Sie wollen wieder mitlesen dürfen. In den Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD hat es die Forderung, Anbieter zur Entschlüsselung von Kommunikationsinhalten zu verpflichten, zwar nicht geschafft. Doch eben auch keine gegenteilige Garantie, solcherlei zu unterlassen.
Wie jüngst schon von der High-Level Group der EU wird hier einer sicherheitsbehördlichen Furcht vor dem „Going Dark“ digitaler Kommunikation gefolgt und eine neue Runde der „Crypto Wars“ um die Vertraulichkeit unserer digitalen Nachrichten eröffnet.
Dass solche Vorschläge in erster Linie unbescholtene Bürger*innen treffen, gar grundrechtswidrig ihre Privatsphäre (und zahlreiche grundlegende Funktionen des modernen Internets) gefährden, ficht die zukünftige Bundesregierung dabei nicht an. Zeit, ihnen ein Licht aufgehen zu lassen.
Dunkelheit
Der Begriff „Going Dark“ entstammt dem Geheimdienstjargon und bezeichnet dort zunächst das Versiegen eines bestimmten Informationskanals. Er wird vor allem in Bezug auf (Nachrichten-)Verschlüsselung gebraucht, etwa von FBI-Direktor James Comey. 2014 warnte er in einer Rede vor einer Zukunft, in der die gesamte oder überwiegende digitale Kommunikation sicher verschlüsselt und somit für die Sicherheitsbehörden nicht mehr einsehbar und nachvollziehbar wäre.
In diesem Szenario liegen dann die Unterhaltungen und Datenspeicher von Kriminellen und Terrorist*innen, die dringlich überwacht werden müssten, ebenso „im Dunkeln“ wie die Erinnerung an die fehlende Milch vor dem Wocheneinkauf zwischen Eheleuten, die Verabredungen zum Feierabendgetränk zwischen Arbeitskolleg*innen und die Gruppenchats des Sportvereins. Sicherheitsrelevante wie höchst private Inhalte werden hier gleichermaßen geschützt.
Realistisch betrachtet ist dieses Szenario in einigen Teilen des Netzes näher als in anderen. So nutzen etwa 86 Prozent der Deutschen den Ende-zu-Ende-verschlüsselten Messenger WhatsApp. Auch die Konkurrenten Signal und Threema haben sich ganz der Anonymität und Sicherheit ihrer Nutzer*innen verschrieben. Im Gegensatz dazu nutzten vor einigen Jahren lediglich 16 Prozent der deutschen Nutzer*innen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für ihre E-Mails. Auch die klassische, unverschlüsselte Telefonie wird zunehmend von den verschlüsselten Anruffunktionen der Messenger-Apps verdrängt. Es sind daher auch die Messengerdienste, die den Handlungsreflex des Staates auf sich ziehen.
Leuchtmittel
Damit also terroristische Planungen, Kindesmissbrauchsdarstellungen und -kontakte und Betäubungsmittelhandel künftig nicht mehr im uneinsehbaren Dunkel der verschlüsselten Messengerdienste stattfinden können, sollen diese ausgeleuchtet werden. Wenn die Europol-Chefin an die „soziale Verantwortung“ der Messengerdienste appelliert, verlangt sie von diesen, ihr ein hierfür geeignetes Leuchtmittel zur Verfügung zu stellen.
Um unverschlüsselte Kommunikation einer eigentlich Ende-zu-Ende-verschlüsselten Unterhaltung abzufangen, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Daten werden vor der Verschlüsselung, beziehungsweise nach der Entschlüsselung abgegriffen – beim Sender oder beim Empfänger einer Nachricht. Oder sie müssen entschlüsselt werden.
Für letzteres müsste die Verschlüsselung technisch so gestaltet werden, dass sie schnellstmöglich überwunden werden kann (etwa durch Nachschlüssel, den Einbau von Sicherheitslücken oder die Verwendung kurzer, leicht zu errechnender Schlüssel), bei ersterem ist ein Zugriff auf die Endgeräte der Nutzer*innen nötig, von wo aus die unverschlüsselten Daten ausgeleitet werden.
Juristisch soll ein solches Leuchtmittel durch die Regulierung der verwendeten Technologie erreicht werden.
Die Entschlüsselung eigentlich verschlüsselter Internetkommunikation hat zwei unausweichliche Folgen: Sie betrifft jede Kommunikation jedes*r Nutzer*in, ob kriminell oder unbescholten. Und sie ist jedem*r Beleuchter möglich, ob gut- oder böswillig. Und gibt es einmal eine entsprechende Leuchte, wird sie nicht nur dem Staat zur Ausleuchtung der kriminellen, terroristischen Gefilde des Netzes dienen, sondern auch von Täter*innen auf ihre Opfer, von Diktaturen auf ihre politischen Gegner*innen gerichtet werden.
Blendende Helligkeit
Das verlangte Leuchtmittel leuchtet also, um im Bild zu bleiben, blendend hell. Geblendet werden unbescholtene Bürger*innen, deren Grundrechte zu bloßen Schatten verblassen. Geblendet wird die Sicherheitsarchitektur des Internets, die auf den ausgeleuchteten Technologien aufgebaut ist.
So wird hier einerseits mit dem Flakscheinwerfer unter die Bettdecke geleuchtet, die maximale Erkenntnismöglichkeit auf die privatesten Bereiche der menschlichen Kommunikation und Intimsphäre gerichtet. Bewusst und mit gutem Grund haben die Grundrechte (ob nun des Grundgesetzes, der Grundrechtecharta der Union oder der EMRK) den dichten Mantel absoluten Schutzes über diese Lebensbereiche gebreitet.
Liegt vordergründig nur eine (im Einzelfall vielleicht sogar rechtfertigbare, in ihrer Gesamtheit aber völlig entgrenzte) Verletzung des Kommunikationsgeheimnisses vor, wird schnell ersichtlich, dass Umfang und Inhalte der Ausleuchtung weit darüber hinausstrahlen: durch Abschreckungseffekte auf die Meinungs- und Weltanschauungsfreiheit, durch die Kenntnisnahme intimster Gedanken und Unterhaltungen auf den Menschenwürdekern des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Das Licht dieser vollständigen Überwachung durchdringt die Menschen gleichsam wie Röntgenstrahlung. Sichtbar bleiben die Nachrichten, während die Ganzheit der Menschen verschwindet. So werden sie zu Beobachtungsobjekten degradiert und reduziert.
Neben den Auswirkungen auf Grundrechte gibt es auch die praktische Gefahr, dass Akteure staatlicher oder privater Art missbräuchlich auf Inhalte zugreifen.
Die vom Anti-Verschlüsselungsleuchtmittel produzierte Hitze wird auch technisch spürbar: Nichts weniger als die Funktionalität und Sicherheit des Internets als Ganzes könnten in Flammen geraten. Denn nicht nur die unmittelbar zwischenmenschliche digitale Kommunikation, nahezu alle Internetübertragungen und die gesamte Konzeption moderner IT-Sicherheit setzen auf Verschlüsselungsverfahren, um Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität sicherzustellen. Soll das Dunkel wirklich ausgeleuchtet werden, müssen auch die Protokolle zum sicheren Surfen, zum Online-Banking, zur Passwortverwaltung et cetera aufgebohrt werden, denn sie alle lassen sich nutzen, um Kommunikation wieder ins Dunkel zu hüllen. Doch ein Internet ohne sichere Verschlüsselung ist ein Internet mit Identitätsdiebstahl, gehackten Stromnetzen und gestalkten (Ex-)Partner*innen.
Während also die Millionen-Watt-Strahler der Überwachung Brandflecken auf den Grundrechtsbettdecken unbescholtener Bürger*innen und im weiten Netz des Internets hinterlassen, wird ein ganz zentrales Problem übersehen: In blendender Helligkeit lässt sich genau so wenig sehen wie im Stockdunkeln. Die massenhaft entschlüsselte Kommunikation will schließlich überwacht und auf einschlägige Inhalte durchsucht werden. Unter den Abermillionen belangloser Nachrichten diejenigen von Interesse herauszufiltern, wird nicht ohne weitere Anhaltspunkte möglich sein. Den Sicherheitsbehörden droht hier eine hausgemachte Überlastung der eigenen Erkenntnisfähigkeiten und Ressourcen.
So alt wie die Glühbirne, so erhellend wie ein Nachtlicht
Nichts davon ist neu. Geben Sie einmal das Stichwort „Crypto Wars“ in ihre bevorzugte Suchmaschine ein und betrachten die Debatten der 70er-Jahre, der 90er-Jahre und die in der Folge der Snowden-Enthüllungen. Die Argumente beider Seiten sind hinlänglich beschrieben, die Ergebnisse meist eindeutig: Maßnahmen sind nicht verhältnismäßig zu rechtfertigen, denn Grundrechte, IT-Sicherheit, alles überwiegt den potenziellen Informationsgewinn. Dass diese Forderungen dennoch wie eine Untote, ein kleiner Zombie regelmäßig wiederkehren, deutet auf eines hin: mangelnde Erleuchtung bei denjenigen, die sie erheben.
Manche Ermittlung mag durch verschlüsselte Kommunikation erschwert worden sein und manche mag es in Zukunft werden. Doch insgesamt erscheint die Erkenntnismenge, die nicht auch mit anderen Möglichkeiten zu erlangen wäre, gering. Vielmehr wirkt es, als solle die Erhellung der Dunkelheit vor allem beruhigen – wie ein Nachtlicht im Kinderzimmer.
Paul Zurawski ist Jurist und Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel. Er forscht zu Fragen der Überwachung im digitalen Raum, mit Schwerpunkten auf Vorratsdatenspeicherung und Verschlüsselungsdebatte, über die er promoviert.
Ich lese gerade, es gibt eine gesetzliche Lage – und ich befürchte, die wird nicht einfachso weggehen.
https://www.gesetze-im-internet.de/g10_2001/__2.html
Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – G 10)
§ 2 Pflichten der Anbieter von Post- und Telekommunikationsdiensten; Verordnungsermächtigung
FYI
NSA released “Fifty Years of Mathematical Cryptanalysis (1937-1987),” by Glenn F. Stahly
https://www.governmentattic.org/58docs/NSA50YrsMathCrypt1988.pdf
Although this paper concentrates on mathematical cryptanalysis, it is by no means intended to disparage the work of or results produced by nonmathematical cryptanalysts, who excel in their own right and frequently produce results that mathematics could not. Many of them work side by side with the mathematicians and often lead them to success by formulating cryptanalytic problems in such a way as to permit the application of abstract mathematics. In fact, they not in-frequently succeed in situatiqns where „pure reason“ fails the mathematician and leaves him (or her) floundering. But it was absolutely essential during WW II that mathematicians and nonmathematicians work hand-in-glove, and only because of this cooperation were they so spectacularly successful.
„mangelnde Erleuchtung bei denjenigen, die sie erheben.“
Das ist falsch. Diejenigen welche diese Forderungen erheben sind nicht dumm / oder wissen nicht was sie anrichten. Ganz im Gegenteil, das sind Menschenfeinde und wollen ihre Macht sichern bzw. einfach mehr davon. Die wollen Überwachungsdiktaturen, die wollen herrschen – unhinterfragt vom störenden Bürger. Das ganze hat einen Namen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Metternichsches_System#:~:text=Als%20Metternichsches%20System%20bezeichnet%20man,sp%C3%A4teren%20Staatskanzlers%20Klemens%20von%20Metternich.
Also, DER Vergleich ist schon ein bisserl gewagt. Das Metternich System war vor ca. 200 Jahren. Da waren die aller-aller-meisten Menschen schon noch SEHR obrigkeitshörig. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich das nicht auf die heutigen Zeit übertragen läßt.
Ungeachtet dessen mag es natürlich ne Menge Leute an der Macht geben, die sich bei öffentlicher Kritik gestört fühlen. Dass solche Leute -imho- in einer modernen Demokratie fehl am Platze sein dürften, empfinde ich als offensichtlich.
Dummerweise gibt es derzeit ca 30% der WählerInnen die das anders sehen.
Naja, während wir hier darüber diskutieren, ob und inwieweit das passieren darf, müssen wir aber konstatieren, daß bereits massiv überwacht wird. Wie sonst konnte das arme Bäuerchen Niehoff nur für das Weiterleiten eines Witzes ins Visier der Behörden geraten? Behörden, die sich jetzt dummstellen und so tun, als ob sie nicht begreifen, ob jemand für oder ob jemand gegen das NS-Regime ist. Vor einiger Zeit wurde ein Verbrecher gefaßt, dessen Kennzeichen von einer Autobahnmautbrücke erkannt wurde. Es wird also doch jedes Auto fotografiert, obwohl uns das damals als hoch und heilig anders versprochen wurde. Und wenn ich hier oder in einer Mail oder in einem Telefonat bestimmte Triggerworte verwende, beispielsweise (nachfolgende Schreibfehler absichtlich) Kantsler, Bumbe, Attttentat, dann blinkt irgendwo ein rotes Lichtlein auf und die „persönliche Überwachung“ ist auf einmal da. Die von den Behörden vorgebrachte Ausrede lautet natürlich immer: Jemand könnte…vielleicht…unter Umständen usw. Das sie mit dieser Gummiausrede jeden jederzeit überall überwachen können, wissen Sie, aber ihnen fällt nichts besseres ein. Es ist leider so, daß ich jederzeit und bei jedem Leserbrief mit der Schere im Kopf arbeiten muß, weil ich fürchte, daß irgendein unterbelichteter, aber sehr empfindlicher Zeitgenosse sich auf den Schlips getreten fühlt. Und die werden immer empfindlicher.
Unter dem Gesichtspunkt ist auch jegliches Repressionspotential zu sehen.
> ficht die zukünftige Bundesregierung dabei nicht an.
Ich dachte diese Verfassungsbrecher wären schon im Amt.