In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat der Bundestag drei Gesetzen zugestimmt, die neue Straftatbestände einführen. Es geht um sogenannte Feindeslisten, Cyberstalking und kriminelle Handelsplattformen. Die Zeit vor Ende der Legislatur war knapp, die letzten Änderungen aus dem Rechtsausschuss kamen erst kurz vor der Abstimmung. Genauso schnell wird es heute im Bundesrat weitergehen, der im Laufe des Tages diese und 83 weitere Gesetze behandelt.
Feindeslisten und verhetzende Beleidigung
Das Gesetz zur „Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten“ soll diejenigen besser schützen, deren Namen, Adressen und sonstige Informationen etwa auf Websites von Rechtsextremen gelandet sind. Ein früher Gesetzentwurf dazu aus dem Justizministerium schoss eindeutig über das Ziel hinaus und gefährdete journalistische Arbeit sowie antifaschistische Recherchen.
Betroffene äußerten sich damals skeptisch, ob sich ihre Situation dadurch wirklich bessern würde. Sie bemängelten auch, dass es konsequentere Strafverfolgung statt neuer Gesetze brauche und die Information darüber, dass man als Betroffene:r auf einer solchen Liste gelandet ist, immer noch nicht einheitlich ablaufe.
Seit dem BMJV-Entwurf aus dem Februar gab es noch einige Änderungen, die Justizministerin entschärfte das Gesetz. So sind Medien- und Antifa-Recherchen nicht mehr vom Gesetz betroffen, wenn sie der „staatsbürgerlichen Aufklärung“ oder „ähnlichen Zwecken“ dienen.
Auf der anderen Seite sind im Laufe des Verfahrens noch mehr Paragrafen im Gesetz gelandet, über das der Bundestag in der Nacht auf Freitag abgestimmt hat. Mit dem Ursprungsanliegen zu den Feindeslisten haben die zunächst wenig zu tun. Neu waren in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses Passagen zu „Verbreitung und Besitz von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern“, die mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden sollen. Auch einen speziellen Straftatbestand der „verhetzenden Beleidigung“ soll es künftig geben. Damit sollen Beleidigungen erfasst werden, die formal keine Volksverhetzung sind, weil sie direkt an einzelne Personen und nicht an die Öffentlichkeit adressiert werden.
Cyberstalking
Im gleichen Zug wurde über eine Verschärfung des Nachstellungsparagrafen und eine „bessere Erfassung des Cyberstalkings“ abgestimmt. Das Bundesjustizministerium, aus dem der Vorschlag kommt, sieht hier vor allem „gesetzlichen Anpassungsbedarf“, um Fälle von Cyberstalking ausdrücklicher mit dem Gesetz abdecken zu können. Grundsätzlich ist Stalking bereits heute strafbar – egal, ob es mit Hilfe von Geräten digital passiert oder analog.
Allerdings häufen sich die Fälle, in denen sich Täter:innen Zugang zu den E-Mail- oder Social-Media-Konten ihrer Opfer verschaffen oder unbemerkt deren Smartphones überwachen. Zugleich sind bestimmte Taten wie das unerlaubte Veröffentlichen von Nacktaufnahmen bisher nur auf Umwegen etwa über das Kunsturheberrecht strafbar. Das ändert sich mit dem jetzigen Entwurf: Als Stalking gelten dann explizit auch Taten wie das Ausspähen mit Hilfe erratener Passwörter, das Vortäuschen einer Identität, etwa auf Datingportalen, und das unerlaubte Veröffentlichen von intimen Bildern.
Neu ist auch, dass diese Taten damit auf der Liste der relativen Antragsdelikte landen. Das heißt, dass Staatsanwaltschaften in Zukunft auch von sich aus Ermittlungen einleiten können, wenn ein öffentliches Interesse besteht. Bisher war dazu ein Strafantrag der Betroffenen notwendig. Organisationen wie HateAid begrüßen die Änderung.
Grundsätzlich soll Stalking weiterhin mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden. Der neue Entwurf sieht jedoch auch höhere Strafen für besonders schwere Fälle vor, etwa wenn eine Person ihr Opfer fast täglich oder über einen besonders langen Zeitraum belästigt. Das gleiche soll gelten, wenn jemand „das Opfer oder eine dem Opfer nahestehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt“. Das hatten zuvor mehrere Verbände gefordert.
Fachleute begrüßen den Entwurf, weisen jedoch darauf hin, dass eine Strafverschärfung allein nicht zu mehr Verurteilungen führen wird. Die Krux liege in der Ermittelbarkeit der Täter:innen. Behörden bräuchten mehr Zeit und technisches Wissen, um solchen Fällen nachzugehen. Die Initiative müsse daher begleitet werden von der Weiterbildung von Polizeikräften, Sonderstaatsanwält:innen und Richter:innen, schreibt etwa die Frauenhauskoordinierung.
Kriminelle Handelsplattformen
Im Koalitionsvertrag einigten sich Union und SPD darauf, „eine Strafbarkeit für das Betreiben krimineller Infrastrukturen“ einzuführen, einen ersten Gesetzentwurf dazu hatte netzpolitik.org im letzten November veröffentlicht. Wer eine „Handelsplattform im Internet betreibt, deren Zweck darauf ausgerichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten zu ermöglichen oder zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“ heißt es nun. Das besagt ein neuer Paragraf 127 im Strafgesetzbuch.
Ursprünglich sollte es laut dem Regierungsentwurf auch eigenständig strafbar sein, wenn jemand „absichtlich oder wissentlich eine Server-Infrastruktur“ für entsprechende Taten betreibt. Der Rechtsaussschuss des Bundestags strich den Teil zur Server-Infrastruktur als expliziten, eigenen Straftatbestand. Damit soll sichergestellt sein, dass die Strafbarkeit auch „auf die Bereitsteller von (physischen oder virtuellen) Infrastrukturen anwendbar sind“, die als „Gehilfen“ bei solchen Taten fungieren. Außerdem sollen Ermittlungsbehörden bei gewerbsmäßigem Handeln Staatstrojaner einsetzen, um Verdächtige und Server zu überwachen.
Kritiker:innen des Gesetzes hatten vor allem angemerkt, dass es bei den entsprechenden Taten überhaupt keine Strafbarkeitslücke gebe und die Strafbarkeit von Handlungen immer weiter ins Vorfeld verlagert werde.
Hmm…
„Strafbarkeit für das Betreiben krimineller Infrastrukturen“ könnte noch eine immense Folge haben, wenn ein Bundes*innenminister versucht, Tor zu verbieten.
Die Missbrauchsgefahr durch technokratische Hardliner macht mir etwas Sorgen.
Tja, Gesetze sind, wenn sie über das offensichtliche hinausgehen, leider sehr beliebig.Wäre das unendliche Wiederholen von nicht verfassungsgemäßen Gesetzen eine Straftat, das hier
https://netzpolitik.org/2021/endspurt-im-bundestag-drei-naechtliche-strafrechtsverschaerfungen/
somit weniger ein Problem.
Die derzeitige Übergröße des Bundestages wäre damit auch gelöst (-: