Roboteroper „My Square Lady“ oder: It ain’t over till the small robot sings

Das frischgegründete dreiköpfige Feuilleton von netzpolitik.org, bestehend aus Andre, Constanze und Elisabeth, hat sich gestern in die heiligen Hallen der Hochkultur gewagt und sich die Oper „My Square Lady“ zu Gemüte geführt. Die Vorstellung trug den verheißungsvollen Untertitel „Von Menschen und Maschinen – Eine Opernerkundung“.

Die Quote der Nerds war in der Berliner Komischen Oper nicht unbeträchtlich, denn im Mittelpunkt der Opernpremiere stand ein Roboter. Das ist im durchaus wörtlichen Sinne zu verstehen, denn er stand tatsächlich im Grunde die gesamte Zeit irgendwo auf der Bühne herum, nur unterbrochen davon, dass ihn Helfer manchmal hin- und hertrugen. Die Furcht vor der baldigen Übernahme der Weltherrschaft oder zumindest des Operngeschäfts durch mechanische Overlords hielt sich daher beim Publikum in Grenzen.

Der Roboter mit dem Namen „Myon“ ist ein intelligentes System, dessen Verhalten und Motorik mit dezentral verteilten neuronalen Netzen gesteuert wird. Diese neuronalen Netze sind in ihrer Wirkungsweise – grob gesprochen – biologischen Gehirnen nachempfunden. Der Roboter soll sich selbständig seiner Umwelt anpassen, aus seiner Umgebung lernen und auf sie reagieren. Dabei versteht sich Intelligenz natürlich nicht wie im umgangssprachlichen Sinne, sondern als „künstliche Intelligenz“ im Sinne der Informatik.

Die zentrale Frage der eher als Liederabend denn als Oper gehaltenen Veranstaltung lautete gemäß des Programmheftes: Was macht einen Menschen zum Menschen? Wie lässt sich ein Gegenstand […] zu einem solchen formen? Da Myon bereits über (wenn auch künstliche) Intelligenz verfügte, sollte er im Lauf des Abends Emotionen erfahren und erlernen können und damit Einblicke in zutiefst menschliche Eigenschaften erhalten. Und so saß Myon geduldig inmitten einer als biblisches Abendmahl inszenierten Szene im Kreise seiner zwölf Jünger, die über sich selbst, mit ihm und gelegentlich auch über ihn sprachen. Für eine Oper wurde erstaunlich viel gesprochen.

Der illustre Gesprächskreis setzte sich aus Sängern der Komischen Oper, Vertretern des Performance-Kollektivs „Gob Squad“ und Vertretern des Forschungslabors Neurorobotik der Beuth-Hochschule Berlin zusammen. Das Roboter-Projekt wird technisch bereits seit 2009 von Manfred Hild entwickelt, dem Kopf einer Forschergruppe der Hochschule.

Anekdotisch wurden im Laufe des Abends emotional aufgeladene Konzepte wie Heimat, Erinnerung, Emotionen und Liebe, Angst und Sterblichkeit angerissen – teils in Gesprächen, teils in Form einer musikalischen Darbietung. Myon sollte dem Geplänkel lauschen, es verstehen und durch die Verbindung mit der Musik selbst Gefühle entwickeln. Seine eigenen Gemütsregungen hielt der kleine Roboter jedoch sehr gut im Zaum und beschränkte seine Interaktion mit den Darstellern auf ein absolutes Minimum. Die ersten Gehversuche verweigerte er, und seine Kommunikation beschränkte sich auf die nüchternen Aussagen „Sitzen, aktiv“ und „Stehen, stabil“.

Mit seiner Kamera verfolgte Myon lieber die überdimensionierte Winkekatze, die über die Bühne geschoben wurde, als die Schauspieler. Der erste (und einzige) Höhepunkt vor der Pause war der Moment, als Dirigent Arno Waschk Myon bei der Hand nahm und ihm das Taktgeben beibrachte. Danach hob Myon brav die Hände und winkte das Orchester durch das folgende Stück. Ob die Winkekatze das so viel schlechter gemacht hätte, sei dahingestellt. Dirigieren ist jedoch definitiv etwas anderes.

Das Publikum blieb also völlig im Unklaren darüber, was und vor allem wie Myon lernen kann oder was er tatsächlich während der Vorführung mitbekommen hat. Welche seiner Handlungen er sich selbst angeeignet und freiwillig ausgeführt hat, war nicht nachvollziehbar. Dass zusätzlich einmal der gesamte Roboter gegen ein Körperdouble ausgetauscht und ein weiteres Mal der Kopf ersetzt wurde, ließ Zweifel daran aufkommen, wie selbständig-lernend (und damit einzigartig) Myon tatsächlich ist.

Und so war die abschließende Szene, auf die alle hinfieberten, sehr unzufriedenstellend: Myon hob am Mikrofon stehend an zu singen und stimmte blechern die erste Zeile von Fames „I Sing The Body Electric“ an. Die Stimme klang verdächtig nach Abspielgerät.

In der Pressemitteilung hatte man ein wenig vollmundig die Frage gestellt:

Kann ein Roboter Opernstar werden?

Die Antwort ist ein klares Nein.

Die Deutsche Welle und der Bayerische Rundfunk haben jeweils kurze Videos online gestellt, die eine Vorstellung von der Oper vermitteln. Von Brahms bis Robbie Williams (sic!) war musikalisch einiges dabei, manches aber nur schwer zu ertragen.

Der singende Roboter, etwa in der Größe eines Schulkindes, hat schon vor der Premiere einiges an Presseanteilnahme erfahren, allerdings sind die Kritiken nach der ersten Vorstellung nicht durchgängig begeistert:

Aber Myon tanzt halt nicht.

Ganz genau. Und Professoren der Informatik sollten das auch nicht auf einer professionellen Bühne tun. Dass neben den wunderbaren Opernsängern dann aber Informatiker auch noch singen müssen, war eine Qual für die Ohren des Publikums.

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