Mascha, ein Mädchen im pinken Kleid, steht in ihrem Zimmer und will aufräumen. Auf dem Boden liegt alles chaotisch durcheinander: Spielsachen, Schuhe, Kleider. Eine weiß-rosa Schranktür hat einen Sprung. Um sie zu reparieren, braucht Mascha Kleber. Um einen neuen Kleber zu bekommen, muss sie nichts weiter tun, als sich ein Video anzuschauen. Play! Und dann 30 Sekunden Kampfszenen in einer düsteren schwarz-roten Szenerie, Messer, Baseballschläger, Schusswaffen, Gewalt. Wieder zurück. Mascha kann den Kleber jetzt benutzen. Ihre kleine, rosa Welt ist wieder ein klein bisschen heiler geworden.
Was klingt wie eine wirre Traumszene, passiert wirklich. Zum Beispiel in einer App der Reihe „Mascha und der Bär“, in der es darum geht, Zimmer aufzuräumen und Dinge zu flicken. Es ist ein Putzspiel für Mädchen und an Stereotypie kaum zu überbieten. Die brutale Werbung für ein anderes Spiel mit einer Altersfreigabe ab 18 Jahren will dazu nicht recht passen. Trotzdem taucht die App bei Google Play unter den zehn beliebtesten Apps für Kinder unter fünf Jahren auf. Ein bis fünf Millionen Installationen verzeichnet die Anwendung, über 23.000 Nutzer bewerteten sie – im Durchschnitt mit 4,5 von 5 Sternen.
Ad-to-Play: Ohne Werbung kein Weiterkommen
„Ad-to-Play“ ist ein Prinzip, nach dem viele der kostenlosen, selbsternannten Kinder-Apps funktionieren: Immer wieder unterbrechen Werbevideos das Spiel, etwa wenn der Nutzer neue Gegenstände nutzen will oder wenn ein neues Level lädt.
Die Werbung muss nicht immer brutal sein wie im obigen Beispiel, auch Dating-Werbung gehört zum Repertoire der Werber. Doch auch wenn die Inhalte für Kinder zumutbar sind – immer ist die Werbung aufdringlich und kaum vom Spiel abgegrenzt. Kleinen Kindern dürfte es schwer fallen, zu erkennen, dass es sich überhaupt um Werbung handelt.
Bei einem weiteren Spiel, ebenfalls in den Top 10 im Google Play Store, geht es darum, Katzen für eine Party zu stylen. Es ist unmöglich, das Spiel länger als eine Minute zu spielen, ohne eine Werbeeinblendung oder gleich ein Video anzusehen, das sich nicht wegklicken lässt. Werbung ist sogar als Spielelement integriert: Um beispielsweise schicke Pullöverchen für die Katzen zu kaufen, benötigen die Kinder virtuelle Münzen. Um sich 200 Münzen zu erarbeiten, können sie im „Video Ads“-Bereich ein Video anschauen.
Virtuelle Währung für echtes Geld
Doch selbst mit den virtuellen Münzen kommen Kinder nicht besonders weit. Von den fünf verfügbaren Katzen lassen sich nur zwei ohne echten Geldeinsatz hübsch machen: die flauschige Coco und der grimmig dreinschauende George. Für letzteren brauchen die jungen Spieler 6.000 Münzen – umgerechnet etwa 30 Minuten Berieselung durch Werbung. Für die Katzendamen Missy, Amy oder Kate müssen circa zwei Euro pro Pixeltier fließen, komfortabel per In-App-Kauf.
Der Quengelfaktor dürfte hoch sein, wenn die Kinder das Spiel erst einmal liebgewonnen haben und es plötzlich nicht mehr weitergeht. Der einfache Klick, um die nächsten Münzen, das nächste flauschige Tier oder neue imaginäre Süßigkeiten zu kaufen, ist verlockend. Eigentlich gibt es in den Appstores Mechanismen, um das zu verhindern: Bei Apps für Kinder bis zwölf Jahre verlangt der Play Store immer ein Passwort. Beim App Store von Apple lässt sich einrichten, dass Eltern oder andere Berechtigte den Kauf genehmigen müssen. Solche Voraussetzungen lassen sich umgehen, etwa indem die Anbieter ihre App nicht explizit für Kinder anbieten.
Wenn Eltern dann nicht dafür gesorgt haben, dass vor einem Kaufvorgang ein Passwort oder Zahlungsdaten abgefragt werden, sehen sie sich schnell mit hohen Rechnungen konfrontiert. Die gute Nachricht: Die App-Store-Betreiber sind dabei kulant und zahlen die Beträge bei Beanstandung bereitwillig zurück. Nicht aus gutem Willen, sondern weil sie Ärger aus dem Weg gehen wollen.
Bevor sie das von sich aus getan haben, gab es allerdings Ärger: Im Rahmen eines Vergleichs zahlte Apple 2014 insgesamt 32,5 Millionen Dollar an Eltern in den USA. Zuvor hatten sowohl die Eltern als auch die US-Handesaufsicht FTC Klage erhoben. Google zahlte 2014 insgesamt 19 Millionen Dollar an Kunden zurück.
Kaum Einschränkungen für die Anbieter
In-App-Käufe und Werbung für Vorschulkinder sind bei Google Play ausdrücklich erlaubt. Es gibt nur ein paar harmlose Einschränkungen: Nicht mehr als eine Anzeige pro Seite, Werbung muss erkennbar, der Inhalt altersgerecht sein. Für In-App-Käufe gelten keine „spezifischen Beschränkungen“, aber ein Passwort sei zum Kauf obligatorisch. Google Play behalte sich darüber hinaus vor, Apps zurückzuweisen, die „übermäßig aggressiv“ kommerziell agieren. Apple weist darauf hin, dass die Entwickler die Inhalte selbst als altersgerecht identifiziert hätten.
Mit der Kontrolle dessen kann es nicht besonders weit her sein, das zeigt nicht nur unsere Stichprobe. Unter diversen beliebten Apps haben Eltern deutliche Bewertungen wie diese hinterlassen:
Euch hat ja wohl der Affe gebissen!!! Werbung für Sniper Arena bei Mascha und der Bär zu schalten, wahrscheinlich in der Hoffnung, die Eltern kaufen die Vollversion damit so eine Werbung nicht mehr zu sehen ist, ist das allerletzte. Ich hatte das Vergnügen, meinem Sohn zu erklären, was das für ein Kreuz ist, und was mit dem Kopf des Mannes passiert ist.
Die ständige Unterbrechung durch Werbeeinblendungen mit teilweise brutalen Inhalten und die andauernden Aufforderungen zum Kauf tun der Beliebtheit der Apps jedoch keinen Abbruch. Kindgerecht ist das nicht, besagt auch der in Deutschland gültige Jugendmedienschutz-Staatsvertrag: Demnach sind Gewaltdarstellungen unzulässig, genau wie direkte Kaufappelle an Kinder und Jugendliche, die ihre „Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit“ ausnutzen.
97 Prozent Umsatz mit In-App-Käufen
Die kostenlosen Apps sind Gelddruckmaschinen für die dahinterstehenden Firmen. Einer Untersuchung für den Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) nach lag der Umsatz bei Spiele-Apps für Erwachsene und Kinder im ersten Halbjahr 2017 bei 262 Millionen Euro. Davon entfielen bloß drei Prozent auf den Kauf kostenpflichtiger Anwendungen. Der Rest – 254 Millionen – entstand durch In-App-Käufe – zusätzliche Schminke-Katzen, die grüne Mütze für den Avatar oder das Spezialhämmerchen mit der Sonderfertigkeit, die nötig ist, um durchs nächste Level zu kommen.
Im Interview mit einem russischen Onlinemagazin für die Spielerbranche erzählt der Projektleiter des Unternehmens hinter den Mascha-und-der-Bär-Spielen, zehn bis 20 Prozent des Umsatzes kämen über In-App-Käufe, der Rest über Werbung. Und am Ende rät er: „Denkt daran, Kinder können nicht zahlen, sie wollen spielen. Nur dann bekommt man zahlende Eltern.“
Neben Geld fließen auch Daten
Neben Geld durch Anzeigen und In-App-Käufe fließt häufig noch etwas anderes: Daten. Schon beim Blick in die Berechtigungen wird es interessant: Das Spiel mit Mascha und dem Bären will neben vielem anderen auf den Standort des Nutzers zugreifen, aktive Apps abrufen und am liebsten auch noch Telefonanrufe verwalten. Ein Blick in die Datenschutzerklärung des dahinterstehenden Unternehmens mit Sitz in Zypern bringt noch mehr zum Vorschein. Beziehungsweise erst einmal nichts, denn in der englischsprachigen Version der Datenschutzbestimmungen, die de facto Allgemeine Geschäftsbedingungen sind, befinden sich zwar mehrere Verweise auf selbige, die Bestimmung an sich sucht man jedoch vergeblich.
In der russischsprachigen Version befinden sich tatsächlich Datenschutzbestimmungen, die im Groben besagen, dass das Unternehmen eine Vielzahl an Daten sammeln darf und der Nutzer dem zustimmt, sobald er die Anwendung zum ersten Mal öffnet. Zu einer Datenübertragung an Werbetreibende, die in der englischen Version erwähnt wird, verliert die russischsprachige Version kein Wort.
Ein weiterer spannender Punkt der englischsprachigen Version: Es ist dargelegt, dass Nutzer unter 13 Jahren die Dienste der Macher von Mascha-Spielen nicht nutzen dürfen. Ironischerweise betrifft das ebenjene Kernzielgruppe. Laut Eigenaussage verdient das Unternehmen sein Geld genau mit der „Entwicklung und Veröffentlichung von Mobileapps für Kinder“. Die Klausel dient offensichtlich dazu, das US-Gesetz zum Schutz der Privatsphäre von Kindern im Internet (COPPA) zu umgehen, das etwa bei Google Play als Grundlage dient und für Kinder unter 13 Jahren angewendet wird.
Derzeit verklagen Eltern in den USA Disney und drei Entwicklerstudios dafür, gegen COPPA verstoßen und Daten von Kindern ohne Einverständnis gesammelt und an Werbetreibende verkauft zu haben. In Deutschland gibt es noch keine derartigen Präzedenzfälle. Die im Mai 2018 in Kraft tretende EU-Datenschutzgrundverordnung wird die Verfolgung von Verstößen gegen EU-Datenschutzrecht zwar einfacher machen, die jedoch im Einzelfall überprüft werden müssen.
Alternativen zum Werbe-Overkill
Die Beispiele, die hier angeführt sind, sind keine Einzelfälle. Sie sollen lediglich die Situation veranschaulichen. Stiftung Warentest hat 50 beliebte Spiele-Apps ausprobiert. Teils kostenlos, teils kostenplichtig. Empfehlen würden die Tester kein einziges.
Soll die Konsequenz sein, Smartphone- und Tabletspiele komplett zu verbannen und den Kindern die Geräte wegzunehmen? Nein. Doch es erfordert Aufwand, Spiele zu finden, die altersgerechte Inhalte bieten, Kinder nicht mit Werbung bombardieren, sie nicht zu Käufen verleiten und ihre Daten nicht ungezügelt monetarisieren. Das Deutsche Jugendinstitut pflegt als Entscheidungshilfe die Datenbank „Apps für Kinder“, in der das Institut pädagogische und gestalterische Aspekte von Apps bewertet und dabei auch Sicherheit, Jugend- und Datenschutz berücksichtigt.
Viele schrecken davor zurück, kostenpflichtige Anwendungen zu installieren. Doch die vermeintlichen Gratisangebote können niemals kostenlos sein, wenn ein kommerzielles Unternehmen hinter der Entwicklung steht, das naturgemäß mit den Spielen Gewinn machen will und muss. Die Bereitschaft, im Spiel Geld auszugeben, ist wesentlich höher als die, ein Spiel käuflich zu erwerben, was die Downloadzahlen der zu Beginn kostenpflichtigen Spiele im Play Store unterstreichen. Dort reichen bereits 10.000 bis 50.000 Installationen, um in den Top 10 zu landen, die Free-to-Play-Apps bewegen sich im dreistelligen Millionenbereich. Bei Apple ist die Vorliebe für kostenlose Anwendungen ähnlich stark.
Doch es gibt sie, die Free-to-Play-Spiele ohne Werbung, ohne Datenverkauf und ohne In-App-Käufe. Zu den populären Vertretern gehört Lego. Uneigennützig sind auch diese Anwendungen nicht, denn sie steigern die Bekanntheit des Produkts als solches und dienen der Eigenwerbung. Hat das Kind oft genug Lego-Autos auf dem Bildschirm zusammengebaut, bekommt es später vielleicht den Wunsch, das „echte“ Modell in den Händen zu halten.
Andere kostenlose Apps bieten beispielsweise öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten an, zu den beliebtesten gehört wohl die App mit der Maus. Hier wird zunächst die Nutzung zur statistischen Auswertung getrackt, das lässt sich aber in den Einstellungen im Elternbereich der App deaktivieren. Was also bleibt: Genau hinschauen, die Apps selbst ausprobieren, bevor sie die eigenen Kinder in die Hände bekommen, Datenschutzeinstellungen überprüfen und im Zweifel lieber in den Kauf einer vertrauenswürdigen App investieren. Und öfter mal das Smartphone weglegen und ganz analog spielen. Ohne Werbung, ohne Tracking, ohne zusätzliche Kosten – zusammen mit den Kindern.
„Demnach sind Gewaltdarstellungen unzulässig,
genau wie direkte Kaufappelle an Kinder und Jugendliche,
die ihre „Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit“ ausnutzen.“
Dann ist doch alles in Ordnung, oder?
Erst denn App Anbieter angehen,
wenn das nicht greift den Playstore wegen Störerhaftung. :>
Ist doch ein klasse Geschäftsfeld für Abmahnanwälte.
Werden dabei eigentlich auch strafrechtliche Dinge touchiert?
Dann kann man auch Anzeige erstatten.
Auch der Nachwuchs nützlicher Eltern-Idioten will ordentlich konditioniert werden. Die Reproduktionen müssen dann noch bis zur Arthritis gut unterhalten werden, damit die Milliardäre ihre Aussicht nicht durch hohe Mauern verschandeln müssen.
Ich finde es schön, wenn immer auf die lieben kleinen Kinderchens geguckt wird, was deren Spieleapps alles so für Daten abgreifen… dabei sind deren Daten vermutlich die Hinfälligsten von allen, da sie innerhalb kürzester Zeit veraltet sind, da Kinder eigentlich ständig neue Interessen haben (sollten).
Vermutlich ist das aber so ziemlich der einzige Ansatzpunkt und Hebel, an dem man die Hersteller tatsächlich dazu bringen könnte, die Datensammelwut und Werbefluten ein wenig einzuschränken.
Tatsache ist jedoch, dass ALLE gleichermaßen betroffen sind. Ich bin erwachsen, mich interessiert generell keine Werbung, trotzdem muss ich sie ertragen und werde von Webseiten blöd angemacht, wenn ich einen Adblocker nutze, weil ich nicht getrackt werden möchte.
Tatsache ist aber auch, dass sich solche Apps etc. nicht für lau entwickeln. Der Anbieter muss auch irgendwie eine warme Suppe auf den Küchentisch bekommen. Und da der Markt mit „Kostenlos“-Apps derart überfrachtet ist, hat er kaum eine Chance, eine App durchzusetzen, die 5 oder 10 Euro kostet, dafür aber werbefrei und datenschutzfreundlich ist.
Werbefrei, datenschutzfreundlich und kostenfrei geht eben nicht, außer man wird wie die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten aus einem milliardenschweren Topf von Zwangszahlern genährt.
Besonders amüsieren mich die Ingame-Käufe: Nichtigkeiten, für die man oft horrende Summen bezahlen soll, so als hätten die Hersteller keine Ahnung, was die Erwirtschaftung von Geld eigentlich bedeutet. Was habe ich schon gelacht, wenn ich für einen quasi 10-Minuten-„Vorteil“ 5 Euro hätte latzen sollen. Ich frage mich ernsthaft, wer das macht, oder ob die Entwickler einfach nur auf zahlreiches „verklicken“ hoffen.
Ich hab schon erlebt, wie jemand mit einem Klick knapp 50 Euro ausgegeben hat, den er eigentlich gar nicht wollte. Dabei wurde ein „Gebäude“ in einem Spiel sofort und ohne Wartezeit fertiggestellt, eine Sicherheitsabfrage, ob die Person das wirklich möchte, gab es nicht. Ein Fehlklick, und die „Ingamewährung“ war weg. Der Hersteller im Support dann nur mit der Schulter zuckte: „Ja, da können wir auch nix machen.“.
Kinderchens sind immer schön und gut, sie jedoch permanent zu instrumentalisieren halte ich auch für grundlegend falsch. Wenn wir irgendetwas durchdrücken wollen, klappt es am Besten über die Argumentationsschiene Kinderchens. Betroffen sind jedoch häufig alle Menschen. Aber Kinderchens machen eben mehr Eindruck. Wenn wir sonst schon kein Interesse an Kindern haben, für solche Zwecke sind sie immer zu gebrauchen.
Leider hat sich das so etabliert, auf die eigenen Daten achtet niemand mehr und die Regierungen haben kräftig mitgeholfen mit ihrer Abschnorchelei. Wenn die Daten eh jeder hat, brauchen wir uns um Datenschutz nicht mehr zu sorgen. Denn Datenschutz ist Täterschutz, haben wir alle inzwischen brav gelernt. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin: Lieber haben ein paar Privatunternehmen meine Daten für ihr Werbegedöhns (der mir am Allerwertesten vorbei geht), als irgendwelche Staaten in ihren Datenbanken. Was aber wiederum heisst, ich möchte sie auch nicht in den Datenbanken der Privatunternehmen haben, denn die Daten könnte ein Staat dann leicht freikaufen oder freihacken lassen…
Ich persönlich habe das smarte Telefon abgeschafft. Zu Hause im Bett nutze ich mein Tablet, das ich auswärts nur dann mitführe, wenn ich es wirklich brauche (google maps *hust*). Da mache ich zwar auch den Datenteilzeitstriptease, aber eben unvollständig. Ansonsten lade ich im Grunde keine Gratis-Apps und ärgere mich eher über die Zwangsapps, die vorinstalliert sind und nicht entfernt werden können.
Um es abzukürzen:
Ich bleibe dabei, Handies gehören unter 14 nicht in Kinderhände. Die sollen erst einmal die Grundlagen des Lebens lernen, bevor sie sich dem digitalen Leben hingeben. Dazu gehört das Trainieren von Geschick (handwerkliche Fähigkeiten durch bauen, basteln und Barbies ankokeln), das Abschätzen von Gefahren (… vom Baum fallen) und das soziale Miteinander. Ebenso die Sprache, die man nicht auf einem Display lernt, sondern durch Finger am Stift an einem Blatt Papier. Old School, aber funktionierte prächtig.
Seit 10 Jahren ist der Wurm drin bei der Sozialisierung unserer Blagen. Und seit wann haben diese in etwa die Wanze ständig am Körper?
Schwupps: Problem gelöst.
Man sieht es bereits heute, kaum ein Teenager mehr, der nicht permanent auf ein Display starrt. Da läuft doch etwas grundlegend falsch!
> Ich finde es schön, wenn immer auf die lieben kleinen Kinderchens geguckt wird, was deren Spieleapps alles so für Daten abgreifen… dabei sind deren Daten vermutlich die Hinfälligsten von allen, …
Nicht ganz, denn die Kinderchens sind keine autonome Wirtschaftseinheiten. Sie existieren im Verbund jener, die sich reproduzierten, wofür der euphemistische Begriff „Familie“ im Umlauf ist. Die Kinderchens-Daten geben Aufschluss darüber, in welchem sozialen Milieu diese aufwachsen, und wie sie dem Konsum so zugeneigt sind. Kurz gesagt, es sind die Daten des Elternhauses, die aufschlussreich sind, mithin sind es bis zu einem gewissen Alter ja die Eltern, die das kauften und installieren. Und solchen Deppen kann man leicht noch mehr andrehen (Nützliche-Idioten-Ansatz).
> Ich bin erwachsen, mich interessiert generell keine Werbung, trotzdem muss ich sie ertragen und werde von Webseiten blöd angemacht, wenn ich einen Adblocker nutze, weil ich nicht getrackt werden möchte.
Das blöde Anmachen ist meist nur möglich, weil Javascript nicht generell abgeschaltet wurde. Jeder muss selbst entscheiden, ob Tracking das schlimmere Übel ist oder Seiten, die nicht vollständig funktionabel sind.
> …nutze ich mein Tablet, das ich auswärts nur dann mitführe, wenn ich es wirklich brauche (google maps *hust*).
Es gibt auch https://www.openstreetmap.org/
Ansonsten glaube ich, sind unsere Ansichten kompatibel. Ich tröste mich damit, dass in der Welt Dummheit nachwächst wie Gras. Das schreit geradezu danach, kommerziell gemäht zu werden.
Wo sind denn eigentlich die Blockwarte von jugendschutz.net, dem gemeinsamen Kompetenzzentrum von Bund und Ländern für den Jugendschutz im Internet, wenn sie gebraucht werden?
Dafür zu sorgen, dass Kinder in speziell für sie gemachten und zugelassenen Apps sicher sind, ist wohl nicht schlagzeilenträchtig genug, wenn man stattdessen der ganzen Republik Netzdurchsetzungszensur und Tatort erst ab 20.00 aufzwingen kann.
> Und öfter mal das Smartphone weglegen und ganz analog spielen. Ohne Werbung, ohne Tracking, ohne zusätzliche Kosten – zusammen mit den Kindern.
Amen! Leider aber total unmodern :(
Nach den Besucherzahlen der in der letzten Woche stattfindenden Spielemesse mit neuem Besucherrekord sehe ich das positiver. Klar, die Gamescom befindet sich in einer anderen Liga. Der prozentuale Zuwachs ist aber bei der (hauptsächlich) analogen Spielemesse in Essen gerade zuletzt stärker. Und auch die absoluten Zahlen sind beachtlich.
Besucher der Spiel in Essen (4 Tage):
2014: 158.000
2015: 162.000 (+2,5% / + 4.000)
2016: 174.000 (+7,4% / + 12.000)
2017: 182.000 (+4,6% / +8.000)
Besucher der Gamescom in Köln (5 Tage):
2014: 335.000
2015: 345.000 (+3% / +10.000)
2016: 345.000 (unverändert)
2017: 350.000 (+1,5% / + 5.000)
Also liebe Eltern, besser zur Spielemesse nach Essen fahren als die Kinder durchs Studium zu quälen. Ach so, ist dann keine Qual. Auch gut.
Am besten finde ich ja Gespräche mit schon deutlich erwachseneren „Jungs“ aus der IT-Branche, die mir erklären, dass sie in ihrer Freizeit nicht auch noch ins Internet wollen. Und schon gar nicht wegen so nem stressigen Achtsamkeitstraining. Da fällt dann gerne das Wort „old school“. Also z.B. einfach mal ein Buch lesen. So „old school“ dann aber doch wieder nicht. Schon lieber selbst eins schreiben… Über blöde Games, die sie früher mit links geschafft hätten und so.
Dies geht doch an jeglicher Lebenspraxis meilenweit vorbei. Das ist doch die totale Bankrotterklärung des Jugendschutzes.
Welcher Jugendliche/r unter 14 Jahren liest Datenschutzerklärungen?
Welcher Jugendliche/r unter 14 Jahren versteht in aller Konsequenz den Text?
Und der Gipfel ist doch die Bitte, einen Erziehungsberechtigten um Rat zu fragen. Das geschieht doch niemals!
Solche Vereinbarungen sind null und nichtig, aber dennoch benutzen Jugendliche das Internet in aller Regel ohne Mitwirkung ihrer Erziehungsberechtigten oder sogar gegen den Willen zuständiger Erziehungsberechtigten.
De facto müsste das Internet vollständig „jugendfrei“ gestaltet sein, oder es müsste jugendfrei gehalten werden. Aber mit solchen juristischen Winkelzügen kann man sich realitätsferner nicht aufstellen.
„Doch es erfordert Aufwand, Spiele zu finden, die altersgerechte Inhalte bieten, Kinder nicht mit Werbung bombardieren, sie nicht zu Käufen verleiten und ihre Daten nicht ungezügelt monetarisieren.“
Es erfordert Aufwand und ist am Ende für die Katz. Kinder im Schulalter unterliegen einem unglaublich starkem Sozialdruck. Nach den vielzitierten „Markenklamotten“ kräht kein Hahn im Vergleich zu anderen „Leistungen“, die von Kindern „erbracht“ werden müssen, um dazuzugehören. Bestimmte Handyspiele zu besitzen und zu nutzen ist ist eine davon. Wenn die halbe Klasse Candy Crush und Pokemon Go spielt, ist ein Kind selbst mit den besten Spielen aus der Datenbank des Deutschen Jugeninstituts außen vor und auf die Eltern sauer, die es mit so ollem Mist abspeisen.
Wenn die Wirtschaft derartigen Einfluss auf die Gesellschaft über die schwächsten Glieder ausübt, darf sich der Gesetzgeber nicht mit dem Verweis auf die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen aus der Verantwortung ziehen. Hier hat er Verantwortung.