Mit einer großen Zahl steckten die Spitzen der Union und SPD gleich eingangs die Debatte ab: 500 Milliarden Euro wollen die Koalitionäre in spe in ein Sondervermögen packen. Damit wollen sie binnen zehn Jahren vor allem den Modernisierungsstau auflösen und die bröckelnde Infrastruktur Deutschlands auf Vordermann bringen. Zudem soll die Schuldenbremse „modernisiert“ werden, um den Ländern mehr fiskalpolitischen Handlungsspielraum zu geben.
Wohin das Geld im Detail fließen soll, bleibt jedoch bis auf weiteres unklar. Dem am Wochenende veröffentlichten Sondierungspapier der Verhandler:innen zufolge sollen die zu unterstützenden Infrastrukturprojekte „insbesondere Zivil- und Bevölkerungsschutz, Verkehrsinfrastruktur, Krankenhaus-Investitionen, Investitionen in die Energieinfrastruktur, in die Bildungs-, Betreuungs- und Wissenschaftsinfrastruktur, in Forschung und Entwicklung und Digitalisierung“ umfassen – eine lange Liste komplexer Vorhaben.
Dabei machen Union und SPD Tempo: Der noch amtierende Bundestag soll die dazu notwendige Grundgesetzänderung beschließen, bevor die neue Koalition ihr Amt antritt. Ob das klappen kann? Allein mit den Stimmen von Union und SPD geht es nicht. Sie brauchen für eine ausreichende Mehrheit etwa die Grünen, die selbstbewusst Nachbesserungen einfordern.
Doch der Großteil der sondierten Pläne wird selbstverständlich erst relevant, wenn sich eine neue Regierung gebildet hat. Wir haben uns die Teile des Papiers mit Digitalbezug näher angeschaut.
Verwaltungsdigitalisierung beherzt aufgreifen
Union und SPD erachten die Digitalisierung als zentral für die Modernisierung des Staates. Sie soll die Verwaltung „effizienter, transparenter und bürgerfreundlicher“ machen.
Das Sondierungspapier nennt hier bereits konkrete Maßnahmen, die die kommende Regierung einführen möchte. So sollen Behördengänge flächendeckend digital möglich sein. Union und SPD knüpfen damit an die Ziele der Ampel an, die – wie schon deren Vorgängerregierung – ebenfalls eine umfassende Verwaltungsdigitalisierung anstrebte.
Außerdem wollen Union und SPD Datenregister vernetzen und Verwaltungsabläufe automatisieren. Die Vernetzung von Datenregistern zielt darauf ab, behördliche Datenbanken und Register, die bislang getrennt voneinander bestehen, zusammenzuführen und damit auch interoperabel zu machen. Dies soll den Datenaustausch der Behörden untereinander und zwischen Ämtern und Bürger:innen erleichtern.
Voraussetzungsvolle Digitalisierung
Ein einheitliches Bürgerkonto soll es ermöglichen, dass Bürger:innen mutmaßlich über ein zentrales Portal auf verschiedene Verwaltungsdienstleistungen zugreifen können. Die Voraussetzung dafür ist erstens die BundID, die gemäß Onlinezugangsgesetz künftig DeutschlandID heißen wird. Bislang ist die BundID aber kaum mehr als ein Postfach für Behördenmitteilungen, das zudem noch nicht alle Bundesländer verwenden.
Zweitens braucht es dafür eine digitale Identität. Auch dies war ein Leuchtturmprojekt der Ampel-Regierung, geriet wegen Haushaltskürzungen aber zuletzt ins Stocken. Wie es mit dem Vorhaben „Ökosystem digitale Identitäten“ weitergeht, sagt das Sondierungspapier nicht.
Und drittens kann die Verwaltungsdigitalisierung, auch das haben die vergangenen Jahre gezeigt, nur dann gelingen, wenn Bund und Länder an einem Strang ziehen. Hier deutet das Papier eine Reform des föderalen Systems an, die „neue Kompetenzzuordnungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen“ anstrebt. Mit Blick auf die Kosten- und Aufgabenverteilung soll es außerdem einen „Zukunftspakt“ der drei Verwaltungsebenen geben.
Am Ende, so das Sondierungspapier, sollen die Bürger:innen dann aber vom Modernisierungsschub der öffentlichen Verwaltung profitieren. „Wo immer möglich“ sollen Leistungen und Beratung digitalisiert und aus einer Hand erbracht werden. Zugleich sollen Leistungen zusammengefasst und besser aufeinander abgestimmt werden, etwa durch die Zusammenführung von Wohngeld und Kinderzuschlag. Ob hierbei Gelegenheiten für Sozialabbau genutzt werden sollen, werden die weiteren Verhandlungen offenlegen.
Hightech-Agenda mit Zukunftsideen
Ebenso bleibt abzuwarten, ob am Ende ausreichend Geld für die Verwaltungsdigitalisierung vorhanden sein wird. Denn Union und SPD verfolgen eine „Hightech-Agenda“. Für ein „schlagkräftiges Programm für Forschung, Innovationen, Technologien, Transfer und Entrepreneurship“ brauche es „eine massive Aufstockung der Mittel für Forschung und Entwicklung“. Das Geld soll auch „strategisch wichtige Branchen“ in Deutschland halten oder neu ansiedeln. Konkret führt das Papier die Halbleiterindustrie, die Batteriefertigung, die Wasserstofftechnologie und die Pharma-Industrie an.
Ein besonderes Augenmerk legt das Papier auf die Kernfusionsforschung. Hier streben Union und SPD nicht weniger als eine globale Führungsrolle an: „Unser Ziel ist: Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen.“ Das Papier geht nicht darauf ein, wie konkrete Maßnahmen, Zeitpläne oder Finanzierungsmodelle aussähen, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Fusionsforschung verschlingt schon jetzt weltweit gewaltige Summen. Großprojekte wie ITER in Frankreich haben Baukosten im zweistelligen Milliardenbereich. Der Erfolg hält sich derweil in engen Grenzen: Seit Jahrzehnten werden kommerzielle Fusionsreaktoren als „in 30-50 Jahren verfügbar“ angekündigt. Angesichts hoher technischer Hürden fordern Kritiker:innen, stattdessen verfügbare erneuerbare Energien zu fördern.
Die Probleme der Digitalisierung in der Arbeitswelt sollen „sozialpartnerschaftlich gelöst“ werden, betont das Sondierungspapier. Es nennt zwar nur einen Bereich ausdrücklich – sogenannte Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt –, das Feld ist jedoch weitaus größer: Schon seit den 1990er-Jahren schreiben sich deutsche Regierungen eine Art Beschäftigtendatenschutzgesetz ins Pflichtenheft, um Regeln zu Überwachung am Arbeitsplatz, Leistungskontrolle und algorithmischem Management zu schaffen. Gelungen ist dies bis heute nicht.
Zusammen auf Anti-Migrationskurs
Bei der Migration – einem Schwerpunkt des Sondierungspapiers –hat sich die Union offenbar klar durchgesetzt. Sie hat es geschafft, die bereits im Wahlkampf immer wieder angekündigten Zurückweisungen an den Grenzen in das Papier zu hieven. Noch im zurückliegenden Kanzlerduell war Olaf Scholz seinen Kontrahenten Friedrich Merz deswegen angegangen. Pauschale Zurückweisungen verstießen gegen Verfassung und Europarecht.
Jetzt kann die SPD offenbar damit leben und will alles rechtsstaatlich Mögliche tun, um sogenannte irreguläre Migration zu begrenzen. Kurz nach Veröffentlichung des Sondierungspapiers gibt es jedoch wieder Streit um diesen Punkt. Während im Papier steht, die Zurückweisungen sollten in Abstimmung mit den Nachbarländern geschehen, verweist Jens Spahn (CDU) darauf, dass dort nicht „Zustimmung“ stehe. Die SPD hingegen will Zurückweisungen nur in Einvernehmen mit den Nachbarländern durchführen.
Auch sonst stehen die Zeichen auf Hardliner-Kurs beim Thema Migration. „Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt und werden ihre Umgehung unterbinden“, heißt es im Papier. Bezahlkarten werden seit einigen Monaten in vielen Kommunen bundesweit an Geflüchtete ausgegeben. Vielerorts kommen sie mit Beschränkungen, etwa einem Bargeld-Abhebelimit von 50 Euro pro Monat und erwachsener Person. Doch nicht alle gehen mit: In Potsdam etwa will die Stadt keine solche Karte einführen, weil auch ein eigenes Konto zur Integration gehöre. Das ist den Sondierern offenbar ein Dorn im Auge. Ob sie die Kommunen verpflichten wollen, die Karten auszugeben, steht nicht explizit im Papier. Ebenso wäre ungewiss, wie das rechtlich möglich wäre.
Klarer ist das Vorhaben, die Umgehung der Karte zu verhindern. Hier hatten sich an einigen Orten solidarische Tauschinitiativen gegründet. Diese funktionieren, indem Bezahlkarten-Inhaber:innen mit den Karten Gutscheine erwerben, die von anderen für Bargeld zurückgekauft werden. Solche Umtausch-Aktionen will vor allem die CSU verbieten, das beschloss sie auf einer Parteiklausur im Januar.
Staatsbürger:innen zweiter Klasse
Außerdem haben sich die Sondierungspartner darauf geeinigt, schon in diesem Jahr die EU-Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS) umzusetzen. Dass diese kommt, war klar, bis zum Juni 2026 läuft die Frist. Doch offenbar soll das Vorhaben priorisiert behandelt werden. Einen Entwurf aus dem bisher SPD-geführten Innenministerium hatte es bereits im Herbst 2024 gegeben. Dieser ging weit über die europarechtlichen Vorgaben hinaus, wie etwa Pro Asyl kritisierte.
Wie sehr sich die geplante neue Regierung daran orientieren will und welche Spielräume aus der EU-Gesetzgebung sie wie ausnutzt, verrät das Sondierungspapier noch nicht. Es wird jedoch sicherlich eine Erweiterung des Ausländerzentralregisters mit sich bringen.
Auf den ersten Blick wenig digitalen Bezug hat die angestrebte Überarbeitung des Staatsangehörigkeitsrechts. Wer neben der deutschen eine weitere Staatsbürgerschaft hat, soll diese verlieren können, wenn es um „Terrorunterstützer, Antisemiten und Extremisten“ geht, „die zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen“. Bei ähnlichen Diskussionen im Kontext von Abschiebungen in der letzten Legislatur hatte die damalige Bundesregierung bereits das Liken eines Social-Media-Posts mit entsprechendem Inhalt als Ausweisungsgrundlage definiert.
Doch abgesehen vom digitalen Aspekt führt eine solche Staatsbürgerschaft zweiter Klasse zu Integrationshindernissen, da die betroffenen Personen ständig in der Unsicherheit leben, ihre deutsche Staatsbürgerschaft wieder verlieren zu können. Nicht alle von ihnen können ihre weitere Staatsbürgerschaft ablegen, bei manchen Herkunftsländern wie Marokko ist das praktisch unmöglich.
Trotz des migrationsfeindlichen Duktus wollen SPD und Union offenbar dennoch mehr Fachkräfte aus dem Ausland und dafür Prozesse „durch umfassende Digitalisierung beschleunigen“. „Dafür schaffen wir eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte“, nehmen sich die Sondierer vor.
Wenig EU und Digitales
Zur EU-Digitalpolitik findet sich nicht viel im Sondierungspapier, lediglich ein Absatz verweist auf den Digital Services Act (DSA). Den wollen Union und SPD auf nationaler Ebene „konsequent durchsetzen“. Das kann nur eines bedeuten: Die weiterhin stark unterfinanzierte und personell unterbesetzte Koordinierungsstelle für digitale Dienste bei der Bundesnetzagentur muss möglichst rasch mit den Mitteln versorgt werden, die sie für ihre Arbeit braucht. Im Fokus des Sondierungspapiers steht bemerkenswerterweise weniger das Problemfeld der illegalen Hassrede, sondern offenbar allein „alltägliche Desinformationen und Fakenews“ – ausgerechnet der Bereich, den der DSA aus demokratiepolitischen Gründen nur mit Samthandschuhen anfasst.
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