VideoüberwachungStadt Mannheim bedroht die Versammlungsfreiheit

Die teils KI-gestützte Videoüberwachung Mannheims wird bei Versammlungen angeblich ausgeschaltet. Doch laut Rechtsprechung reicht das nicht. Denn auch eine ausgeschaltete Kamera kann Menschen davon abbringen, Demonstrationen zu besuchen.

Zwei Kameras an einem Mast.
Filmen sie gerade? Videokameras am Alten Messplatz in Mannheim. – Public Domain netzpolitik.org

Viele Demonstrationen in Mannheim starten oder enden auf dem Alten Messplatz. Am Rand des Platzes, an der Alten Feuerwache, hängen acht Überwachungskameras, weitere sind über den Platz verteilt. Insgesamt filmen 70 Kameras die Innenstadt, 46 davon sind an eine KI-Verhaltenserkennung gekoppelt.

Das ist spätestens dann ein Problem, wenn Menschen hier demonstrieren wollen. David Werdermann, Jurist bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, sagt: „Die Versammlungsfreiheit lebt davon, dass Menschen ohne Angst und Einschüchterung ihre Meinung auf der Straße kundtun können.“ Videoüberwachung und KI-gestützte Auswertung könne Menschen von der Versammlungsteilnahme abhalten, „zumal sie sich wegen des Vermummungsverbots nicht gegen eine mögliche Erfassung wehren können“, sagt Werdermann.

Beständige Unsicherheit

Um eine Einschränkung des Versammlungsrechts zu vermeiden, schaltet die Polizei einzelne Kameras angeblich aus, wenn im Überwachungsbereich angemeldete Versammlungen stattfinden – und keine erheblichen Gefahren für die innere Sicherheit und Ordnung bestehen. Protokolle dazu, wann welche Kamera ab- und wieder angeschaltet wurde, will die Mannheimer Polizei allerdings nicht herausgeben. Für Versammlungsteilnehmer*innen bleibt somit die beständige Unsicherheit, ob sie nicht gerade doch gefilmt werden.

„Schon der bloße Eindruck, während einer Demonstration gefilmt zu werden, entfaltet eine erhebliche abschreckende Wirkung – auch wenn die Kameras tatsächlich ausgeschaltet sind“, sagt David Werdermann. Die deutsche Rechtsprechung unterstützt seine Argumentation.

Teilnehmer*innen können nicht hinreichend verlässlich erkennen, ob Kameras in Betrieb sind oder nicht, entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen 2020. Damit bestätigte es die vorgelagerte Entscheidung, dass öffentliche Videokameras während Versammlungen verhüllt werden müssen. Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen entschied schon 2015, dass auch eine halbausgefahrene Mastkamera eines Polizeifahrzeugs während einer Demonstration nicht rechtens ist, egal ob sie läuft. Allein die Präsenz der Kamera ist zu viel.

Es gibt technische Lösungen

Eigentlich müssten Mitarbeiter*innen der Stadt Mannheim vor jeder Demonstration entlang der Route Kameras vorübergehend außer Betrieb setzen. Dazu könnten sie mit Leitern zu allen Kameras hinaufsteigen und Blenden vor die Linsen schrauben oder einfach Säcke über die Geräte stülpen.

Es gibt allerdings smartere Lösungen: Ein deutscher Hersteller produziert für seine Videoüberwachungssysteme beispielsweise neongelbe Jalousien, die per Mausklick vor die Linsen fahren.

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14 Ergänzungen

  1. Polizei Mannheim erklärte bei einer Diskussionrunde, Kameras abdecken sei zu viel Arbeit. Kameraüberwachung aufbauen und von Fraunhofer mit KI auswerten lassen, war aber gut machbar vom Arbeitsaufwand her. Habe da bisher auch keine Klagen über fehlende Geldmittel gehört. Die werden ja sonst immer von CDU-Leuten vorgetragen, wenn es um Verkehrswende und andere sinnvolle Maßnahmen geht.

  2. „Denn auch eine ausgeschaltete Kamera kann Menschen davon abbringen, Demonstrationen zu besuchen.“

    Danke das dies ausgesprochen wird.
    Das Unwohlsein hält Menschen ab oder fern, an Veranstaltungen teil zu nehmen.

    „Es gibt allerdings smartere Lösungen: Ein deutscher Hersteller produziert für seine Videoüberwachungssysteme beispielsweise neongelbe Jalousien, die per Mausklick vor die Linsen fahren.“

    Unglaubwürdig ist es dennoch, denn die Anreise und Abreise wird von anderen Kameras und „KI“ ausgewertet.

  3. In Erfurt exakt das gleiche Spiel. Massive Überwachung. Man kommt in Erfurt zu Fuß kaum durch die Stadt ohne den Anger zu queren. Ein absolut zentraler Dreh- & Angelpunkt, den täglich Tausende nutzen. Wenn Demo’s in Erfurt stattfinden, dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dort. Oder vor dem Hauptbahnhof, aber da hat die Deutsche Bahn ja auch vor Jahren schon die totale Videoüberwachung ausgerufen. Die für den Anger angeschafften Kameras können angeblich keine Gesichtserkennung, weil die dazugehörige Software nicht gekauft wurde. Ob das stimmt lässt sich für mich als Bürger nicht prüfen, ist aber auch egal. Die massenhafte Gesichtserkennung kommt in jedem Fall. Wenn nicht nächstes Jahr, dann in 10 Jahren. Spätestens wenn die AfD die absolute Mehrheit hat wird das flächendeckend ausgerollt.

    https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/anger-kameras-videouerbwachung-polizei-datenschutz-100.html

    1. Wenn sich ein Demonstrant von Kameras eingeschüchtert oder unwohl fühlt, dann vermute ich, hat er nicht vor sich an die Regeln zu halten. Ich verstehe das ganze Problem ehrlich gesagt nicht. Wenn es dann zu Ausschreitungen kommen sollte oder ein Auto in die Menge fährt oder jemand ein Messer zieht, dann helfen die Kameras den Vorfall aufzuklären oder etwas nicht? Jeder „normale“ Demonstrant hat doch gar nichts zu befürchten. Und ehrlich gesagt, ich fühle mich besser wenn ich weiß das gefilmt wird. Und wenn einer mit Leitern alles abdecken muss, dann bitte dem Veranstalter in Rechnung stellen. Die Kameras sind zum Schutz aller Bürger da!

      1. „Wenn es dann zu Ausschreitungen kommen sollte…“

        Dann ist Ihnen (und uns) nur zu wünschen, dass Sie eines Tages, wenn Sie gegen ein nach Ihrer Auffassung ungerechtes und/oder undemokratisches politisches System protestieren müssen und dies möchten, es dann noch können!

        Ihre Auffassung zeigt, dass Sie und wohl ein erheblicher Teil der Bevölkerung nach über 75 Jahren bundesrepublikanischer Demokratie noch nicht begriffen haben, was letztere ausmacht und welche soziopsychologischen Voraussetzungen für deren Erhalt notwendig sind.

        1. Zu „Anonym“: „Jeder „normale“ Demonstrant hat doch gar nichts zu befürchten.“

          Kaum zu glauben, dass sich dieses Unsinnsargument mit „Nichts zu verbergen“ immer noch hält.

          Wenn sie nichts zu verbergen haben, dann haben sie bestimmt nichts dagegen, wenn jemand sich vor ihren Briefkasten stellt, die Post abfängt und liest, wenn der Postbote kommt und sie einwerfen will. Nach dem Motto: Wollen doch mal sehen, was der Herr/die Frau „Anonym“ so alles treibt, geht uns doch alle was an!

          Jetzt bin ich auf die Antwort gespannt!

          1. Reality Check: Demonstranten haben es seit je her hinzunehmen, in der Berichterstattung erkennbar abgebildet zu sein.

  4. Ich finde es schon unangenehm überall im öffentlichen Raum, sei es im Bus oder unterwegs gefilmt zu werden.
    Wenn ich nicht müsste, würde ich mich schon gar nicht mehr an diesen Orten aufhalten.
    Ich weiß nicht wie es anderen geht, aber persönlich fühle ich mich eher unsicherer, wenn Kameras anwesend sind oder ständig schwer ausgerüstete Polizisten durch die Gegend laufen sollen (stichwort Stadtbilddsikussion).
    Im übrigend tummelt sich um Louis Rossman in einigen Gebieten der USA zumindest etwas widerstand gegen die dortigen KI-gestützen Überwachungssysteme, aber eher mit wenig Erfolg, so wie es aussieht.
    Wäre vielleicht auch mal was für Deutschland.
    Wie wäre es mit einer Demo gegen Kameras am Demo-Ort.
    Gerne auch als Livestream von zuhause aus, dann spart sich der Staat die Kosten für eigene Kameras, lol.

  5. DIe Polizei schickt ohnehin ihre Zivilspitzel zur Veranstaltung und die filmen dann offen „Privataufnahmen“ oder verdeckt aus nächster Nähe in so hoher Auflösung, dass man die Fotos auch für hautärztliche Angelegenheiten verwenden könnte.
    Die Polizei muß nicht offenlegen was sie im geheimen alles sonst noch tut.

  6. Da ich oben nicht mehr auf diesen Beitrag:

    „Anonym sagt:
    10. November 2025 um 14:08 Uhr

    Reality Check: Demonstranten haben es seit je her hinzunehmen, in der Berichterstattung erkennbar abgebildet zu sein.“

    antworten kann, tue ich es hier:

    Es geht nicht um (journalistische) Berichterstattung, sondern um die psychologisch abschreckende Wirkung, die die ständige Anwesenheit und Benutzung von Überwachungstechnik erzeugt.

    Yvonne: „Die Polizei muß nicht offenlegen was sie im geheimen alles sonst noch tut.“

    Doch, muss sie. Vor allem dann, wenn durch ihre Methoden Grundrechte erkennbar und ohne gesetzliche Grundlage verletzt werden. Die Polizei und ihre Methoden dürfen sich öffentlicher Kontrolle nicht entziehen. Mal abgesehen davon, wie kommen sie drauf, dass Zivilspitzel auf Demos bis in den privaten Raum hinein filmen? Persönliche Erfahrung oder Insiderwissen?

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