WikipediaWarum das Ehrenamt zählt und bezahltes Schreiben trotzdem sinnvoll ist

Im Blog der Wikimedia Deutschland wird vor der Einführung spendenfinanzierter Wikipedia-Redaktionen gewarnt – aus Sorge um das Ehrenamt. Doch es gibt viele Gründe, warum professionelle Redaktionen keine Gefahr, sondern eine hilfreiche Ergänzung für das Wikipedia-Modell sein könnten. Antworten auf die fünf häufigsten Fragen zum Thema.

Graffiti mit stilisiertem Wikipedia-Schriftzug in 3d
Wie entwickelt sich die Wikipedia weiter? CC-BY-SA 4.0 Luis Alvaz

Wikipedia ist die zentrale Sammlung unseres Weltwissens und längst viel mehr als nur eine Enzyklopädie. Gerade bei komplexen und sich dynamisch entwickelnden Themen von großer gesellschaftlicher Relevanz liefert Wikipedia einen Überblick über den Stand der Dinge – und sie erfüllt damit auch eine quasi journalistische Aufgabe, die kein anderes Medium so leisten kann. Hinzu kommt die Bedeutung der Wikipedia und ihrer Schwesterprojekte für die Reihung von Suchergebnissen und als Lieferant von Trainingsdaten für KI-Anwendungen.

Umso erfreulicher ist es, dass Wikipedia diese für demokratische Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter essenziellen Aufgaben werbefrei und auf Basis freier Software und Lizenzen erbringt, finanziert über Spenden und unter Mitwirkung von Tausenden von Freiwilligen.

Mit der großen Bedeutung der Wikipedia geht auch eine Verantwortung einher. Und wie nicht nur die jüngste Recherche der FAZ über veraltete Artikel in der Wikipedia gezeigt hat, gibt es auch hartnäckige Probleme, die nach einer Lösung verlangen. Besonders augenscheinlich ist das bei Artikeln über lebende Personen, deren öffentliche Persona maßgeblich und dauerhaft von der Darstellung in der Wikipedia geprägt wird. Gleichzeitig wird explizit davon abgeraten, den eigenen Artikel selbst zu editieren.

Gerade für politische exponierte Personen, für Frauen und People of Color, die ohnehin bei öffentlichen Auftritten regelmäßig mit Hass und Hetze auf Social Media konfrontiert sind, ist es eine Zumutung, sich außerdem noch mit Umgestaltungen und Verfälschungen ‚ihres‘ Wikipedia-Beitrags auseinandersetzen zu müssen. Hier fehlen professionelle Ansprecherpartner:innen, die auch Artikel editieren dürfen, ganz besonders.

Hinzu kommt, dass sogenanntes „bezahltes Schreiben“ in der Wikipedia längst an der Tagesordnung ist. Erforderlich ist hierfür nur die Offenlegung, dass ein Beitrag im Rahmen von bezahltem Schreiben gemäß Nutzungsbedingungen im Auftrag geleistet wurde. Mit anderen Worten, wer sich professionelle Wikipedia-Begleitung durch eine Agentur leisten kann, hat weniger Probleme als jene (Privat-)Personen, die das nicht tun können.

Ebenso hartnäckig wie die Probleme – veraltete Artikel, mangelnde Diversität unter den Freiwilligen und fehlende Ansprechpartner:innen – ist aber die Weigerung von Teilen der Wikipedia-Community, über die Etablierung von hauptamtlichen Redaktionen direkt bei Wikimedia auch nur ernsthaft zu diskutieren. Jüngstes Beispiel ist ein Blogeintrag bei Wikimedia Deutschland, der argumentiert „Warum das Ehrenamt zählt und bezahltes Schreiben keine Lösung ist“.

Im Folgenden möchte ich deshalb die fünf wichtigsten Fragen beantworten, die mir in der Debatte zu von Wikimedia bezahlten Redaktionen immer wieder unterkommen.

Könnte bezahltes Schreiben die Motivation der Ehrenamtlichen schwächen?

Die größte und am häufigsten vorgebrachte Sorge ist Motivationsverlust unter den freiwilligen Autor:innen. So schreibt Hanna Klein im oben verlinkten Blogeintrag:

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Wenn andere für dieselbe Arbeit bezahlt würden, könnte das demotivierend wirken – und dazu führen, dass sich weniger Menschen ehrenamtlich beteiligen.

Es ist sicher kein Zufall, dass die gesamte Passage im Konjunktiv formuliert ist. Denn natürlich mag so ein Effekt auf einzelne freiwillige Autor:innen zutreffen. Allerdings spricht eine Vielzahl an Gründen dagegen, dass es sich dabei um eine weitverbreitete Sichtweise handelt. Denn die Gründe, warum Menschen bei der Wikipedia mitarbeiten, sind vielfältig: aus Freude am Schreiben, aus politischer Überzeugung, um Wissen zu teilen oder einfach, um Teil einer Community zu sein. Diese Motive verschwinden nicht, nur weil es auch ein paar bezahlte Redakteur:innen gibt.

Im Gegenteil: Ein Nebeneinander von bezahlten und freiwillig Mitarbeitenden ist in vielen Bereichen völlig selbstverständlich. Und zwar nicht nur in Organisationen wie dem Roten Kreuz, der Tafel oder dem Technischen Hilfswerk, sondern auch in jener Szene, aus deren Mitte heraus die Wikipedia entstanden ist: freie und offene Software. Viele Projekte florieren gerade deshalb, weil bezahlte Entwickler:innen die oft undankbaren, aber notwendigen Aufgaben übernehmen – etwa Bugfixes, Tests, Sicherheitsupdates. So ist es auch bei der (Weiter-)Entwicklung der Mediawiki-Software, auf der Wikipedia selbst läuft. Diese wird ganz maßgeblich durch Entwickler:innen vorangetrieben, die von der Wikimedia Foundation dafür bezahlt werden.

Aber gibt es nicht Forschung, die negative Effekte von Bezahlung auf intrinsische Motivation belegt?

In der Tat gibt es Studien zum sogenannten Crowding-out-Phänomen im Bereich der Motivationsforschung. Wenn Menschen für etwas bezahlt werden, das sie zuvor freiwillig getan haben, kann das ihre intrinsische Motivation untergraben. Das – wenn auch empirisch umstrittene – Lehrbuchbeispiel ist die finanzielle Vergütung für Blutspenden. So sinkt in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen die Bereitschaft zur Blutspende, wenn sie als ökonomische Transaktion und nicht als moralische Tugend verstanden wird.

Vor allem als unzureichend empfundene monetäre Anreize wirken sich negativ auf intrinsische Motivation und geleistete Beiträge aus. Es wäre also in der Tat keine gute Idee, sämtlichen rund 6.000 Freiwilligen ein bisschen Geld für ihre Arbeit zu bezahlen. Aber das schlägt meines Wissens nach auch niemand vor. Stattdessen geht es um die Finanzierung von Vollzeitstellen für gezielt ausgewählte Aufgaben, die allein von Freiwilligen derzeit nicht in ausreichendem Maße erfüllt werden.

Hat die Wikipedia überhaupt genug Geld dafür, um Leute für das Schreiben zu bezahlen?

Ja. Die Wikimedia Foundation als Organisation hinter der Wikipedia erhält genug Spenden, um zumindest in den größeren Sprachversionen Redaktionen zu finanzieren. Alleine Wikimedia Deutschland hat 2024 rund 11,7 Millionen Euro an Spenden und 6,2 Millionen Euro an Mitgliedsbeiträgen eingenommen, Tendenz steigend. Inzwischen verfügt der Verein über Rücklagen in Höhe eines Jahresspendenaufkommens von 11,6 Millionen Euro („Noch nicht verbrauchte Spendenmittel“).

Auch wenn ein großer Teil des Spendenaufkommens an die Wikimedia Foundation weitergeleitet wird – deren Nettovermögen inzwischen rund 230 Millionen US-Dollar beträgt -, machen diese Beträge deutlich, dass Geld für die Bezahlung von Redaktionen vorhanden wäre. Und gut möglich, dass die Spendenbereitschaft unter den Leser:innen sogar noch wüchse, wenn das Geld unmittelbarer als derzeit in die Verbesserung der Wikipedia zurückfließt.

Aber ist eine zwanzig- bis dreißigköpfige Redaktion nicht viel zu klein, um Millionen von Artikel zu pflegen?

Natürlich kann und sollen bezahlte Redakteur:innen nicht sämtliche Inhalte der Wikipedia beisteuern. Das würde in der Tat nicht funktionieren, ist aber auch gar nicht notwendig. Wie oben ausgeführt, ist es unwahrscheinlich, dass ein größerer Teil der Freiwilligen sofort die Arbeit einstellt, nur weil es auch ein paar bezahlte Redakteur:innen gibt.

Umgekehrt hätten die Redakteur:innen vor allem die Aufgabe, die Freiwilligen zu entlasten, indem sie ihnen als Ansprechpartner:innen dienen und sich um Dinge kümmern, für die sich keine Freiwilligen finden oder wo verlässliche Verfügbarkeit erforderlich ist, die mit Freiwilligen schwer herzustellen ist. Letzteres betrifft vor allem die oben erwähnten Artikel über lebende Personen.

Welche Aufgabenfelder von hauptamtlichen Redaktionen prioritär bearbeitet werden, sollte natürlich im Austausch mit der Freiwilligen-Community festgelegt werden. Denkbar wäre es, viel besuchte, aber länger nicht bearbeitete Artikel systematisch zu aktualisieren und zu überarbeiten.

Könnte verschärfte Haftung für Inhalte zu Problemen führen?

Schon heute ist es so, dass die Wikimedia Foundation für rechtswidrige Inhalte haftet, sofern sie Kenntnis davon besitzt. An dieser sogenannten „Forenhaftung“ für Beiträge von Freiwilligen würde sich durch bezahlte Redaktionen erst mal nichts verändern. In diesem Zusammenhang ist aber die radikale Transparenz der Wikipedia wieder hilfreich: Weil jede Änderung und Sichtung dauerhaft und transparent nachvollziehbar in der Versionsgeschichte von Wikipedia-Artikeln dokumentiert ist, wäre auch mit bezahlten Kräften keine umfassende Haftung für alle Inhalte in der Wikipedia verbunden.

Klarerweise würde die Wikimedia Foundation aber für Beiträge hauptamtlicher Redakteur:innen sowie für die von ihnen gesichteten Beiträge von Dritten haften. Das gilt aber auch für jedes andere Online-Medium und ist angesichts der Relevanz und Bedeutung der Wikipedia durchaus sinnvoll.

Fazit

Niemand will das Ehrenamt in der Wikipedia abschaffen. Im Gegenteil: Es ist das Fundament, auf dem Wikipedia ruht. Aber genau deshalb braucht es eine Debatte darüber, wie dieses Fundament auch in Zukunft tragfähig bleibt. Das bedeutet auch, darüber zu sprechen, wo gezielte Bezahlung sinnvoll sein kann – nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung.

Natürlich wird auch eine Wikipedia mit bezahlten Redaktionen nie fehlerfrei, vollständig oder fertig sein. Das kann und soll auch nicht das Ziel sein. Aber mit bezahlten Kräften ließen sich die größten und seit Jahren ungelösten Probleme der Wikipedia zumindest ein wenig lindern.

Statt also jegliche Form von spendenfinanziertem Schreiben pauschal abzulehnen, wäre es sinnvoller, darüber zu diskutieren, auf welche Weise Spendengelder am effektivsten zur Verbesserung der Wikipedia investiert werden könnten – und wo auch weiterhin besser primär auf ehrenamtliche Mitarbeit gesetzt werden sollte. Pilot- und Testprojekte in einzelnen ausgewählten Sprachversionen würden sich dafür anbieten.

Eine ergebnisoffenere Diskussion der Frage von spendenfinanzierten Autor:innen würde der auf ihre Offenheit so stolzen Wikipedia-Community gut zu Gesicht stehen.

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26 Ergänzungen

    1. Im Teaser steht es verkürzt, im Text ausführlicher: „Im Folgenden möchte ich deshalb die fünf wichtigsten Fragen beantworten, die mir in der Debatte zu von Wikimedia bezahlten Redaktionen immer wieder unterkommen.“

      Es ist also eine persönliche Erfahrung von jemandem, der diese Debatte seit vielen Jahren immer wieder mit vielen Menschen führt.

      Aber gerne her mit anderen Fragen, die mir noch nicht untergekommen sind!

  1. Es wäre super, wenn sich Wikimedia selbst auferlegt, ausschließlich „betriebsfremde“ Personen einzustellen. Das Ganze hat den Hauch von Nepotismus, das muss unter allen Umständen ausgeschlossen werden.

  2. Ich verstehe es nicht. Seit Jahren dieselbe Sau, die du hier durchs virtuelle Dorf treibst, Leonhard. Von dir kommt so viel Kluges, aber an dieser wirklich dummen Idee hälst du so eisern fest. Dabei ist die Zahl der Autoren, die gesagt haben sie sind dann weg legion. Und das ist keine leere Drohung. Wenn die Grundlagen nicht mehr stimmen, gehen die Leute. Das ist so.

    Würden Wikimedia Deutschland oder gar die Wikimedia Foundation (OK, die wird das nie tun, die hat gar kein Interesse an der deutschsprachigen Wikipedia, nur an den Spendengeldern, die man in DACH sammeln kann), wäre dies das finale Ende der Wikipedia. Der Exodus der Ehrenamtler wäre unüberschaubar. Das könnte man auch nicht mehr fixen, wenn man Monate später einsehen muss, dass das eine saudumme Idee war. Wenn die Leute weg sind, kommen sie nicht mehr wieder. Man könnte das auch nie mit bezahlten Beitragenden ersetzen. Und mit bezahlten Admins geht noch weniger. Die Vorstellung, dass Leute die bezahlt werden über die entscheiden, die ihr Wissen, ihre Zeit und oft viel Geld für dieses Hobby geben ist der blanke Horror. Solche Admins hätten keine Legitimation, denn Legitimation gibt es in der selbst verwalteten Wikipedia durch eigene Leistung. Bezahlte Admins hätten die wann und wo erbracht? Es wäre ein blanker Akt der Gewalt.

    Und auch davon ab, dann man die ehrenamtlichen Autoren vertreibt, werden Österreicher und Schweizer, Südtiroler und Deutschbelgier, Luxemburger und all die anderen, anderswo beitragenden Autoren und Autorinnen sicher ganz begeistert sein, wenn Wikimedia Deutschland Autoren bezahlt. WMAT und WMCH hätten diese Mittel nämlich gar nicht (noch einmal danke an die WMF, die das Geld kassiert und bei sich zur Stärkung der Hausmacht versacken lässt, statt die regionalen Organisationen zu unterstützen, wie es angemessen wäre). Dass es da einem Österreicher vor dem ganz autoatisch folgenden deutschen Primat nicht schaudert!?

    1. Lieber Marcus, ich gebe zu, ich habe beim Schreiben dieses Beitrags regelmäßig an Dich gedacht und gewusst, dass Du einer der ersten Kommentatoren hier sein wirst. Danke dafür.

      Ich verstehe Deine Sorgen und Ängste, nur teile ich sie nicht. Auf jede Person, die mit Abgang droht (und drohen bedeutet noch lange nicht durchziehen), fallen mir fünf Leute ein, die sagen, dass sie natürlich weitermachen würden. Anekdotische Evidenz? Ja. Aber mehr hast Du auch nicht im Angebot, um Deine Ängste zu untermauern.

      Und glaubst Du wirklich, die Leute laufen in Scharen davon, weil es 20-30 bezahlte Kräfte gibt? Kann sein, dass Du recht hast. Die genannten Beispiele von Freiwilligenorganisationen sind ein Indiz, dass das keineswegs eine logische/notwendige Folge ist.

      Aber warum nicht Mal in ausgewählten Sprachversionen Pilotprojekte fahren? Warum nicht diskutieren, in welchen Bereichen wirklich Bedarf besteht für bezahlte Unterstützung der Freiwilligen?

      Ganz abgesehen davon warte ich immer noch auf Lösungsvorschläge für das Problem mit Artikeln über lebende Personen, vor allem Frauen und PoC. Freiwillige können das offensichtlich nicht leisten, für die Betroffenen ist das ein Riesenproblem. Seit Jahren.

      PS: Ich habe mich in meinem Beitrag und auch hier in meinem Kommentar um sachlich-nüchterne Sprache bemüht. Lass uns doch in gegenseitiger Wertschätzung in dieser Frage unterschiedlicher Meinung sein und auf Formulierungen wie „dumme Idee“ oder „blanker Akt der Gewalt“ verzichten.

  3. Warum:
    Ansprecherpartner:innen
    (Weiter-)Entwicklung
    Letzteres betrifft vor allem die oben erwähnten Artikel über lebende Personen.

  4. Danke für den Text. Sie spiegeln den roten Faden meiner Diskussion mit dem Wiki Spenden- und Mitgliederbetreuungs Team. Ich wünsche mir sehr, dass die „innere“ Wikmedia ihre Sturheit bei diesem Thema ablegt und endlich ergebnisoffen dazu diskutieren kann.

    Achja: Ich bin Teil der Wikipedia Autoren gewesen und das schon sehr lange.

  5. Lieber Leonhard,
    Ich fand Deinen Lösungsvorschlag im Rahmen des FAZ-Artikels eher unterkomplex, und finde es daher gut, dass Du das Thema erneut aufgreifst und Dein Argument unterfütterst.

    Die Situation ist aber auch wirklich verfahren. Und das in zweierlei Hinsicht:

    Erstens hat bezahltes Schreiben in Wikipedia einen schlechten Leumund. Das hat was mit diesen Massen an PR-/Werbe-/Marketingschrott (gerne in letzter Zeit auch noch KI-generiert!) zu tun, mit dem Wikipedia seit Anbeginn der Zeit geflutet wird. Und es hat zu tun mit einem Grüppchen an Aktivist:innen in Wikipedia, die sich im Kampf dagegen so verhärtet haben, dass sie selbst die bestehenden Terms of Use, die ja das bezahlte Schreiben ausdrücklich erlauben, ablehnen.

    Und zweitens gibt es ja bereits heute jede Menge bezahltes Schreiben! Jede Kooperation mit Wissensinstitutionen (im Wikipedia-Slang GLAM genannt) ist nichts anderes als bezahltes Schreiben. Alle mitarbeitenden Wissenschaftler:innen tun dies ja meist nicht in der Freizeit, sondern im Rahmen ihres Berufs. Dies könnte man deutlich sichtbarer machen, auch, um die Vorbehalte gegen “das” bezahlte Schreiben abzubauen.

    Dennoch bin ich dagegen, das Wikimedia Deutschland Redakteur:innen bezahlt. Aus folgenden Gründen:

    1. Tatsächlich würden sich diese bezahlten Redakteur:innen aus dem aktiven Bestand an Wikipedianer:innen rekrutieren – alles andere würde keinen Sinn ergeben. Daher ist das Hauptproblem auch nicht die Koexistenz zwischen bezahlten und unbezahlten, sondern der Transfer von unbezahlt zu bezahlt. Und den habe ich schon mehrfach in Wikipedia gesehen – und nur selten ist es gut gegangen.

    2. Einer der wichtigsten Machtfaktoren in Wikipedia ist ZEIT. Also Zeit zu haben, an Diskussionen teilzunehmen, abzuwarten, etc. Und dieser Machtfaktor wird deutlich reduziert, wenn bezahlte Redakteur:innen eben mehr davon haben, weil es für sie bezahlte Arbeitszeit ist.

    (weiter im nächsten Kommentar)

    1. Ich sehe überhaupt nicht, dass sich die bezahlten Redakteur:innen aus der bestehenden Community rekrutieren sollten – ganz im Gegenteil! Es geht doch genau um Personen mit komplementären Kompetenzen und ggf. auch Interessen.

      Das mit dem Machfaktor Zeit kann man auch umgekehrt sehen: weil Arbeitszeit eng begrenzt und teuer ist, kann das sogar ein Problem sein. Jedenfalls ist das alles andere als eindeutig und hängt auch wieder an den konkreten Aufgaben, die übernommen werden.

      1. Der Machtfaktor Zeit ist ein Problem: damit erarbeiten sich Leute, die ausser viel Zeit nicht so viel haben, Machtpositionen. Die sind dann persönlich wichtig für Selbstwert, Gemeinschaft, Selbstwirksamkeit, und durchaus auch das Bewahren des als richtig angesehen. Und Position wie Status Quote wird dann mit Zähnen und Klauen gegen jeden vermeintlichen Angriff und Eindringling verteidigt.

        Das ist kein persönlicher Vorwurf, das sind nirmale menschliche Verhaltensweisen, die in derartigen Projekten immer eine Gefahr darstellen. BTDT, außerhalb Wikipedias.

        1. Es ist schon eine Pervertierung des Verständnisses von Macht, jemandem vorzuwerfen er/sie hätte zu viel Zeit, um dann nachzuschieben, so jemand handle zum Zweck einer Steigerung des Selbstwertes. Wovor haben Sie Angst?

          1. Ich habe niemanden „zuviel Zeit“ vorgeworfen, und jeder Mensch agiert ganz natürlich auch zur Steigerung seines Selbstwertes, weswegen auch das kein persönlicher Vorwurf ist. Schrieb ich ja.

            Ich habe mehr als ein Jahrzehnt in offenen Projekten nach dem Aktivistenprinzip gearbeitet, und ich beobachte, was dabei so passiert. Ich hatte übrigens auch viel Zeit und zT signifikant Machtpositionen inne, und auch das ist nicht per se negativ, denn da bekommt man dann wirklich Dinge getan. Aber es braucht einiges an Reflektion, Diskussion und zT Zurücknahme, das Projekt nicht zum persönlichen Eigentum zu monopolisieren.

          2. Zeit ist immer ein Machtfaktor. Vgl. „Botarmeen“.

            „Das ist kein persönlicher Vorwurf, das sind nirmale menschliche Verhaltensweisen, die in derartigen Projekten immer eine Gefahr darstellen. BTDT, außerhalb Wikipedias.“

            Hier ist schon allerdings auch die Frage, ob Menschen mit Zeit (und etwas Erfahrung und Lernfähigkeit), nicht auch positive Aspekte abbilden können, natürlich nicht persönlich gemeint, versteht sich.

  6. Aber wir sind gar nicht so weit voneinander entfernt, denke ich. Meine Lösung sähe wie folgt aus:

    1. Wikimedia Deutschland stellt jede Woche eine Liste zusammen, die der der FAZ gleicht. Also sagen wir jede Woche überprüfen drei hauptamtliche Dokumentator:innen 500 zufällig ausgesuchte Wikipedia-Artikel und veröffentlichen die Liste der gefundenen Fehler zusammen mit verlässlichen Quellen zur Korrektur in Wikipedia.

    2. Wikimedia Deutschland stellt einen Recherche-Dienst für Wikipedianer:innen zur Verfügung. Wer möchte, kann einen eigenen Artikel an WMDE schicken und um Prüfung/Verbesserung etc. bitten. Wie mit den Ergebnissen umgegangen wird, entscheiden aber immer noch die Wikipedianer:in.

    Das von Dir angesprochene Problem der Biografien lebender Personen wäre einen eigenen Post wert. Es ist wirklich ein Trauerspiel, wie Wikipedia mit Menschen umgeht, die ein Problem mit dem Artikel über sie haben. Aber das ist ein Versagen der Community – und nur die Community kann das lösen. Gerne mit Unterstützung von Wikimedia, etwa durch das Organisieren von Treffen oder das Bereitstellen von Expertise. Aber lösen kann es nur die Community selbst.

    1. Punkt 1 und 2 sind gute Vorschläge, aber nicht im Widerspruch zu meinem Plädoyer.

      Warum „ein Versagen der Community“ „nur die Community lösen“ kann, finde ich nicht einleuchtend. Das ist eine Setzung. Ich sehe es umgekehrt: von Freiwilligen kann nicht erwartet werden, als Anlaufstelle für dieses Problem zu dienen. Bezahlte Redakteur:innen können diese Aufgabe verlässlicher übernehmen.

  7. Und noch ein letzter Punkt: Beim Thema „Haftung“ machst Du Dir einen schlanken Fuß. Denn natürlich ist die Foundation immer schon haftbar für die Inhalte von Wikipedia – aber eben in den USA. Und als Bürger der EU einen solchen Prozess in den USA angesichts des 1. Verfassungszusatzes anzustreben und zu gewinnen, ist eher aussichtslos.

    Was ganz anderes wäre es aber, wenn Wikimedia Deutschland plötzlich inhaltlich in die Wikipedia eingreifen würde. Seit 20 Jahren ist das Argument des Vereins: Wir haben inhaltlich keinen Einfluss und keine Kontrolle, wenden Sie sich bitte an San Francisco. Wie lange könnte man diese Argumentation noch aufrechterhalten, wenn es Stellenausschreibungen für Wikipedia-Redakteur:innen auf wikimedia.de gäbe?

    1. Ich weiß, dass es das Argument des Vereins war. Rechtlich stand und steht das aber auf schwachen Beinen.

      Und das Forenhaftungsargument lässt sich natürlich weiterhin aufrecht erhalten: jede Tageszeitung hat Redaktionen und moderierte Foren – für die Forenbeiträge gelten eben andere Haftungsstandards. Warum sollte das im Fall der Wikipedia anders sein?

      1. Naja, das ist nicht nur „das Argument des Vereins“ und, mit Verlaub, dieses Argument steht auf oft geprüften Beinen. Alle Urteile waren diesbezüglich sehr eindeutig.

        Das Problem mit jeder Form der durch den Verein bezahlten Mitarbeit in Wikipedia besteht darin, dass es viel einfach ist zu sagen „Wir haben keinen Einfluss auf die Inhalte“, als wenn man sagt: „Klar, unsere Redakteure nehmen Einfluss auf die Inhalte von Wikipedia – aber nur auf die Bereiche, die wir bestimmen. Für alles andere gilt: Gehen Sie nach San Francisco.“

        Nein, sobald Mitarbeiter des Vereins die Inhalte von Wikipedia gegen Bezahlung bearbeiten, bricht ein Haftungstsunami über WMDE herein. Ausgang ungewiss. Das Risiko wird niemals irgendein Vorstand eingehen. Besonders nicht, solange der status quo so gut für WMDE funktioniert.

        1. Achso, Dir geht es um den deutschen Verein. Das ist ein rechtstechnisches Problem, das z.B. durch eine eigene Tochter der US-Foundation lösbar wäre.

          An der prinzipiellen Anwendbarkeit der Forenhaftung würde das nichts ändern.

          1. Ich danke Dir und Leonhard Dobusch für diese nachvollziehbare Aufschlüsselung der Rechtsproblematik.
            Habt ihr einen Vorschlag, wie die WMDE diese Problematik in ihrer Öffentlichkeitsarbeit mit einem Lösungsvorschlag adressieren könnte?
            Wie könnte der Vorschlag konkret formuliert werden?

          2. Die Forenhaftung ist hier m.E. gar nicht einschlägig. Die schützt ja den Diensteanbieter, und die Argumentation von WMDE war stets: Wir sind nicht Diensteanbieter der Wikipedia, das ist die WMF.

            Dein Vorschlag könnte nun zu zwei möglichen Szenarien führen:
            1. WMDE wird als Diensteanbieter gesehen. Dann wäre man zumindest dann verpflichtet, rechtswidrige Inhalte aus Wikipedia zu löschen, wenn man Kenntnis von diesen erlangen würde.

            2. WMDE wird als gesetzlicher Vertreter der WMF in Deutschland gesehen, (quasi als Tochtergesellschaft) und Urteile könnten dann gegen WMDE vollstreckt werden.

            Beides muss nicht der Fall sein; aber wenn WMDE eine seit 20 Jahren gefahrene Linie aufgeben und nun doch inhaltlich auf Wikipedia einwirken würde, so würde das zu einem Tsunami an (neuer) Rechtsprechung führen. Mit ungewissem Ausgang. Warum sollte ein Vorstand von Wikimedia Deutschland dieses Risiko eingehen?

            (Und eine Tochter der WMF in Deutschland wird es ebenfalls nicht geben, aus den gleichen Gründen. Warum sollte die WMF ein Interesse daran haben, ein unkalkulierbares Risiko einzugehen, nur um Redakteur:innen zu bezahlen?)

            Die Unfähigkeit, auf die Inhalte von Wikipedia Einfluss zu nehmen, ist sakrosankt. Aus kulturellen Gründen, und auch aus rechtlichen.

          3. Sakrosankt angesichts des völlig unkalkulierbaren juristischen Risikos. Es gibt auch andere, eher kulturelle Gründe, warum ich bezahlte Redakteure in Deinem Sinne nicht richtig finde (siehe dazu weiter oben), aber der entscheidende Punkt, warum das nicht passieren wird, ist der (bequeme) juristische IST-Zustand, den weder die WMF noch WMDE riskieren werden. Die Angst, irgendwann vor deutschen Gerichten für die Inhalte haftbar zu sein, ist bei beiden Institutionen enorm hoch (bzw. war es, als ich da noch Inneneinsichten hatte – aber ich glaube nicht, dass sich das dramatisch geändert hat)

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