Das norwegische Mobilfunkunternehmen Telenor steht kurz davor, seine Tochtergesellschaft Telenor Myanmar zu verkaufen. Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass die Militärregierung dadurch einfachen Zugriff auf die Metadaten von 18 Millionen Nutzer:innen erlangen könnte.
Im Juli 2021 hatte Telenor angekündigt, seine Tochtergesellschaft Telenor Myanmar für 105 Millionen US-Dollar an die libanesische M1-Gruppe veräußern zu wollen. Telenor zufolge könne der Konzern unter keinem menschenrechtsfeindlichen Regime agieren. Daher sei der Verkauf alternativlos.
Allerdings hat die myanmarische Militärregierung dem alleinigen Verkauf an M1 widersprochen. Laut Berichten von Reuters erlegte diese M1 auf, sich mit der Firmengruppe Shwe Byain Phyu (SBP) zusammenzutun, wobei 80 Prozent der Anteile an die SBP gehen sollten. Laut Recherchen der pro-demokratischen Bewegung „Justice For Myanmar“ weise das Firmengeflecht SBP enge Verbindungen mit der Militärjunta auf. Zudem hätten die EU, USA und das Vereinigte Königreich gegen mehrere Unternehmen und Personen in Verbindung mit der SBP Sanktionen verhängt. SBP bestritt, Geschäfte mit dem Militär zu machen.
Metadaten in den falschen Händen
Die Telefonie-Metadaten enthalten Informationen über Gesprächsdauer und -zeiten sowie Standortdaten der 18 bis 19 Millionen Kund:innen von Telenor Myanmar. Sollten die Daten in die Hände der Militärs geraten, könnte dies für viele Menschen gravierende Folgen haben. So ist die Militärjunta für ihr brutales Vorgehen gegenüber Regierungskritiker:innen bekannt.
Wie Telenor vor einer Woche bekannt gab, stellte die Militärregierung seit 2014 327 Anfragen an Telenor, um an personenbezogene Daten diverser Personen zu gelangen. Außerdem verlangte die Junta von Telenor, bestimmte Websites zu blockieren. Der Konzern kam 217 der Datenanfragen nach. Berichten zufolge betrafen die Anfragen meist mehrere Nummern auf einmal, daher seien davon bereits Tausende Menschen erfasst.
Sollte die Junta Zugriff auf den vollständigen Datensatz erlangen, könnte sich die Situation deutlich verschärfen. „Nachdem das Regime die Kontrolle über die Daten erlangt hat, kann es die Netzwerke entwurzeln“, erklärt Joseph Wilde-Ramsing, der leitende Wissenschaftler der niederländischen Forschungsgruppe SOMO, dem Online-Magazin Wired.
Nach der Identifikation einer regierungskritischen Person könnte die Junta nachverfolgen, mit wem diese Person im Verlauf der letzten Jahre in Kontakt war. Auf diese Weise könnten die Militärs weitere Schlüsselpersonen und Aktivist:innen identifizieren. Auch ihre Familienmitglieder könnten auf diese Weise ins Visier geraten, so Wilde-Ramsing.
Das Militär hatte die Parlamentswahlen im Jahr 2020 mit großem Abstand verloren. In Reaktion erklärte es am 1. Februar 2021 einen Ausnahmezustand, löste die beiden Parlamentskammern auf und verhaftete zentrale Mitglieder der gewählten Regierung. An dessen Stelle setzten sie den ehemaligen Militäroffizier Myint Swe als kommissarischen Präsidenten ein. Im weiteren Verlauf kam es zu anhaltenden Protesten. Die Militärregierung reagierte mit Gewalt – nach Informationen der Assistance Association for Political Prisoners (Burma), hat die Junta bis zum 16. Februar 1.557 Menschen ermordet und 9.160 Personen verhaftet.
Datentransfer alternativlos
Telenor zufolge habe der Konzern keine Wahl und müsse die Daten übermitteln. Schließlich sei die Firma per Gesetz verpflichtet, die Kundendaten zu speichern. „Das Land wird derzeit von einem Militärrat kontrolliert, große Teile des Landes stehen unter Kriegsrecht“, argumentierte der Leiter der Kommunikationsabteilung von Telenor, Rode Nordhus. „Ein Verstoß gegen die örtlichen Gesetze und Richtlinien kann in einer solchen Situation schwerwiegende und nicht hinnehmbare Folgen für unsere Mitarbeiter haben.“
Nordhus zufolge liege das Schicksal von Telenor Myamar vielmehr in der Hand der M1-Gruppe. Der Kaufvertrag könne nicht verhindern, dass die M1-Gruppe einen Großteil ihrer Anteile an die SBP-Gruppe verkaufe. Die Frage nach dem Schicksal der Millionen betroffenen Personen beantwortete Nordhus ausweichend: Die Menschen in Myanmar seien „in einer extrem schwierigen Situation“. Nichtsdestotrotz könne Telenor unter keinem Regime agieren, welches gegen Menschenrechte und internationale Gesetze verstoße.
Kritiker:innen halten dagegen, dass Telenor auf den Verkauf der Metadaten verzichten könnte: „Sie hätten alle Identitäten, alle Gesprächs-Logs löschen und nur die Infrastruktur verkaufen können“, erklärt der norwegische Abgeordnete Mahmoud Farahmand.
Aktivist:innen von „Justice For Myanmar“ haben am 5. Februar einen offenen Brief an die norwegische Regierung verfasst. Darin fordern sie diese auf, den Firmentransfer zu stoppen. Ansonsten trage die Regierung eine Mitschuld an den Taten der Militärjunta.
Die norwegische Regierung hatte die Verantwortung für dem Verkauf bereits im September letzten Jahres von sich gewiesen. Obwohl sie 53,97 Prozent der Anteile an Telenor besitzt, verwies die damalige norwegische Wirtschaftsministerin auf die Entscheidungsfreiheit des Unternehmensvorstands. Die Regierung beteilige sich nur über die Generalversammlung, welche zuletzt vor Bekanntgabe des Verkaufes stattfand. Die Regierung habe darüber hinaus keine Autorität. Auch die Ende 2021 neu gewählte Minderheitsregierung hält an dem kontroversen Kurs fest.
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