Zwischenbericht GigabitstrategieStolpern zum Etappensieg

Der lange marode Zustand deutscher Infrastruktur hat sich zuletzt merklich verbessert. In einem Fortschrittsbericht zur Gigabitstrategie stellt sich die Bundesregierung ein gutes Zeugnis aus. Allerdings legt sie dabei auch offen, was den Fortschritt in den nächsten Jahren deutlich dämpfen könnte.

Kabeltrommeln mit Lehrrohren für Glasfaserkabel warten auf ihr Ausrollen
Kabeltrommeln mit Lehrrohren für Glasfaserkabel warten auf ihr Ausrollen – wenn alles klappt. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jochen Tack

Wer weit zurück liegt, hat hohes Potenzial beim Aufholen. „Spektakuläre“ Fortschritte habe es zuletzt bei der Versorgung mit Glasfaser in Deutschland gegeben, von 19 Prozent im Jahr 2022 auf knapp 30 Prozent im Jahr darauf, lobt die EU-Kommission im jüngsten Bericht zur „Digitalen Dekade“ die deutsche Ausbaubaudynamik. Doch beim Vergleich mit anderen Staaten sieht das Bild schon wieder anders aus. Beim Ausbau liege Deutschland „immer noch auf dem vorletzten Platz unter den EU-Mitgliedstaaten“, hält der EU-Bericht fest.

Dass es noch viel zu tun gibt, geht auch aus dem am Montag vorgestellten Fortschrittsbericht zur Gigabitstrategie der Bundesregierung hervor – trotz aller Selbstbeweihräucherung, die auch ausdrücklich das Lob aus Brüssel umfasst. 87 Prozent der vor zwei Jahren beschlossenen Maßnahmen seien „erfolgreich gestartet oder abgeschlossen“, heißt es aus dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Es gehe wie geplant voran, sagt Minister Volker Wissing (FDP): „Unser Zwischenziel, bis Ende 2025 jedem zweiten Haushalt einen Glasfaseranschluss zu ermöglichen, werden wir aller Voraussicht nach erreichen.“

Transparente Zahlenspiele

Sollte dies tatsächlich gelingen, wäre das ein bemerkenswerter Etappensieg. Bis zum Ende des Jahrzehnts plant das BMDV sogar eine lückenlose Versorgung mit der zukunftsfesten Glasfasertechnik. Zugleich verschleiert das BMDV kaum, dass die Versorgungsstatistik nicht für bare Münze zu nehmen ist.

Denn als mit Glasfaser versorgt gelten alle Haushalte, an denen eine entsprechende Leitung vorbei führt („homes passed“). Das heißt noch lange nicht, dass dort Kund:innen echte Glasfaserprodukte buchen können. Vor allem in Mietshäusern steht ein langwieriger und bislang ungeklärter Prozess bevor. Nicht nur müssen die Häuser selbst, sondern auch die Wohnungen an das neue Netz angeschlossen werden.

Über die schwierige Migration von Kupfer- auf Glasfasernetze diskutiert die Branche schon seit Jahren. Die Überwindung der wortwörtlich letzten Meter, Inhouse-Verkabelung inklusive, zählt zu einer der großen Hürden, die es dabei zu bewältigen gibt. „Es ist für Ausbauer wie Zugangsnachfrager essenziell, dass zeitnah die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Migration verbindlich geregelt werden“, macht etwa der Branchenverband Vatm in einem jüngsten Positionspapier Druck.

Kupfer- auf Glasmigration in den Kinderschuhen

16 damit zusammenhängende Themenbereiche hat das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) im Auftrag des Gigabitforums schon vor zwei Jahren identifiziert – eine der als „Erledigt“ markierten Maßnahmen der Gigabitstrategie. Im von der Bundesnetzagentur ins Leben gerufenen Forum tauscht sich die Branche mit Behörden und Politik aus, die Migration der Netze gilt als einer der Schwerpunkte.

Und dennoch befindet sich die Debatte immer noch am Anfang. Hergestellt ist lediglich der „Ausgangspunkt für eine Diskussion über eine beschleunigte Migration von Kupfer auf Glas“, schreibt das BMDV. „In Bearbeitung“ befindet sich derzeit die Evaluation der Pilotprojekte der Kupfer-/Glas-Migration, noch gar nicht begonnen hat die Erarbeitung eines Konzepts zur Migration.

Rößner vermisst Verbindlichkeit

Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner von den Grünen hatte sich mehr erwartet. Zwar zeige der Bericht, „dass wir als Ampelkoalition echte Fortschritte in der Versorgung mit Glasfaser und Mobilfunk gemacht haben“, sagt Rößner. Aber es fehle bei zwei entscheidenden Themen eine sonst durchgezogene Verbindlichkeit.

„Es waren ein Abschlussbericht zum Thema des strategischen Doppelausbaus wie auch ein Konzept zur Kupfer-Glas-Migration angekündigt worden“, sagt Rößner. Doch zu keinem der beiden Themenbereiche gebe es konkrete Zeitpläne. „Das ist bedauerlich“, so die Vorsitzende des Digitalausschusses.

Unter „Fortlaufend“ führt das BMDV die Evaluierung des Doppelausbaus, der sogenannten Überbauproblematik. Darauf hatten die Wettbewerber der Telekom Deutschland gedrängt. Sie werfen der Marktführerin den strategischen Überbau ihrer Netze vor und damit die Sabotage eines volkswirtschaftlich sinnvollen und flächendeckenden Ausbaus. Seit einem im April erschienenen Zwischenbericht herrscht Funkstille, auch wenn die Bundesnetzagentur weiterhin Verdachtsfälle sammelt.

Marktweites Open Access auf der langen Bank

Ähnlich schleppend verläuft auch die Debatte um marktweites Open Access. Mit einem diskriminierungsfreien und standardisierten Zugang in bereits errichtete Netze der Konkurrenz ließe sich unnötiger Doppelausbau verhindern. Weithin akzeptierte Spezifikationen von Schnittstellen oder Geschäftsprozessen lassen jedoch weiter auf sich warten.

Überhaupt scheint es hierbei kaum Einigkeit in der Branche zu geben: Eine eigens eingerichtete Arbeitsgruppe versucht etwa derzeit, eine „Bestandsaufnahme über den Status quo von freiwilligem Open Access im Markt“ zu erstellen. Auch der Rest des Arbeitsauftrags vermittelt nur wenig Zuversicht, eine allgemein akzeptierte Lösung zu finden: „Zu betonen ist, dass das Ziel der Projektgruppe und des Arbeitsprozesses nicht ist, ein standardisiertes Open-Access-Angebot zu erarbeiten bzw. vorzugeben.“

2 Ergänzungen

  1. Was sind Gigabit überhaupt? Mit dieser Strategie kann ich nichts anfangen. Ich kenne nur Megabit, und bei librespeed werden mir typischerweise Werte von 0,05-0,2 angezeigt.

    Natürlich muss ich hier erwähnen, dass ich keinerlei Kabelanschlüsse mehr verfüge; DSL wurde hier nie angeboten, nur ISDN welches Ende 2022 abgeschaltet wurde. Und Glasfaser ist bislang auch nicht in Sichtweite.

    1. Urgs, herzliches Beileid. Das klingt nach einem Paradefall für das Recht auf die Versorgung mit Telekommunikationsdiensten, sofern es mobilfunkmäßig ähnlich düster aussieht.

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