Digitalisierung an SchulenKompetenz vor Geräte!

Schaden digitale Lernmittel mehr, als dass sie nutzen? Schweden und Dänemark wollen eine Kehrtwende in der Schuldigitalisierung vollziehen. Und auch hierzulande fragt man sich: Müssen unsere Klassenzimmer wieder analoger werden? Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Drei Schüler:innen im Unterricht malen auf Tablets
Tablet oder Kreidetafel – womit lernt es sich besser? – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Funke Foto Services

Nicht erst seit der Corona-Pandemie wird gefordert: Die Schulen müssen digitaler werden! Tablets statt Schulbücher in alle Klassenzimmer!

Zuletzt kamen jedoch Zweifel an dieser Forderung auf. Nutzen Schüler:innen digitale Geräte, lernen sie angeblich schlechter. Mancherorts haben diese Bedenken nun zu einer drastischen Umkehr in der Bildungspolitik geführt. Schweden und Dänemark galten bislang als strahlende Vorbilder in der Schuldigitalisierung. Nun aber wollen beide Länder ihre Schulen wieder analoger machen.

Diese Kehrtwende facht auch in Deutschland die Diskussion wieder an: Schadet die Schuldigitalisierung den Schüler:innen mehr, als dass sie ihnen nutzt?

Kehrtwende in Schweden und Dänemark

Der Grund für die Kehrtwende in Schweden und Dänemark ist eine Stellungnahme des renommierten Karolinska-Instituts vor knapp einem Jahr. Die Forschenden aus Medizin und Psychologie kommen darin zu einem erstaunlichen Urteil: „Die Digitalisierung der Schulen [hat] große negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler“.

Bis vor Kurzem hatte die schwedische Bildungsbehörde noch ganz andere Töne verlauten lassen: Man wolle die Schulen noch digitaler machen, von der Vorschule an. So hatte es die Behörde in ihrem Vorschlag zur „nationalen Digitalisierungsstrategie für das Schulsystem 2023-2027“ vorgestellt. Ebendiese Empfehlung hatten die Verfasser:innen der Stellungnahme nun überprüft. Ihr Fazit: Das schwedische Bildungsministerium solle den Vorschlag der Bildungsbehörde rundweg ablehnen.

Schwedens Bildungsministerin Lotta Edholm kündigte daraufhin an, die Digitalisierung von Lernmitteln auszubremsen: „Wir wissen, dass Lesen am besten durch Bücher gefördert wird und dass wir ein großes Problem in schwedischen Schulen haben, mit zu vielen Bildschirmen und zu wenigen Büchern“, so Edholm.

Dänische Schüler beklagen Mangel an Medienkompetenz

Die Wellen der schwedischen Kehrtwende schlugen bis nach Dänemark. Bislang galt das Nachbarland als europäischer Vorreiter in Sachen Schuldigitalisierung. Doch selbst Schüler:innen beklagen dort inzwischen, in der Schule nicht genügend über den Umgang mit neuen Technologien unterrichtet zu werden: „Das dänische Bildungssystem versagt noch immer darin, uns auf die digitale Welt vorzubereiten“, erklärt Asger Kjær Sørensen auf Anfrage auf Englisch. Sørensen ist der Vorsitzende der Danske Gymnasieelevers Sammenslutning – der Vereinigung von Schüler:innen der höheren Oberschulen (vergleichbar mit deutschen Oberstufen) in Dänemark.

Und auch Dänemarks Bildungsminister Tesfaye schlägt inzwischen reumütige Töne an: Er entschuldigte sich, die Schüler:innen zu „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ gemacht zu haben.

Sørensen wird hier konkreter: „Aktuell würde ich sagen, dienen wir in einer anderen Hinsicht als Versuchskaninchen: Denn wir verlassen das Schulsystem ohne die nötigen Kompetenzen zu besitzen“, so der Schüler, „um durch die digitalisierte Welt zu navigieren und ohne ein Verständnis für die Technologien entwickelt zu haben, die entscheidend für die Reste unserer Leben und Karrieren sein werden.“. Die neuen Geräte seien an Schulen eingeführt worden, ohne darüber zu reflektieren, wie sie genutzt werden sollten und wie sie sich auf das Lernen auswirken. Eine bessere Schuldigitalisierung würde bedeuten, die bestehenden Technologien auf eine Weise in den Unterricht einzubeziehen, die die Schüler:innen dazu anregt, sich kritisch und konstruktiv mit ihnen auseinanderzusetzen, meint Asger Sørensen.

Das dänische Bildungsministerium will nun ein Gleichgewicht zwischen analogem und digitalem Unterricht herstellen, wie es in einer Pressemittelung des dänischen Bildungsministeriums heißt. Bildschirme sollen in Klassenzimmern nur noch dann eingesetzt werden, wenn es pädagogisch und didaktisch sinnvoll ist. So lautet eine von zwölf Empfehlungen, die ab sofort an dänischen Schulen umgesetzt werden sollen.

Droht „Digitale Demenz“?

Auch in Deutschland wird die Debatte um die Schuldigitaliserung derzeit wieder intensiver geführt – auch unter dem Eindruck der Maßnahmen der Corona-Jahre, die nun rückblickend bewertet werden sollen. Über Monate waren damals die Schulen geschlossen und etliche Kinder wurden vorwiegend mit digitalen Mitteln unterrichtet. Seitdem haben die Kompetenzen der Schüler:innen abgenommen – auch wenn Bildungsforschende dies nur zum Teil auf die damaligen Maßnahmen zurückführen.

Die aktuelle Debatte ist auch Wasser auf die Mühlen jener Mahner, die seit Jahren vor der Digitalisierung warnen. Dazu zählt unter anderem der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer. Er argumentierte bereits 2012 in seinem umstrittenen Buch „Digitale Demenz“, dass digitale Medien die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigten. In mitunter alarmistischen Tönen kritisiert er auch politische Initiativen, die vorsahen, „alle Schüler mit Notebooks auszustatten und die Computerspiel-Pädagogik zu fördern“.

Kritik des Karolinska-Instituts an schwedischer Strategie

Auf den ersten Blick scheint das Karolinska-Institut Spitzers Behauptungen recht zu geben. So kommt dessen Stellungnahme unter anderem zu dem Schluss, dass Schüler:innen, die Texte auf Tablets lesen, in der Entwicklung zurück hingen. Es sei schwieriger, sich an Informationen zu erinnern, die auf einem Bildschirm statt in einem Buch gelesen wurden, so die Forschenden. Das Entwicklungsdefizit in der Lesekompetenz jener Schüler:innen, die auf einem Bildschirm lesen, betrüge etwa zwei Jahre gegenüber solchen, die auf Papier lesen.

Der Einsatz digitaler Medien führe zudem zu mehr Multitasking und dies wiederum zu schlechterem Lernen. Unser Gehirn sei jedoch nur begrenzt in der Lage, relevante Informationen im Arbeitsgedächtnis zu speichern, so die Forschenden. Auch personalisierte Online-Werbung würde immer wieder dafür sorgen, dass wir abschweifen.

Kinder unter zwei Jahren sollten digitale Werkzeuge überhaupt nicht nutzen, das empfehle auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Kinder unter sechs Jahre sollten täglich weniger als eine Stunde vor einem Bildschirm verbringen. Auch das steht im Widerspruch zur Strategie der schwedischen Bildungsbehörde, die auch an Vorschulen den Einsatz digitaler Lernmittel verstärken wollte.

Bedingte Aussagekraft der Stellungnahme

Eine „Digitale Demenz“, wie von Spitzer heraufbeschworen, befürchten die Forschenden indes nicht: „Wir möchten darauf hinweisen, dass es trotz der eindeutigen Risiken der Digitalisierung von Schulen auch Belege dafür gibt, dass sich bestimmte digitale Lernmaterialien positiv auf das Lernen auswirken können“. Deshalb sei es dringend notwendig, dass verschiedene Akteure zusammen daran arbeiten, wirksame digitale Lernmaterialien zu entwickeln.

Die Studie erntet jedoch auch Widerspruch. Kritiker:innen bemängeln etwa, dass sich die Verfasser:innen lediglich mit digitalen Lehrbüchern befasst hätten, nicht aber mit den zahlreichen anderen Lernmitteln, für die digitale Geräte eingesetzt werden können.

Die Verfasser:innen selbst räumen ein, ausschließlich medizinische und psychologische Folgen des Einsatzes digitaler Lernmittel betrachtet zu haben. Unter anderem pädagogische und soziologische Aspekte seien zu kurz gekommen, weil die Nationale Agentur für Bildung keine heterogenere Forschungsgruppe zusammengestellt hatte. Um die Auswirkungen der unterschiedlichen Maßnahmen auf den Wissenserwerb und die digitale Kompetenz umfassend zu bewerten, brauche es daher Folgestudien, so die Forschenden.

Mehr Medienkompetenz statt mehr digitale Geräte

Vor allem aber liege das Problem, so die Wissenschaftler:innen, nicht grundsätzlich in der Nutzung digitaler Lernendgeräte begründet, sondern vielmehr darin, wie diese eingesetzt werden. Statt die Klassenräume mit Tablets zu fluten, sollte der Fokus stattdessen stärker darauf gelegt werden, wie Medienkompetenz vermittelt wird.

So habe die schwedische Digitalstrategie an Schulen bisher hauptsächlich darin bestanden, analoge durch digitale Lernmittel zu ersetzen. Die nötigen Kompetenzen seien dabei kaum vermittelt worden. Auch deshalb habe sich der Wissenserwerb der Schüler:innen verschlechtert.

Damit die Digitalisierungsstrategie erfolgreich ist, so die Empfehlung der schwedischen Wissenschaftler:innen, müssten Lehrkräfte wie Schüler:innen gezielt hinsichtlich ihrer digitalen Fähigkeiten und Medienkompetenzen weitergebildet werden.

Zum Teil nur „Klicken und Wischen“

Mehr Medienerziehung, wie das Karolinska-Institut fordert, wäre auch für deutsche Schüler:innen dringend notwendig. Das verdeutlicht bereits die International Computer and Information Literacy Study (ICILS) aus dem Jahr 2018. Die Studie vergleicht international die Medienkompetenz von Achtklässler:innen. Auch die Ausstattung von Schulen mit digitalen Lern-Endgeräten wird dabei erfasst.

Demnach erreichte damals ein Drittel der Schüler:innen in Deutschland nur die unteren beiden Kompetenzstufen. „Damit konnten diese Schüler:innen eigentlich nur ‚Klicken und Wischen‘“, stellt Birgit Eickelmann auf Anfrage fest. Sie ist Professorin an der Universität Paderborn und wissenschaftliche Leiterin der ICIL-Studie in Deutschland. Insgesamt lag die Bundesrepublik 2018 in der ICIL-Studie im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Große Defizite zeigten sich damals auch in der Ausstattung der Schulen hierzulande – etwa mit WLAN, Endgeräten und Lernplattformen.

Die Studienergebnisse von 2018 sind aus heutiger Sicht mit Vorsicht zu genießen. Der Digitalpakt Schule ist erst seit 2019 in Kraft, und auch die Corona-Pandemie hat den digitalen Schulalltag nachhaltig verändert. Die Auswirkungen der vergangenen Jahre werden sich daher erst in den Ergebnissen der ICIL-Studie 2023 niederschlagen, die Ende dieses Jahres veröffentlicht wird.

Im vergangenen Jahr nahm Schweden erstmals an der ICILS teil. Gerade mit Blick auf die aktuelle Debatte werden die Ergebnisse dort mit Spannung erwartet.

Die Digitalisierung pausieren?

Dass sich die Lage hierzulande in den vergangenen Jahren erheblich verbessert habe, glaubt der deutsche Digitalexperte Ralf Lankau indes nicht. Lankau ist Professor für Medientheorie und Mediengestaltung an der Hochschule Offenburg. Er kritisiert, dass Kinder und Jugendliche durch Streamingdienste, TikTok und Co. zu „suchtgesteuerten Konsumäffchen“ gemacht werden, statt dass die Potenziale der Techniken und Dienste genutzt würden.

Lankau meint, dass die Kompetenz im Gebrauch darüber entscheidet, ob digitale Lernmittel den Lernenden eher nutzen oder schaden. Die qualifizierte Lehrkraft müsse entscheiden, wann der Einsatz von digitalen Medien den Unterricht voranbringt. Relevant dafür seien unter anderem das Alter der Schüler:innen, das jeweilige Fach sowie die Schulform.

Damit ihr Einsatz möglich ist, müssten deutsche Schulen aber genauso gut mit Endgeräten wie Tablets, Laptops und PCs ausgestattet werden wie Schulen in skandinavischen Ländern. Außerdem müssten flächendeckend Bildungsserver zur Verfügung stehen.

Der Forscher war im November 2023 einer der Unterzeichner eines Papiers, das ein Moratorium der Digitalisierung an deutschen Schulen fordert. Mehr als 40 Forschende verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen aus ganz Deutschland haben es unterzeichnet.

Sie fordern eine Pause in der Schuldigitalisierung sowie eine interdisziplinäre Überprüfung der Schuldigitalisierung und ihrer möglichen Folgen. „Die Wirkungen und Nebenwirkungen digitaler Medien auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse [sind] wissenschaftlich oft ungeklärt“, so der Brief. „Vielmehr verdichten sich die wissenschaftlichen Hinweise auf enorme Nachteile und Schäden für die Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen durch digitale Medien.“

Für ein „Primat der Pädagogik“

Dass digitale Geräte allein noch keine Digitalisierung bedeuten, darüber ist man sich im deutschen Diskurs offenbar weitgehend einig. Auch im Digitalpakt ist das „Primat der Pädagogik“ verankert. Demnach seien technische Hilfsmittel kein Selbstzweck, sondern sollten dazu genutzt werden, um pädagogische Ziele zu erreichen.

„Die Anschaffung von Whiteboards und Laptops allein ist kein Garant für pädagogische Qualität – dies gilt im Übrigen auch für das Buch, das Schreibheft und die Kreidetafel“, schreibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf digitalpaktschule.de. „Es sind immer die pädagogischen Konzepte, die aus der Vielfalt an Angeboten gute Bildung machen“.

2021 erarbeitete die Kultusministerkonferenz (KMK) eine ergänzende Empfehlung zur Strategie „Bildung in der digitalen Welt“. Darin konkretisieren die Bildungsminister:innen der Länder die Strategie zur pädagogischen Umsetzung des Digitalpakts. Sie erachten es als notwendig, unter anderem die Lehrkräftebildung in Sachen Digitales auszubauen, Prüfungskriterien anzupassen und Inhalte für den Einsatz digitaler Unterrichtstechnologien forschungsbasiert zu entwickeln.

GEW sieht deutliche Unterschiede zu skandinavischen Ländern

Für ein „Primat der Pädagogik“ plädiert auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Digitale Lernmittel sollten allen Schüler:innen und Lehrkräften gleichermaßen zur Verfügung stehen, teilt ein GEW-Sprecher  auf Anfrage mit. Die Geräte sollten demnach nur dann genutzt werden, wenn es pädagogisch und didaktisch sinnvoll sei.

Gleichzeitig brauche es eine stärkere Förderung der Medienkompetenz bei Lernenden und Lehrenden. Medienkompetenz bedeute etwa das Erlernen eines kritischen, mündigen und kreativen Gebrauchs digitaler Medien – und auch die Fähigkeit „abschalten“ zu können. Dazu seien auch mehr Fortbildungen für Lehrkräfte notwendig.

Dieser Ansatz entspricht den Empfehlungen des Karolinska-Instituts sowie verschiedener Expert:innenen für digitale Bildung. Allerdings sei die Situation in Deutschland kaum mit der in Schweden und Dänemark zu vergleichen, sagt der GEW-Sprecher. Hierzulande sei die digitale Infrastruktur an Schulen noch immer nicht flächendeckend eingeführt. Zudem klaffe eine Kluft zwischen sehr gut und kaum ausgestatteten Schulen in Deutschland. „Manche Schulen haben noch immer kein WLAN, andere wiederum arbeiten wie selbstverständlich mit Tablets und Co.“, sagt der Sprecher der GEW.

Die GEW fordert „eine nachhaltige und sinnvolle digitale Infrastruktur an Schulen, eine sozial gerechte Mittelverteilung der Digitalisierung an Schulen sowie eine gute Qualität der Arbeits- und Lernbedingungen“. Zukünftig müsse die Qualität im Zentrum der Schuldigitalisierung stehen.

Keine Rückkehr zur Kreidetafel

Die Debatte lässt sich somit – im Sinne Manfred Spitzers – nicht darauf verkürzen, dass digitale Geräte Kinder „dümmer“ machen. Vielmehr braucht es für deren schulischen Einsatz bessere pädagogische Konzepte und mehr Medienbildung – und zwar sowohl für die Schüler:innen als auch für die Lehrkräfte.

An eben diesem Punkt muss auch die Bildungspolitik hierzulande ansetzen. Und zwar so schnell wie möglich: Denn die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie lassen kaum Zeit für Aufschub. Deutsche Schüler:innen schnitten in der Vergleichsstudie zuletzt so schlecht ab wie noch nie zuvor.

Dabei wäre es fatal, in den Schulen zu Kreidetafel und zum Overheadprojektor zurückzukehren. Stattdessen ist es erforderlich, an allen Schulen flächendeckend digitale Endgeräte zur Verfügung zu stellen. Erst dann können Lehrer:innen überhaupt erst qualifizierte Entscheidung darüber treffen, wann es pädagogisch und didaktisch wertvoll ist, diese auch einzusetzen.

Alle Schüler:innen haben das Recht, bestmöglich auf das Leben in einer digitalen Welt vorbereitet zu werden. Nichts Geringeres sollte auch der Anspruch der deutschen Bildungspolitik sein.

14 Ergänzungen

  1. Schön, daß den Alarmisten (Herrn Spitzer) hier differenziert Kontra gegeben und das Thema Kompetenz in den Vordergrund gerückt wird. Die Medien – ob das nun gut oder schlecht ist – werden wir nicht mehr los. Wichtig ist, den kritischen Umgang mit diesen zu lernen. Alarmistisches Schwarz -Weiß-Denken hilft bei Pädagogik nicht weiter – wohin das führt, sieht man daran, wie lange Dr. Winterhoff hofiert wurde.

  2. Die Frage ist doch, wie Schüler im Altersverlauf Medienkompetenz überhaupt entwickeln können und wie diese entwicklungsgerecht zur guten Entfaltung gebracht werden kann.

    Was sind gute Voraussetzungen für Medienkompetenz?

    Wer medienkompetent ist, kann sein Urteilsvermögen einsetzen und aus eigener Kraft weitere gute Quellen finden um etwas zu überprüfen. Aus eigener Kraft selbstständig etwas zu erarbeiten bedeutet „Lernen lernen“ schon gelernt zu haben, und die Freude an intrinsischer Motivation einsetzen zu können.

    Doch wie kommt Mensch zu Urteilsvermögen, insbesondere Heranwachsende?

    Das gelingt selbst manchen im besten Alter noch nicht. Um so wichtiger ist es damit frühzeitig anzufangen, kritisches Denken zu fördern. Verschiedene Quellen zum Thema/Ereignis zu suchen, und zu lernen, sich eigener Emotionen/Verstrickungen bewusst zu werden, Fakten von Fiction zu trennen, und erkennen zu können, dass man sich eventuell getäuscht hat (was immer wieder jedem passieren kann). Wer sagt etwas, mit welchen Mitteln, mit welcher Absicht an welches Publikum, um was zu erreichen?

    Es ist gut, Medienkompetenz auf dem Lehrplan zu haben. Doch dann muss auch dafür Sorge getragen werden, dass dafür die Voraussetzungen nachhaltig gewährleistet werden. Medienkompetenz ist wie das Tüpfelchen auf dem „i“, das Dach auf dem Haus. Bei schwacher Lesekompetenz und schwachen Kompetenzen, die Logik betreffend, fehlen grundlegende Voraussetzungen für Medienkompetenz, wobei entwicklungspädagogisch noch fehlende Kompetenzen möglichst in intrinsische Motivationen gewandelt werden können/sollen/müssen. Gelingt dies, so können Kinder stark, neugierig, lernfähig werden und letztlich zur Urteilskraft befähigte junge Erwachsene werden.

    An solide vermittelter Medienkompetenz hängt letztlich, ob freiheitliche Demokratie die nötige Resilienz entwickeln und halten kann.

  3. TEIL 1: Medienkompetenz ist die eine und, wie bereits beschrieben, sehr wichtige Seite. Doch sie erschöpft sich nicht nur in den genannten Aspekten.

    Herr Spitzer formuliert vielleicht manche Dinge über-spitzt, trifft jedoch im Kern das Richtige:

    Im Netz sind in Sekundenschnelle sehr viele Informationen verfügbar, die aber in den seltensten Fällen zur Gänze vom Gehirn verarbeitet und bewertet werden können. Die meisten schnappen irgendetwas auf, reflektieren es aber selten wirklich so, dass man von kritisch-reflektierendem Denken sprechen kann.

    Dieses wird zudem ab einer bestimmten Informationsmenge und -dichte blockiert – Stichwort „Reizüberflutung“ -, die bei vielen einen unbewusst suchtartigen Charakter hat, nach dem Motto:

    “Viel mitbekommen, aber sonst nichts damit anfangen müssen.”

    Deshalb ist es ein fataler Denkfehler diverser (Bildungs-)Politiker, mit „dem Netz“ oder „der Digitalisierung“ liesse sich das Lernen, Begreifen oder gar „Intellektualisieren der Masse“ bewerkstelligen oder verbessern. Gerade die „Masse“ bzw. gesellschaftliche Gruppierungen müssen reflektieren (je größer die Gruppe, umso mehr), um verhärtende Positionen zu vermeiden. Genau das wird durch die eben genannten Strukturen im Netz verhindert – mehr als in anderen Medien. Das Netz bewirkt also genau das Gegenteil von dem, wofür es eigentlich gedacht war. Sichtbar wird dies daran, dass immer weniger Menschen und besonders Kinder und Jugendliche fähig sind, bei einem (Netz)-Thema einerseits zu bleiben und andererseits sich in – altersgerecht betrachtet – überlegten und gut formulierten Sätzen darüber zu äußern.

    Der Computer kann ein sehr gutes Hilfsmittel sein, um Dinge sauberer und übersichtlicher darzustellen als es z. B. an einer Tafel möglich ist. Das ist vor allem in den Naturwissenschaften der Fall. Es gibt sehr gute Programme, deren Einsatz und Nutzung geübt werden muss.

    1. > Herr Spitzer formuliert vielleicht manche Dinge über-spitzt, trifft jedoch im Kern das Richtige:

      Es ist vermutlich wie mit „Die NSA spioniert uns aus.“ Es wird erst einen Snowden bei einem Smartphonehersteller brauchen, damit Spitzer ernst genommen wird.

  4. TEIL 2:
    Aber: Zum einen ist die Digitalisierung in erster Linie eine kommerzielle und zum zweiten eine machtzentrierte Angelegenheit, aber keineswegs eine gesellschaftspolitisch kritisch betrachtete. An ihr verdienen wenige, sehr reiche Leute, die ihre Position ausnutzen und ihre Visionen (nicht die der Gesellschaft!) in alle Bereiche mit einem Sendungsbewusstsein hineintragen, das seinesgleichen sucht. Dazu zählt auch der Bildungsbereich. Siehe beispielhaft folgenden Link hier auf netzpolitik.org:

    Zweitens assoziieren die meisten Leute Digitalisierung mit Bequemlichkeit. Für diese wird das als Bildungsziel so notwendige kritische Denken per se geopfert. Wäre dem nicht so, müssten z. B. für die Erhaltung der Privatsphäre im Digitalen und gegen Überwachung viel mehr Leute auf die Straße gehen als bisher.

    Dass selbst Bildungspolitiker Opfer dieser Einflüsse sind, beweist deren Bestreben, das ganze Schulwesen (und nicht nur das) unkritisch digital umzugestalten: viel Technik ergibt viel Wissen. Eine echte Ungleichung.

    Medien- und IT-Kompetenz allein bestehen aber nicht, wie richtig ausgeführt, im Anschaffen vieler Rechner sowie dem Anklicken diverser Symbole und Smileys, sondern in echter Auseinandersetzung mit zahllosen, durch das Netz etc. generierten Reizen, die von Menschen gefiltert werden müssen (s. o.).

    Dass das in Dänemark und Schweden erkannt wird, sollte für hiesige (Bildungs-)Politiker vorbildhaft sein.

  5. > Und auch Dänemarks Bildungsminister Tesfaye schlägt inzwischen reumütige Töne an: Er entschuldigte sich, die Schüler zu „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ gemacht zu haben.

    Damit ist er intelligenter als der durchschnittliche deutsche Digitalisierungsbefürworter. Elektronische Patientenakte, e-Perso, EGK… überall werden die Bürger zu „Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment“ gemacht. Und wenn es schiefgeht erhält wird sehr wahrscheinlich keiner der Verantwortlichen langjährige Gefängnisstrafen erhalten.

    1. Hier titelt man, wie KI und ChatGPT an die Schulen gebracht werden könne. Am Besten noch das Internet und Facebook und noch eine Suchmaschine und Google. Nicht zu vergessen Computer und Microsoft und Tablets und Apple. Fehlt noch Dünger.

  6. Unter dem Titel “Schulphysik ohne Physik” hat Prof. Dr. Bernhard Krötz ein Video zu den erodierenden Inhalten des Physikunterrichts gemacht. Bei den dort vorgestellten Aufgaben ist das Vermittlungsmedium unerheblich.

    Klingt nach Satire, ist aber leider keine.

    Das deutsche Bildungswesen schneidet in internationalen Vergleichstests (PISA, IGLU und TIMSS) nicht deshalb so schlecht ab, weil an den Schulen zu wenig Technik vorhanden ist. Es mangelt vielmehr an der Qualität der Inhalte und der Kompetenz der Lehrkräfte.

    Lernschwache Schülerinnen benötigen gezielte Nachhilfe durch pädagogisch geeignetes Personal, keine Tablets. Das ist natürlich teurer als die “Digitalisierung” des Bildungswesens und deshalb keine Option.

    Ändern wird sich in absehbarer Zeit ohnehin nichts, dafür sind die Beharrungskräfte viel zu groß.

  7. Billig ist immer eine digitalisierte Plattform. Also KI, die alle Schnittstellen zur Verfügung hat, so auch an alle Daten kommt, und sie so z.B. nach Hause funken könnte. Auch würde man eine einfache Erinnerungsfunktion natürlich nicht mehr als solche implementieren, jetzt wo wir plötzlich KI haben. Rein theoretisch natürlich. Selbstverständlich.

  8. Man müsste man das Statement des Karolinksa-Institut ausführlicher auseinander nehmen.
    Wenn man genauer hinschaut, dann ist es wie eigntlich immer so, dass nie in den betrachteten Studien digitale Medien komplett abgelehnt werden. Es geht immer darum, wie man ein Medium einsetzt. Logo! Eine Kreide-Tafel macht aus meinem Unterricht nicht automatisch einen guten Unterricht, nur weil ich sie einsetze.

    Oder wenn man von „Papierbücher sind besser für’s Lesen“ schreibt, frage ich mich, welche Ausdünstungen das Papier von sich gibt, dass es einen Unterschied macht, ob ich die gleichen Buchstaben digital oder auf Papier lesen. Da gibt es ja eine gern zitierte Studie, bei der die Leseaufmerksamkeit bei einem Sach- oder Prosa-Text auf Papier mit dem digitalen Lesen von Social-Media-Beiträgen verglichen wird … und … oh Wunder: die Social-Media-Inhalt werden weniger aufmerksam gelesen. Ja so ein *Scheiß* … wer wagt es sich, so etwas zu vergleichen!?

    Für Mathematik gibt es ganz klare, wenn auch meist eng begrenzte Studien zu einem Unterrichtsthema, die zeigen das die Nutzung digitaler Medien von Vorteil sind.

  9. Vieles, was ich hier anmerken würde, wurde schon von anderen geschrieben.
    Zwei wesentliche Anmerkungen möchte ich aber noch loswerden:
    Die Autorin drückt sich vor einem der wesentlichsten Aspekte, nämlich der Altersfrage, die mit der medizinisch-psychologischen zusammenhängt. Solange bestimmte analoge Kompetenzen nicht wirklich gefestigt sind, ist es definitiv kontraproduktiv, sie digital erwerben lassen zu wollen. Das bedeutet, dass ein Einsatz digitaler Medien zur Bildung erst ab der 8. Klasse begonnen werden sollte, und auch nicht für alles. (Auch Spitzer spricht sich nicht gegen sinn- und maßvolle Verwendung digitaler Hilfsmittel aus, und dass es digitale Demenz gibt, erschließt sich daraus, dass immer mal wieder Autofahrer in U-Bahn-Tunneln landen, weil sie sich vom Navi dorthin leiten lassen. )
    Zweitens fehlt ein Aspekt, der eigentlich immer zu kurz kommt: Digitale Medien mit ihrem Ablenkungs-, Beeinflussungs- und Zeitfresserpotential sind massiv gesellschafts- und demokratiegefährdend. Man schaut sich lieber die neue Story an, statt sich selbst dazu Gedanken zu machen bzw. dazu erzogen zu werden. Und das ist mMn. politisch beabsichtigt: Wer abgelenkt ist, protestiert nicht…

    1. > politisch beabsichtigt: Wer abgelenkt ist, protestiert nicht…

      Ich würde nicht so weit gehen, dahinter einen politischen Plan zu vermuten, aber ja, seichte Unterhaltung hat ihren Effekt. Wer vor der Glotze hockt oder soziale Medien konsumiert, ist für diese Zeit kaltgestellt, geleitet und blockiert, sich für andere Dinge zu interessieren. Angesichts der populistischen Resonanz in weiten Kreisen der Bevölkerung frage ich mich tatsächlich, ob das nicht noch das kleinere Übel ist. Mich schaudert die Vorstellung, wenn die auch noch über-emotionalisiert aktiv würden.

    2. Der Argumentation folgend ist auch der Einsatz gedruckter Medien abzulehnen.

      Es ist immer das gleiche: die Alten sind zu bequem oder geizig, neue Technologien vorteilhaft fuer Kinder einzusetzen, und die Kinder muessen es ausbaden.

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