Weniger „Stille SMS“ bei Bundesbehörden, aber mehr Geheimhaltung

Netzpolitik.org stellt den Versand von Stillen SMS halbjährlich grafisch dar. So lässt sich zeigen, in welchem Umfang Polizeien und Geheimdienste Mobiltelefone als Ortungswanzen nutzen. Wegen einer solchen „Verdichtung“ von schutzwürdigen Informationen sind die Zahlen für den Verfassungsschutz jetzt als „Geheim“ eingestuft.

Gesicht mit Finger vor den Lippen
Die Bundespolizei versendet „Stille SMS“ zur Strafverfolgung, das BKA auch zur Gefahrenabwehr. Die Geheimdienste nutzen die Methode auf Basis des G10-Gesetzes. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Kristina Flour

Bundesbehörden nutzen derzeit deutlicher weniger sogenannte Stille SMS als in den vorangegangenen Jahren. Das geht aus den aktuellen Zahlen hervor, die das Bundesministerium des Innern (BMI) auf Anfrage halbjährlich mitteilt. Die Bundespolizei hat demnach im ersten Halbjahr 2019 20.152 Stille SMS verschickt (2. Halbjahr 2018: 50.654; 1. Halbjahr 2018: 38.990). Eine Abnahme verzeichneten auch die Stillen SMS des Bundeskriminalamts (BKA). Im den ersten sechs Monaten 2019 waren es nur 6.302, zuvor hatte die Behörde noch 21.337 heimliche Textnachrichten versandt.

Stille SMS sind auf dem Mobiltelefon nicht sichtbar. Als „Ortungsimpulse“ erzeugen sie bei den Mobilfunkanbietern Verbindungsdaten, ohne dass die NutzerInnen dies bemerken. Die erst daraufhin gespeicherten Standortdaten der Telefone werden von den Behörden abgefragt und zur Erstellung von nachträglichen oder Echtzeit-Bewegungsprofilen genutzt.

Geheimdienste nutzen G10-Gesetz

Das BKA versendet Stille SMS zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung. Die Standortdatenausleitung in Echtzeit erfolgt auf eine richterliche Anordnung. Auch die Bundespolizei und der Zoll holen vor Durchführung der Maßnahme eine Anordnung ein. Der Bundesnachrichtendienst (BND) versendet die Stille SMS aufgrund des BND- und des G10-Gesetzes, auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) stützen ihre heimlichen Nachrichten darauf.

Während die Bundesregierung zwar Angaben zu Stillen SMS des BKA und der Bundespolizei macht, unterbleibt dies hinsichtlich des BND schon immer. Eine ähnliche Verschwiegenheit entwickelte das BMI vor sechs Jahren für das Finanzministerium, dessen Zollkriminal- und Zollfahndungsämter ebenfalls massenhaft Stille SMS verschicken. Im Jahr 2012 erzeugten die Zollbehörden fast 200.000 „Ortungsimpulse“, im darauffolgenden Halbjahr zeigte sich eine weiter stark steigende Tendenz.

BfV schickt Hunderttausende „Ortungsimpulse“

Seit diesem Jahr hat das BMI auch die Zahlen für den Inlandsgeheimdienst als geheim eingestuft. Diese lagen bis zur Geheimhaltung meist um die 100.000 „Ortungsimpulse“ pro Halbjahr und damit deutlich über denen der anderen Bundesbehörden. Im zweiten Halbjahr 2017 stiegen die heimlichen Textnachrichten sogar auf einen Spitzenwert von fast 180.000.

Zur Begründung der Einstufung als „Verschlusssache – Geheim“ heißt es, die Informationen seien besonders schutzbedürftig, da sich „durch die regelmäßige halbjährliche Beantwortung […] Einzelinformationen zu einem umfassenden Lagebild verdichten können“. Die halbjährlichen Abfragen führten zu einer „Verdichtung“, womit Rückschlüsse auf die „technischen Fähigkeiten“ des Geheimdienstes gezogen werden könnten. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages betonen hingegen, dass die Bundesregierung mildere, gleich geeignete Mittel suchen muss, anstatt die vorher offen mitgeteilten Informationen nunmehr als geheim einzustufen.

Kein „menschlich veranlasster Informationsaustausch“

Der nur für die Bundespolizei und das BKA nachweisbare, auffällige Schwund beim Versand Stiller SMS könnte auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom vergangenen Jahr zurückgehen. Das BKA, der GBA, die Bundespolizei und der Zoll hatten den Versand und die anschließende Erhebung von Standortdaten der Telefone offenbar auf den § 100a der Strafprozessordnung (StPO) gestützt.

Der Paragraph regelt die passive Telekommunikationsüberwachung, also das bloße Abhören von Gesprächen. Das Gericht hatte dies moniert, da die Standortdaten nicht durch die NutzerInnen der Telefone erzeugt werden, sondern erst durch die „Ortungsimpulse“ der Behörden. Bei einer Stillen SMS fehlt es laut dem BGH „an einem menschlich veranlassten Informationsaustausch“.

Trotzdem darf die Stille SMS bei einem Verdacht auf Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ genutzt werden. Diese Eingriffsbefugnis ergebe sich laut dem BGH aus § 100i Abs. 1 Nr. 2 StPO. Die Vorschrift regelt den Einsatz technischer Mittel zur Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkgerätes und war bei ihrer Verabschiedung 2002 auf IMSI-Catcher zugeschnitten.

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