Zahlenspiele: Massenmarkt Kinderpornographie?

Ein Fortschrittsbericht der „European Financial Coalition“ (EFC) gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern im Netz kommt zu dem Ergebnis, dass vom viel beschworenen „Massenmarkt“ für Kinderpornographie im Internet keine Rede sein kann.

Eine erfreuliche Nachricht, eigentlich. Nun noch einen Verweis, dass es bei Heise Online mehr zu Thema gibt und ich könnte einen weiteren Blogbeitrag freischalten.

Ich befürchte allerdings, dass es nicht ganz so einfach ist. Nicht etwa, dass ich das Ergebnis des Berichts anzweifeln möchte. Darüber, dass es keinen kommerziellen „Milliardenmarkt“ für Kinderpornographie im Internet gibt, sind sich die Experten weitgehend einig. Was es leider auch nicht gibt, sind wissenschaftlich belastbaren Zahlen, die diese These untermauen.

Auch die „Studie“ der EFC bietet diesbezüglich kaum mehr als einen Anhaltspunkt. Das beginnt schon mit der Methodik. Die scheint mir, mit Verlaub, wenig geeignet, um belastbares Zahlenmaterial zu liefern. Auch die ermittelten Umsätze sind auffallend gering, hier wäre wohl die Größe der Stichprobe zu hinterfragen.

Randnotiz: Bei der EFC handelt sich um eine Koalition insbesondere von Zahlungdienstleistern. Der nun veröffentlichte Bericht dürfte vor allem die weitere Finanzierung des Projektes durch die EU zum Ziel haben (Die initiale Finanzierung des Pilotprojektes dürfte gerade ausgelaufen sein).

Achja, auch die EFC wünscht sich eine bessere Zusammenarbeit mit den deutschen Strafverfolgungsbehörden. So steht es zumindest in einer Gesprächsnotiz von Franziska Heine, die im Frühjahr im Rahmen eines der zahlreichen runden Tische mehr über die Arbeit der EFC erfahren durfte.

Sei’s drum. Etwas differenziertere Ergebnisse hat mir vorhin Arnd Hüneke vom Institut für Kriminalwissenschaften an der juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover in Aussicht gestellt. Hüneke leitet in Hannover ein entsprechendes Forschungsprojekt, im Rahmen eines Symposium Ende November sollen erste offizielle Zwischenergebnisse präsentiert werden.

Siehe auch:

# „Die Legende von der Kinderpornoindustrie“, Udo Vetter, law blog, 25.03.2009
# „Déjà vu, Holger Bleich, c’t, 10.04.2010
# „Um Geld ist es nicht gegangen“, Udo Vetter, lawblog, 08.09.2010
# „Neue Studie belegt, dass die Argumente von Sperrbefürwortern falsch sind“, Thomas Stadler, Internet-Law, 28.09.2010

17 Ergänzungen

  1. So wie ich die Studien verstanden habe, bezog sie sich nicht auf den Massenmarkt als solchen, sondern nur auf den Online-Teil davon. Fazit: Dokumente von Kindesmisbrauch werden eher offline verkauft und es gibt keinen Widerspruch zwischen Milliardenumsätzen und der Studie.

    1. @anon:

      Bisher gibt es m.W. keine Hinweise auf einen Milliardenumsatz mit Kinderpornographie. Auch nicht offline.

      Die hochprofessionell organisierte Kriminalität, die ja dahinter stecken müsste, scheint sich eher auf profane Dinge wie Drogen oder Prostitution (ja, auch mit minderjährigen Zwangsprostituierten, aber eben nicht mit Babies und Besenstielen, um beim vdL-Beispiel zu bleiben) zu konzentrieren. Selbst illegale Giftmüllverklappung ist offenbar lukrativer als kommerzieller Kindesmissbrauch.

      Der Milliardenmarkt scheint mir eher ein Folk Devil zu sein, ein erfundener Bösewicht. Da ist also eine gar schröckliche Schar von unerkannten Tätern, die im geheimen furchtbares tun. „Man muss es sich nur vorstellen, was diese Leute tun, um zu wissen, dass wir handeln müssen!“ Klar.

  2. Wer glaubt, dass die Nicht-Existenz des Milliardenmarktes Sperr-Befürworter auch nur eine Sekunde zögern lässt, gibt sich leider einer Illusion hin. Denn dann kommt sofort das andere Argument, dass man ja den Konsumenten über ein Stoppschild Unrechtsbewusstsein einimpfen müsse.

  3. Schön das es bald mehrere Studien zu diesem Thema gibt. Die Legende vom Milliardenmarkt und die ebenfalls weit verbreitete Ansicht vom Fehlen eines Marktes sind dann gegebenenfalls belastbar widerlegt. Ebenfalls kommt dann niemand mehr in die Verlegenheit auf die werbewirksamen Beiträge des für seine Rabulistik bekannten Düsseldorfer Strafverteidigers zu verlinken.

    @Jörg-Olaf Schäfers
    Ich nehme an, Informationen zur Finanzierung der Studie der Universität Hannover werden abhängig vom Ergebnis der Studie dann hier später nachgereicht?

  4. @Anon: Klingt nicht sonderlich plausibel.
    Ist aber auch egal. Das Argument „Milliardenmarkt“ steht nun einmal im Raum. Für die Befürworter von Websperren ist es zudem elementar. Bricht es weg, braucht es eine komplette neue Strategie, um Websperren auf Zugangsebene zu argumentieren.

    Bei nicht-kommerziellen Plattformen (flexibler, keine Geldströme) bzw. anderen Verbreitungswegen (also etwas anderes als dauerhaft adressierbare Webserver) greift der bisher favorisierte Brückenkopf nicht.

    Das ist ein ziemlich ernsthaftes Problem (Und leider wohl auch ein Zeichen, wie hilflos die Strafverfolger dem Problem gegenüberstehen).

    @Torsten: Ich glaube, dass wir schlicht keine andere Option haben, als die vorgeschobenen Argumente derer zu entkräften, die auf Teufel komm raus Internetsperren einrichten wollen.

    So funktioniert Demokratie, und sei es über Bande.

    @Anonym:

    Ich nehme an, Informationen zur Finanzierung der Studie der Universität Hannover werden abhängig vom Ergebnis der Studie dann hier später nachgereicht?

    Die hatte ich bereits oben verlinkt:

    „Die Software AG, Fujitsu und die BITKOM fördern das Projekt „Herstellung und Vertrieb von Kinderpornografie über das Internet“ mit 40.000 Euro.“

    Ansonsten läuft das Kooperation im Rahmen von „White IT“, einem Projekt, das, inkl. der üblichen Verdächtigen, über das niedersächsische Innenministerium eingestielt wurde.

    Und ja, man mag „White IT“ belächeln, das kratzt imo aber nicht am Ruf des Institut für Kriminalwissenschaften (das KFN ist übrigens aussen vor ,).

  5. @5
    […]Das ist ein ziemlich ernsthaftes Problem (Und leider wohl auch ein Zeichen, wie hilflos die Strafverfolger dem Problem gegenüberstehen).
    […]

    Allerdings nur wenn man die Bilder als gravierender als die eigentliche reale Tat einstuft, denn ansonsten müsste man sich als Strafverfolger über die praktisch „frei Haus“ gelieferten Beweise freuen….besser kann die Ausgangslage für eine Verurteilung nicht sein, wenn man Täter und Opfer identifiziert hat.

    bombjack

  6. Allerdings nur wenn man die Bilder als gravierender als die eigentliche reale Tat einstuft,

    Nein, das sind für mich getrennte Vorgänge/Straftaten. Ich mag da auch nicht relativieren.

    denn ansonsten müsste man sich als Strafverfolger über die praktisch “frei Haus” gelieferten Beweise freuen

    Im Wissen, dass nicht nur jedem Bild ein realer Missbrauch zu Grunde liegt, sondern jedes Bild auch vielfach (dutzendfach, hundertfach, tausendfach …) weitergegeben wurde, bevor man als Ermittler sieht, dürfte sich die Freude wohl in überschaubauren Grenzen halten.

    besser kann die Ausgangslage für eine Verurteilung nicht sein, wenn man Täter und Opfer identifiziert hat.

    Ohne über entsprechende Materialkenntnisse zu verfügen, würde ich annehmen, dass dies anhand des Bildmaterials regelmäßig unmöglich ist. Ich nehme an, dass die Täter größtmögliche Sorgfalt entwickeln, gerade nicht erkennbar/identifizierbar zu sein.

    1. […]Nein, das sind für mich getrennte Vorgänge/Straftaten. Ich mag da auch nicht relativieren.[…]

      Sorry, da bin ich anderer Meinung….zum einen habe ich z.B. in der Jugendarbeit mitbekommen, dass Kids aus einem Umfeld wo ein Mißbrauch angenommen worden ist, nicht heraus geholt werden konnten, weil die Geld-Mittel fehlten und es keine Plätze gab (dürfte sich noch verschärfen, wegen der Finanzknappheit in den Kommunen) und zum anderen weil mir diese Fixierung auf diese Scheißbilder als ein Schlag in das Gesicht jeden Opfers vorkommt was nicht „das Glück oder Pech“ hatte von den ********* Täter abgelichtet zu werden.
      Was bringt es einem Opfer wenn zwar seine Bilder immer schön entfernt werden, aber die Low-Level-Angebote die u.U. den Mißbrauch beenden oder auch die Folgen lindern könnten wegen Geldmangel eingestellt werden?
      Und wenn ich sowas lese: http://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-Kommission-plaediert-weiter-fuer-Websperren-1098160.html geht mir der Hut hoch……

      bombjack

  7. Also, ich sehe da die folgenden Probleme:

    1. Eine vernünftige Studie wird es in demUmfeld gemäß der Sache um dies geht nicht geben. Da kann man eben keine „representative“ GfK-Umfrage starten.

    2. deshalb muss man mit „Arschgewackel“/Raten Vermutungen anstellen und versuchen zu schätzen

    3. was dann eben schnell wegargumentiert und/oder vernebelt werden kann.

    Das dreht sich alles so um Kreis und allen ist eigentlich klar, dass es diesen Markt nicht so gibt wie uns immer vorgelogen wird.

    Das einzige was mich wirklich richtig freut ist, dass es endlich mal halbwegs vernünftig auf dem Tisch liegt und nicht mehr so einfach weg geredet werden kann.

    Obwohl mich schon immer sehr gewundert hat, wie wenig man den wirklichen echten real existierenden Ofpern Gehör geschenkt hat. Eigentlich was nämlch das schon schwer wegzureden …

    Muss es denn erst immer radikal werden, bevor man zuhört? Ist das ein Phänomen der aktuellen GEsellschaft, dass das Grundrauschen so laut ist?

  8. @Lurker: Ach, die Kriminalistik bietet schon die ein oder anderer Möglichkeit an halbwegs brauchbare Zahlen zu kommen. Man muss es nur wollen – und vor allem auch finanzieren.

    In Hannover werden zur Zeit z.B. noch Prozessakten ausgewertet. Das scheint mir – siehe auch die Erfahrungen von Udo Vetter – zumindest sinnvoller, als einfach mal einen Milliardenmarkt zu behaupten oder Zahlungsdienstleister zu fragen, welche Umsätze sie im illegalen Bereich machen.

    Wie auch immer, je schneller der Unsinn „Websperren gegen Kinderpornographie“ vom Tisch ist, desto eher kann man sich um die tatsächlichen Probleme kümmern.

    Die Alternative ist, dass irgendwann die Maske fällt und wir erfahren, dass Websperren ja noch in anderen Bereich irgendwie nützlich und dringend erforderlich wären.

  9. @Bombjack: Du hast mich missverstanden. Selbstverständlich muss man auch/zunächst beim realweltlichen Missbrauch ansetzen. Tatsächlich glaube ich sogar, dass man dort Gelder effezienter einsetzen kann, als bei der weitgehend aussichtslosen Jagd im Netz (Eine in der Debatte sehr prominent vertretene Organisation hat gerade wieder eine größere Summe für ein Projekt eingeworben, das offenkundig nicht funktionieren kann, ich rege mich da nicht mehr auf ,(

    Es hat imo aber keinen Sinn die beiden Problemfelder gegeneinander auszuspielen.

  10. […]Es hat imo aber keinen Sinn die beiden Problemfelder gegeneinander auszuspielen.[…]

    ACK

    Nur kommt es mir so vor als wurde sich alles um die Bilder und die Hatz auf die Konsumenten drehen….

    Zudem um mal konkret zu werden was will man gegen
    a) Freenet
    b) Zwiebelland (Hidden Service)
    c) I2P
    wo viel von dem Zeug getauscht wird unternehmen?
    DPI und Co. dürften da auch versagen, da die Stücke erst auf dem heimischen Computer wieder entschlüsselt werden und selbst wenn, dann dürfte eine Implementierung von VPN oder anderer Techniken wegen der Open Source möglich sein….
    Außerdem bleiben da noch die wirklich geschlossenen Zirkel (Darknet auf VPN-Basis) wo dann auch Neumaterial auftaucht, denen man sowieso nicht Herr werden kann und die nur durch Zufälle auffliegen.
    Interessanterweise hält sich bei diesen Zirkeln auch die Zahl der realen Täter sehr stark in Grenzen, was für meine Begriffe nicht in das Konzept passt, was die Strafverfolger so gerne verbreiten….
    Und ganz zu schweigen dass z.B. eine Gruppe um Taylor et. al. eine ganz krude Definition hat was denn unter den Begriff Kinderporno fallen sollte vgl. http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Re-Taylor-et-al/forum-186621/msg-19205536/read/ hat, wo ich die Sinnhaftigkeit „Nach Taylor kann Kinderpornografie auch dann vorliegen, wenn Kinder angezogen abgelichtet werden.“ etwas bezweifle.

    bombjack

  11. Was mich irritiert ist diese „Hexenjagd“ mittels Aktenzeichen-XY und der restlichen Medien. Wenn es „dort draußen“ wirklich derart viele und derart schlimme Leute gibt, die gewerbsmäßig Kinder entführen und missbrauchen und mit professionell produzierten Kinderpornos Millionen verdienen… WIESO veranstaltet man dann einen solchen Rummel um zwei kleine Fische, die „nur“ ein oder zwei Kinder aus ihrem Umfeld missbraucht haben? Da sollte man doch echt glauben, dass es „lohnendere“ Ziele gibt…

  12. Es gibt keinen Milliardenmarkt für Kinderpornographie, aber sicher weltweit einen Millionenmarkt. Nur weltweit gesehen ist dies kein großer Markt.

    Es gab eine Hochphase der PAY KP Seiten, von etwa 1998-2001. Der seit Anfang 2000 stark verschärfte Fahndungsdruck, Gesetzesverschärfungen z.B. in Japan und Russland, sowie die Möglichkeit Bezahlsysteme und Finanztransaktionen praktisch lückenlos zu verfolgen, hat zum starken Rückgang dieser Seiten beigetragen.

    Es gibt durchaus Auswertungen mit validen Zahlen, z.B. in den Schriften von Prof. Dr. Quayle und Prof. Dr. Taylor.
    Einen umfassenden Überblick über den „Gesamtmarkt“ wird es aber nie geben, da der sich ja eben im Dunkelfeld abspielt.

    Es gibt allerdings einen anderen Markt, der vermutlich an einen Milliardenmarkt herankommt, der der Kinder- und Jugendprostitution. Besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern ist dies eine traurige Tatsache.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.