Die Bundesregierung lädt zum „Gipfel zur Europäischen Digitalen Souveränität“. Erwartet werden rund 900 Fachleute aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Am Dienstag wollen sie in Berlin über technologische Unabhängigkeit und Digitalisierung sprechen.
Im Mittelpunkt steht das deutsch-französische Tandem, das hier vorangehen will. Daniela Schwarzer, Vorständin der Bertelsmann Stiftung, sprach jüngst von einer „historischen Chance für Europa“. Sie hat recht: Mehr digitale Souveränität ist zwingend notwendig – und zugleich eine einmalige Möglichkeit, Europas digitale Zukunft neu zu gestalten. Dafür wäre zu wünschen, dass sich „digitale Souveränität“ nun nicht nur im Gipfeltitel, sondern endlich auch im politischen Handeln widerspiegelt.
Doch warum eigentlich nur europäische digitale Souveränität? Ganzheitlich gedacht – von Chips über Code bis zu Produktionskapazitäten – ist sie ein gewaltiger Kraftakt. Beim Code, also den Anwendungen, von KI-Modellen über Office-Software bis zu IT-Sicherheitslösungen, hat Europa eine solide Ausgangsbasis. In manch anderen Bereichen muss es diese erst noch aufbauen.
Code kann universell sein
Gerade deshalb sollte der Blick weiter reichen: Warum den Code nur europäisch denken, wenn er universell sein kann? Wie beim Internet zu seinen Anfängen: offene Standards, weltweite Zugänglichkeit, gemeinsame Weiterentwicklung. Europa könnte digitale Souveränität als globale Führungsaufgabe begreifen – und zumindest auf der Code-Ebene weltweit bereitstellen.
Denn die Herausforderungen – Abhängigkeiten, Sicherheitsrisiken, hohe Kosten – betreffen nicht nur Europa. Auch Brasilien, Kenia oder Indonesien stehen vor denselben Problemen. Digitale Souveränität sollte daher nicht am Bosporus oder an der Straße von Gibraltar enden, sondern als internationales Angebot verstanden werden: als Beitrag zur globalen Zusammenarbeit, zur Entwicklungszusammenarbeit wie zur Außenwirtschaft.
Dafür braucht es politische Grundsatzentscheidungen – und darauf aufbauend gezielte Förderungen und Prioritäten. Zentral wäre ein klarer Fokus auf Open Source: Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Anpassungsfähigkeit als Grundprinzip. Warum nicht gebündelte europäische – oder globale – Kapazitäten für ein voll konkurrenzfähiges offenes Alternativsystem zu Microsoft Office aufbauen?
Teure, gute Investitionen
Solche Vorhaben kosten insgesamt Milliarden, aber sie wären gut investiert: in Unabhängigkeit, Innovation und Sicherheit. Europa hat die Chance, Vorreiter einer neuen, offenen Digitalära zu werden – statt Nachzügler im Wettlauf weniger IT-Großkonzerne.
Das deutsch-französische Tandem könnte hier mit gutem Beispiel vorangehen. Warum etwa Millionen an den US-Konzern Palantir zahlen, um Polizeisoftware zu lizenzieren, statt eine eigene, grundrechtskonforme Lösung zu entwickeln? Eine europäische Anwendung, die verschiedene Datenquellen rechtskonform durchsuchbar macht, könnte Polizeiarbeit effizienter und zukunftsfester machen. Die Blackbox Palantir oder zu weitreichende Analysen wären damit passé.
Oder warum keine Medienplattform schaffen, die Inhalte grenzüberschreitend bündelt, KI-gestützt übersetzt und so hochwertige Informationen weltweit zugänglich macht?
Offene Standards senken Markteintrittsbarrieren, fördern Innovation und tragen zum Bürokratierückbau bei, in dem sie Abstimmungsaufwand für gleich gelagerte Problemlösungen reduzieren. Durch standardisierte interoperable Verfahren und Systeme können Prozesse effizienter gestaltet werden.
Der Bedarf ist enorm.
Derzeit wird in Deutschland viel über den Aufbau eines Deutschland-Stacks gesprochen, einzelne Bundesländer präsentieren eigene Lösungen. Gleichzeitig ist Deutschland bereits international als Gründungsmitglied der GovStack-Initiative für die Digitale Verwaltung unterwegs. Die GovStack-Initiative unterstützt weltweit Regierungen bei der Erstellung von flexiblen, kostengünstigeren digitalen Lösungen nach dem Baukastenprinzip. Darauf sollte man jetzt aufbauen.
Digitale Souveränität ist tatsächlich eine historische Chance – aber nur, wenn wir sie global denken: als Aufbruch in eine offene, freie und nachhaltige digitale Welt. Denn der Bedarf an Alternativen zu US-amerikanischen oder chinesischen Angeboten ist enorm. Europa kann den nächsten Schritt der Digitalisierung mitgestalten – wenn es Mut hat, seine Souveränität zu teilen.
Malte Spitz ist Mitglied im Nationalen Normenkontrollrat und unter anderem Berichterstatter für das neue Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung. Außerdem ist er Mitgründer und Generalsekretär der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Nach dem Umfallen der Grünen in BaWü zum Thema Überwachung sind Erklärstücke von Grünen zum Thema Souveränität eher sporthistorisch zu betrachten.
„Europa kann…“ : Eikonal, Prism, Cambridge Analytica, Palantir, Pegasus, …
Und „Europa“ ( – also: Orban, Fico, Babis, und wie sie alle heißen! ) kann NICHT mehr: die Datenschutzgrundverordnung so respektieren, dass Vertrauen für Verfassungs-(Grundrechte-)Verteidiger möglich wäre – wer hier bei netzpolitik.org mitliest, sieht doch zu dabei, wie wir sie verlieren.
Cem Özdemirs Bündnis90/Grüne in Baden Württemberg haben gerade Palantir* durchgelassen zur Polizei (unfassbar!) – in dieser Welt leben wir!
Was wir hier brauchen, ist das neue Schweizer Grundrecht auf digitale Integrität.
—
* („Palantir ist designt für Totalüberwachung. Es ist in seinem Grund inkompatibel mit einer Demokratie.“ Zitat Marina Weisband).
> Was wir hier brauchen, ist …
Es ist ja nicht einmal falsch, was Du da schreibst. Jedoch reicht es nicht, stets nur von sich zu geben, was man/frau denn so alles braucht. Ich habe ja Verständnis dafür, dass man sich mit Forderungen „an die Politik“ erleichtert, und für den Moment vielleicht besser fühlt, doch das reicht nicht. Derzeit fehlt der hinreichende Einfluss auf die Legislative, die aus Menschen mit grundlegend anderen Einstellungen ausgestattet ist, und darüber hinaus nicht nur ziemlich ignorant ist, was Datenschutz, Privacy, Bürgerrechte anbelangt, sondern bisweilen sogar aversiv. Es wir derzeit ein neues Normal ausgerollt, den meisten ist das egal oder sie merken es nicht einmal. Demokratie stirbt an verblödeten Wahlberechtigten, und jetzt die Hoffnung auf eine besser gebildete Generation als Trost an die Wand zu werfen, hält den Verfall jetzt nicht auf. Mehr kluge Handlungen auf operationaler Ebene wären jetzt angesagt.
Digitale Souveränität endet nicht am Mittelmeer
Wenn Europa von digitaler Souveränität spricht, bleibt der Blick oft zu kurz. Warum den Code nur europäisch denken, wenn er universell sein kann? Das Internet entstand nicht durch geschlossene Silos, sondern durch offene Standards, weltweite Teilhabe und kollektive Weiterentwicklung. Genau daran fehlt es heute: Wir reden über Abhängigkeiten, aber wir reproduzieren sie, solange wir proprietäre Infrastrukturen als unvermeidlich betrachten.
Die geopolitischen Risiken digitaler Monokulturen sind global. Nicht nur Europa steht vor hochpreisigen Lizenzmodellen, Sicherheitslücken oder Cloud-Lock-in. Auch Brasilien, Kenia, Indonesien und viele andere Staaten kämpfen mit denselben strukturellen Problemen. Digitale Souveränität darf deshalb nicht als europäischer Schutzwall missverstanden werden, sondern muss als internationales Angebot formuliert werden: Wissen teilen, Infrastruktur öffnen, Wissen und Technologie als globales Gemeingut denken.
Das erfordert politische Entscheidungen – und eine klare Priorität: Open Source als Norm, nicht als Ausnahme. Transparenz, Auditierbarkeit, Anpassbarkeit sind nicht nur technische Vorteile, sondern demokratische Prinzipien in Codeform. Warum also kein konsequent europäisch und global entwickeltes, voll konkurrenzfähiges offenes Alternativsystem zu Microsoft Office? Warum keine gemeinsame Cloud-Stack-Referenzarchitektur, die weltweit genutzt werden kann?
Europa hätte die Chance, nicht nur Nutzer, sondern Gestalter zu sein. Doch dafür genügt kein weiterer Strategie-Entwurf, keine neue Taskforce, kein wohlklingendes Weißbuch. Offene digitale Souveränität entsteht nicht im PDF, sondern im Repository.
“Talk is cheap. Show me the code.” — Linus Torvalds
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