alle nötigen Schritte einleiten, um bis zum Jahre 2015 das Internet bis “ins letzte Dorf in Afrika” zu legen. Aufgrund der Entscheidungsstrukturen der Vereinten Nationen kam damals natürlich nur ein Minimalkonsens ohne jegliche Vision heraus. Beinahe hätte sogar ein offizieller Bezug auf die UN Menschenrechtserklärung von 1948 den Einzug in das Gipfeldokument verpasst.

Zwei Fragen wurden damals ausdiskutiert, aber nicht gelöst: Die Frage der Internet Governance und der Finanzierungswege, um die digitale Spaltung zurück zu drängen. Wie immer in solchen Situationen gründete man zwei Arbeitsgruppen, die, dem UN-Generalsekretär Kofi Annan unterstellt, im zweiten Gipfelprozess Empfehlungen und Lösungsvorschläge ausarbeiten sollten. Beide „Working Groups” waren nach dem Multistakeholder-Ansatz besetzt, das heißt paritätisch durch Vertreter der einzelnen Stakeholder „Regierungen”, „Wirtschaft” und „Zivilgesellschaft” besetzt. Auf dem Gipfel oder besser der letzten Vorbereitungskonferenz drei Tage davor sollte es also zum Showdown kommen.

Internet Governance – Wer kontrolliert noch mal das Netz?

Die letzten drei Jahre dominierte im WSIS-Prozess ein Thema, das eigentlich nicht viel mit den ursprünglichen Zielen zu tun hatte: Internet Governance. Viele Länder wollten den Zustand ändern, dass das Domain Name System (DNS) von ICANN und damit letztendlich vom US-amerikanischen Handelsministerium kontrolliert wird. Statt einer Regierung sollten viele Regierung eine „Weltregierung” bilden, am besten unter der Kontrolle der International Telecommunication Union (ITU). Die ITU ist eine UN-Organisation für den Post- und Telekommunikationsbereich und war federführend verantwortlich für den WSIS-Gipfelprozess. Bis wenige Monate vor dem zweiten Gipfel standen sich Staaten wie China, Brasilien und Pakistan den Industrieländern streitend gegenüber, was das favorisierte Modell betraf. „ITU oder ICANN “ wurde fast zur einzigen Frage des Gipfels. Auf der vorletzten Vorbereitungskonferenz zum Tunis-Gipfel brachte die EU unerwartet ein Kompromisspapier in die Debatte ein, um eine gemeinsame Lösung zu finden und den Gipfel diesbezüglich nicht scheitern zu lassen. Die USA waren alles andere als amüsiert, dass ihre Bündnispartner ihnen in den Rücken gefallen waren und starteten eine internationale Medien- und Diplomatiekampagne. Diese spielte das Vorurteil aus, dass die Regierungen das Internet übernehmen wollten. Der UN-Generalsekretär Kofi Annan veröffentlichte zwar noch kurz vor Tunis in der Washington Post einen Beitrag um darauf hinzuweisen, dass die UN nicht das Internet übernehmen wollen würde – da war der Zug aber schon abgefahren. In der Nacht vor dem Gipfelbeginn einigten sich die Regierungen auf ein gemeinsames Papier, was den Status Quo bei ICANN erstmal erhält – inklusive der Kontrolle der US-Regierung über ICANN und damit das DNS. Allerdings konnten sich die Europäer durchsetzen, ein “Global Forum on Internet Governance” auf internationaler Ebene zu installieren, das diese Fragen weiter entwickeln soll – und das in einem Multistakeholder-Verfahren durch Einbeziehung von Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft. Das erste „Global Forum“ soll nächstes Jahr im Sommer in Athen stattfinden, weil ein griechischer Diplomat als erstes den Finger gehoben hatte. Bei der Ausgestaltung der Global Forums wird sich zeigen, was dieser Gipfel gebracht hat. Leider finden sich im Gipfel-Dokument mehr „soll”- als „muss”-Formulierungen. Allerdings gehen die Interpretationen schon so weit, dass man aus dem Forum vielleicht tatsächlich was brauchbares machen könnte: Beispielsweise mal ein „Global Forum” mit dem Schwerpunkt auf Freie Software.

Digitale Spaltung?

Ach ja, es gab noch ein zweites strittiges Thema, nämlich Finanzierungswege zur Verringerung der digitalen Spaltung – Kabel legen sich ja nicht selbst. Hier fand man keine wirkliche Lösung, da die Industriestaaten zu sehr an ihrem Paradigma festhielten, dass Investitionen erst nach Marktöffnung getätigt werden sollten. Mit anderen Worten, wenn ein armes afrikanisches Land seine Märkte öffnet, kommt eventuell gerne Siemens vorbei und errichtet Internet- und Mobilfunk-Netze. Der so genannte „Digital Solidarity Fund”, eine zentrale Forderung aus der ersten WSIS-Phase, wurde letztendlich zu einem freiwilligen zahnlosen Tiger nach Vorbild eines Gütesiegels. Ganze sieben Millionen Euro wurden schon eingezahlt, davon fast die Hälfte aus afrikanischen Staaten. Die Überwindung der digitalen Spaltung, vor allem in den ärmsten Ländern ist somit nur noch eine Frage der Zeit… Aber dafür gibt`s ja jetzt den 100$ Notebook.

Tunesischer Sicherheitsapparat

Tunesien gibt sich nach außen hin als Musterbeispiel einer arabisch liberalen und offenen Demokratie und ist für viele ein günstiger und attraktiver Ferienort. Weniger bekannt ist, dass Tunesien seit 1987 eine Schein-Demokratie hat mit einem auf Lebenszeit „gewählten Präsidenten” Ben Ali. Dieser hat sich seine Entscheidung, auf Lebenszeit Präsident zu sein, vor zwei Jahren in einer „demokratischen Volksabstimmung” noch mal vom Volk mit 99,8 % bestätigen lassen. Die Opposition wurde aber schon 1987 entweder gleichgeschaltet, des Landes verwiesen oder verfolgt. Eine freie Opposition ist kaum vorhanden, fundamentale Menschenrechte wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden praktisch abgeschafft – natürlich nur für den Kampf gegen den Terror. Oppositionelle Gruppen haben praktisch kaum Möglichkeiten, Kritik zu üben, eine freie Presse ist nicht vorhanden. Schon nach der Entscheidung der UN, Tunesien als Gastgeberland des zweiten WSIS zu ernennen, hagelte es massive Kritik. Immerhin sollte der WSIS auch ein Gipfel der Informationsfreiheit sein. Die Kritik wurde allerdings von den meisten Staaten nicht ernst genommen. Auf der ersten Vorbereitungskonferenz der zweiten Gipfelphase in Hamamed / Tunesien gab es massive Einschüchterungsversuche der „tunesischen Zivilgesellschaft” gegenüber Menschenrechtsaktivisten der Zivilgesellschaft. Weitere Vorbereitungskonferenzen wieder deshalb danach auf „sicherem Boden”, nämlich der Schweiz abgehalten. Was wir dort erlebten war gleichsam bizarr. Grosse Gruppen tunesischer „Gongos“ (von uns so genannt, steht für „Governmental NGOs”) reisten an, um sämtliche zivilgesellschaftlichen Vernetzungstreffen zu stören und um alles zu protokollieren. Dies führte zu leicht bizarren europäischen Vernetzungsmeetings, wo immer in der letzten Reihe tunesische Vertreter saßen und alles auf Papier aufzeichneten. Die Arbeit der Zivilgesellschaft wurde so massiv gestört. Selbst auf einem Vernetzungstreffen nach der „Wizards of OS Konferenz 3“ in Berlin gab es Besuch von der tunesischen Regierung.

Organisation des Citizen Summit

Nach vielen ungehörten Protesten starteten die Diskussionen über einen Boykott des WSIS2. Allerdings gingen die Diskussionen ziemlich schnell in die Richtung, dass ein Boykott und ein “Alternativgipfel” außerhalb Tunesiens zum selben Zeitpunkt wenig bringen würde und dass die Kritik an der tunesischen Regierung in ihrem eigenen Land besser aufgehoben sein würde. Die Planungen für den “Citizen Summit” starteten im Spätsommer diesen Jahres. Ziel war ein Alternativgipfel in Tunis parallel zum WSIS, wo vernachlässigte Themen wie Menschenrechte, Privacy und Zugang zu Wissen in der Wissensgesellschaft von einem großen Bündnis aus Menschenrechtsorganisationen thematisiert werden sollten. Viele Versuche wurden gestartet, in Tunis Hotels anzumieten. Das klappte erstmal immer, nach und nach wurden aber selbst von weltweit agierenden Hotelketten die Buchungen mit fadenscheinigen Argumenten gecancelt. Mal waren es Sicherheitsgründe, dann wurden kurzfristig unvorhergesehene Bauarbeiten genannt. Für ein Hotel wartet eine Organisation immer noch auf die Rückerstattung einer Anzahlung in vierstelliger Höhe. Der Citizen Summit konnte leider letztendlich nicht stattfinden, aber die Organisation und das „geschickte Händchen” der tunesischen Krisenmanager hatte genug mediale
Aufmerksamkeit geschaffen, dass die Arbeit alles andere als nutzlos war.

Übergriffe tunesischer Sicherheitsbehörden

Am Montag vor dem Gipfel gab es wegen der Raumproblematik ein anberaumtes Vorbereitungstreffen im deutschen Goethe-Institut in Tunis. Nur wenige wussten von dem Treffen, an dem neben zivilgesellschaftlichen Organisatoren und wenigen tunesischen Oppositionellen auch der deutsche Botschafter teilnehmen wollte. Als die Teilnehmer des Treffens um 14 Uhr vor dem Goethe-Institut auftauchten, war das Gelände weiträumig von der Geheimpolizei abgeriegelt. Die tunesischen Oppositionellen sollten in Autos gezerrt und verschleppt werden, selbst dem deutschen Botschafter wurde der Zutritt zum Goethe-Institut in Begleitung zweier Oppositioneller verwehrt – was dieser natürlich nicht amüsant fand. Wenige Stunden später ergab sich das gleiche Bild bei einem von der Heinrich Böll Stiftung anberaumten Vernetzungstreffen von deutschen und arabischen Mitgliedern der jeweiligen Zivilgesellschaften. Auch hierfür wurden alle Räumlichkeiten kurzfristig abgesagt. Allerdings bot eine unabhängige tunesische Frauenrechtsorganisation ihr Büro als Treffpunkt an. Nicht verwunderlich war, dass das Telefon und das Internet der Organisation ab dem Zeitpunkt der genaueren Planungen aus „technischen Gründen” nicht mehr funktionierten. Wenige Teilnehmer kamen vor dem verabredeten Zeitpunkt in das Gebäude, alle anderen wurden an den etwas später errichteten Absperrungen der Geheimpolizei abgewiesen, die die Veranstaltung als „illegal” bezeichneten. In den Tagen vo dem Gipfel wurden noch ein Journalist der französischen Zeitung „Le Liberation” und ein Fernsehteam des belgischen Senders RTBF in Tunis von Beamten in Zivil zusammengeschlagen, als diese über Menschenrechtsverletzungen recherchieren wollten: Hautnahe Recherche quasi. Der Generalsekretär von „Reporter ohne Grenzen“ wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Tunis direkt im Flugzeug wieder nach Hause geschickt, weil seine Organisation in der Vergangenheit Tunesien wegen Menschenrechtsverletzungen kritisiert hatte.

Sicherheit auch in den Hotels

In allen Hotels lungerten die üblichen Gruppen von Männern mit Knopf im Ohr und schlecht sitzenden Anzügen herum und sorgten für „Sicherheit” – bei uns eher für ein Gefühl der Unsicherheit. Glücklicherweise ließ deren Technikkompetenz zu wünschen übrig und wir konnten in unserem Hotel für fast eine ganze Woche einen WLAN-Router ans Hotel-Netz anschließen, bis er erst am letzten Abend leider „entfernt“ wurde. Druckereien waren übrigens in der Woche des WSIS überall in Tunis von der Regierung geschlossen worden. Damit niemand auf den Gedanken kam, regierungskritisches Material drucken zu lassen.

Fotografieren verboten?

Ich musste verwundert feststellen, dass das Fotografieren von Polizeieinrichtungen oder Straßensperren in Tunesien anscheinend strengstens verboten ist. Einige hatten schon beim Check-In auf dem Gipfel von Problemen berichtet, die ich aber nicht nachvollziehen konnte, weil ich ständig meine Digikam auf alles draufhielt. Am letzten Tag in Tunis spazierte ich aber noch mal durch die Strassen und fand ein lustiges Schild, wo “Police Technique” drauf geschrieben stand. Als ich einen Schnappschuss von dem Schild machte, war ich plötzlich von drei Polizisten, wie immer in Zivil, umringt, die mich festnehmen wollten. Nach zehnminütiger Diskussion, von beiden Seiten in gebrochenem Französisch, konnte ich glücklicherweise darauf hinweisen, dass ich kein Terrorist bin, sondern dass mich mein WSIS-Badge als Vertreter der deutschen Regierungsdelegation auszeichnete. Glücklicherweise hatte ich das Badge noch in der Tasche. Auf die Idee, dass man auf Digikams auch Fotos löschen könnte, kam zum Glück niemand von den dreien. Später stellte ich fest, dass ich die technische Abteilung des Informationsministeriums abgelichtet hatte.

Sicherheit und RFID

Das Gelände des WSIS war weiträumig abgesperrt und von mehreren Sicherheitsringen umzäunt. Auf das Areal selbst kam man nur mit Shuttlebussen und einem WSIS-Badge. In diesem waren RFID-Chips eingebaut, die man am Eingang an ein Lesegerät halten musste, um das darauf befindliche Bild mit dem Gesicht des davor Stehenden zu verifizieren. Manchmal funktionierte die Technik aber nicht und man kam auch so rein. Eine Privacy-Police wurde nicht veröffentlicht. Bis heute ist unklar, wer im Besitz der Personen bezogenen Daten ist, ob nur die ITU und damit die UN einen Zugriff darauf hat oder auch die tunesische Regierung die gesamten Datensätze behalten dürfte. Richard Stallman rannte bei seinem Besuch auf dem Gipfel mit einen mit Alufolie umwickelten Badge wsherum und wurde dafür beinahe von tunesischen Polizisten in Zivil abgeführt. Das sei ja unhöflich und so… Nach mehrmaligem Durchschreiten der Sicherheitsschleusen mit viel Technik in den Taschen hatten wir auch das Gefühl, dass es kein Problem gewesen wäre, Bomben in Einzelteilen aufs Gelände zu schleppen und dort zusammen zu setzen.

Expression without Repression

Das Gipfelgelände selbst war in zwei Teile unterteilt: Eine große Messe mit dem Schwerpunkt “ICT4Development” befand sich auf tunesisch kontrolliertem Territorium, inklusive eines zensierten Internets. Der direkt daran anschließende WSIS-Gipfel mit den meisten Veranstaltungsräumen wurde wiederum von der UN kontrolliert, inklusive eines weit gehend unzensierten Internets. Bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Expression without Repression” auf dem tunesischen Gelände wurde der Unterschied offensichtlich. Der zweitägige Workshop thematisierte, wie man in repressiven Regimen von seinem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung durch technische Hilfe wie Blogs und Anonymizer Gebrauch machen kann. Nach einer Diskussion über „Blogs und Meinungsfreiheit” stand ein Bericht der OpenNet Initiative zur Filterinfrastruktur in Tunesien auf dem Programm. Gegen Ende der Diskussion füllte sich der Raum immer weiter mit den üblichen tunesischen Beamten in Zivil und es wurde offensichtlich, dass diese die Veranstaltung „sprengen” wollten. Die geplante Pause wurde abgesagt, die Diskussion ging weiter und wir mobilisierten viele weitere Teilnehmer per SMS, um genug Aufmerksamkeit auf die Repression zu lenken. Das klappte auch irgendwann und die Tunesier verschwanden wieder, weil der Raum und der davor liegende Flur überfüllt waren. Dafür gab`s kein Internet mehr im Raum.

Tunesische Zensur im Netz

Während einer Woche Aufenthalt in Tunesien konnten wir uns auch ausführlich mit der tunesischen Internet-Zensur auseinandersetzen. Sehr viele Seiten sind gesperrt, darunter die komplette tunesische Opposition im Netz, viele vor allem französische Nachrichtenseiten und natürlich die meisten Menschenrechtsorganisationen. Amnesty International wiederum nicht, was uns etwas wunderte. Auch waren beispielsweise die deutschen Seiten von „Reporter ohne Grenzen“ erreichbar, die internationalen jedoch nicht. Beim Googlen wurden Suchbegriffe wie “Anonymizer” mit einer französischen Fehlermeldung beantwortet. Der Filterbericht der OpenNet Initiative konnte noch ganze sechs Stunden nach Veröffentlichung herunter geladen werden, dann funktionierte die Zensur auch hier. Problemlos nutzbar waren aber Anonymizer wie TOR oder aber SSH Tunneling aus Tunesien heraus. Nur der Vertreter von Siemens kam nicht in sein Siemens-VPN und fand dies nicht lustig. Allerdings dürften Tools wie TOR für tunesische Bürger auch keine große Lösung bedeuten, da man dort selbst für das Ansurfen „verbotener Seiten” schnell mal für ein paar Wochen einfach so verschwinden kann. Als nette Lösung dafür wurde auf dem „Expression without Repression”-Workshop eine TOR-USB-Lösung vorgestellt, um in jedem Internetcafe einfach unkompliziert und anonymisiert surfen zu können.

Dann gab`s ja auch noch einen Gipfel

Auf dem WSIS-Gelände gab es eine Vielzahl an Veranstaltungen, insgesamt wohl über 400 innerhalb von fünf Tagen. Aber nur wenige davon fand ich interessant. Dafür freute ich mich über eine HighSpeed-Connection und einigermaßen Ruhe in den Civil Society Offices, um meine vielen Podcast-Interviews schnell und unkompliziert uploaden zu können, die ich dort machte. Die Politiker veranstalteten in der „Plenary Hall” einen Redemarathon, der aber gewohnt eintönig blieb. Bei einer sehr knappen Redezeit von teilweise nur drei Minuten war neben den Dankesfloskeln an die ITU, Tunesien und manchmal noch anderen nur wenig Zeit, um die üblichen Floskeln wie „bridging the digital gap” unterzubringen und das jeweilige vertretende Land in den höchsten Tönen zu loben. In die Eröffnungszeremonie kam ich leider nicht mehr rein, weil ich eine dreiviertel Stunde draußen vor der Sicherheitsschleuse warten musste. Zu viele „Jubel-Tunesier“ warteten auch auf Einlass, um ihrem Diktator bei seiner Eröffnungsrede zujubeln zu können. Als ich die „Plenary Hall” kurz vor Beginn endlich erreichte, wurden die Türen vor uns geschlossen und es kam beinahe zu Tumulten. Unvergessen war ein Mensch aus der Ukraine, welcher sich gegenüber den UN-Polizisten vor der Tür als Minister der Ukraine zu erkennen gab und beinahe handgreiflich wurde. Wie auch viele andere Jubel-Tunesier. Bei der „Opening Ceremony” selbst kam es dann zu einem kleinen Eklat: Direkt nach dem tunesischen Diktator dürfte der schweizer Bundespräsident sprechen, da die Schweiz den ersten WSIS ausgerichtet hatte. Als dieser in seiner Rede auf Menschenrechtsverletzungen in Tunesien zu sprechen kam, wurde die Live-Berichterstatung vom WSIS im tunesischen Fernsehen abgeschaltet und die arabische Übersetzung in der „Plenary Hall” gleich mit – vermutlich, damit die Jubel-Tunesier keinen seelischen Schaden nehmen mussten.

Fazit: Was hat`s gebracht?

Dass der WSIS-Prozess seinen Ansatz, „eine gemeinsame globale Vision für die Informationsgesellschaft” nicht halten können würde, war uns schon in der ersten Gipfel-Phase bewusst. Entscheidende Fragen einer sich entwickelnden Informationsgesellschaft, wie beispielsweise der Zugang zu Wissen geregelt werden kann, wurden von den Regierungen abgeblockt und zur WIPO verwiesen. Das Hauptinteresse vieler zivilgesellschaftlichen Vertreter war, zu verhindern, dass die Regierungen nicht zuviel schlechte Sachen beschließen und damit Schaden anrichten – und natürlich die Vernetzung. Letztere hat prima geklappt, denn durch den WSIS-Prozess entwickelten sich Netzwerke über Kontinente hinaus, die sicherlich noch länger Bestand haben werden. In Tunis selbst waren mehr als 25 000 Menschen. Wenn man von den Diplomaten, Lobbyisten, Journalisten, Jubel-Tunesiern und Informationsgesellschafts-Urlaubern absieht, konnte man immer noch genug interessante Menschen kennen lernen oder wieder treffen. Am besten dazu waren die Abende geeignet, wo man sich außerhalb des Messe- und WSIS-Troubles vernetzen konnte. Gleichsam hat das Ziel geklappt, dass die tunesische Regierung den WSIS nicht dazu nutzen konnte, ihre Scheindemokratie im besten Licht erscheinen zu lassen. Die mediale Aufmerksamkeit auf Menschenrechtsverletzungen in Tunesien und die Bedeutung von Menschenrechten in der Informationsgesellschaft war vor allem in den westlichen Medien viel höher als erhofft und erwartet. Auch brachte alleine die Woche in Tunis eine Menge an Erfahrungen, wie es sich in repressiven Ländern lebt. Der ganze WSIS-Prozess brachte viel Einblick in internationale Politik und politische Prozesse. Die funktionieren dort eigentlich wie auf jeder politischen Ebene – mehr ein Jahrmarkt der Eitelkeiten als an Lösungen interessiert. Vor allem ist es eigentlich erschreckend, wie wenig technisches Verständnis Diplomaten und Regierungsvertreter zu haben brauchen, um ihr jeweiliges Land in Fragen der Informationsgesellschaft vertreten zu können. Beim ersten Gipfel vor zwei Jahren formulierten wir noch eine Pressemitteilung mit dem Titel “WSIS – Die UNO sucht die Informationsgesellschaft”. Gefunden wurde sie bisher immer noch nicht.

4 Ergänzungen

  1. Lieber Markus,

    „Gleichsam hat das Ziel geklappt, dass die tunesische Regierung den WSIS nicht dazu nutzen konnte, ihre Scheindemokratie im besten Licht erscheinen zu lassen.“.

    Nun will ich mich zwar ausdrücklich für den Bericht bedanken, aber trotzdem anmerken, dass die tunesische Regierung sich schon sehr bemüht hat. Ich war schon erfreut über den herzlichen Empfang in der einen Woche in Tunesien, und auch wenn es für Euch vielleicht banal erscheint, in WSIS-Farben bemalte Flugzeuge, Flughafengebäude, Busse und sogar ganze Eisenbahnwaggons haben auf mich schon Eindruck gemacht. Ausserdem kostenloser Transport in Bussen, Strassenbahnen in Tunis und sogar in der 1. Klasse in der Eisenbahn (SNCFT), nette Tunesier, und allgemein hatte man das Gefühl, dass jeder einzelne der 20.000 Besucher wie ein Staatsgast behandelt wurde. Auch beim Gespräch mit „normalen Tunesiern“ außerhalb des WSIS gewann ich den Eindruck, daß diese alle sehr (gast)freundlich, gebildet und selbstbewußt sind.

    Ok, die Schweiz ist sicher eine gefestigtere Demokratie, aber WSIS 2003 in Genf war eben noch ein Kongress in dieser Stadt am Lac Léman und für die Genfer nicht wirklich wichtig. Das war in Tunis schon eine andere Art Emotion und Engagement. Selbst die tunesischen Studenten, die die Internet-Plätze im ICT4D Bereich betreuten, waren wirklich begeistert und zuvorkommend. Ich habe die Woche in Tunesien sehr genossen.

    Nochmal: ich will damit der teilweise gerechtfertigten Kritik am Umgang mit Menschenrechten nicht widersprechen. Aber im Bericht von Markus kam doch das Positive an Tunis ein klein wenig zu kurz.

    Eberhard
    Köln

  2. Klar, ich hab mich auch echt über die vielen freundlich lächelnden portraits des auf lebenszeit „gewählten“ präsidenten gefreut. das brachte etliche sympathie-punkte für tunesien. die nett lächelnden und sicher immer zuvorkommenden geheimdienstmenschen im hotel haben mir auch immer prima das gefühl vermittelt, wie ein staatsgast behandelt zu werden. die anderen sicherheitskräfte sicherlich auch.

    aber eine frage bleibt noch: was war denn deiner meinung nach eine ungerechtfertigte kritik an den menschenrechtsverletzungen in tunesien?

  3. Ach Markus, bleib doch einfach bei Deinen Eindrücken von Tunesien und sei froh, daß Du dort nicht immer leben mußt (ich bin es übrigens auch).

    Auf Deine Frage: „Ich musste verwundert feststellen, dass das Fotografieren von Polizeieinrichtungen oder Straßensperren in Tunesien anscheinend strengstens verboten ist.“ – Wer sich über so etwas wundert, hat sich offensichtlich nicht sehr gut auf eine Reise vorbereitet. Wahrscheinlich hast Du Dich hier persönlich in Deinen Menschenrechten verletzt gefühlt ;-)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.