Jörg-Olaf hatte ja gestern schon drauf hingewiesen: Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments hat sich heute Vormittag erstmals mit dem Richtlinienentwurf der Innenkomissarin Cecilia Malmström zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung befasst. Der Entwurf schlägt ja seit einigen Wochen Wellen wegen der dort auch vorgesehenen Internetsperren für nicht-europäische Webseiten und hat Frau Malmström ja schon den Spitznamen „Censilia“ eingebrockt. Darüber hinaus ist er u.a. problematisch, weil er als „Kind“ alle Personen unter 18 definieren will und auch Jugendanscheinspornografie (Darsteller sind volljährig, aber als Teenager geschminkt und gekleidet) oder Mangas (Comics) kriminalisieren will, bei denen es gar keine realen Opfer gibt. MOGIS hat heute morgen eine ausführliche Pressemitteilung dazu veröffentlicht.
Zum Thema Zensur („Internetsperren“) ist der Ausschuss derzeit offenbar gespalten. Die konservative Berichterstatterin Roberta Angelilli ist für die Sperren, ebenso wie ein paar weitere Konservative. Der deutsche CDU-Abgeordnete Axel Voss hat allerdings schon Rückzugsmöglichkeiten signalisiert. Ihm sei es mittlerweile egal, ob gelöscht oder gesperrt werde – Hauptsache, es werde ein „Signal“ gesetzt. Dahinter steckt eventuell auch die kürzlich bekannt gewordene Linie der Berliner Regierung, das Zugangserschwerungsgesetz nun doch aufheben zu wollen. Die Fraktionen der Linken, Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten scheinen überwiegend gegen die Internetsperren zu sein.
Es gibt also noch Chancen, dass der europaweite Aufbau einer Zensurinfrastruktur noch verhindert werden kann. Das heisst nun aber nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen können – im Gegenteil. Bisher haben die deutschen Abgeordneten halbwegs die Probleme mit den Sperren verstanden, weil wir hier die Debatte ja letztes Jahr breit geführt haben. In anderen Ländern sieht das noch ganz anders aus. Wenn ihr also Freunde oder Kollegen in anderen EU-Staaten habt, schlagt denen gerne vor, dass sie mal ihre Abgeordneten im Innenausschuss anrufen. Hier ist die Liste der Ausschussmitglieder.
Update: Weitere Berichte gibt es bei heise und unwatched.org.
ganze EU-staaten stehen vor dem abgrund, aber debatten um irgenwelche scheiss-verfassungswidrige sperren etc. stehen auf der tagesordnung.
man sollte sie alle zum teufel jagen.
das letzte wort hat eh karlsruhe, wenn ich dieses konstrukt europaparlament etc, das niemand versteht, richtig einordne. hier werden doch massiv deutsche grundgesetzthemen verletzt. oder seh ich das falsch.
Das EP sind ja erstmal nicht die Bösen. Der Vorschlag kommt aus der Kommission und basiert auf einem Entwurf aus dem Ministerrat (das sind die Vertreter der Mitgliedsstaaten!). Im EP besteht eine Chance, es zu stoppen. Das ist umso wichtiger, als Karlsruhe sich offenbar nicht traut, den Konflikt mit Brüssel grundsätzlich einzugehen – siehe das Urteil zur Vorratsdatenspeicherung.
Außerdem: Soll jetzt alle Bürgerrechtspolitik ruhen, nur weil Griechenland pleite ist?
@Robert: Um die Staaten am Abgrund kümmern sich Spezialisten. Um die Meinungsfreiheit und Verfolgung von Kindesmissbrauch ebenso. Wieso sollten, wenn sich die einen Spezialisten um ein Thema kümmern, andere Spezialisten Pause machen? Leuchtet mir nicht ein.
Abgesehen davon: Dass die deutschen Abgeordneten, wie im Beitrag erwähnt, im Schnitt aufgeklärter als Abgeordnete aus anderen Ländern zu sein scheinen, höre ich sehr gern. Es ist doch schön, dass all die schwierigen und Mühseligen Debatten wenigstens schon mal dazu geführt haben, dass sie das Thema jetzt im rechten Licht betrachten. Jetzt müssen also noch die anderen Abgeordneten mit den bereits bekannten und guten Argumenten überzeugt werden und dann ist das Thema hoffentlich bald erstmal vom Tisch.
Danach sollte man aber darauf hinarbeiten, dass Meinungsfreiheit in der EU einen noch höheren Stellenwert bekommt, Zensur grundsätzlich verboten und Kindesmissbrauch wirksamer bekämpft wird als bisher.
Egal was, Hauptsache es sieht wie dummer Aktionismus aus.
Wenn er unbedingt ein „Signal“ oder „Unwerturteil“ setzen will, kann er doch demonstrieren gehen.
@karl
voll einverstanden mit dem thema kindermißbrauch. alleine beim tippen stellen sich mir die nackenhaare.
aber es ist doch schon interessant, wie sich beginnend mit zensursula immer mehr politnullen, die mal zufällig was gehört haben von einer tastatur und bildschirm, so einfach mal grundrechte der bürger in frage stellen.
auch das wischiwaschi-urteil vom BVG in sachen VDS hat mich nicht überzeugt. entweder vefassungswidrig oder nicht. ein bisschen schwanger gibts auch nicht. ewige diese kompromisskacke. entweder ist etwas verfassungswidrig oder es ist es nicht…und nicht dieses ewige ausnahmegeseiere.
„Ihm sei es mittlerweile egal, ob gelöscht oder gesperrt werde – Hauptsache, es werde ein “Signal” gesetzt.“
DAS Problem von Politik heutzutage. Es geht nicht darum, etwas richtig zu machen. Oder sinnvoll. Oder nachhaltig. Oder angemessen.
Nein. Es geht einzig und allein darum, Signale zu setzen, um den Wahlpöbel zu beruhigen.
Ob letztendlich etwas Sinnvolles passiert, nachdem das „Signal“ durch die Medien gegangen ist, daß ist sowohl dem Politiker als auch dem normalen Bürger reichlich egal.
Heise: Voss meinte, dass die Volksvertreter eine „klare Botschaft“ zur Verhinderung der Verbreitung von Kinderpornographie aussenden müssten. Dabei mache es keinen Unterschied, „ob wir blockieren oder löschen“. Die Provider müssten zur Verantwortung gezogen werden.
Für mich sieht das aber mal ganz und gar nicht nach einem Rückzug aus.
Wer bis heute den gewaltigen Unterschied zwischen sperren und löschen immer noch nicht verstanden hat, ist entweder dumm oder verlogen.
Dahinter steckt doch eher diese deutliche Ansage : De Maiziere will doch sperren http://www.heute.de/ZDFheute/inhalt/3/0,3672,8067555,00.html?utm_source=feedburner&utm_medium=twitter&utm_campaign=Feed%3A+heute+%28heute%29&utm_content=Twitter
es hat ja auch tage gegeben, da fing der brechreiz schon morgens beim aufrufen von netzpolitik oder heise an.
das spiel geht jetzt weiter auf EU-ebene, oder was ist da abzusehen.
„Darüber hinaus ist er u.a. problematisch, weil er als “Kind” alle Personen unter 18 definieren will und auch Jugendanscheinspornografie (Darsteller sind volljährig, aber als Teenager geschminkt und gekleidet) oder Mangas (Comics) kriminalisieren will, bei denen es gar keine realen Opfer gibt“
was soll das denn bitteschön für einen Sinn haben ?
Hab ich’s nur übersehen, oder gibt es noch keinen Link zur Aufzeichnung?
Hier ist er zumindest mal: http://goo.gl/7L0o
Um das Thema im Ganzen geht es ab etwa 9:32.
guckst du hier:
http://christianengstrom.wordpress.com/2010/04/27/ifpis-child-porn-strategy/
Mehr ist dem nicht zuzufügen.
Roberta Angelilli hat schon mal ein Dossier dieser Art betreut. Sie gehörte zur UEN-Fraktion für die neofaschistische Alleanza Nazionale. Deshalb die Dame nicht überbewerten, die erst jetzt unter das Dach der Europäischen Volkspartei geschlüpft ist.
http://www.europarl.europa.eu/members/expert/alphaOrder/view.do?id=1941&language=DE